Montag, 11. April 2011
Rassentrennung im sowjetischen Estland
Sozusagen passend als Vorprogramm zu der Rezension von Sofi Oksanens „Fegefeuer“, die ich schon seit Wochen schreiben will, lieferte mir am Freitag eine Kollegin einige Informationen über Estland in sowjetischer Zeit.
Erst kürzlich hatte ich erfahren, dass diese schöne, zurückhaltend-gepflegte, sehr russisch aussehende Sprachlehrerin mittleren Alters gar keine richtige Russin ist, sondern eine halbe Estin. Jetzt gab sie mir einige sehr interessante Informationen dazu.
Ihre Mutter ist Russin, nach Estland, in die estnische Teilrepublik, eingewandert und dort als Ingenieurin tätig gewesen. Sie ging eine Liebesbeziehung mit einem estnischen Kollegen ein. Als sie schwanger wurde, musste er alles seiner Familie beichten, die eine Verbindung mit einer Russin strikt ablehnte. Er brach den Kontakt ab, erkannte die Vaterschaft nicht an. Seine Tochter hat ihn nie kennen gelernt. So war das damals, erklärte mir meine Kollegin, die Bevölkerungsgruppen lebten nebeneinander her, hasserfüllt und auf Abstand. Es gab Betriebe, die waren in estnischer Hand, die wichtigen Industriebetriebe aber alle russisch – auch wenn ein estnischer Ingenieur, wie im vorliegenden Fall, durchaus auch dort eine Chance hatte. „Na klar, ich war ja auf einer russischen Schule, wir haben ab der dritten Klasse Estnisch gehabt – auch wenn`s die meisten nie wirklich sprechen lernten – wir hatten natürlich auch estnische Schüler, das war schon möglich für Esten, man konnte natürlich mehr erreichen als Absolvent einer russischen Schule. Also, den X., den Y., den Z. Iwanow ... ja, der war wirklich Este, manche Esten nahmen halt einen russischen Namen an, man konnte dann mehr erreichen ..“
Mit dem Jahr 1990 änderte sich dann die Richtung der Diskriminierung. Die Russen bekamen die neue estnische Staatsbürgerschaft nicht nach dem Ende der sowjetischen – sie bekamen von den Russen die russische, sofern sie dort geboren waren. Die Jüngeren mussten auf eigene Kosten einen Sprachkurs machen und einen Test bestehen, einige sind bis heute staatenlos (mit einem Schengen-Pass). Meine Kollegin hätte ja die estnische gleich bekommen, mit einem nachgewiesenermaßen estnischen Vater. Aber der, längst mit einer Estin verheiratet, ließ sich verleugnen, und sie machte, bei ihrem Sprachtalent kein Thema, die Prüfung, um Estin zu werden. Inzwischen hat sie einen deutschen Pass. „Ich hätte ja die estnische Staatsangehörigkeit drangegeben, aber man hat mir direkt angeboten ...“ Jetzt hat sie eine doppelte Staatsbürgerschaft. „Schön“, sagte ich, „da haben Sie wenigstens noch etwas von Ihrem Vater – die Staatsbürgerschaft.“

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Ist "Rassentrennung"
tatsächlich das, worum es da geht? (Ich frage das nicht zuletzt, weil ich mit diesen Begrifflichkeiten auch nicht immer firm bin.)

Sehe der Fortsetzung aber schon gespannt entgegen. Hatte mich in das Thema im Vorfeld unseres letzten Sommerurlaubs in Estland auch ein bisschen eingelesen.

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"Rassentrennung" ist in diesem Zusammenhang vielleicht ein zu sehr zugespitzter Begriff. Sicher scheint mir jedenfalls, dass in der Sowjetunion bewusst mit Ethnien Politk gemacht wurde, um Teilrepubliken zu beherrschen (Förderung russischer Einwanderung, Schlüsselindustrien in russische Hand, Trennen der Bevölkerungsgruppen) - jetzt das umgekehrte Spiel: Die Esten möchten die Russen im eigenen Lande am liebsten los sein, die doch einen nicht unerheblichen Anteil ihrer Bevölkerung darstellen, während Russland sich als deren Schuitzmacht etabliert, um Einfluss zu behalten. Ich finde einfach diese Instrumentalisierung von Bevölkerungsgruppen sehr unschön.

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Geht mir ähnlich.
Vor ein paar Jahren kulminierte das Ganze ja in einem Riesen-Eklat, als die Esten ein großes Rotarmisten-Denkmal in Tallinn demontierten. Soweit ich weiß, steht Estland aber unter einem gewissen Druck seitens der EU, seine Minderheitenpolitik an europäische Mindestnormen anzupassen.

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