Sonntag, 26. März 2017
Wo man die Türen nicht schließen kann
Manchmal begegne ich Menschen, die ich einfach nicht leiden kann, obwohl sie mir gar nicht feindlich gegenübertreten, die einfach nur Signale aussenden, die das meinige auf Rot stellen.
Heute hab ich nach langer Zeit mal wieder die Sprachprüfung für Ausländer abgenommen, was ich aus Sentimentalität an alte Billig-Lehrer-Zeiten manchmal noch tue - A., der ich damals über eine Freundin den Job in der Vorstadt vermittelt hatte, ist dort, bei diesem „freien Bildungsträger“, inzwischen fest angestellt und fand mich im Internet, als sie einen Prüfer auf Honorar suchte. Wie schön! Aber als 2. Prüfer fand sie leider L., die ich auch von damals noch flüchtig kenne. Sie war mir irgendwie unangenehm, sie wirkte auf mich lehrinnenhaft kühl und streng, ohne dass ich von ihr irgendwas wusste. Wie sich heute herausstellte, war das Gegenteil von Strenge der Fall: Sie prüfte im Detail zwar pingelig und leidenschaftlich, kontrollierte jedes Prüfungsergebnis nochmal genau nach, war aber im Ergebnis sehr wohlwollend bis zur Grenze des Möglichen. Immerhin waren wir uns bei den Fällen, die wirklich durchfallen wussten, einig, so dass es keine echten Konflikte gab.
Aber was sie sonst so erzählte: Fast gleichzeitig mit dem Bekenntnis, aus Donezk zu stammen, kam sie mit der (so finde ich) offensichtlichen Propagandalüge, Angela Merkel habe die Flüchtlinge aus Syrien ins Land geholt, um der syrischen Regierungsarmee die Soldaten zu nehmen und dadurch das Kriegsgeschehen zuungunsten Assads zu beeinflussen – na super: Man kennt sie ja, diese rechtsdeutsche Anti-Merkel-Fremdenfeindlichkeit in Mischung mit prorussischer Assadfreundlichkeit, sowas kann mich auf die Palme bringen. Als ich leise protestierte, meinte sie: „Doch, doch, du kennst doch noch C.“ und erzählte von den Pass-Schwierigkeiten dieser Deutschestin, von den Gemeinheiten der Esten gegen ihre dort lebenden Russen (für die sie die Verantwortung natürlich ausschließlich bei der EU sah), ohne die vorher geschehenen Gemeinheiten der Russen an den in Estland lebenden Esten zumindest zu erwähnen – als ich sie darauf hinwies, schwieg sie, um die Atmosphäre nicht noch ungemütlicher zu machen.
Sie erzählte dann von ihrem Berufsweg der letzten Jahre (wir haben uns ja 2 – 3 Jahre nicht gesprochen), das war nett gemeint, weil wir so ja das Politische beiseitelassen, uns über gemeinsamen Beruf unterhalten konnten. Aber gleich traf sie wieder bei mir ein Fettnäpfchen: Sie berichtete stolz, wie sie durch Zufall in maßgebliche Schulorganisationskreise gelangt sei, ständig hieß nur „Kennst du Marina X., kennst Susanne Y.?“ usw. Ich sagte nur „Du, Netzwerken ist nicht so mein Talent.“ Na, und dann erzählte sie noch von den tollen pädagogischen Konzepten ihrer Schule – „Wir haben jeden Dienstag Hospitationsmöglichkeiten, da musst du mal kommen. Wir haben gar keine Türen, und alles funktioniert über individualisiertes Lernen.“ -„Ja, aber weißt du, was mein Problem dabei ist“, sagte ich diplomatisch (denn in mir begann es schon zu brodeln), „bei der Individualisierung geht das Gemeinschaftsgefühl verloren. Bei meinen Alphaschülern muss die Tür zu sein, sonst trauen sie sich nicht, mal was zu wagen. Jede Öffnung, jede Öffentlichkeit bringt Chaos, Aggressivität ...“ – „Also, bei uns gibt es keine Türen“ wiederholte sie stolz.“ Ich sagte nichts, auch als sie anschließend klagte, dass ihre Alphaschüler so unselbstständig seien und all ihr „individualisiertes“ Lernen nicht funktioniert.
Kurz: In meinen Augen war das eine unschöne Mischung zwischen alter staatstragender Ideologie (Putinphilie und Fremdenfeindlichkeit, die ja auch in dem realsozialistischen russischen Imperialsystem gepflegt wurde) und neuer staatstragender Ideologie (offener Unterricht, Behördenverehrung).

P.S.: Natürlich ist das mit dem offenen Unterricht nicht ganz verkehrt – gerade deutsche Loser-Schüler der sogenannten Ausbildungsvorbereitung, die in der Regel eine vermurkste Schulkarriere und mangelhaftes Selbstbewusstsein aufgrund mangelhafter sozialer Fähigkeiten haben, für die können die „offenen Türen“ eine gute Möglichkeit sein, wieder Vertrauen in sich zu fassen und die Füße auf den Boden zu bekommen. Aber die Migranten, die meist aus autoritären, engen Verhältnissen kommen und durch die Flucht plötzlich jedes Bezugssystem verloren haben, die brauchen doch alles andere als noch mehr Freiheit und Bindungslosigkeit, die brauchen Ruhe, Routine, menschliche Nähe, Verlässlichkeit, um überhaupt langsam zu begreifen, wo in Deutschland oben und unten ist. Und eine Lehrerin, die – anders als ihre bewunderten Vorbilder in der Behörde - weiß, was Migration ist, dürfte, finde ich, denen nicht ihre Fehler nachahmen.
Und das hab ich ihr alles nicht gesagt. Daher bin ich so sauer.

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