Freitag, 17. November 2023
Afghanische Jungs und slawische Ortsnamen


Eben gekriegt. Ich kann sie so gut verstehen. Mir tut auch alles weh. Die märkischen Dörfer meiner Jugend jetzt zwar nicht mehr so sehr, das ist versunken. An die Stelle der damaligen Orientierungslosigkeit ist Überdruss getreten, an dieser ganzen Welt. Aber ich schalte dann schon immer noch rechtzeitig auf "funktionieren", und es geht weiter ...

... und das wird dieser Junge auch noch lernen, demnächst, wenn der Schmerz nachlässt, der sicher schlimmer ist als meiner.

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Montag, 2. Oktober 2023
Ehrenamt
Vor ein paar Tagen im Deutschlandfunk, Bericht über Lernferien in einem armen Duisburger Stadtteil. Die Reporterin fragt die Studentin, die sich dort betätigt, warum sie, die „doch das Abitur in der Tasche“ hat, sich hier ehrenamtlich engagiert. Und diese geht voll drauf ein und erklärt, dass man den Armen helfen muss. Wie jetzt? Woher wissen die beiden, dass diese Kinder die Hilfe in den Ferien brauchen? (Schließlich kriegen die Kinder, die in dieser Zeit mit den Eltern in den Urlaub fahren, auch keine Lernferien-Hilfe, das scheint aber nicht so schlimm zu sein.)

Aber vor allem: Was hat das mit dem Abitur zu tun - wenn jemand anderen helfen will, spielt es da eine Rolle, ob er das Abitur hat oder nicht? Bedeutet, das Abitur in der Tasche zu haben, dass man es fürs erste geschafft hat, auf die sichere Seite, und sich nicht mehr für die anderen interessieren muss? Oder bedeutet es sogar, das schien ja die Frage der Reporterin anzudeuten, dass man nie Lernferien nötig hatte?

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Freitag, 31. März 2023
Zwei Arten Lehrerinnen – eine Augenblicksbeobachtung mit pauschalisierendem Titel
Neulich kam ich auf einer Party mit einer Frau ins Gespräch – hoch gewachsen, Pagenschnitt mit Mittelscheitel, darunter eine lange spitze Nase und zwei helle, kluge Augen. Natürlich Lehrerin, so wie ich, wie sich schnell herausstellte, sie am Gymnasium, ich an der Berufsschule. Aber mit Migrantenunterricht haben wir beide zu tun. Ich schnitt also zwecks Small Talk ein Thema an, das bei Migranten Unterrichtenden grad aktuell ist und auch mich im Moment beschäftigt: warum nämlich ukrainische Geflüchtete in extra Klassen unterrichtet werden, während alle anderen Nationalitäten sich in allgemeinen Migrantenklassen wiederfinden. Aber sie mochte das Thema gar nicht so gern.

„Ja, ich weiß“, sagte sie, „ich hab davon gehört, dass das diskutiert wird, die eventuell gemeinsam zu unterrichten. Aber das muss man doch mal sehen, dass das ganz was anderes ist …“ und nein, sie kam jetzt nicht mit dem Argument von der kulturellen Nähe als Europäer, sie war ja keine rechte Dumpfbacke, sie sprach ganz ehrlich: „… also, die Ukrainer sind doch viel strukturierter, die kommen doch aus Mittelschichtsfamilien, und dann die Mütter, die da hinterher sind, dass die Kinder was lernen – ich meine, viele von denen machen den deutschen Schulabschluss und den ukrainischen online gleichzeitig auch noch, das ist doch enorm – während die anderen, ja, also schon allein mit ihren Aufenthaltsproblemen, das sind doch Lernhindernisse …“ … dass es mit den Unterschichtlern aus der dritten Welt eh zwecklos ist, wagte sie so direkt nicht zu sagen.

Also aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass die aufenthaltsrechtlichen Schikanen (um das Ding mal beim Namen zu nennen) wirklich ein erhebliches Lernhindernis darstellen können. Die Leute sind vor Angst wie blockiert und kriegen nichts mehr rein in den Kopf. Allerdings kann ein unter Lebensgefahr an der ukrainischen Front befindlicher Vater ganz ähnliche Blockaden hervorrufen, auch das hab ich erlebt. Bringt nicht halt jeder seine Probleme mit? Oder, wie eine afghanische Schülerin angesichts eines Konflikts mit der Ukrainerklasse sagte (und dieser Konflikt entstand meines Erachtens genau aus dieser Klassentrennung): „Die denkt wohl, ich hab noch keine Leiche gesehen, was weiß die denn ...“

