Samstag, 21. Januar 2017
"Der Trump in mir"
So oder so ähnlich hat Don Alphonso neulich getitelt. Ja, natürlich, ich kenn meinen inneren Trump auch, und ich mag ihn auch, ich weiß aber, dass ich ihm nicht trauen kann. Dazu eine Erinnerung aus meinen Billig-Lehrer-Zeiten. Ich habe sie bewusst etwas pauschalisierend zugespitzt, wie das heute so üblich ist.
Wie berichtet, arbeitete ich da in einer Firma, einem sogenannten freien Bildungsträger. Die Firmengruppe war hervorgegangen aus gewerkschaftlichen Initativen in den achtziger Jahren, die sich immer weiter professionalisiert hatten. Man pflegte weiter einen lockeren, kollegial wirkenden Stil, man liebte die Sozialkitsch-Vorstellungen der alten Bundesrepublik, aber im tatsächlichen Handeln lebte man schon den Neoliberalismus der 90er/2000er. Jeder erzählte jedem gleich, wie sehr er oder sie soziale Arbeit liebt. Und wenn man sich näher kannte, gestand man sich irgendwann, wie und warum man aus der normalen Berufskarriere rausgeflogen war und wie froh, jetzt wenigstens überhaupt wieder Arbeit zu haben.
Die Bezahlung war miserabel, die Strukturen intransparent, es gab viel Mauschelei und Missgunst. Als z. B. der Geschäftsführer von einer der Tochter-GmbHs der Mutterfirma Mist baute und seinen Job verlor, veranstalteten einfach alle Geschäftsführer einen Ringtausch. Auf der Ebene hielt man schon zusammen. Einfache Mitarbeiter betraf das nicht: Eine Kollegin wurde befristet für ein halbes Jahr eingestellt, in ihrem Vertrag fand sich ein Hinweis auf eine sechmonatige Probezeit. Auf ihre Frage, wie das zu verstehen sei, bekam sie die freche Antwort, man sei ja schon daran interessiert, die Befristung eventuell zu verlängern.
Mich widerte die Doppelmoral an und ich glaubte zunächst, beim nächsten Bildungsträger besser dran zu sein. Dieser war vom Unternehmerverband gegründet worden. Der Geschäftsführer (wie bei der anderen Firma waren die Geschäftsführerposten durch Männer, die Abteilungsleiterposten durch Frauen besetzt) trug einen schicken Anzug und war sehr eloquent, ganz anders als die kumpelhaften Biedermännner bei der Konkurrenz. Er betonte bei jeder Gelegenheit, dass seine gGmbH ein Wirtschaftsunternehmen sei. Ich mochte das und fand das ehrlich. Meine Chefin war Ole-von-Beust-Fan und glaubte, dass Tüchtigkeit sich auszahlt. In ihrem Gehalt schlug sich das allerdings nicht wieder. Allerdings war sie ja auch alles andere als eine professionelle Chefin, betriebswirtschaftlich ging alles drunter und drüber. Ihr Talent bestand darin, mit ihrem Engagement und inhaltlichem Verständnis für die Sache gute Honorarkräfte an die Firma zu binden, trotz des lausigen Honorars. Als die Abteilung dennoch im Minus blieb, kündigte sie freiwillig. Erst später stellte sich heraus, wie das Minus zustande kam: durch Fehlbuchungen. Ungenau annoncierte Überweisungen von Ämtern, die unsere Bildungsleistungen bezahlten, hatte der Geschäftsführer, wenn er sie nicht auf den ersten Blick unserer Abteilung zuordnen konnte, halt einfach genommen, um jeweils dort Löcher zu stopfen, wo anderswo in der Firma Not am Mann war. Wie auch immer, nach dem Weggang der Chefin blieben dann auch die Honorarkräfte nach und nach weg, danach die fest Angestellten wie ich. Die Abteilung schloss. Alles, was der Firma blieb, war der Gewinn, den sie mit uns gemacht hatte. (Ja, ich weiß, gGmbHs dürfen nominell keinen Gewinn machen, sie müssen ihn halt in Immobilienbesitz o.ä. umwandeln.)
Fazit: Ich fürchte, es wird uns ähnlich gehen mit dem trumpismo, der jetzt überall in der westlichen Welt heraufdämmert - im ersten Moment spürt man Erleichterung, weil "die" es "denen" mal gezeigt haben. Im zweiten Moment merkt man dann, dass "die" auch nicht besser sind - sondern schlimmer.

