Montag, 12. Dezember 2016
Geld ist stärker als menschliche Treue
Als ich vor zweieinhalb Jahrzehnten per Wiedervereinigung ins Schlaraffenland Bundesrepublik Deutschland kam, genoss ich erstmal die wohlstandsbasierten Freiheiten und das Leben als Student. Ich studierte zwar „auf Lehramt“ , hatte aber kein Verständnis für die nicht wenigen meiner Kommilitonen, die ängstlich darauf bedacht waren, möglichst schnell Beamte zu werden. Ich belegte stattdessen zusätzliche Philosophieseminare und zog mit Magisterstudenten durch die Kneipen. Mitreferendare, die sich krummbogen für das Zweite Staatsexamen und die Aufnahme in den Staatsdienst, die verachtete ich nur. Ich hatte es halt noch nicht begriffen. Welche Rolle das Geld spielt.
Ernst Morwitz (so jedenfalls rekapituliert Ulrich Raulff in seinem wunderbaren Schmöker „Kreis ohne Meister“ Forschungen von Carola Groppe) war Jude und in der Weimarer Republik ein hoher Justizbeamter. Als die Nazis dann ihre Rassegesetze installierten, wurde er entlassen, seine Pension reichte aber aus, dass er zunächst als Privatier in Deutschland bleiben konnte. 1938 wurde das auch ihm zu brenzlig, er emigrierte in die USA und bekam (dank der Hilfe von Exkollegen) seine Pension nachgeschickt. Erst als die Nazis auch das unterbanden, begannen für ihn harte Jahre, da er in den USA nicht in seinem Beruf arbeiten konnte.
Nur vom Hörensagen weiß ich von der Existenz meiner Großtante, die ebenfalls Jüdin war, allerdings Hausfrau und keine Beamtengattin. Sie hatte keine Pension als Rettungsanker und also keine Ausreisemöglichkeit, nur einen als arisch geltenden Ehemann, der sie zu den wiederkehrende Terminen bei der Polizei begleitete, um sie zu schützen. Bei einem dieser Termine, wurde mein Großonkel mit Fußtritten aus der Tür befördert. Seine Frau hat er nicht wiedergesehen. Ein letztes Lebenszeichen war ein Zettel, den sie aus dem Zug auf einen polnischen Bahnsteig geworfen hatte. Unbekannte Polen (das sei nicht vergessen) müssen ihn in einen Umschlag gesteckt und meinem Großonkel zugesendet haben.
Ernst Morwitz wurde in den fünfziger Jahren von Deutschland nachträglich befördert und entsprechend entschädigt, so dass er auf seine alten Jahre noch ein paar Jahre in Europa herumreisen konnte. Eine späte Genugtuung, immerhin.
Polnische Zwangsarbeiter mussten allerdings bis in die achtziger Jahre überleben, um noch eine Entschädigung erhaschen zu können.
… na ja, vielleicht hat ja meine bockige Beamtenverachtung auch ihre historischen Wurzeln, in derselben Zeit. Mein anderer Großvater nämlich war damals Beamter, ein Aufsteiger aus der Arbeiterschaft. Um 1930 ist es ihm sogar gelungen, für seine Familie ein Haus errichten zu lassen, mithilfe eines großen Kredits und der Zusammenarbeit mit der links orientierten Konsum-Genossenschaft, die im Erdgeschoss einen Laden etablierte. Er hatte 1933 ein anderes, letztendlich weniger gewichtiges Problem: ein SPD-Parteibuch. Er überblickte pragmatisch die Lage, fand sich bereit, das SPD- gegen das verhasste NSDAP-Buch zu tauschen und im Weiteren die Klappe zu halten. Er behielt seine Arbeit, seine Familie konnte wohnen bleiben und er den Kredit abbezahlen. Nach 1945 wurde er als Mitläufer entnazifiziert.
Ist es ein wunder, dass ich irgendwie einen Moral-Tick habe?

... comment

 
Ich schätze mal, die Hauptattraktion am Beamtenstatus war und ist nicht so sehr das Geld an sich, in der freien Wirtschaft kann man ja unter Umständen deutlich mehr verdienen - nein, das eigentlich Erstrebenswerte ist wohl eher die langfristige Sicherheit, die mit dem Status einhergeht.

Dieser Versuchung konnte selbst meine liebe Ex, die in ihrer Jugend der Hausbesetzerszene angehört hatte, irgendwann nicht mehr widerstehen. Und ich hüte mich diesbezüglich vor moralischen Urteilen. ;-)

... link  

 
Das dürfte natürlich stimmen mit der Sicherheit. Andrerseits: Auch Geld will man ja in der Regel haben wegen der langfristigen Sicherheit. Ist das Beamtentum vielleicht so eine Art "Reichsein" des kleinen Mannes?

... link  


... comment
<