Zum Glück gibt es dann die Lehrerinnen mit dem Herz für die Unterschichtler. Ich denke an eine Kollegin, wie sie mit ihrer großen Kladde ankommt, in die sie die Ergebnisse aus den vielen individuellen Schülergesprächen einträgt, ihr knochiges Gesicht mit der billigen lila Lesebrille. Die paddingtonartige Kunstfellmütze, wenn sie ihre Schützlinge zu den Ämtern begleitet. Sie kennt alle Förderprogramme des Jobcenters mit ihren jährlichen wechselnden Namen und Rahmenbedingungen und den immer gleichen Inhalten. Ihre überschießenden Spekulationen zu den Ursachen der Probleme: „Dass die Schülerin immer so müde ist, so unkonzentriert, das könnte natürlich auch an der Schilddrüse liegen, eine Verwandte von mir hat das, da gibt es ein gutes Medikament, aber sie, sie verweigert sich ja jedem Arztbesuch …“ oder „… in der Diagnose von der KJP (Kinder- und Jugendpsychologin) steht ja was von mittelschwerer Depression – also, auf mich wirkt der Schüler eher autistisch, ich weiß nicht, wie die da drauf kommen …“ Natürlich hasst diese Kollegin Baerbock und die NATO – sie kommt halt aus einem andern Milieu als die erstgenannte Kollegin.

Ach so, und da wir grad beim Sozialen sind: Natürlich ist die erstere Beamtin, die andere keine „echte“ Lehrerin, sondern outgesourcte Billigkraft mit halbjährlich verlängertem Vertrag. Ich vergleiche mal wieder Äpfel mit Birnen. Ist aber beides Obst.

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Mittwoch, 2. November 2022
Zum Teufel mit der Berufsorientierung!
Heute einmal ein Zwischenruf aus meiner beruflichen Nische, dem Unterricht für zugewanderte Jugendliche. Gestern ging es um die B2-Prüfung, die Deutschkenntnisse auf mittlerem Sprachniveau nachweist. Die Prüfung, von der es früher hieß, sie befähige dazu, sich problemlos im deutschen Berufsalltag zu bewegen (jetzt in Zeiten des Fachkräftemangels sehen das aber viele Firmen nicht mehr so eng). Bei uns machen das in der Regel die Schüler, die einen MSA (entspricht dem früheren Realschulabschluss, umfasst aber nur die Kernfächer Deutsch, Mathe, Englisch, Sachkunde/Politik, Berufsorientierung) anstreben.

Und wie immer, wenn es um die B2-Prüfung geht, wird unter den Lehrern wieder das gleiche Thema diskutiert: die fehlende Allgemeinbildung. Die Prüflinge müssen zu einem vorgegebenen Thema miteinander diskutieren, um zu beweisen, dass sie dazu in der Lage sind. Von vielen dieser Themen haben sie aber keine Ahnung, die über einen Small Talk auf Sprachanfängerniveau hinausgeht.

Das muss man sich mal vorstellen! Wir vergeben Schulabschlüsse an Menschen, die nicht (oder nur ganz rudimentär) wissen, welche Tiere und Pflanzen es in Deutschland gibt, was das Wetter damit zu tun hat, wie Strom hergestellt wird oder die Lebensmittel, die sie essen, was eine Patientenverfügung ist usw. Neulich sagte ein Berufsschüler, also jemand, der schon eine Stufe weiter ist, in der Ausbildung: "Ach, es gibt in Deutschland noch Häuser mit Holzfußboden?"

Gut, sie können quadratische Gleichungen und ein bisschen Englisch; sie wissen, welche Sozialabgaben es gibt, wie man einen Ausbildungsplatz findet und wie man sich dem Chef gegenüber verhält - kurz: sie funktionieren. Aber sie wissen nichts von der Welt, in der sie leben. Zum Teufel mit der Berufsorientierung!

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Nun, das Phänomen dürfte uns bekannt sein. Auch in der medialen Öffentlichkeit wird gern sprachlich geschickt diskutiert, z.B. über Corona, mit Quellen und Beispielen und Argumenten, wie mans in der Schule gelernt hat, nur am Hintergrundwissen, am Überblick über die Gesamtlage, da fehlt es häufig.

Ich halt mich ja (von meinen bewusst und ausdrücklich laienhaften Äußerungen zur Politik abgesehen) meist raus aus diesen virtuellen Diskussionen. Nur im Fall des NSU hab ich das mal länger und genauer verfolgt, und da hab ich mit der Zeit mitgekriegt, dass man die Betrüger oft geradezu an ihrer vor sich hergetragenen Sachlichkeit erkennen konnte: Die penibel Detailfakten auflistenden Klein-klein-Argumentierer führten in der Regel irgendetwas Unausgesprochenes im Schilde.

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Freitag, 12. Februar 2021
Datenschutz - und die verschiedenen Möglichkeiten, sich selbst zu belügen
Große Mode sind bei uns seit kurzem sogenannte "Padlets", das sind so digitale Pin-Wände, die sehr schön aussehen, jedenfalls wesentlich ordentlicher, als man das von Pin-Wänden allgemein so kennt. Meine Kolleginnen sind ganz begeistert davon, und eine von ihnen schlug vor, das auch für meine Klasse einzurichten.

Ich in meiner Funktion als alter weißer Mann musste natürlich erstmal nörgeln und fragte, wie das mit dem Datenschutz aussieht, wer eigentlich der Anbieter ist usw.