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Montag, 12. Dezember 2016
Geld ist stärker als menschliche Treue
Als ich vor zweieinhalb Jahrzehnten per Wiedervereinigung ins Schlaraffenland Bundesrepublik Deutschland kam, genoss ich erstmal die wohlstandsbasierten Freiheiten und das Leben als Student. Ich studierte zwar „auf Lehramt“ , hatte aber kein Verständnis für die nicht wenigen meiner Kommilitonen, die ängstlich darauf bedacht waren, möglichst schnell Beamte zu werden. Ich belegte stattdessen zusätzliche Philosophieseminare und zog mit Magisterstudenten durch die Kneipen. Mitreferendare, die sich krummbogen für das Zweite Staatsexamen und die Aufnahme in den Staatsdienst, die verachtete ich nur. Ich hatte es halt noch nicht begriffen. Welche Rolle das Geld spielt.
Ernst Morwitz (so jedenfalls rekapituliert Ulrich Raulff in seinem wunderbaren Schmöker „Kreis ohne Meister“ Forschungen von Carola Groppe) war Jude und in der Weimarer Republik ein hoher Justizbeamter. Als die Nazis dann ihre Rassegesetze installierten, wurde er entlassen, seine Pension reichte aber aus, dass er zunächst als Privatier in Deutschland bleiben konnte. 1938 wurde das auch ihm zu brenzlig, er emigrierte in die USA und bekam (dank der Hilfe von Exkollegen) seine Pension nachgeschickt. Erst als die Nazis auch das unterbanden, begannen für ihn harte Jahre, da er in den USA nicht in seinem Beruf arbeiten konnte.
Nur vom Hörensagen weiß ich von der Existenz meiner Großtante, die ebenfalls Jüdin war, allerdings Hausfrau und keine Beamtengattin. Sie hatte keine Pension als Rettungsanker und also keine Ausreisemöglichkeit, nur einen als arisch geltenden Ehemann, der sie zu den wiederkehrende Terminen bei der Polizei begleitete, um sie zu schützen. Bei einem dieser Termine, wurde mein Großonkel mit Fußtritten aus der Tür befördert. Seine Frau hat er nicht wiedergesehen. Ein letztes Lebenszeichen war ein Zettel, den sie aus dem Zug auf einen polnischen Bahnsteig geworfen hatte. Unbekannte Polen (das sei nicht vergessen) müssen ihn in einen Umschlag gesteckt und meinem Großonkel zugesendet haben.
Ernst Morwitz wurde in den fünfziger Jahren von Deutschland nachträglich befördert und entsprechend entschädigt, so dass er auf seine alten Jahre noch ein paar Jahre in Europa herumreisen konnte. Eine späte Genugtuung, immerhin.
Polnische Zwangsarbeiter mussten allerdings bis in die achtziger Jahre überleben, um noch eine Entschädigung erhaschen zu können.
… na ja, vielleicht hat ja meine bockige Beamtenverachtung auch ihre historischen Wurzeln, in derselben Zeit. Mein anderer Großvater nämlich war damals Beamter, ein Aufsteiger aus der Arbeiterschaft. Um 1930 ist es ihm sogar gelungen, für seine Familie ein Haus errichten zu lassen, mithilfe eines großen Kredits und der Zusammenarbeit mit der links orientierten Konsum-Genossenschaft, die im Erdgeschoss einen Laden etablierte. Er hatte 1933 ein anderes, letztendlich weniger gewichtiges Problem: ein SPD-Parteibuch. Er überblickte pragmatisch die Lage, fand sich bereit, das SPD- gegen das verhasste NSDAP-Buch zu tauschen und im Weiteren die Klappe zu halten. Er behielt seine Arbeit, seine Familie konnte wohnen bleiben und er den Kredit abbezahlen. Nach 1945 wurde er als Mitläufer entnazifiziert.
Ist es ein wunder, dass ich irgendwie einen Moral-Tick habe?

