Samstag, 29. Juni 2024
Politik am Samstagvormittag
Wie schön, am Samstagvormittag gemütlich im Bett sitzen und sich im Internet über die Brennpunkte der Welt informieren zu können. Ich bin dankbar für dieses Maß an Wohlstand und noch mehr an Informationsfreiheit.

Vorhin gelangte ich über einen Link auf republik.ch, die ich am Wochenende immer konsumiere, auf einen aufschlussreichen Artikel im Merkur zum israelisch-palästinensischen Konflikt, nämlich diesen, wo ich wieder viel gelernt habe. Zum Beispiel, dass das natürlich richtig ist, dass die zionistisch inspirierte Besiedlung Palästinas durch Juden ganz viel mit kolonialen Siedlungsbewegungen in anderen Teilen der Welt, etwa Afrika oder Nordamerika, zu tun hat. Dass aber der koloniale Siedler eben nicht der Böse an sich ist. Der Autor verweist darauf, dass diese Siedler in aller Regel Marginalisierte in ihren Herkunftsländern waren – was im Fall der Juden ja noch einmal in viel stärkerem Maße zutrifft. Er beschreibt auch sehr gut, wie sich schon am Ende der 1920er Jahre ein religiös unterfütterter, aggressiver arabischer Nationalismus in Palästina entwickelt, der den aggressivsten zionistischen Strömungen zumindest ebenbürtig ist – und der ebenfalls die internationale Vernetzung sucht. Und dass es für eine Konfliktlösung bzw. erstmal -befriedung vor allem darauf ankommt, sich auf beiden Seiten von der aggressiven Expansionsideologie im eigenen Lager zu lösen.

Mir fiel dazu noch ein, dass in vielen arabischen Ländern der arabische Nationalismus nicht mehr die Ideologie der Wahl, sondern nur noch ein ideologisches Werkzeug unter anderen ist. Das macht den arabisch-religiösen Nationalismus der Palästinenser natürlich nochmal aggressiver und und ist vielleicht eine Erklärung (unter anderen) für die irrwitzige Gewalteskalation, die in letzter Zeit von diesen Leuten ausging.

Ein ganz anderes Thema: Ich musste neulich stutzen, als ich über die Wagenknecht-Leute ablästerte, die beim aktuellen Selenskyj_Auftritt im Bundestag den Saal verlassen haben. „Nö, find ich richtig“, meinte ein guter Freund, „Der sollte sich auch um Frieden für sein Volk bemühen.“ Ein Gedanke, der mir einleuchtet. Auch wenn ich nicht finde, dass das diese hässliche, abschätzige, provozierende, also absolut unangemessene Geste rechtfertigt. Immerhin hätten die Wagenknechte ja den Applaus verweigern oder sogar ein paar Zwischenrufe riskieren können, als Selenskyj zu einem ende der Kompromisse aufrief. Diese schöne Gelegenheit haben sie verpasst. Die Gelegenheit zur ernsthaften Auseinandersetzung.

Allerdings stieß es mir schon ziemlich unangenehm auf, dass – jetzt rein quantitativ – die Berichterstattung über die Schweizer Friedenskonferenz in den deutschen Medien zwischen endlosen Waffen-, Kriegs- und Wehrpflichtdiskussionen so ziemlich unterging, so nach dem Motto „Bringt ja eh nix.“ Tja, wenn es nicht ernsthaft versucht wird, dann bringt es natürlich nichts. Da die beiden Kriegsparteien nicht verhandlungsbereit sind, müssen sich international an Lösungen interessierte Länder zusammmenfinden, und zwar unabhängig davon, ob und welcher Kriegspartei sie vielleicht zuneigen. Und dazu hätte der Gleichberechtigung halber Russland eingeladen werden müssen. Höchstwahrscheinlich wäre Russland nicht gekommen. Aber dann hätte es sich den neutralen Ländern gegenüber die Blöße geben müssen. So hat sich die Ukraine die Blöße gegeben, indem es die Nichteinladung Russlands und damit eine Unausgewogeneheit der Konferenz erpresst hat. So wird das nichts. Na ja, noch ist ja nicht aller Tage Abend. Ich hoffe, der diplomatische Prozess geht weiter. Und noch mehr hoffe ich, dass er in der deutschen Öffentlichkeit die ihm gemäße Würdigung erfährt.