"Du, das weiß ich jetzt auch nicht", meinte meine Kollegin, "aber das kann eigentlich nicht so schlimm sein: Das benutzen doch jetzt alle." - "Ich google mal kurz nach", erwiderte ich - und dann bekam ich gleich 3 ziemlich relevante Treffer:

- ein vom Verbraucherministerium geförderter Verein für Datensicherheit hält das Angebot der amerikanischen Software-Firma für Teufelszeug, das man keinesfalls anwenden dürfe

- eine große Computerzeitschrift empfiehlt, einfach auf einige besonders verlockende Funktionen des Angebots zu verzichten - damit lasse sich das Tracking-Risiko stark minimieren

- der Datenschutzbeauftragte einer Schule, der ein Blog zum Thema Datensicherheit betreibt, hat eine noch einfachere Lösung: er stellt ein Muster-Formblatt ins Netz, das Eltern unterschreiben sollen und damit alle Risiken auf sich nehmen.

So, und nun suche sich jeder die ihm genehme Variante, denn egal, welche man wählt - man kann sich mit jeder auf der sicheren Seite fühlen. Die von meiner Kollegin wird die verbreitetste sein.

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Sonntag, 17. Januar 2021
Inklusion, das potemkinsche Dorf
Eines Tages wurde dann auch in unserem Bereich (der Beschulung fremdsprachiger Jugendlicher) die Inklusion eingeführt. Die Behörde hatte zu diesem Zweck projektgebundene Gelder aus Brüssel herangeschafft. Es funktionierte so: Die Schule ernennt einen Lehrer als Inklusionsbeauftragten, an den sich die Kollegen wenden können, wenn da ein Schüler irgendwie übermäßig auffällig wird. Der reicht die Meldung weiter an die Behörde, die dann ein „Screening“ macht. Das heißt, zwei Leute von der Behörde (von Beruf Lehrer, wie ich vermute) setzen sich in den Unterricht und beobachten möglichst unauffällig Pi mal Daumen, ob sie den oder die Schüler auch auffällig finden. Wenn ja, werden der Schule entsprechend mehr Sozialpädagogenstunden zugeteilt, die individuell genutzt werden können.

An meiner Schule konnte auf diesem Wege eine weitere Sozialpädagogin gebucht werden – schulische Sozialpädagogen werden ja über outgesourcte Billigfirmen gebucht, damit man sie schlechter bezahlen und immer schön befristet anstellen kann. Die erfuhr an ihrem ersten Arbeitstag, dass sie mit der Hälfte ihrer Stelle für Inklusionsschüler zuständig sein soll. Sie hatte sich mit dem Thema zuvor nie beschäftigt, auch nie Sozialpädagogik studiert. Zum Glück eine engagierte und zupackende Frau, die in anderer Hinsicht viel Gutes bewirkte. Von Sonderpädagogik allerdings keine Spur.

Meine Kollegin L. hatte den Posten der Inklusionsbeauftragten inne. Sie hat selbst einen chronisch erkrankten Sohn im schulpflichtigen Alter, sodass ihr das Thema nicht ganz fremd ist. Ich fragte sie im Vertrauen: „Ist das nicht ein bisschen unprofessionell, was hier abläuft?“ - „Natürlich“, erwiderte sie, „das ist sogar manchmal zum Schmunzeln beim Treffen der Inklusionsbeauftragten, wenn sie dann alle ihre ersten Erfahrungen und Mutmaßungen austauschen und die Leute von der Behörde wissen auch nicht mehr … aber weißt du, ich erleb es ja bei meinem Sohn, dass manchmal die Ärzte auch nicht weiter wissen und manchmal ein engagierter Therapeut oder Berater einfach die entscheidenden praktischen Tipps gibt.“

Das ist sicher richtig., das hab ich auch schon erlebt, dass z. B. Heilpraktiker oder Physiotherapeuten entscheidende Heilungsprozesse initiieren, wo der Arzt wegen Überlastung oder Ideenlosigkeit nicht weiter kommt. Aber deshalb würde doch niemand auf die Idee kommen, die Ärzteschaft abzuschaffen …

… aber ich komme schon wieder ins Nörgeln und Übertreiben. Denn das passiert ja auch bei uns nicht: Natürlich gibt es weiter die psychologische Beratungsstelle der Schulbehörde, die psychotherapeutische Anlaufstelle für Migranten am Krankenhaus, die Produktionsschule für die Schulhasser und -schwänzer, und das eine, einzige Mal, dass uns tatsächlich ein körperbehinderter (nämlich nahezu gehörloser) Migrant als Schüler zugewiesen wurde, da kam der ganz ohne das Inklusionssystem ganz schnell an eine Schule für Gehörlose, wo er sich sehr wohl fühlen soll.

Inklusion, wie sie bei uns auftritt, scheint mir einfach nur ein weiteres, wenig effektives System zu sein, dass natürlich nicht ganz sinnlos ist: Natürlich hat ein verhaltensauffälliger Schüler, wenn er mehr individuelle Betreuung kriegt, mehr von seinem Schulbesuch. Aber irgendwie ist das auch wieder das System „Dorfschule“, das die Migrantenbeschulung auch in anderer Hinsicht ist (indem einfach alle zwischen 16 und 18 Jahren in einen Klassenraum gestopft werden). Und irgendwie ist es eines Sozialstaats nicht würdig, der seit Jahrzehnten etablierte Institutionen mit hochspezialisiertem Personal besitzt, um benachteiligten Menschen zu helfen.

