Mittwoch, 25. Oktober 2017
Noch ein Nachtrag zu G20
"Zeugen gesucht" las ich in St. Pauli an einem Baum. Normalerweise geht es bei solchen Zetteln um geklaute Mopeds oder eingedellte Kotflügel. Hier aber Folgendes:

"... am 7.7. im Rahmen des G20-Gipfels ... Unbekannte errichteten 2 Barrikaden und zündeten sie an ... Polizei und Feuerwehr trafen ein, unternahmen aber nichts. Daraufhin versuchten Anwohner die Brände zu löschen ... nach einigen Minuten tauchten die Polizisten wieder auf und griffen die Anwohner an. Ich erlitt einen Kniescheibenbruch ... Wer hat das gesehen oder mit dem Handy gefilmt?"
So, und nun denke sich jeder seinen Teil.

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Donnerstag, 21. September 2017
Konservatives Bekenntnis
Das Schulgebäude, in dem ich arbeite, will die Stadt seit Längerem loswerden – aus ökonomischer Warte verständlich: Sicherlich übersteigt der finanzielle Wert des Innenstadtgrundstücks den Gebrauchswert als stinknormale Berufsschule bei weitem.
Als Erstes hat man die Schule zur Filiale einer größeren Berufsschule degradiert, die etwas weiter draußen liegt, an einer lauten Ausfallstraße. Das ist ein riesengroßer Neubaukomplex der Marke „hell - modern – unübersichtlich – anonym“. Dort soll ein weiteres Gebäude entstehen, das unsere Schule aufnehmen soll. Aber irgendwie stocken die Baumaßnahmen seit Jahren.
Ich argwöhne, dass das auch damit zusammenhängt, dass die Stadt unsere Schule nicht verkauft kriegt, denn die steht dummerweise unter Denkmalschutz, da sie von einem regional berühmten Architekten errichtet wurde. Das Haus besticht zwar nicht durch besondere Schönheit, wohl aber durch menschenfreundliche Proportionen, und in den Pausen sitzen die Schüler auf wunderschönen, grün gekachelten Brunnenrändern (die allerdings seit Ewigkeiten versiegt sind). So ein Gebäude kauft natürlich niemand.
Immerhin konnte die Stadt das zum Haus gehörige Brachland verscherbeln, das bisher den Lehrerparkplatz beherbergte. (Da so ein Lehrerparkplatz natürlich nie wegfallen darf - Bestandsschutz! - wurde der bisherige Schulhof umgewidmet und von einer Fachfirma professionell befestigt, während bisher ein Flecken leerer Erdboden zwischen Gras und Gestrüpp ausgereicht hatte.) Nach den Sommerferien stand da ein Werbeschild, und jetzt ist schon die Baugrube ausgehoben, und es wird fleißig in die Tiefe gerammt, dass die Klassenräume erzittern.

Da staunt man, wie schnell Bauvorhaben so vonstattengehen können, wenn das Geld stimmt. Ganz offensichtlich hat sich der Senat ernsthaft vorgenommen, die Wohnungsnot der oberen Zehntausend zu beseitigen – „Wachsende Stadt“ nannte das der vorige (CDU-)Bürgermeister und meinte damit „Wachsender Reichtum der sowieso schon Reichen“. Und der jetzige SPD-Bürgermeister führt diese Politik fort, wobei er – nach klassischer SPD-Tradition – den gleichzeitigen Bau günstigen Wohnraums antäuscht, ohne ihn nennenswert durchzuführen.
Angesichts solcher Entwicklungen wird man skeptisch gegenüber jeglichen Neuerungen. Daher wähle ich diesmal wertkonservativ, also links.

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Sonntag, 10. September 2017
Abends in der Stadt
Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit einem Freund. Ich, Bewohner einer westdeutschen Großstadt, kam gerade vom Sport und meinte: "Es ist ja ein Ding, wie gerammelt voll die Straßencafés abends um neun noch sind, wie viele Leute mitten in der Woche um diese Zeit noch die Zeit und das Geld haben, überteuerte Geränke zu sich zu nehmen." - Er, Bewohner einer ostdeutschen Kleinstadt, erwiderte: "Ich komm oft um diese Zeit erst von der Arbeit. Nur Ausländer auf der Straße. Bedrückend." Und dann wechselte er das Thema, wohl wissend, dass ich nicht Ausländer bedrückend finde, nur die Verhältnisse, die sie durch ihr Erscheinen umso sichtbarer machen.
Irgendein berühmter Mensch hat mal gesagt, die Kultur eines Landes bemesse sich an der Kultur ihrer Kleinstädte.

