Freitag, 16. März 2018
Man stelle sich mal vor ...
... da wird jemand als Sohn eines führenden BND-Mitarbeiters geboren, studiert Jura in München und Princeton. Zurück in Deutschland steigt er in die Politik ein, seine CDU-Karriere beginnt rasant, da er über die Atlantikbrücke die richtigen Kontakte hat, dann aber stockt sie, weil er sich allzu keck mit einigen Altvorderen der Partei anlegt: Er fliegt aus dem Parteivorstand, in den er gerade als hoffungsvoller Jungkader eingezogen war. Er selbst nennt die Entscheidung ein „Berufsverbot“ und sieht sich genötigt, sein Brot mühselig als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung zu verdienen – er forscht dort über geopolitische Zusammenhänge.
Der USA-kritische Kurs der Regierung Merkel gegenüber Donald Trump empört ihn, er tritt aus der CDU aus und wechselt zu den Grünen. Auch seine Ehe mit einer Merkel-Ministerin (sie hatten sich im Parteivorstand kennengelernt) scheitert. Bei den Grünen etabliert er sich schnell als rhetorisch geschickter Kopf und provokanter Geist. Er zählt zum äußersten linken Flügel der Partei, schreibt häufig im „Freitag“ und in der „JungleWorld“ sowie auf verschiedenen linken Internetplattformen. Insbesondere die antideutsche Richtung verehrt ihn als einen ihrer Vordenker.
So eine Biografie kann man sich doch eigentlich nicht vorstellen. Und doch zählt Vera Lengsfeld bei rechten kritischen Diskutierern, etwa den Kommentatoren bei Don Alphonso, als ernstzunehmende Bezugsgröße.
(Ich weiß: Vergleiche hinken. Aber es hat mich einfach entsetzt, als ich über Don Alphonso mal wieder auf Vera Lengsfeld stieß und dachte „Wie war das mit ihr doch gleich?“ und dann kurz bei Wikipedia nachlas; das ist doch kaum zu fassen, so eine Biografie - wobei mir eigentlich viel weniger die Tatsache entsetzlich ist, dass da jemand von links nach rechts gewechselt ist, sowas kann ja vorkommen und sogar nachvollziehbar sein, z.B. bei Botho Strauß - sondern auf welche Weise sie es getan hat.)