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Montag, 19. September 2016
Begeben wir uns mal auf das Niveau der Wahlanalysten ...
... und fragen ganz platt: In Berlin haben 4 Parteien ganz gut abgeschnitten - je eine von links und eine von rechts und zwei aus der Mitte. Aus wessen Sicht ist das jetzt ein Wahldebakel?

P.S. Natürlich wird es schon etwas problematischer, wenn man genauer hinschaut (gefunden via anders deutsch) - aber wenn man genauer hinschaut, dann macht Politik ja keinen Spaß mehr.

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Dienstag, 14. Juni 2016
Kapitalismus verdirbt den Charakter ...
... und zwar sowohl der realsozialistische Kapitalismus wie auch der westlich-demokratische – insofern ist es völlig egal, ob die chinesische Wirtschaft künftig den Titel „Marktwirtschaft“ tragen darf: Denn wieso sollten kapitalistische Dumping-Tricksereien im Namen des Staatssozialismus gefährlicher sein als dieselben Tricksereien, wenn sie nur unter dem Label „Marktwirtschaft“ firmieren?
Na ja, das ist aber große Politik, das sollen Leute entscheiden, die sich dazu berufen fühlen. Ich berichte lieber aus meinem kleinbürgerlichen Umfeld, und da ist es eindeutig, was dieses Wirtschaftssystem anrichtet: Es bewegt nämlich Menschen, ihr persönliches Glück, ihren persönlichen Stolz herzugeben für irgendwelche finanziellen Interessen, die in der Regel auch nicht zu nennenswertem Reichtum und schon gar nicht zu einem lebenswerten Leben verhelfen.
Beispiel 1: Ein Ossi-Schicksal, wie es im Buche steht. Er übte in der DDR einen staatsnahen Beruf aus, 1990 arbeitslos, Umschulung zum BWLer, so sein Bericht. „Und was machst du jetzt so beruflich?“ fragt einer aus der bierseligen Männerrunde. „Für die Kapitalisten das Geld zählen!“ kommt prompt und zähneknirschend die Antwort voll unterdrückter Aggressivität. Ein unglücklicher Mensch. Warum tut er sich das an, die Tätigkeit, wenn er sie hasst? Ich fürchte, weil er glaubt, sich verleugnen zu müssen, um Geld zu verdienen.
Beispiel 2: Diesmal ein eher familiärer Kreis. Mehrere Elternpaare mit Einzelkindern. Eine Mutter berichtet, dass sie just ihren Job verlor, kurz bevor die Tochter aufs Gymnasium kam, und da ihr Mann sehr gut verdient, ließ sie sich halt Zeit mit dem Finden einer neuen Arbeit, stand der Tochter bei beim Übergang in die neue Schule und fing erst kürzlich wieder an zu arbeiten. Darauf eine andere Mutter hinter vorgehaltener Hand und voller Neid: „Na ja, wenn da so viel Geld da ist, da kannst du natürlich viel mehr rausholen aus deinem Kind.“ Rausholen?! Ich fass es nicht. Wie kann jemand, der selber Mutter ist, sich selbst so sehr entwerten und mütterliche Liebe und Fürsorge (wie auch immer man diese bewertet) als profitorientierte Produktentwicklung missverstehen?!
Wie gesagt: Kapitalismus verdirbt den Charakter.