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Mittwoch, 30. August 2017
Klare Worte
Die Bundeskanzlerin bringt es auf den Punkt: "Die Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Afrika kommen, müssen in ihre Heimatländer zurück."
Ob sie das wohl durchsetzen kann?

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Dienstag, 4. Juli 2017
G20 – Hauptsache laut
„Das ist doch eine Unverschämt.“, murmelt meine Frau im Halbschlaf und wälzt sich im Bett umher. Ich greife nach den Ohropax. Es ist Mitternacht und über Altona kreist seit Ewigkeiten ein Hubschrauber, mal näher, mal weiter weg.
Heute Morgen erzählt eine Kollegin, welch dringende Aufgabe dieser Hubschrauber zu vollbringen hatte: Er stand nämlich meist fast direkt über ihrem Haus und sie ist gucken gegangen – bei den Bauwagenleuten in der Gaußstraße wurden offenbar illegal Schlafende gesucht.
Schließlich haben die Gerichte ja festgestellt, dass angereiste Protestierende während des G20-Gipfels demonstrieren dürfen. Schlafen dürfen sie zwischendurch aber nicht, das ginge denn doch zu weit. Man muss sie mit Hubschraubern aufscheuchen. Hauptsache Krawall.
Schon beim Auftakt am Sonntag war das ja so: In der Innenstadt wurden Plakate hochgehalten und Sprechchöre gerufen – die Polizei ließ sich nicht lumpen und ließ ihre Mannschaftswagen mit Sirene und Blaulicht die Stresemannstraße hoch- und runterfahren. Hauptsache laut.
Meine Schule bleibt während des Gipfels geschlossen, wir machen am Donnerstag einen Ausflug, am Freitag bleiben die Schüler mit einer Aufgabe zu Hause. Besser ist das. Meine Schüler haben Stress und Chaos genug in sich selber, sie brauchen nicht auch noch G20.
Dennoch ermahnt uns heute die Schulbehörde per Mail, wir dürften am Freitag nicht „streiken“, d.h. mit Schülern zu den Protestveranstaltungen gehen. Es scheint wohl vereinzelt Lehrer zu geben, die so bescheuert sind.
Wie auch immer: Es wird sicher schön laut am Freitag in Hamburg, so richtig mit Martinshorn und Hubschraubern und Polizei in voller Montur. Herr Maaßen sagte heute in der Tagesschau, dass er sich auch genügend Linksextreme erhofft mit Zwillen und Brandsätzen, ein paar davon hat er zu seiner Freude schon gefunden.
Für Leute, dies mögen, wird das sicher ein schönes Fest. Und auch Putin, Trump und Erdogan werden ihre Freude haben – die stehn ja auf Krawall.

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Dienstag, 20. Juni 2017
Heute mal Wahlkampf: Die Tatsachen verdrehenden Wörter "Umverteilung" und "Leistungsträger"
Kaum ist Wahlkampf, schon sind diese beiden idiotischen Wörter wieder im Umlauf, und man behauptet, bei den Empfängern einer bestimmten Gehaltsklasse handle es sich um besondere Leistungsträger und die Besteuerung von deren Einkommen wäre eine Umverteilung.
Ist nicht die Annahme ziemlich absurd, es gebe irgendeinen statistisch bewertbaren Zusammenhang zwischen der Höhe des Einkommens und der zugehörigen Arbeitsleistung? (- es sei denn, man hält die Fähigkeit, einem Geschäftspartner oder Arbeitgeber Geld aus den Rippen zu leiern, für die eigentliche Leistung - und den dabei zu entstandenen Nutzen für die Gesellschaft für einen reinen Kollateralschaden)
Und Umverteilung, ist das nicht, wenn man das Wort ehrlich benutzt, gerade das Verfahren, bei dem sich ein immer größerer Teil des Volksvermögens in den Besitz einer ziemlich kleinen Bevölkerungsgruppe umverteilt?