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Freitag, 21. Juni 2024
Rübergemacht
Jemand sei "rübergemacht", nämlich aus der DDR in die BRD, diese Formulierung habe ich bisher nur aus westdeutschem Munde gehört, auch mein eigenes Schicksal hörte ich öfter so bezeichnen, was mir immer ein irgendwie unangenehmes Gefühl bereitete, aber ich habe nie etwas gesagt.

Jetzt lese ich die Formulierung zum ersten Mal von einem Ostdeutschen, von Jurek Becker, in seinem Roman "Irreführung der Behörden". Und auch da kommt sie aus dem Mund einer Figur (einem DDR-Flüchtling), die als affektiert westdeutsch sprechend charakterisiert werden soll. Das war 1973. In einem Roman, der auch in Westdeutschland erschienen ist und viel gelesen wurde.

Aber "rübergemacht" sagen die Westdeutschen noch heute. So viel zur Verständigung zwischen Ost und West.

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Mittwoch, 19. Juni 2024
Wieso Homöopathie und Esoterik gesellschaftlich so unerbittlich kritisiert werden …
… erklärt eine Episode aus meiner aktuellen Lektüre, „Christus kam nur bis Eboli“ von Carlo Levi, in der dieser von seinem Leben als Verbannter und Arzt in einem von der Welt vergessenen Bergdorf im Süditalien der 1930er Jahre berichtet. Ein trotz manchem, bisweilen auch überheblichem Spott vor allem gütiges, einfühlsames Buch, das mir sehr wohl tut.

Hier begegnet der Erzähler altem Amulettzauber: „Anfangs versuchten die Bauern, dies Amulett vor mir zu verstecken und entschuldigten sich beinah, daß sie es trugen; denn sie wußten, daß die Ärzte gewöhnlich diesen Aberglauben verachten und im Namen von Vernunft und Wissenschaft dagegen donnern. Und damit haben sie natürlich völlig recht an Orten, wo Vernunft und Wissenschaft den gleichen magischen Charakter wie die gewöhnliche Magie annehmen können: aber hier sind sie noch keine verehrten Gottheiten, auf die man hört, und sie werden es vielleicht nie sein.

Daher akzeptierte ich das Abracadabra, gab seinem Alter und seiner dunklen, geheimnisvollen Einfachheit die Ehre und war lieber sein Verbündeter als sein Feind; die Bauern waren mir dafür dankbar, und vielleicht gereichte es ihnen tatsächlich zu einigem Nutzen.“

Heute, 90 Jahre später im Zentrum des industrialisierten Europa bedeutet die Attraktivität der alternativen Methoden wohl eher, dass die Magie von Vernunft und Wissenschaft langsam schon wieder zu bröckeln beginnt. Das finde ich sehr bedauerlich. Aber man hält dieses Bröckeln doch nicht auf, indem man auf die Konkurrenten einschlägt!

Wohlstand und effektive, allzeit einsatzbereite Schulmedizin sind sehr viel wert, gerade neulich in der Corona-Krise hätten wir ohne beides ziemlich alt ausgesehen. Noch größeren Wert aber haben Meinungs- und Religionsfreiheit sowie die akzeptierende Begegnung mit dem Nächsten!

Und daher lege ich den Post unter der Rubrik „Politik“ ab.

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Samstag, 15. Juni 2024
Gelangweilt im Supermarkt
Wenn ich meinen alten Vater zum Supermarkt fahre, habe ich immer viel Wartezeit. Während er im Schneckengang seinen Wagen durch die Reihen schiebt und alles nach Sonderangeboten abschnobert, lese ich gelangweilt Etiketten.

Da wirbt zum Beispiel eine Firma aus dem Spreeewld mit regionalen Produkten:




Natürlich schwimmen in den Spreewaldkanälen keine Heringe (die kommen aus Norwegen, wie hinten im Kleingedruckten verzeichnet ist) - regional ist also nicht das Produkt, sondern der Ort, wo der Gewinn eingestrichen wird, und das kann beim Kaufen durchaus Sinn ergeben, wenn mensch nicht möchte, dass eine Firma "aus dem Westen" den Reibach macht.

Für andere ist dann weniger die Region, mehr das Vegane wichtig. Deshalb gibt es jetzt auch vegane Kuhbonbons:



Mensch fühlt sich ökologisch auf der sicheren Seite, wenn die Milch nicht der regionalen Kuh, sondern den Kokospalmen im globalen Süden abgezapft wird. Immerhin: Auch hier wird der Gewinn regional, in Deutschland, eingestrichen.