Sie können sich vielleicht vorstellen, dass mich ein schadenfrohes Grinsen überkam, als ich erfuhr, was die Inklusionsschüler nach ihremSchulbesuch erwartet. Das Arbeitsamt ignoriert die Inklusionseinstufungen der Schulbehörde und lässt nach eigener Einschätzung und unter Aufsicht eigens eingestellter Psychologen testen.

Bleibt noch die Frage des Geldes. Solang das aus Brüssel floss, musste man nicht darüber nachdenken. Jetzt ist das Projekt vorbei, die Schulbehörde muss sparen, also „verstetigt“ sie die Errungenschaften (wie sie auf ihrer Webseite stolz verkündet), indem sie die „Screenings“ jetzt die Sozialpädagogen an den Schulen selbst durchführen lässt. Wenn das eh witzlos ist, dann kann das Billigpersonal es auch selbst durchführen. Die müssen schließlich auch später die Arbeit machen mit den schwierigen Schülern, frei nach dem Motto unserer Leistungsträger-Gesellschaft: Je härter die Arbeit, desto niedriger das Gehalt.

Also, ich wünsche der Behörde, die dieses System erfunden hat, dass die Sozialpädagogen jetzt einfach wahllos ganz viele Schüler zur Inklusion anmelden, um ihre eigenen Arbeitsplätze zu sichern. (Und sollte hier ein Rechter mitlesen und „Migrantenindustrie“ murmeln, dem kann ich nur zurufen: Mit „Industrie“ hat das gar nichts zu tun, im Gegenteil – es ist die Rache der Unterdrückten.)

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Montag, 8. Juli 2019
Der verrückte Klassensprecher
Ich habe sicher schon öfter von ihm erzählt, aber so im Nachhinein, im Urlaub, gehen einem noch einmal die schrillsten Fälle durch den Kopf, und einen davon will ich hier aufschreiben. Obwohl bei mir, in einer Alphabetisierungsklasse für jugendliche Flüchtlinge, wo der Bodensatz derjenigen zusammengekehrt wird, die zu Hause nicht ordentlich zur Schule gingen oder gehen konnten, eigentlich jeder Fall irgendwie schrill ist: Da gab es z. B. die Somalierin, die schon als Kind aus Armutsgründen zur Tante nach Ägypten delegiert wurde, dort natürlich auch nicht zur Schule ging und schließlich, Jahre später, nach Deutschland weitergeschickt wurde. Da war an einen Hauptschulabschluss natürlich nicht zu denken, denn obwohl sie im Praktikum handfest (und umsichtig!) zupackte und auch im Politikunterricht interessiert und rege mit dabei war, ging es doch mit Lesen und Schreiben auch nach drei Jahren noch recht mühsam, und in Englisch ging rein gar nichts.

Genau aus diesem Grund gibt es ja die „Sprachersatzprüfung“, d. h. die Migranten dürfen anstatt Englisch ihre Herkunftssprache als Fremdsprache wählen für den Hauptschulabschluss. Aber welche sollte sie da wählen? Sie kann in keiner ihrer drei Sprachen (Somali, Arabisch, Deutsch) richtig lesen und schreiben.

Oder der andere Armutsflüchtling, der ägyptische, der dank Merkels Vereinbarung mit Al-Sisi alle zehn Tage seine Duldung verlängern muss, dem war das Minderwertigkeitsgefühl von seiner Herkunftsschule schon so eingeimpft, dass er sich nicht traute, die Sprachersatzprüfung auf Hocharabisch zu beantragen - bis er endlich irgendwann kapierte, dass er allemal besser Hocharabisch kann als deutsche Hauptschüler Englisch …

Ganz anders der verrückte Klassensprecher: Er erzählte jedem stolz, dass er sieben Sprachen spricht - allerdings tat er das immer gleichzeitig. Er ging die Dinge offensiv an, so konnte er sich am besten selbst vormachen, er habe die Kontrolle. So schaffte er es auch, dass die anderen ihn zum Klassensprecher wählten.

Sich auf irgendetwas konzentrieren konnte er allerdings nicht. Und da sich bei ihm nichts tat, machten die allmählichen Lernfortschritte der anderen ihm Angst, was sich in immer häufigeren Wutanfällen äußerte. Manche Lehrer hatten Angst vor ihm, manche Schüler auch.

Als er ein neues Handy hatte, ein iPhone, auf das er sehr stolz war, verborgte er sein Ladekabel gönnerhaft an deutsche Schüler, die ihre iPhones an den Normalo-Ladekabeln ihrer Mitschüler nicht geladen kriegten. (Sie kennen sicher das lästige Kompatibilitätsproblem mit den Apple-Geräten - meine Schulleiterin an der Designschule hatte einmal zwei Halbjahre hintereinander für Chaos in der Notenkonferenz gesorgt, weil der Adapter ihres schicken MacBooks partout nicht mit dem Beamer zusammenarbeiten wollte und die Notenlisten mündlich vorgetragen werden mussten.) Dann war Freitagmittag, er marschierte mit seinem iPhone ins Wochenende und hatte bald selbst keinen Strom mehr. (Dennoch, aber das war ein anderes Mal, telefonierte er abends lange mit seiner toten Mutter, wie mir die Betreuer erzählten.) Entsprechend tobte er am Montagmorgen wutentbrannt durch die Klassenräume und suchte sein Kabel.