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Sonntag, 26. März 2017
Wo man die Türen nicht schließen kann
Manchmal begegne ich Menschen, die ich einfach nicht leiden kann, obwohl sie mir gar nicht feindlich gegenübertreten, die einfach nur Signale aussenden, die das meinige auf Rot stellen.
Heute hab ich nach langer Zeit mal wieder die Sprachprüfung für Ausländer abgenommen, was ich aus Sentimentalität an alte Billig-Lehrer-Zeiten manchmal noch tue - A., der ich damals über eine Freundin den Job in der Vorstadt vermittelt hatte, ist dort, bei diesem „freien Bildungsträger“, inzwischen fest angestellt und fand mich im Internet, als sie einen Prüfer auf Honorar suchte. Wie schön! Aber als 2. Prüfer fand sie leider L., die ich auch von damals noch flüchtig kenne. Sie war mir irgendwie unangenehm, sie wirkte auf mich lehrinnenhaft kühl und streng, ohne dass ich von ihr irgendwas wusste. Wie sich heute herausstellte, war das Gegenteil von Strenge der Fall: Sie prüfte im Detail zwar pingelig und leidenschaftlich, kontrollierte jedes Prüfungsergebnis nochmal genau nach, war aber im Ergebnis sehr wohlwollend bis zur Grenze des Möglichen. Immerhin waren wir uns bei den Fällen, die wirklich durchfallen wussten, einig, so dass es keine echten Konflikte gab.
Aber was sie sonst so erzählte: Fast gleichzeitig mit dem Bekenntnis, aus Donezk zu stammen, kam sie mit der (so finde ich) offensichtlichen Propagandalüge, Angela Merkel habe die Flüchtlinge aus Syrien ins Land geholt, um der syrischen Regierungsarmee die Soldaten zu nehmen und dadurch das Kriegsgeschehen zuungunsten Assads zu beeinflussen – na super: Man kennt sie ja, diese rechtsdeutsche Anti-Merkel-Fremdenfeindlichkeit in Mischung mit prorussischer Assadfreundlichkeit, sowas kann mich auf die Palme bringen. Als ich leise protestierte, meinte sie: „Doch, doch, du kennst doch noch C.“ und erzählte von den Pass-Schwierigkeiten dieser Deutschestin, von den Gemeinheiten der Esten gegen ihre dort lebenden Russen (für die sie die Verantwortung natürlich ausschließlich bei der EU sah), ohne die vorher geschehenen Gemeinheiten der Russen an den in Estland lebenden Esten zumindest zu erwähnen – als ich sie darauf hinwies, schwieg sie, um die Atmosphäre nicht noch ungemütlicher zu machen.
Sie erzählte dann von ihrem Berufsweg der letzten Jahre (wir haben uns ja 2 – 3 Jahre nicht gesprochen), das war nett gemeint, weil wir so ja das Politische beiseitelassen, uns über gemeinsamen Beruf unterhalten konnten. Aber gleich traf sie wieder bei mir ein Fettnäpfchen: Sie berichtete stolz, wie sie durch Zufall in maßgebliche Schulorganisationskreise gelangt sei, ständig hieß nur „Kennst du Marina X., kennst Susanne Y.?“ usw. Ich sagte nur „Du, Netzwerken ist nicht so mein Talent.“ Na, und dann erzählte sie noch von den tollen pädagogischen Konzepten ihrer Schule – „Wir haben jeden Dienstag Hospitationsmöglichkeiten, da musst du mal kommen. Wir haben gar keine Türen, und alles funktioniert über individualisiertes Lernen.“ -„Ja, aber weißt du, was mein Problem dabei ist“, sagte ich diplomatisch (denn in mir begann es schon zu brodeln), „bei der Individualisierung geht das Gemeinschaftsgefühl verloren. Bei meinen Alphaschülern muss die Tür zu sein, sonst trauen sie sich nicht, mal was zu wagen. Jede Öffnung, jede Öffentlichkeit bringt Chaos, Aggressivität ...“ – „Also, bei uns gibt es keine Türen“ wiederholte sie stolz.“ Ich sagte nichts, auch als sie anschließend klagte, dass ihre Alphaschüler so unselbstständig seien und all ihr „individualisiertes“ Lernen nicht funktioniert.
Kurz: In meinen Augen war das eine unschöne Mischung zwischen alter staatstragender Ideologie (Putinphilie und Fremdenfeindlichkeit, die ja auch in dem realsozialistischen russischen Imperialsystem gepflegt wurde) und neuer staatstragender Ideologie (offener Unterricht, Behördenverehrung).

P.S.: Natürlich ist das mit dem offenen Unterricht nicht ganz verkehrt – gerade deutsche Loser-Schüler der sogenannten Ausbildungsvorbereitung, die in der Regel eine vermurkste Schulkarriere und mangelhaftes Selbstbewusstsein aufgrund mangelhafter sozialer Fähigkeiten haben, für die können die „offenen Türen“ eine gute Möglichkeit sein, wieder Vertrauen in sich zu fassen und die Füße auf den Boden zu bekommen. Aber die Migranten, die meist aus autoritären, engen Verhältnissen kommen und durch die Flucht plötzlich jedes Bezugssystem verloren haben, die brauchen doch alles andere als noch mehr Freiheit und Bindungslosigkeit, die brauchen Ruhe, Routine, menschliche Nähe, Verlässlichkeit, um überhaupt langsam zu begreifen, wo in Deutschland oben und unten ist. Und eine Lehrerin, die – anders als ihre bewunderten Vorbilder in der Behörde - weiß, was Migration ist, dürfte, finde ich, denen nicht ihre Fehler nachahmen.
Und das hab ich ihr alles nicht gesagt. Daher bin ich so sauer.

