Mittwoch, 29. Mai 2013
Kleiner Verriss zwischendurch: Ich fordere mehr Gerechtigkeit bei der Buchpreisvergabe!
Zum dritten Mal erscheint nun dieses Buch ungefragt in unserem Haushalt, und deshalb will ich nun doch kurz erklären, weshalb ich „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Eugen Ruge beim ersten Mal interessiert zur Hand genommen, nach 50 Seiten aber als unbrauchbar weggelegt habe.
Es ist sprachlich unspektakulär, zurückhaltend im Stil und doch locker geschrieben, leicht lesbar – und dennoch kein Lesegenuss, eher ein bisschen nörgelig, leicht pauschalisierend, ironisierend, von der Handlung her zwar im Wesentlichen glaubhaft, aber nirgends wahr, direkt, authentisch (jedenfalls so weit ich gelesen habe) – da ist immer ein Abstand, eine dünne Schicht Klischeehaftigkeit über den Figuren, so dass die Charaktere zwar noch erkennbar bleiben, aber nirgends geht es wirklich zur Sache, das tut keinem weh, stimmt irgendwie ungefähr und regt keinen auf, so mein Eindruck. Kurzum: unbedeutend.
Vor Jahren hab ich mal ein Buch geschenkt bekommen: „Solsbüll“ von Jochen Missfeldt, das ich ähnlich empfunden habe: sprachkünstlerisch bescheiden, aber solide erzählt, manchmal etwas holzschnittartig, aber doch sinnvoll im Ganzen. Dieses Buch schätze ich, ohne es sehr zu mögen, es braucht halt diese poetae minores, sie machen die Literaturlandschaft reicher. Hier hätte auch der betuliche Familienroman von Ruge einen guten Platz und ich würde Ruge vielleicht mehr schätzen, wäre er nicht schon so überschätzt.
Dass ich „Solsbüll“ im Gegensatz zu Ruges Buch zuende gelesen habe, mag daran liegen, dass ich Missfeldts etwas anstrengende Ernsthaftigkeit letztendlich höher achte als Ruges distanziert plaudernden Ton. Aber vielleicht ist es auch einfach nur das Thema: Missfeldt schrieb über norddeutsche Hebammen auf dem platten Lande – und das ist allemal spannender als zum hundertsten Mal die DDR-Oberschicht.
Alles eine Frage der Balance und gerechten Verteilung!

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Dienstag, 14. Mai 2013
Ein traditioneller Familienroman, brillant erzählt (Meine Rezension zu Taiye Selasi: Diese Dinge geschehen nicht einfach so)
Der Roman beginnt damit, dass die Person stirbt, um die sich im Folgenden fast alles dreht: der Vater einer westafrikanischen Einwandererfamilie in den USA. Dieser Vater, ein talentierter Chirurg, hat die Familie vor Jahren verlassen, ist zurückgegangen nach Ghana. Er ignoriert in dieser ersten Szene die deutlichen Vorzeichen eines Herzinfarkts und stirbt morgens im Garten seines selbstentworfenen Hauses, während seine neue, junge Frau noch schläft.
Auf der Suche nach dem Warum entfaltet die Autorin dann in Rückblenden, Reflexionen und Abschweifungen ein atmosphärisch dichtes und psychologisch äußerst stimmiges Portrait der ganzen Familie: des jungen Immigrantenpaares aus Ghana/Nigeria, das die eigenen Wurzeln abschneidet, um den amerikanischen Traum zu leben – er als fleißiger, immer beherzt und engagiert handelnder und daher erfolgreicher Arzt, sie als seine kluge Partnerin, die sich beruflich zurücknimmt, um sich um die Kinder der Vorzeigefamilie zu kümmern: Olu, der als erster Sohn ganz nach dem Vater kommt, die eher kreativ-künstlerischen Zwillinge Kehinde und Taiwo sowie das Nesthäkchen Sadie.
Als der Vater aufgrund einer Intrige mit rassistischem Unterton (das wirtschaftliche Überleben des Krankenhauses erforderte ein Bauernopfer, da fiel die Wahl schnell auf ihn, den Schwarzen) entlassen wird, bricht sein amerikanischer Traum zusammen, er verlässt die Familie, bald auch die USA und beginnt in seiner alten Heimat ein neues Leben.