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Sonntag, 5. Juni 2016
Woran erkennt man die Krise der Demokratie?
arboretum stellt ja gerne "Fragen der Menschhheit". Ich habe heute eine Frage der Menschheit in Deutschland:
Woran erkennt man die Krise der Demokratie hier? Am Erscheinen der AfD oder doch eher am Verschwinden der FDP?
Ich meine (wie Sie schon an der Fragestellung merken), dass ein bisschen Provokation und Bewegung an den politischen Rändern einer Demokratie nicht schadet, ja sie vielleicht eher belebt. Schlimmer ist es, wenn der liberale Kern fehlt. Die FDP hat sich binnen eines Jahrzehnts von einer teils rechts-, teils linksliberalen Partei erst zu einer Lobbygruppierung und dann zu so einer typischen egoistischen Splittergruppe entwickelt. Und bei den Parteien, die sich Parteien der Mitte nennen, kann ich auch wenig Interesse für bürgerrechtliche Fragen finden. Wie soll eine Demokratie funktionieren, in der ein liberales Klima und Bürgerfreiheiten wie selbstverständlich ökonomischen, bürokratischen oder ideologischen Erfordernissen untergeordnet werden?
(Da ist es doch logisch, dass auch die an den politischen Rändern keine Lust mehr haben, sich an liberale Regeln des Miteinander zu halten.)

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Sonntag, 20. Dezember 2015
Nur kurz zwischendurch: So rassistisch ermittelte die Polizei bei den Döner-Morden
Allgemein ist man sich ja einig, dass es "institutioneller Rassismus" war, weshalb das NSU-Trio damals nicht gefasst wurde. Wie dieser konkret aussah, kann man hier nachlesen: Nach dem Mord in Kassel ermittelte die Polizei den Verfassungschutzmitarbeiter Temme, der beim Mord anwesend war. Um eine eventuelle Verwicklung des Verdächtigen in den Fall zu prüfen, musste die Polizei natürlich die von ihm geführten V-Leute vernehmen. Der Verfassungschutz zögerte, bot dann aber an, der Vernehmung zuzustimmen, wenn er im Gegenzug Einsicht in die Ermittlungsunterlagen bekäme. Die Polizei ging auf den Deal ein und gab die Akten heraus. Daraufhin konnte Temme von seiner Chefin bei einem Treff auf einer Autobahnraststätte in Bezug auf sein weiteres Aussageverhalten gebrieft werden. Zur Vernehmung der V-Leute kam es dagegen aber nicht, da das hessische Innenministerium unter Volker Bouffier die Zusage des Verfassungschutzes zurückzog.
So, und wer ist jetzt der Rassist?