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Montag, 12. Februar 2018
Familienzusammenführung ...
... war ja damals in meiner Jugend auch ein Thema, als Möglichkeit, aus der DDR in den goldenen Westen zu kommen. Nur damals hab ich das Thema von außen betrachtet, das heut im Innern der Bundesrepublik so diskutiert wird, unter dem Begriff „Familiennachzug“. Neulich im Deutschlandfunk meinte Herr Meuthen von der AfD, dass das Ganze eine Schummelei sei, da einer vorgeschickt wird, um die anderen per Familiennachzug nachzuholen. Das leuchtete mir sofort ein. Auch damals war die Familienzusammenführung oft eine Schummelei: Häufig ging es nicht in erster Linie darum, eine Familie zu vereinen (auch Scheinehen waren nicht unüblich), sondern es war ein Weg, eine Person aus der DDR in den Westen zu bekommen.
Das wussten auch die Verhandlungspartner beider deutscher Staaten. Weshalb haben sie sich trotzdem darauf eingelassen? Nicht nur aus Imagegründen à la „KSZE“ und „Menschenrechte“, ich denke, es ging beiden Seiten auch darum, den Druck rauszunehmen, die am verzweifeltsten Unzufriedenen ziehen zu lassen, damit alles friedlich bleibt. Lösungen zu finden, die vielleicht nicht ganz ehrlich, nicht ganz gerecht sind, die aber dazu beitragen, Unfrieden und Unzufriedenheit dort, wo sie am heftigsten aufblühen, einzudämmen, das Zusammenleben insgesamt erträglicher zu machen.
Der Vergleich hinkt, werden Sie sagen: Über dieses Ticket kamen damals nichtmal 10 000, die noch dazu die gleiche Sprache sprachen, leicht zu integrieren waren. Heute betrifft das mehr als zehnmal so viele. Sicher. Damals war aber auch der Druck nicht so groß: In der DDR zu leben machte keinen Spaß, aushaltbar war es. Kein Vergleich beispielsweise zu einem Aufwachsen im angeblich sicheren Herkunftsland Afghanistan. Oder anderes Beispiel – ich kenn eine Familie, die je nach Sicherheitslage jahrelang zwischen Syrien und Libanon hin- und herzog. Die kamen hierher, nicht weil sie am Leben bedroht waren, sondern weil absehbar war, dass ihre Kinder keine Chance auf eine irgendwie nennenswerte Schul- und Berufsausbildung haben. Also, dafür würde ich auch „schummeln“, und Herr Meuthen sicher auch, wenn es um seine Kinder ginge.
Wenn man die Sache ehrlich machen will, braucht man eine Idee, was man stattdessen tut, um die Lage zu entspannen. „Die Grenzen sichern“, meint Herr Meuthen. Mit andren Worten: den Druck erhöhen, die Sache explodieren lassen, und zwar woanders, möglichst weit weg von Deutschland. Ich finde das sowohl herzlos als auch kurzsichtig.
Ich hab einen anderen Vorschlag. Auf den brachte mich die Tatsache, dass ich manchmal für eine Zeitschrift Rezensionen schreibe. Ich bekomme dafür kein Geld. Aber am Ende des Jahres schüttet die VG Wort ein paar Euro aus. Denn niemand (außer den Bibliotheken) kauft diese Zeitschrift, alle kopieren sich die sie interessierenden Texte einfach raus. Als Entschädigung dafür zahlen die Hersteller von Fotokopierern einen kleinen Obulus pro Gerät an die VG Wort und die verteilt die Einnahmen an die Geschädigten: die Verlage und Autoren.
Warum übertragen wir das Prinzip nicht auch auf die Produktion von Waffen? Für jede produzierte Pistole ein paar Cent in einen Topf, für jedes U-Boot einen großen Schein. Und das Geld wird dann genutzt, um die Nachteile, die den Geschädigten entstanden sind, zumindest abzufedern. Für die Schulausbildung der oben erwähnten Kinder dürfte es allemal reichen.