Daraufhin weigerten sich die deutschen Schülerinnen, die er angeschrien hatte, weiter auf derselben Etage wie er unterrichtet zu werden. Eine Lehrerin, vor der er sich nach einer normalen Ermahnung stiernackig aufgebaut hatte, weigerte sich, noch länger in der Klasse zu bleiben. Und einer schicken Afghanin unterstellte er, ihn „Esel“ genannt zu haben, und verfolgte sie auf den Schulfluren mit wütenden Entschuldigungsforderungen. Dabei konnte er nur nicht ertragen, dass sie hübsch und gebildet war, obwohl sie aus demselben armen Land kam wie er. (Oder fand er sie einfach toll und ärgerte sich, von ihr übersehen zu werden?)

Nach den Tobsuchtsanfällen tat es ihm immer schrecklich leid und er entschuldigte sich in seinem Kauderwelsch wortreich bei mir als seinem Klassenlehrer. Eine Scheibe, die er in der Wut zerschlagen hatte, bezahlte er getreulich, anhand des Nebenjobs, den ihm der Vormund besorgt hatte. Zu Gegenüberstellungen mit seinen Kontrahenten war er aber emotional nicht in der Lage - ich hätte weitere Anfälle provoziert, das merkte ich schon.

Einmal zeigte er mir auf dem Handy seine „Freundinnen“ - die Alsterschwäne.

Als ein neuer Schüler in die Klasse kam, der sofort ägyptisch-machohaft eine Führungsrolle in der Gruppe beanspruchte, hatte er in dem Moment, in dem ich in der ersten kleinen Pausen kurz den Raum verließ, die Fäuste des Klassensprechers im Gesicht, und man sah sich erst vor Gericht wieder.

Was tut man mit so einem Schüler? Das fragten mich auch seine Klassenkameraden: ob es denn erlaubt sei, einen Verrückten zum Klassensprecher zu haben. Der Vormund brachte jedenfalls in Erfahrung, dass sein Mündel wegen genau solcher Vorfälle in Afghanistan keine Schule besucht hatte, und schickte ihn zum sozialpsychiatrischen Dienst. Der beurteilte ihn als schulfähig. Auch der Schulpsychologe, den ich kontaktierte, vermochte nur ein Fluchttrauma zu erkennen. Und wer bin ich, als Laie, hier psychiatrische Hilfe einzufordern?

Ich war ratlos. Aber zum Glück hatte ich einen pragmatischen Abteilungsleiter, der sich nicht nur formelrechtlich gut auskannte, sondern vor allem sah, dass hier ein Schüler begann, die ganze Abteilung zu demolieren. „Der Schulleiter hat mich ermahnt, dass es rechtlich nahezu unmöglich ist, einen Schüler auszuschulen, der das nicht will,“, erklärte er mir, „aber …“ Wer nach einem Jahr nicht alphabetisiert ist, kann nicht wie die anderen (die Somalierin schaffte es wie gesagt mit Ach und Krach) in die normale Flüchtlingsklasse wechseln in Richtung Schulabschluss und Ausbildung - also ab in eine andere Schule und nochmal von vorn.

Aber die, nicht dumm, nahm ihn nicht auf. Nach zwei Wochen hatten wir ihn wieder am Hals. Denn ein Über-18-Jähriger darf seine Schullaufbahn vollenden, sofern er das möchte. Und der verrückte Klassensprecher war wild entschlossen, seinen Abschluss zu machen, was auch immer er sich darunter vorstellte. Wieder half der Abteilungsleiter. Er sagte: „In dieses Gebäude hier kommt er mir nicht mehr, das kann ich nicht verantworten.“ und bastelte dem jungen Querkopf einen individuellen Schulplan zu wechselnden Uhrzeiten an einem Außenstandort der Schule. Der Plan ging auf: Der Eingeladene erschien nur sporadisch. Und ab 20 unentschuldigten Fehlstunden
kann dieses Verhalten als Ablehnung des Angebots zum freiwilligen Schulbesuch gelten …

Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Ich bin nur sicher, ein Psychiater wäre hilfreicher gewesen. Für alle Beteiligten.


P.S. Lustig in diesem Zusammenhang: Ein Bekannter, der interkulturelle Pädagogik studiert, erzählte mir neulich, dass folgende Idee in seinen Kreisen wissenschaftlich ernst genommen wird: Die Idee, alle Migranten müssten zuerst ordentlich Deutsch lernen, zeuge auch von nationaler Überheblichkeit - schließlich sei in vielen Wirtschaftszweigen das Englische Standard. Wie viel soziale Ignoranz brauch man eigentlich, um auf so eine Idee zu kommen?