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Sonntag, 7. Juni 2015
Sind Verschwörungstheorien allergische Reaktionen?
Ich hege ja geheime Sympathie für Verschwörungstheorien und bin im Grund eher geneigt, sie zu verteidigen, ich sage zum Beispiel: Verschwörungstheorien entstehen einfach aus Mangel an Transparenz. Wo der durchschnittlich Interessierte keine Chance mehr hat, die Dinge zu verstehen, da wird er anfangen, sich aus den ihm vorliegenden lückenhaften Informationen eine Erklärung zusammenzubasteln. Und daher sind Politiker und Journalisten die letzten, die sich aufregen dürften über die wilden Thesen der politischen Laien. Denn sie selber sind es ja, die unzureichend informiert, die zu wenig recherchiert haben und die nun Mitschuld daran tragen, dass die Unkundigen unkundig bleiben und sich stümperhaftes Zeug zusammenreimen müssen.
Das ist natürlich nur eine Seite der Medaille. Denn es gibt natürlich Theorien, die nicht in erster Linie entstehen, weil der Betreffende es nicht wissen kann, sondern weil er es nicht wissen will. Da meint zum Beispiel einer auf blogger.de, in Deutschland ständen die Grünen kurz vor der Machtübernahme und der Installation eines totalitären Reiches, ein anderer verlinkt zu einem Korea-Experten, der uns erklärt, dass Nordkorea eigentlich ein ganz normales Land sei, wenn man es nur nicht zu sehr mit europäischen Augen betrachte. Auch von den „Reichsbürgern“ bleibt Bloggersdorf nicht verschont, den Leuten, die glauben, dass die Bundesrepublik gar nicht existiert und dass sich Deutschland immer noch in einem Kriegszustand befinde, der ungefähr dem Zustand in ihrer eigenen Seele entspricht. Und neulich erklärte sogar jemand allen Ernstes, sein ganz persönlicher Fremdenhass erkläre sich aus einer „a priori“ im Menschen angelegten Abneigung gegen alles Fremde.
Nun könnte man es sich einfach machen und behaupten, solche Äußerungen wären einfach ideologisch motivierte Täuschungsversuche, ein bewusstes Zurechtbiegen der Wirklichkeit zum Zwecke politischer Missionierung. In dem einen oder anderen Fall mag das auch stimmen. Meistens spüre ich in den abstrusen Aussagen aber ehrliches Entsetzen darüber, dass viele Menschen die Regeln des Grundgesetzes einhalten, die Grünen wählen oder sich gar mit dunkelhäutigen Menschen anfreunden. Das kommt mir dann vor wie eine Autoimmunerkrankung, eine allergische Reaktion des Geistes: Da hat jemand als kleines Kind schon nicht gelernt, sich mit fremden Meinungen, mit nicht genehmen Tatsachen, mit Täuschung und Betrug auseinanderzusetzen, und jetzt als Erwachsener setzt ihn die nicht mehr verdrängbare Erkenntnis in Panik, dass sehr viele Menschen anders denken als man selbst und dass auch diese Menschen ihre Interessen vertreten. Dann können harmlose Anlässe Wut und Angstattacken auslösen und man hält das 15%-Wahlergebnis des politischen Gegners für so etwas wie einen Staatsstreich. Oder man hat davon gehört, dass auch Wikipedia-Artikel nicht immer ganz wertfrei sind und nun traut man sch gar nicht mehr dort nachzuschlagen und zieht lieber „Die Achse des Guten“ zu Rate.
Ich verstehe das alles ziemlich gut, denn auch ich bin jenseits jeder Streitkultur großgeworden und die kommunikativen Fähigkeiten meiner westdeutschen Sozialkontakte ängstigen mich oft und machen mich bockig. Sonst würd ich ja auch nicht immer wieder auf den lächerlichen Seiten derer nachlesen, denen es auch so geht.