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Mittwoch, 25. Oktober 2017
Politik für Laien – ist das noch möglich?
Heute Morgen fand ich in der Altpapierkiste im Hausflur die Gewerkschaftszeitung meiner Nachbarin. Die legt sie immer dahin und manchmal les ich sie. Diesmal ein großer Artikel drin über Betrügereien bei der Autobahnprivatisierung. Momentmal, denk ich, da hab ich doch von gehört, die hatten doch irgendwie einen Kompromiss vereinbart, der gar nicht so schlimm war ... Und da ich Ferien hab und Zeit, googel ich nach und es stellt sich heraus: Der Kompromiss ist ein Betrug: Es wurde eigens das Grundgesetz geändert, um erstens darein zu schreiben, dass die Autobahnen nicht privatisiert werden (was ohnehin keiner wollte) und zweitens zu erlauben, dass der Staat die Verwaltung der Autobahnen in privatrechtliche Gesellschaften auslagert. Der Trick dabei: Würden die Autobahnen privatisiert, dann müssten sich die privaten Firmen auch darum kümmern. Das ist natürlich stressig und unter Umständen richtig teuer. (Und dasselbe gilt für den Staat.) Eine privatwirtschaftlich rechnende Autobahngesellschaft dagegen fühlt sich dem Bundeshaushalt nicht verpflichtet, sondern ist bestrebt, ihre Geldgeber auszuzahlen, wenn die Forderungen erheben, weil ihre Gewinnerwartungen nicht erfüllt werden. (so jetzt mal ganz grob gesagt – googeln Sie selber nach, wenn Sies genauer wissen wollen)
Diese Trickserei erinnerte mich sehr an die Sache mit dem Fracking. Da gab es doch die Kontroverse der Fracking-Gegner mit Robert Habeck in Schleswig-Holstein, und ich fand Habecks Ansatz sehr richtig: Der sagte, dass Fundamentalopposition nur die Demokratie gefährdet und dass es doch viel besser wäre, einen Konsens herbeizuführen, dass Fracking auf ganz normal legislativem Weg verboten wird –was ja kein Problem sein dürfte, da die Mehrheit der Bevölkerung dies ja auch befürwortet. Und was passierte? Tatsächlich wurde Fracking mit großem Täterätä verboten, mit der Zusatzklausel, dass natürlich Probebohrungen durchgeführt werden dürfen, damit wir gleich mit der Zerstörung unserer Lebenswelt anfangen können, sollte mal irgendwie das Öl knapp werden.
Und nicht viel besser verhält es sich, wenn mal die mir genehmere politische Seite einen Erfolg erzielt: Als in Eimsbüttel mein täglicher Fahrradweg zwischen ungehindert wucherndem Grün am Isebek-Ufer und einem hässlichen McDonalds unterbrochen werden sollte für einen Büroklotz extremen Ausmaßes inkl. ausufernder „Außengastronomie“ und die Bezirkspolitiker von SPD und CDU einhellig erklärten, sie könnten doch da nichts machen, wenn die Finanzbehörde das verkauft, um die Elbphilharmonie zu finanzieren, da fand sich eine Initiative, die über Spenden einen Anwalt finanzierte, der nachwies, dass dort die Vögel nicht mehr ungehindert fliegen können. Daraufhin musste die Stadt einlenken, statt 7 Geschossen Büro wurden 5 Geschosse Eigentumswohnungen gebaut und das unsinnige Straßencafé fiel auch weg. Mit der jetzigen Lösung können alle leben, herbeigeführt wurde sie aber nicht durch ein demokratisches Abwägen der verschiedenen Bürgerinteressen, sondern durch den juristischen Trick einer aktiven Initiative.
Meine Frage: Gibt es überhaupt noch irgendeine politische Aussage von Belang, zu der man aus dem Bauch heraus und nur anhand des täglichen Tagesschau- oder Zeitungskonsums eine einigermaßen vernünftige Stellung beziehen kann?

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Noch ein Nachtrag zu G20
"Zeugen gesucht" las ich in St. Pauli an einem Baum. Normalerweise geht es bei solchen Zetteln um geklaute Mopeds oder eingedellte Kotflügel. Hier aber Folgendes:

"... am 7.7. im Rahmen des G20-Gipfels ... Unbekannte errichteten 2 Barrikaden und zündeten sie an ... Polizei und Feuerwehr trafen ein, unternahmen aber nichts. Daraufhin versuchten Anwohner die Brände zu löschen ... nach einigen Minuten tauchten die Polizisten wieder auf und griffen die Anwohner an. Ich erlitt einen Kniescheibenbruch ... Wer hat das gesehen oder mit dem Handy gefilmt?"
So, und nun denke sich jeder seinen Teil.

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Donnerstag, 21. September 2017
Konservatives Bekenntnis
Das Schulgebäude, in dem ich arbeite, will die Stadt seit Längerem loswerden – aus ökonomischer Warte verständlich: Sicherlich übersteigt der finanzielle Wert des Innenstadtgrundstücks den Gebrauchswert als stinknormale Berufsschule bei weitem.
Als Erstes hat man die Schule zur Filiale einer größeren Berufsschule degradiert, die etwas weiter draußen liegt, an einer lauten Ausfallstraße. Das ist ein riesengroßer Neubaukomplex der Marke „hell - modern – unübersichtlich – anonym“. Dort soll ein weiteres Gebäude entstehen, das unsere Schule aufnehmen soll. Aber irgendwie stocken die Baumaßnahmen seit Jahren.
Ich argwöhne, dass das auch damit zusammenhängt, dass die Stadt unsere Schule nicht verkauft kriegt, denn die steht dummerweise unter Denkmalschutz, da sie von einem regional berühmten Architekten errichtet wurde. Das Haus besticht zwar nicht durch besondere Schönheit, wohl aber durch menschenfreundliche Proportionen, und in den Pausen sitzen die Schüler auf wunderschönen, grün gekachelten Brunnenrändern (die allerdings seit Ewigkeiten versiegt sind). So ein Gebäude kauft natürlich niemand.
Immerhin konnte die Stadt das zum Haus gehörige Brachland verscherbeln, das bisher den Lehrerparkplatz beherbergte. (Da so ein Lehrerparkplatz natürlich nie wegfallen darf - Bestandsschutz! - wurde der bisherige Schulhof umgewidmet und von einer Fachfirma professionell befestigt, während bisher ein Flecken leerer Erdboden zwischen Gras und Gestrüpp ausgereicht hatte.) Nach den Sommerferien stand da ein Werbeschild, und jetzt ist schon die Baugrube ausgehoben, und es wird fleißig in die Tiefe gerammt, dass die Klassenräume erzittern.