Und da wir uns im Supermarkt eines Wohnggebiets befinden, das in den 1970er Jahren für Armee und Polizei errichtet wurde, dürfen natürlich auch diese Produkte nicht fehlen:





Na ja, jedem, was er mag ...

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Dienstag, 4. Juni 2024
Was immer Spaß macht ...
... sind die Nachrichten, die ich von den Schülern so bekomme. Hier die schönsten Entschuldigungen, die letzte Woche eingetrudelt sind:







Und hier noch ein schöner Chatverlauf von dem Sonntagabend, an dem die Ferien endeten:

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Freitag, 31. Mai 2024
Beginnendes Alter
Nachts aufwachen mit Harndrang, leichter Schwindel beim Aufstehen, Gang zur Toilette, dann in die Küche um ein Glas Wasser. Ich genieße das Trinken. Vorm Fenster Regen, üppiges Laub in den Vorgärten, merkwürdig glänzend beleuchtet. Auf der Straße ein Rettungswagen mit offenen Türen, zwei kräftige junge Männer schieben einen alten hinein. Zurück ins Bett, wohlige Wärme umfängt mich, neben mir regt sich die Frau im Schlaf. Wie schön! Ich hab noch ein bisschen Zeit.

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Freitag, 10. Mai 2024
Nationalitäten - und wie sie empfunden werden
Ich hatte grad keinen Roman zum jeden Abend lesen, das macht mich ganz unruhig, wenn das so ist. Also schaute ich in mein Bücherregal, ob da nicht was wäre zur Zweitlektüre - und griff zu Lumilla Ulitzkaja, "Die Lügen der Frauen". Ich weiß noch, dass mich das Buch vor gut zehn Jahren sehr erfreut hat, den Inhalt hatte ich aber völlig vergessen.

Und was stellt sich nun heraus? Das Ganze ist präzise und farbig erzählt, ohne Zweifel qualitätvolle Literatur. Aber die wie selbstverständlich dem Text innewohnende Arroganz künstlerisch-intellektuell Schaffender gegenüber dem einfachen Volk nervte mich schon sehr (und komisch, dass mich das vor zehn Jahren offenbar nicht oder nicht spürbar genervt hat). Weg mit dem Ding, ab zu Boo****ker!

Es ist schon verrückt, wie manche Kunsterlebnisse bestehen bleiben, andere vergehen. Ich hab mir ein paar alte Schallplatten aufs Handy überspielt, um sie im Auto oder zwischendurch gut hören zu können. "Unicornio" von Silvio Rodriguez, damals sehr geliebt, kann bei mir nur noch sentimental-nostalgische Gefühle erzeugen ("Ach ja, damals ..."), während die Lieder von Miriam Makeba, ebenfalls absolute Schmachtmusik meiner Jugendjahre, mich immer noch direkt packen.

Auch mein Sohn findet Miriam Makeba toll, während ihn die ganzen Rock- und Blues-Sachen, die ich sonst so höre, ziemlich kalt lassen.

Ist es jetzt wirklich so, dass Afrika im Kommen ist, während Russland und Lateinamerika kulturell erstmal vergeigt haben? Oder ist das nur meine persönliche Wahrnehmung?

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Donnerstag, 25. April 2024
Alles an einem Tag
Vor drei Tagen mache ich morgens das Radio an und höre, dass Anne Brorhilker, die berühmte Staatsanwältin in den Cum-Ex-Verfahren, keine Lust mehr hat und ihren Beamtenstatus aufgibt. Viel zu oft sei es möglich, sagte sie dem WDR, dass sich Cum-Ex-Profiteure per Gelbuße oder Vergleich aus ihrer Schuld freikaufen können. Es wird also nicht rechtsstaatlich, sondern pragmatisch gehandelt: Der Staat kann so schnell ein paar Millionen rausschlagen und sich die weitere mühsame und kostenintensive Strafverfolgung sparen.