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Samstag, 27. Oktober 2018
Flüchtigkeitsfehler
Ich war so stolz, dass ich sie alle so gut alphabetisiert habe, und jetzt, gestern, guckt ein Schüler mit entsetztem Blick aus dem Fenster.
Ich: "Was ist denn?"
Er: "Da draußen, da steht `'Kanacke'!"

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Sonntag, 27. Mai 2018
Lästerei des Tages: Was heißt das eigentlich – „professionell“?
Wie Sie sicher wissen, unterrichte ich jugendliche Flüchtlinge, mit dem Ziel, sie fit zu machen für die Ausübung eines Berufs. Entsprechend durchzieht unser Curriculum die Mahnung, berufliche Inhalte zu vermitteln, Berufsvokabular zu lehren, typische berufliche Abläufe (Anträge stellen, Telefonieren, geschäftliche Briefe schreiben, ...) – mit mäßigem Erfolg. Mir kommt es manchmal vor, als wollten wir Leuten die Fingernägel maniküren, die sich die Hände nicht gewaschen haben, weil sie dachten, sie könnten in Deutschland gutes Geld verdienen, wenn sie helfen, den Garten umzugraben – und noch nicht begriffen haben, dass man in Deutschland nur gutes Geld verdienen kann, wenn man juristisch wasserdicht nachweist, dass man den Garten gar nicht umgraben kann.
Vorgestern „Praktische Prüfung“ in einem Hotel: Der Schüler soll den Frühstückswagen für den nächsten Tag vorbereiten: Es geht darum, die vielfältigen Quarke, Müslis, Salate und Getränke in neue Gefäße umzutopfen, damit man sie am nächsten Tag nochmal als frisch anbieten kann. „Warum haben Sie diese Aufgabe für die Prüfung gewählt?“ – „Das hat der Chef vorgeschlagen.“ – „Ist das Joghurt, was Sie da nachfüllen?“ Der Prüfling schaut angestrengt auf das Etikett des Eimers, wo aber aus Werbegründen das entscheidende Wort nicht so einfach zu entdecken ist. „Was bringen Sie zuunterst in die neue Schale, das von heute oder das Nachfülllebensmittel aus dem Eimer?“ – „Das ist egal.“ (Der Chef im Hintergrund schüttelt den Kopf.) Am Ende ist der Wagen fertig, schön mit Folie abgedeckt, aber es schwimmt eine Fliege im Orangensaft, an einer Schüssel klebt Quark. Der Prüfling hat das Prinzip nicht verstanden: Der Kunde darf nicht sehen, dass es Schummel ist.
Soweit die Lästerei des Tages, positive Beispiele folgen, wenn ich bessere Laune habe.