Da staunt man, wie schnell Bauvorhaben so vonstattengehen können, wenn das Geld stimmt. Ganz offensichtlich hat sich der Senat ernsthaft vorgenommen, die Wohnungsnot der oberen Zehntausend zu beseitigen – „Wachsende Stadt“ nannte das der vorige (CDU-)Bürgermeister und meinte damit „Wachsender Reichtum der sowieso schon Reichen“. Und der jetzige SPD-Bürgermeister führt diese Politik fort, wobei er – nach klassischer SPD-Tradition – den gleichzeitigen Bau günstigen Wohnraums antäuscht, ohne ihn nennenswert durchzuführen.
Angesichts solcher Entwicklungen wird man skeptisch gegenüber jeglichen Neuerungen. Daher wähle ich diesmal wertkonservativ, also links.

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Sonntag, 10. September 2017
Abends in der Stadt
Vor ein paar Tagen telefonierte ich mit einem Freund. Ich, Bewohner einer westdeutschen Großstadt, kam gerade vom Sport und meinte: "Es ist ja ein Ding, wie gerammelt voll die Straßencafés abends um neun noch sind, wie viele Leute mitten in der Woche um diese Zeit noch die Zeit und das Geld haben, überteuerte Geränke zu sich zu nehmen." - Er, Bewohner einer ostdeutschen Kleinstadt, erwiderte: "Ich komm oft um diese Zeit erst von der Arbeit. Nur Ausländer auf der Straße. Bedrückend." Und dann wechselte er das Thema, wohl wissend, dass ich nicht Ausländer bedrückend finde, nur die Verhältnisse, die sie durch ihr Erscheinen umso sichtbarer machen.
Irgendein berühmter Mensch hat mal gesagt, die Kultur eines Landes bemesse sich an der Kultur ihrer Kleinstädte.

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Mittwoch, 30. August 2017
Klare Worte
Die Bundeskanzlerin bringt es auf den Punkt: "Die Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Afrika kommen, müssen in ihre Heimatländer zurück."
Ob sie das wohl durchsetzen kann?

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Dienstag, 4. Juli 2017
G20 – Hauptsache laut
„Das ist doch eine Unverschämt.“, murmelt meine Frau im Halbschlaf und wälzt sich im Bett umher. Ich greife nach den Ohropax. Es ist Mitternacht und über Altona kreist seit Ewigkeiten ein Hubschrauber, mal näher, mal weiter weg.
Heute Morgen erzählt eine Kollegin, welch dringende Aufgabe dieser Hubschrauber zu vollbringen hatte: Er stand nämlich meist fast direkt über ihrem Haus und sie ist gucken gegangen – bei den Bauwagenleuten in der Gaußstraße wurden offenbar illegal Schlafende gesucht.
Schließlich haben die Gerichte ja festgestellt, dass angereiste Protestierende während des G20-Gipfels demonstrieren dürfen. Schlafen dürfen sie zwischendurch aber nicht, das ginge denn doch zu weit. Man muss sie mit Hubschraubern aufscheuchen. Hauptsache Krawall.
Schon beim Auftakt am Sonntag war das ja so: In der Innenstadt wurden Plakate hochgehalten und Sprechchöre gerufen – die Polizei ließ sich nicht lumpen und ließ ihre Mannschaftswagen mit Sirene und Blaulicht die Stresemannstraße hoch- und runterfahren. Hauptsache laut.
Meine Schule bleibt während des Gipfels geschlossen, wir machen am Donnerstag einen Ausflug, am Freitag bleiben die Schüler mit einer Aufgabe zu Hause. Besser ist das. Meine Schüler haben Stress und Chaos genug in sich selber, sie brauchen nicht auch noch G20.
Dennoch ermahnt uns heute die Schulbehörde per Mail, wir dürften am Freitag nicht „streiken“, d.h. mit Schülern zu den Protestveranstaltungen gehen. Es scheint wohl vereinzelt Lehrer zu geben, die so bescheuert sind.
Wie auch immer: Es wird sicher schön laut am Freitag in Hamburg, so richtig mit Martinshorn und Hubschraubern und Polizei in voller Montur. Herr Maaßen sagte heute in der Tagesschau, dass er sich auch genügend Linksextreme erhofft mit Zwillen und Brandsätzen, ein paar davon hat er zu seiner Freude schon gefunden.
Für Leute, dies mögen, wird das sicher ein schönes Fest. Und auch Putin, Trump und Erdogan werden ihre Freude haben – die stehn ja auf Krawall.