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Mittwoch, 4. Februar 2015
Ganz komische Geschichte
Da habe ich eine ganz komische Geschichte erlebt, ich schreib sie jetzt erst auf, da ich Ewigkeiten brauchte mal nachzufragen.
Also, Sie wissen ja, dass ich mich für diese NSU-Geschichte interessiere. Letzten Herbst gab es einen Vortrag eines Journalisten, Thomas Moser, zu dem Thema, veranstaltet von der evangelischen Kirche. Ich ging hin und war sehr verwundert, dass ich am Eingang von einer älteren Frau aufgefordert wurde, mich mit Namen und Adresse in eine Liste einzutragen. Fand ich schon ungewöhnlich bei einem öffentlichen Vortrag und lehnte ab. Kurz darauf kam die Frau nochmal bettelnd auf mich: Man brauche diese Namensliste unbedingt, um staatliche Fördergelder zu erhalten, für die die Teilnehmer nachgewiesen werden müssten. Ob ich nicht wenigstens meinen Namen nennen wolle. Da tat ich es. Na ja.
Der Vortrag war übrigens sehr gut: solide und genau, jenseits jeder Aufbauschung oder Verharmlosung, einfach informativ. Man erfuhr auch so interessante Kleinigkeiten, z.B. dass die Landeszentrale für Politische Bildung auf der letzten Du-und-deine-Welt-Messe einen gemeinsamen Stand mit dem Verfassungsschutz hatte. Was ja in Hinsicht auf demokratische Regeln gar nicht geht. In der abschließenden Diskussion warb jemand von der Gewerkschaft für eine Veranstaltung einen Monat später, bei der es um einen eventuellen Untersuchungsausschuss zur missglückten Aufklärung des Hamburger NSU-Mordes gehen sollte.
Da ging ich auch hin. Es war im Besenbinderhof (schon für meinen Großvater vor hundert Jahren eine wichtige Adresse, als er als ganz junger Mann einige Zeit bei Blohm&Voss arbeitete). Das Komische: Auch da trat die Frau wieder auf: In der Pause ging sie rum und sammelte Unterschriften für ein Volksbegehren für ein HVV-Sozialticket für Rentner. Natürlich unterschrieb ich nicht, war aber auch nicht locker genug, sie auf unsere vorige Begegnung anzusprechen.
Stattdessen rief ich bei der Kirche an und fragte, ob das denn seine rechte Bewandtnis habe mit der Namensliste. Ja, erhielt ich zur Antwort, die Landeszentrale für Politische Bildung verlange das, damit sie die Sache fördert. Ach, dachte ich, also die Leute, die auf der Messe mit dem Verfassungsschutz ... und in den Förderrichtlinien der Landeszentrale, die man auf www.hamburg.de nachlesen kann, steht auch nichts von Adresslisten. Also rief ich bei der Landeszentrale selbst an. Die Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit hatte ich zuerst dran, die wusste nichts von diesem Prozedere, zeigte sich erstaunt, da man ja zum Teilnehmerzählen nicht unbedingt Adressen braucht. Aber sie gab mich weiter an den verantwortlichen Mitarbeiter für Förderungen. Ja, das stimmt, sagte der. Was mit den Listen geschehe? „Machen Sie sich keine Sorgen.“ Und dann hub er zu einer Erklärung an, die ich aber nicht verstand, da das Telefonat für 10-15 sec ganz merkwürdig unterbrochen wurde, es klang als würde man auf dem MP3-Player fastforward drücken. Als die Verbindung wieder klar war – er selbst hatte nichts von der Störung bemerkt, wie er versicherte, fragte ich nach: Ob die Listen archiviert würden? Ja. Ob sie denn nicht vernichtet würden? Doch, nach gegebener Zeit schon. „Aber wissen Sie, wenn jetzt der Rechnungshof nachprüft, da müssen wir doch beweisen können ... aber wie gesagt, machen Sie sich keine Sorgen, die Listen verlassen nicht das Haus, sie kommen nicht an die Öffentlichkeit.“ Aha.
Soll ich jetzt den Rechnungshof anrufen? Oder lieber weiter meinen Verdächten frönen? Was meinen Sie?

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Mittwoch, 21. Januar 2015
Hamburg wählt Blau
Kaum hat der wochenlange Regen mal kurz ausgesetzt und die Sonne kommt hervor, schon sprießen wieder überall in Hamburg die Wahlplakate. Und die sind nach dem Erfolg bei der Fußballweltmeisterschaft, als überall in der Stadt so lächerliche blaue Tore aufgestellt wurden, ganz auf die Farbe Blau eingestimmt.
Es gibt die Volksmeinung in Dunkelblau für die eher Wirtschaftsliberalen

und in Hellblau für die die Befürworter von Staatsdirigismus

und wer gegen alles ist, kann auch auch Dunkelblau und Hellblau gleichzeitig wählen - bei der AFD