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Samstag, 21. Januar 2017
"Der Trump in mir"
So oder so ähnlich hat Don Alphonso neulich getitelt. Ja, natürlich, ich kenn meinen inneren Trump auch, und ich mag ihn auch, ich weiß aber, dass ich ihm nicht trauen kann. Dazu eine Erinnerung aus meinen Billig-Lehrer-Zeiten. Ich habe sie bewusst etwas pauschalisierend zugespitzt, wie das heute so üblich ist.
Wie berichtet, arbeitete ich da in einer Firma, einem sogenannten freien Bildungsträger. Die Firmengruppe war hervorgegangen aus gewerkschaftlichen Initativen in den achtziger Jahren, die sich immer weiter professionalisiert hatten. Man pflegte weiter einen lockeren, kollegial wirkenden Stil, man liebte die Sozialkitsch-Vorstellungen der alten Bundesrepublik, aber im tatsächlichen Handeln lebte man schon den Neoliberalismus der 90er/2000er. Jeder erzählte jedem gleich, wie sehr er oder sie soziale Arbeit liebt. Und wenn man sich näher kannte, gestand man sich irgendwann, wie und warum man aus der normalen Berufskarriere rausgeflogen war und wie froh, jetzt wenigstens überhaupt wieder Arbeit zu haben.
Die Bezahlung war miserabel, die Strukturen intransparent, es gab viel Mauschelei und Missgunst. Als z. B. der Geschäftsführer von einer der Tochter-GmbHs der Mutterfirma Mist baute und seinen Job verlor, veranstalteten einfach alle Geschäftsführer einen Ringtausch. Auf der Ebene hielt man schon zusammen. Einfache Mitarbeiter betraf das nicht: Eine Kollegin wurde befristet für ein halbes Jahr eingestellt, in ihrem Vertrag fand sich ein Hinweis auf eine sechmonatige Probezeit. Auf ihre Frage, wie das zu verstehen sei, bekam sie die freche Antwort, man sei ja schon daran interessiert, die Befristung eventuell zu verlängern.
Mich widerte die Doppelmoral an und ich glaubte zunächst, beim nächsten Bildungsträger besser dran zu sein. Dieser war vom Unternehmerverband gegründet worden. Der Geschäftsführer (wie bei der anderen Firma waren die Geschäftsführerposten durch Männer, die Abteilungsleiterposten durch Frauen besetzt) trug einen schicken Anzug und war sehr eloquent, ganz anders als die kumpelhaften Biedermännner bei der Konkurrenz. Er betonte bei jeder Gelegenheit, dass seine gGmbH ein Wirtschaftsunternehmen sei. Ich mochte das und fand das ehrlich. Meine Chefin war Ole-von-Beust-Fan und glaubte, dass Tüchtigkeit sich auszahlt. In ihrem Gehalt schlug sich das allerdings nicht wieder. Allerdings war sie ja auch alles andere als eine professionelle Chefin, betriebswirtschaftlich ging alles drunter und drüber. Ihr Talent bestand darin, mit ihrem Engagement und inhaltlichem Verständnis für die Sache gute Honorarkräfte an die Firma zu binden, trotz des lausigen Honorars. Als die Abteilung dennoch im Minus blieb, kündigte sie freiwillig. Erst später stellte sich heraus, wie das Minus zustande kam: durch Fehlbuchungen. Ungenau annoncierte Überweisungen von Ämtern, die unsere Bildungsleistungen bezahlten, hatte der Geschäftsführer, wenn er sie nicht auf den ersten Blick unserer Abteilung zuordnen konnte, halt einfach genommen, um jeweils dort Löcher zu stopfen, wo anderswo in der Firma Not am Mann war. Wie auch immer, nach dem Weggang der Chefin blieben dann auch die Honorarkräfte nach und nach weg, danach die fest Angestellten wie ich. Die Abteilung schloss. Alles, was der Firma blieb, war der Gewinn, den sie mit uns gemacht hatte. (Ja, ich weiß, gGmbHs dürfen nominell keinen Gewinn machen, sie müssen ihn halt in Immobilienbesitz o.ä. umwandeln.)
Fazit: Ich fürchte, es wird uns ähnlich gehen mit dem trumpismo, der jetzt überall in der westlichen Welt heraufdämmert - im ersten Moment spürt man Erleichterung, weil "die" es "denen" mal gezeigt haben. Im zweiten Moment merkt man dann, dass "die" auch nicht besser sind - sondern schlimmer.