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Dienstag, 20. Juni 2017
Heute mal Wahlkampf: Die Tatsachen verdrehenden Wörter "Umverteilung" und "Leistungsträger"
Kaum ist Wahlkampf, schon sind diese beiden idiotischen Wörter wieder im Umlauf, und man behauptet, bei den Empfängern einer bestimmten Gehaltsklasse handle es sich um besondere Leistungsträger und die Besteuerung von deren Einkommen wäre eine Umverteilung.
Ist nicht die Annahme ziemlich absurd, es gebe irgendeinen statistisch bewertbaren Zusammenhang zwischen der Höhe des Einkommens und der zugehörigen Arbeitsleistung? (- es sei denn, man hält die Fähigkeit, einem Geschäftspartner oder Arbeitgeber Geld aus den Rippen zu leiern, für die eigentliche Leistung - und den dabei zu entstandenen Nutzen für die Gesellschaft für einen reinen Kollateralschaden)
Und Umverteilung, ist das nicht, wenn man das Wort ehrlich benutzt, gerade das Verfahren, bei dem sich ein immer größerer Teil des Volksvermögens in den Besitz einer ziemlich kleinen Bevölkerungsgruppe umverteilt?

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Sonntag, 26. März 2017
Wo man die Türen nicht schließen kann
Manchmal begegne ich Menschen, die ich einfach nicht leiden kann, obwohl sie mir gar nicht feindlich gegenübertreten, die einfach nur Signale aussenden, die das meinige auf Rot stellen.
Heute hab ich nach langer Zeit mal wieder die Sprachprüfung für Ausländer abgenommen, was ich aus Sentimentalität an alte Billig-Lehrer-Zeiten manchmal noch tue - A., der ich damals über eine Freundin den Job in der Vorstadt vermittelt hatte, ist dort, bei diesem „freien Bildungsträger“, inzwischen fest angestellt und fand mich im Internet, als sie einen Prüfer auf Honorar suchte. Wie schön! Aber als 2. Prüfer fand sie leider L., die ich auch von damals noch flüchtig kenne. Sie war mir irgendwie unangenehm, sie wirkte auf mich lehrinnenhaft kühl und streng, ohne dass ich von ihr irgendwas wusste. Wie sich heute herausstellte, war das Gegenteil von Strenge der Fall: Sie prüfte im Detail zwar pingelig und leidenschaftlich, kontrollierte jedes Prüfungsergebnis nochmal genau nach, war aber im Ergebnis sehr wohlwollend bis zur Grenze des Möglichen. Immerhin waren wir uns bei den Fällen, die wirklich durchfallen wussten, einig, so dass es keine echten Konflikte gab.
Aber was sie sonst so erzählte: Fast gleichzeitig mit dem Bekenntnis, aus Donezk zu stammen, kam sie mit der (so finde ich) offensichtlichen Propagandalüge, Angela Merkel habe die Flüchtlinge aus Syrien ins Land geholt, um der syrischen Regierungsarmee die Soldaten zu nehmen und dadurch das Kriegsgeschehen zuungunsten Assads zu beeinflussen – na super: Man kennt sie ja, diese rechtsdeutsche Anti-Merkel-Fremdenfeindlichkeit in Mischung mit prorussischer Assadfreundlichkeit, sowas kann mich auf die Palme bringen. Als ich leise protestierte, meinte sie: „Doch, doch, du kennst doch noch C.“ und erzählte von den Pass-Schwierigkeiten dieser Deutschestin, von den Gemeinheiten der Esten gegen ihre dort lebenden Russen (für die sie die Verantwortung natürlich ausschließlich bei der EU sah), ohne die vorher geschehenen Gemeinheiten der Russen an den in Estland lebenden Esten zumindest zu erwähnen – als ich sie darauf hinwies, schwieg sie, um die Atmosphäre nicht noch ungemütlicher zu machen.