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Mittwoch, 18. Oktober 2017
Aus meinem Sozialarbeiterleben: alle Erfahrungen und Gedanken durcheinander
Seit einiger Zeit unterrichte ich wieder Ausländer, und zwar jugendliche Flüchtlinge. Alle Flüchtlinge unter 18 Jahre unterliegen bei uns der Schulpflicht, das Ziel ist ein Schulabschluss – sowie der Übergang in eine Lehre. Von meinen Gedanken und Erfahrungen dabei berichte ich hier erstmal spontan durcheinander – vielleicht mach ich später etwas Sinnvolles daraus.
Am Anfang war es ganz schön chaotisch, und zwar anstrengend chaotisch. Nicht wie in den Integrationskursen, in denen ich auch schon gearbeitet hab, wo das Durcheinander, das die Teilnehmer in den Unterricht trugen, oft auch ein fröhliches war. Hier nicht: Direktheit ja, Herzlichkeit nein. Sie waren alle ganz schön egoistisch und es dauerte lange, bis so eine Truppe zueinander fand. Es gab Tumulte, Aggressionen, Schreierei (auch von mir, wenn es mir reichte), auch Prügeleien: Einmal hatte ein Kollege seiner Klasse einen Ball geschenkt, und ein Migrantischer unter den „normalen“ Berufsschülern hetzte meine Jungs auf, um diesen Ball zu kämpfen. Einmal war der Anlass, dass eine Klasse aus organisatorischen Gründen von einem Schulstandort zu einem andern verschoben wurde. Dann wieder kam ein neuer Schüler in die Klasse, der die Hackordnung in Frage stellte, und schon flogen wieder die Fäuste. Für mich unkörperlichen Deutschen war es eine gute Erfahrung, dass man als Lehrer dazwischengehen kann, dass man sie trennen kann (und übrigens, bei einer Kollegin mit ihrem Frauenkörper funktionierte das noch besser). Von wegen offenes Lernen und differenzierte Angebote – nur indem monatelang das Gleiche passierte, wuchs ganz allmählich das Vertrauen, in dessen Folge sich die ersten Lernerfolge einstellten.
Ich erinnere mich an einen Schüler, der offenkundig psychiatrisch auffällig war. Aber was sollte ich tun? Der psychologische Dienst der Schulbehörde erklärte sich für nicht zuständig für Flüchtlinge, der kommunale sozialpsychiatrische Dienst erklärte ihn für schulfähig, der Psychologe der Berufsschulbehörde (der in anderen Fällen schon schnell und unbürokratisch geholfen hatte) sah in ihm nur ein armes, nach komplizierter Fluchtgeschichte desorientiertes Würstchen – was sicher richtig war, aber nicht den Kern des Problems betraf. Dieser Schüler, nennen wir ihn X., war nicht in der Lage zu lernen oder konzentriert geistig zu arbeiten, den ausbleibenden Lernerfolg kompensierte er durch regelmäßige Ausraster, er schrie, drohte und prügelte, hatte auch Wahnvorstellungen und 15 Minuten später tat es ihm regelmäßig entsetzlich leid, alle Lehrerinnen hatten Angst vor ihm – außer einer toughen Polin, die ihm mannhaft entgegentrat, so dass er in seiner Wut eben das eigene Handy zu Boden schmetterte und zerstörte … Dieser Schüler hatte übrigens den Luxus einer engagierten Betreuerin, einer Rechtsanwältin, die zu berichten wusste, dass er auch daheim in Afghanistan aus Verhaltensgründen keine Schule hatte besuchen können. Wir wurden ihn los, indem der Schulleiter ihn durch Tricks der Schule verwies. Damit war der Schule geholfen, nicht aber diesem Menschen, der unter seiner psychischen Krankheit umso mehr litt, als er sie nicht unter Kontrolle hatte.
Geradezu das Gegenbeispiel ist Y., ein hübsches, immer adrett geschminktes Mädchen aus demselben Afghanistan, an dem eine Kollegin ganz richtig beobachtete: „Jede Woche rutscht das Kopftuch einen Zentimeter weiter nach unten, und mit jedem Zentimeter lernt sie schneller.“ Inzwischen trägt sie das Tuch nur noch zum Ramadan und ist unsere Vorzeigeschülerin, mit soliden Lernerfolgen und wachsender Selbstständigkeit, so dass jeder sicher ist, dass das in einem sicheren Ausbildungsplatz endet. Y. hat übrigens (ich weiß nicht, woher, vielleicht aufgrund ihrer geistig behinderten kleinen Schwester oder aufgrund ihres Halbwaisenstaus) schon ein Ausweispapier über 3 Jahre Aufenthalt, und ich bin sicher, ohne dieses Papier sähe das auch mit ihrer Lernentwicklung ganz anders aus.
Man sieht daran auch, dass das Kopftuch weniger ein Zeichen ist – es wird nur von uns Deutschen als Zeichen wahrgenommen (Y. trug es doch, weil das so üblich war, und sie lässt es jetzt weg, weil es hier so üblich ist). Die Vorstellung von der Ideologie der Kopftuchmädchen ist ja ebenso eine voruteilende wie die von der Übergriffigkeit der arabischen Jungen. Einer von denen begann ein Praktikum im Kindergarten, er küsste die Kinder und flog sofort raus. Als einen Tag später in einem anderen Kindergarten ein afghanisches Mädchen aus meiner Klasse ebenfalls die Kinder küsste, wurde sie zur Chefin bestellt, ermahnt, und es gab nie wieder Probleme.
Ach ja, den frei gewordenen Platz im Kindergarten konnte ich schnell füllen, da ein Mädchen aus meiner Klasse (muslimische Afrikanerin) ebenfalls aus dem Praktikum geflogen war, bei einer Boutique im Szene-Viertel Schanze. Da wurde übrigens auch das Kopftuch als Argument angegeben, außerdem sei sie frech geworden. Nach dem Abgleich der sich widersprechenden Aussagen von Chefin und Praktikantin glaube ich, es lag daran, dass im Szene-Laden Praktikanten zwar vorurteilsfrei angenommen werden, aber da wird hart malocht, und wer da das Tempo nicht bringt … Im evangelischen Kindergarten ist man dagegen trotz Kopftuch ganz begeistert von meiner Schülerin, denn das geht es nicht um Schnelligkeit und Gehorsam, sondern im Gegenteil um Selbstständigkeit und Verantwortungsgefühl.
Letztes Beispiel N., dem gegenüber ich etwas negativ eingestellt war, da er schwänzte und, wenn er da war, nur störte. Darauf angesprochen hieß es immer nur radebrechend, er habe „Probleme“ und Angst vor der Abschiebung. Ich gab nicht viel darauf, denn das haben all meine andern afghanischen Jungs auch – und kommen trotzdem irgendwie voran. Als es gar nicht mehr ging, bat den den besagten Psychologen um Hilfe, und der brachte heraus, dass N. tatsächlich schon den Abschiebebescheid vorliegen hat (während seine Klassenkameraden die Duldung haben, bis dann eines Tages in ferner Zukunft entschieden wird)– kein Wunder, dass da nicht mehr an Lernen zu denken ist. N. war jahrelang auf der Flucht, darunter mehrere Jahre in der Türkei, und auch wenn er sicher älter als die behaupteten 18 Jahre ist, so muss er doch als halbes Kind zu Hause los sein. Jedenfalls fallen seine Heimatsehnsucht, seine altersuntypische Kindlichkeit, seine Depressivität auch mir Laien auf. Den Praktikumsplatz beim Malermeister hat er jedenfalls verspielt durch Untätigkeit, jetzt macht er sein Praktikum beim Döner-Mann. Kollegen waren entsetzt, weil daraus ja keine Berufsperspektive erwachsen kann. Ich fand es besser als nichts. Und jetzt stellt sich heraus, dass der Chef ganz begeistert ist und ihn sogar fest einstellen würde – denn N. kann türkisch und und hat eine freundliche, kundenfreundliche Art. Ein Kollege meinte, das sei sicher ein ausbeuterischer Job. Ich halte das auch für wahrscheinlich. Aber angesichts der drohenden Abschiebung und der Unmöglichkeit, bei seinem Schulfrust je irgendeinen Abschluss zu erreichen – wäre es da nicht besser, er würde, bevor er höchstwahrscheinlich wieder zurückmuss, noch einige Zeit Geld verdienen und nach Hause schicken können?
Vielleicht ist das ein Denkfehler im System: Das Schulsystem für jugendliche Flüchtlinge orientiert sich an dem für gescheiterte deutsche Jugendliche, die nach dem Schulabschluss keine Lehrstelle bekommen haben und noch ein Jahr Schulpflicht bei uns abreißen müssen. Bei diesen Leuten, die alle schon schlechte Erfahrungen mit Schule gemacht haben, da muss man natürlich ganz vorsichtig sein mit Strenge und Sanktionen – und sie stattdessen irgendwie verlocken, sich ins Ausbildungs- und Berufsleben zu begeben. Bei den Flüchtlingen, die neu nach Deutschland kommen, bringt Nachsichtigkeit nichts: Sie kommen ja und beobachten erstmal, wie Regeln hier gehandhabt werden. Und wenn das lax ist, dann nehmen sie es halt auch lax. Und was den schnellen Übergang in die Berufswelt betrifft, da ist, finde ich, niemanden mit einer Lehrstelle geholfen, wenn er nicht ausreichend Deutsch kann, um die Berufsschule zu bewältigen. Und erstmal müssen sie emotional wieder Boden unter den Füßen bekommen (so wie Y.), dann sind auch individuelle, schnelle Wege möglich. Vorher braucht es Gemeinschaft, Regeln, Regelmäßigkeit.
Mal zusammengefasst, was ich für wichtig halte:
- klare Regeln, Regelmäßigkeit, sicheres Aufgehobensein in einer Klassengruppe
- sichere Aufenthaltsverhältnisse: schnell abschieben oder sicher hier behalten
- zivile Wohnverhältnisse außerhalb von Lagern oder Camps, wie sie sie von ihrer Flucht kennen.
Ich wage nämlich zu behaupten, dass die meisten dieser Jugendlichen traumatisiert sind, und zwar nicht (oder nicht nur) durch die Verhältnisse in ihrem Herkunftsland, sondern vor allem durch die Erlebnisse während ihrer Flucht. Integration kann erst beginnen, wenn sie begreifen und fühlen, dass sie nicht mehr auf der Flucht sind, dass man sich nicht mehr brutal egoistisch durchbeißen muss, sondern dass es sich individuell lohnt, sich in eine neue Gemeinschaft einzufügen.