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Montag, 12. Dezember 2016
Geld ist stärker als menschliche Treue
Als ich vor zweieinhalb Jahrzehnten per Wiedervereinigung ins Schlaraffenland Bundesrepublik Deutschland kam, genoss ich erstmal die wohlstandsbasierten Freiheiten und das Leben als Student. Ich studierte zwar „auf Lehramt“ , hatte aber kein Verständnis für die nicht wenigen meiner Kommilitonen, die ängstlich darauf bedacht waren, möglichst schnell Beamte zu werden. Ich belegte stattdessen zusätzliche Philosophieseminare und zog mit Magisterstudenten durch die Kneipen. Mitreferendare, die sich krummbogen für das Zweite Staatsexamen und die Aufnahme in den Staatsdienst, die verachtete ich nur. Ich hatte es halt noch nicht begriffen. Welche Rolle das Geld spielt.
Ernst Morwitz (so jedenfalls rekapituliert Ulrich Raulff in seinem wunderbaren Schmöker „Kreis ohne Meister“ Forschungen von Carola Groppe) war Jude und in der Weimarer Republik ein hoher Justizbeamter. Als die Nazis dann ihre Rassegesetze installierten, wurde er entlassen, seine Pension reichte aber aus, dass er zunächst als Privatier in Deutschland bleiben konnte. 1938 wurde das auch ihm zu brenzlig, er emigrierte in die USA und bekam (dank der Hilfe von Exkollegen) seine Pension nachgeschickt. Erst als die Nazis auch das unterbanden, begannen für ihn harte Jahre, da er in den USA nicht in seinem Beruf arbeiten konnte.
Nur vom Hörensagen weiß ich von der Existenz meiner Großtante, die ebenfalls Jüdin war, allerdings Hausfrau und keine Beamtengattin. Sie hatte keine Pension als Rettungsanker und also keine Ausreisemöglichkeit, nur einen als arisch geltenden Ehemann, der sie zu den wiederkehrende Terminen bei der Polizei begleitete, um sie zu schützen. Bei einem dieser Termine, wurde mein Großonkel mit Fußtritten aus der Tür befördert. Seine Frau hat er nicht wiedergesehen. Ein letztes Lebenszeichen war ein Zettel, den sie aus dem Zug auf einen polnischen Bahnsteig geworfen hatte. Unbekannte Polen (das sei nicht vergessen) müssen ihn in einen Umschlag gesteckt und meinem Großonkel zugesendet haben.
Ernst Morwitz wurde in den fünfziger Jahren von Deutschland nachträglich befördert und entsprechend entschädigt, so dass er auf seine alten Jahre noch ein paar Jahre in Europa herumreisen konnte. Eine späte Genugtuung, immerhin.
Polnische Zwangsarbeiter mussten allerdings bis in die achtziger Jahre überleben, um noch eine Entschädigung erhaschen zu können.
… na ja, vielleicht hat ja meine bockige Beamtenverachtung auch ihre historischen Wurzeln, in derselben Zeit. Mein anderer Großvater nämlich war damals Beamter, ein Aufsteiger aus der Arbeiterschaft. Um 1930 ist es ihm sogar gelungen, für seine Familie ein Haus errichten zu lassen, mithilfe eines großen Kredits und der Zusammenarbeit mit der links orientierten Konsum-Genossenschaft, die im Erdgeschoss einen Laden etablierte. Er hatte 1933 ein anderes, letztendlich weniger gewichtiges Problem: ein SPD-Parteibuch. Er überblickte pragmatisch die Lage, fand sich bereit, das SPD- gegen das verhasste NSDAP-Buch zu tauschen und im Weiteren die Klappe zu halten. Er behielt seine Arbeit, seine Familie konnte wohnen bleiben und er den Kredit abbezahlen. Nach 1945 wurde er als Mitläufer entnazifiziert.
Ist es ein wunder, dass ich irgendwie einen Moral-Tick habe?

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Montag, 19. September 2016
Begeben wir uns mal auf das Niveau der Wahlanalysten ...
... und fragen ganz platt: In Berlin haben 4 Parteien ganz gut abgeschnitten - je eine von links und eine von rechts und zwei aus der Mitte. Aus wessen Sicht ist das jetzt ein Wahldebakel?

P.S. Natürlich wird es schon etwas problematischer, wenn man genauer hinschaut (gefunden via anders deutsch) - aber wenn man genauer hinschaut, dann macht Politik ja keinen Spaß mehr.

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