Sie erzählte dann von ihrem Berufsweg der letzten Jahre (wir haben uns ja 2 – 3 Jahre nicht gesprochen), das war nett gemeint, weil wir so ja das Politische beiseitelassen, uns über gemeinsamen Beruf unterhalten konnten. Aber gleich traf sie wieder bei mir ein Fettnäpfchen: Sie berichtete stolz, wie sie durch Zufall in maßgebliche Schulorganisationskreise gelangt sei, ständig hieß nur „Kennst du Marina X., kennst Susanne Y.?“ usw. Ich sagte nur „Du, Netzwerken ist nicht so mein Talent.“ Na, und dann erzählte sie noch von den tollen pädagogischen Konzepten ihrer Schule – „Wir haben jeden Dienstag Hospitationsmöglichkeiten, da musst du mal kommen. Wir haben gar keine Türen, und alles funktioniert über individualisiertes Lernen.“ -„Ja, aber weißt du, was mein Problem dabei ist“, sagte ich diplomatisch (denn in mir begann es schon zu brodeln), „bei der Individualisierung geht das Gemeinschaftsgefühl verloren. Bei meinen Alphaschülern muss die Tür zu sein, sonst trauen sie sich nicht, mal was zu wagen. Jede Öffnung, jede Öffentlichkeit bringt Chaos, Aggressivität ...“ – „Also, bei uns gibt es keine Türen“ wiederholte sie stolz.“ Ich sagte nichts, auch als sie anschließend klagte, dass ihre Alphaschüler so unselbstständig seien und all ihr „individualisiertes“ Lernen nicht funktioniert.
Kurz: In meinen Augen war das eine unschöne Mischung zwischen alter staatstragender Ideologie (Putinphilie und Fremdenfeindlichkeit, die ja auch in dem realsozialistischen russischen Imperialsystem gepflegt wurde) und neuer staatstragender Ideologie (offener Unterricht, Behördenverehrung).

P.S.: Natürlich ist das mit dem offenen Unterricht nicht ganz verkehrt – gerade deutsche Loser-Schüler der sogenannten Ausbildungsvorbereitung, die in der Regel eine vermurkste Schulkarriere und mangelhaftes Selbstbewusstsein aufgrund mangelhafter sozialer Fähigkeiten haben, für die können die „offenen Türen“ eine gute Möglichkeit sein, wieder Vertrauen in sich zu fassen und die Füße auf den Boden zu bekommen. Aber die Migranten, die meist aus autoritären, engen Verhältnissen kommen und durch die Flucht plötzlich jedes Bezugssystem verloren haben, die brauchen doch alles andere als noch mehr Freiheit und Bindungslosigkeit, die brauchen Ruhe, Routine, menschliche Nähe, Verlässlichkeit, um überhaupt langsam zu begreifen, wo in Deutschland oben und unten ist. Und eine Lehrerin, die – anders als ihre bewunderten Vorbilder in der Behörde - weiß, was Migration ist, dürfte, finde ich, denen nicht ihre Fehler nachahmen.
Und das hab ich ihr alles nicht gesagt. Daher bin ich so sauer.

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