Nachtrag im Januar 18 (schön, dass es so ein Blog gibt, wo niemand mitliest, der näher damit zu tun hat, so dass ich Ideen einfach so ins Unreine aussprechen kann): Grundsätzlich müsste es so laufen mit den jugendlichen Flüchtlingen: zuerst ein halbes oder ein dreiviertel Jahr nur Deutschunterricht intensiv, so dass auch die schwächeren Schüler genügend Deutsch können, um sich in deutschen Sprachzusammenhängen orientieren zu können (natürlich gehört dazu auch ein bisschen Alltagswissen über Deutschland, aber das versteht sich von selbst, das lässt jeder einigermaßen verantwortliche Deutschlehrer auch so einfließen). Dann Arbeit, ein Langzeitpraktikum oder so - wobei die Auszahlung symbolischer Geldzahlungen sicher auch gut wäre - mindestens ein halbes Jahr und in einem Milieu, in dem möglichst die meisten (und auf jeden Fall alle Chefs) Deutsch sprechen, sodass jeder begreift, warum Schulbildung (Mathe, Schrifltichkeit, EDV inkl. Mail und Excel, Englisch, Unterscheidung deutscher Umgangs-, Höflichkeits- und Fachsprache usw.) notwendig ist und selbst entscheiden kann, ob ob er das will bzw. kann oder ob ihm Hilfsarbeitertätigkeiten ausreichen (müssen). In der Zwischenzeit wäre dann ja auch so viel Zeit ins Land geflossen, dass über den Aufenthaltsstatus etwas mehr Klarheit besteht (um nochmal an den wichtigsten Lernhinderungsgrund zu erinnern). Und dann die Möglichkeit, einen Schulabschluss nachzuholen, auch mit über 18 Jahren - um dann über eine Ausbildung ins normale System zu gelangen.
Also der Grundsatz: Schul- und Berufsausbildung getrennt statt gleichzeitig. Beides ist nötig und braucht sein Gewicht, seine Zeit.

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