Am selben Tag hörte ich, dass die FDP Alarm schlägt, weil es der Wirtschaft zu schlecht geht: Es fehlt an Arbeitskräften. Deshalb soll der Staat Menschen, die nicht arbeiten, dazu drängen, eine zumutbare Arbeit anzunehmen. Nicht gelten soll die Maßnahme allerdings für Menschen, die nicht arbeiten, weil sie ihr Geld für sich arbeiten lassen. Es geht der FDP also nicht um die Arbeitskraft, die angeblich so dringend benötigt wird, sondern um die Rendite, die diese erwirtschaftet – wer die Rendite anders, durch Investition seines Kapitals, erzielen kann, muss nicht zum Arbeiten gedrängt werden. Dass so eine fragwürdige Ungleichbehandlung von Menschen entsteht – geschenkt. Hauptsache, der Laden läuft, wer fragt da noch nach Recht und Gerechtigkeit?

Wiederum am selben Tag fragt mich ein Schüler, der einige unentschuldigte Fehlstunden hat und – da über 18 – seine baldige Abschulung befürchten muss, ob er nicht einige seiner Fehlstunden streichen lassen kann, indem er eine entsprechende Geldbuße bezahlt. Eigentlich eine vernünftige Überlegung, wenn man sich das Verhalten seiner Vorbilder am anderen Ende der Einkommensskala betrachtet.

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Mittwoch, 10. April 2024
Populistische Frage
Ich weiß ja nicht, um welche Waffen es sich konkret handelt (in den Medien las ich nur von Panzerfäusten und Korvetten) - aber wäre es nicht eine Überlegung wert, die deutschen Waffenlieferungen nach Israel in die Ukraine umzuleiten? (Wenn Deutschland das schreckliche Zeug schon produzieren muss, dann sollte es es wenigstens dahin liefern, wo ein Nutzen für die Menschehit damit erreicht werden kann.)

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Samstag, 6. April 2024
Kunstrezension: Stolpersteine oder schwarzer Block
Angesichts von Ereignissen, die nichts damit zu tun haben, wird ja dieser Tage auch wieder über das Holocaust-Gedenken diskutiert, und es kann sein, dass die Tatsache, dass ich heute über ein Denkmal „für die verschwundenen Juden Altonas“ schreibe, auch damit etwas zu tun hat, vielleicht aber auch nicht.

Jedenfalls zeigte mir vor ein paar Jahren ein Bekannter dieses Kunstwerk und meinte, das sei mal eine gelungene Form des Gedenkens, so minimalistisch und eindringlich. Ich stand eher ratlos vor dem schwarzen Klotz, ich verstand nicht, was das sollte.



Inzwischen habe ich das Denkmal öfter wiedergesehen, aber erst dieser Tage, als ich es mal in Ruhe betrachtete und auch die zugehörige Platzgestaltung mit Treppenanlage bemerkte, ging mir ein Licht auf: Ja, da spürte ich die Eindringlichkeit schon: Der Klotz steht ziemlich massiv im Raum und stört – und er will ja auch stören, verstören.



Aber wie das Ding erhaben mit einer Treppenanlage versehen, wie es staatstragend in eine Achse mit dem dahinterliegenden Rathaus gesetzt ist (nicht anders als das dahinter stehende alberne Kaiserdenkmal, das den dortigen „Platz der Republik“ verunziert) – nein, also, das gefällt mir nicht. Zumal derselbe Staat, dieselbe Kommune wenige hundert Meter entfernt ermöglichte, dass ein Einkaufszentrum auf einem von den Nazis verwüsteten jüdischen Friedhof mitsamt dort noch herumliegenden Toten errichtet wurde (nur eine versteckte Tafel im Kellergeschoss erinnert daran) – eine solche Öffentlichkeit sollte dann nicht vor dem Rathaus anfangen, Gedenken zu spielen.

Wie anders dagegen das Konzept der Stolpersteine, die mich so oft im Alltag innehalten lassen! Die Dinger blitzen auf, wenn mensch sich in der Selbstverständlichkeit des Alltagstrotts verliert, und erinnern: Mensch, denk nach! Bei mir jedenfalls funktioniert das, besser als bei dem dicken Denkmal dort in der Zentralachse.


P.S. ... und wie immer funktionieren meine Fotos nicht: Das Denkmal sieht auf meinen Schnappschüssen elegant, angemessen, stimmig aus, gar nicht so klotzig, wie ich es vor Ort erlebte.
Na ja, vielleicht ist es ja auch so - und ich mag einfach Stimmigkeit und Angemessenheit nicht - ich will überrascht, bewegt sein.

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