Gegen diesen mainstream der Saturierten hat natürlich die Linke mit ihren Wahlplakaten im Stil realsozialistischer Presseerzeugnisse keine Chance

ganz zu schweigen von den siffig braun-orangen Statements der Piraten

Allenfalls die Grünen mit ihrem satten Grün (von dem mir auf meinem Arbeitsweg jetzt kein gutes Beispiel zum Abfotografieren begegnete), sind saturiert genug, dieser bürgerlichen Selbstgefälligkeit etwas Entsprechendes entgegenzusetzen.
Anderererseits: Wahlplakate sind immer das Dümmste der jeweiligen Parteien: Letzte Woche war ich auf einer Wahlkampfveranstaltung der Grünen (zum Thema Ernährung) und musste zugeben, dass ganz unabhängig von der ätzenden Ausstrahlung des Spitzenkandidaten Kerstan ein offensichtlich lebendiges und kluges Wahlvolk der Grünen vorhanden ist (und mit dem Gaststar Robert Habeck war auch ein authentisch wirkender grüner Funktionär an Ort und Stelle). Aber das ist eine andere Geschichte.

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Freitag, 7. November 2014
Wie vor 25 Jahren?
1989 fiel in Deutschland eine Grenze – und ich werd immer dankbar sein, denn so wurde ich, ohne etwas dafür tun zu müssen, auf einmal ein Westeuropäer.
Jetzt, 25 Jahre später, gibt es diese Grenze immer noch, es sterben auch immer noch Menschen an ihr, wie eine linke Initiative (gefunden via che) richtig betont. (Ob dafür natürlich gleich Gedenkkreuze geklaut werden müssen, ist fraglich. Wenn man eine aktuelle Opfergruppe ehren will, indem man eine ältere verächtlich macht, dann ist das kein guter Stil.) Und auch sonst steht die Sache heute etwas anders: Damals konnten alle, Ost- wie Westdeutsche, letztendlich nur profitieren. Heute wissen wir Deutschen ganz genau, dass jedes Mitleid, jede Fairness gegenüber denen, die jetzt hier reinwollen, unseren Wohlstand nur noch weiter schmälern kann.
Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus. Ich wollte meine Überzeugung ausdrücken, dass eine andere Sache auch ganz so ist wie damals: Die Aktenschredder laufen wieder heiß, wie 1989/90, wie 2011/12. Denn in der NSU-Geschichte scheint sich der Wind langsam zu drehen. Nachdem schon der Bundestags-Untersuchungsausschuss recht erfolgreich gewesen ist (so viel hat bisher kein Geheimdienstuntersuchungsausschuss ans Licht gebracht) und also abgewürgt werden musste, läuft nun der NSU-Prozess, der doch eigentlich dazu dienen sollte, alles Beate Zschäpe in die Schuhe zu schieben, in dieselbe Richtung. Diese Woche sollte (gegen den heftigen Widerstand des brandenburgischen Innenministeriums) der V-Mann Piatto vernommen werden, zum Glück hat ihm Beate Zschäpe durch Krankmeldung noch eine Galgenfrist gewährt und der Verfassungsschutz darf noch ein paar Tage schreddern, dann muss Piatto aussagen, wie das nun war mit seinen Waffengeschäftsverhandlungen mit dem NSU, geführt über das vom Staat Brandenburg bezahlte Handy, und was sein Führungsoffizier (der jetzt Chef des Verfassungsschutzes in Sachsen ist) dazu gesagt hat. Und wie das nun eigentlich war in Heilbronn, wer dem NSU den Dienstplan von Michèle Kiesewetter übermittelt hat und wer die falsche Spur mit dem „Heilbronner Phantom“ gelegt hat, das werden wir auch noch erfahren.
So weit, so gut. Eins wird, fürchte ich, aber bleiben: „Mauertote“ in Griechenland, im Mittelmeer wird es weiter geben. Und auch der Verfassungsschutz wird nicht aufhören zu existieren wie einst die Stasi. Er wird sich wohl blamieren. Aber das wird die Struktur nicht hindern weiter zu wuchern.

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