Im zweiten Teil des Romans finden die inzwischen erwachsenen, in alle Winder verstreuten Kinder und die Mutter anlässlich des Begräbnisses wieder zusammen – und vor allem finden sie Erlösung im Angesicht ihrer Wurzeln, ihrer Heimat, der vom Urgroßvater erbauten Hütte der Großeltern. Das ist weder originell noch gänzlich kitschfrei, aber solide und glaubhaft zuende geführt.
Natürlich – der letzte Satz deutet es an – fand ich im zweiten Teil des Romans manches etwas künstlich, etwas zu perfekt arrangiert, und trotzdem: Auch hier gibt es immer wieder Szenen, die mich begeistern: kluge, eindringliche, immer empathische Schilderungen von Menschen und dem, was ihnen zustößt. Manchmal ist das nur interessant, da einfach zuzuhören (z. B. wenn die ostasiatischen Immigranten mit den afrikanischen konkurrieren), öfter anrührend (z. B. wenn die junge Geliebte eines Professors sich geist- und wortreich darüber selbst belügt, warum sie das tut), manchmal treibt es einem (mir jedenfalls) die Tränen in die Augen (z. B. wenn die kluge, alte Ghanaerin, die so gut wie nie zur Schule gehen durfte, ihren Sohn zum Studium in die USA abreisen sieht – voll Stolz, dass sich nun ihr Lebenstraum erfüllt, und gleichzeitig verzweifelt, weil sie weiß, sie sieht ihn nie wieder).
Insgesamt ein unbedingt empfehlenswertes Buch: etwas konventionell in der Konzeption, aber wunderbar reich in der erzählerischen Ausführung.
...
So, und damit solls gut sein: Denn das, was ich hier mit meiner zarten Kritik angedeutet habe, das ist mehr eine Ahnung: Irgendwas passt mir da nicht an der Konstruktion der Handlung – aber so ganz hab ich’s noch nicht kapiert. Denn auch da, wo es mir nicht gefällt, ist das Buch außerordentlich klug – so ganz geknackt hab ich das noch nicht. Vielleicht komme ich darauf zurück.

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Freitag, 19. April 2013
"Mobbing" - Fernsehfilm nach einem Roman von Annette Pehnt
Sowas gibt’s also auch, dass ein ganz normaler Fernsehfilm mich mehr in seinen Bann zieht als der zugrunde liegende Roman. So jedenfalls ging es mir mit dem Film „Mobbing“ nach dem gleichnamigen Roman.
Natürlich war auch dieser ein Fernsehfilm nur ein Fernsehfilm: nicht ganz kitschfrei, und die weibliche Hauptfigur musste ihr Gesicht ein paar Mal zu oft mit Leidensmiene in die Kameratotale halten, die Nebenfiguren der Eltern/ Schwiegereltern waren küchenpsychologisch einfach geschnitzt, und dass es um den Machtverlust eines patriarchal empfindenden Mannes geht, das hätten wir auch ohne die hässliche und unglaubhafte Vergewaltigungsszene verstanden.
Trotz dieser etwas groben Oberfläche aber zeigt der Film ein tieferes Verständnis der geschilderten Vorgänge als die gepflegte, genau erzählte, aber spröde und reflexionsarme Romanvorlage.
Annette Pehnt, die Romanautorin, hat mit „Mobbing“ eine – rein vom Stoff her - tolle Geschichte präsentiert, einen geradezu prototypischen Fall: Da ist ein Mann mit einem gut bezahlten Job bei der Stadtverwaltung, er kann sich ein Reihenhaus für die Familie und für seine Frau eine wenig lukrative kreativ-freiberufliche Tätigkeit leisten. Im Dienst ist er ein Macher: Da die Chef-Position wohl aus Kostengründen seit längerem vakant ist, organisiert er – gemeinsam mit einem befreundeten Kollegen – äußerst erfolgreich die ganze Abteilung. Endlich wird die Abteilungsleiterstelle doch wieder besetzt, mit einer Frau, die von außen kommt, ehrgeizig und ahnungslos ist. Der Machtkonflikt ist vorprogrammiert, binnen kurzem geht die neue Chefin in die Offensive, bringt mit Zuckerbrot und Peitsche die subalternen Mitarbeiter auf ihre Seite und drängt die beiden informellen Führungspersönlichkeiten per Mobbing in die Ecke. Nicht lange, und der befreundete Kollege gibt auf, als Single kann er es sich erlauben, einen befristeten Job in einem anderen Bundesland anzunehmen. Der Hauptheld aber sitzt fest in seinem Reihenhaus, verbeißt sich in einen einsamen, kohlhaasartigen Kampf mit seiner überlegenen Gegnerin, zunehmend beargwöhnt von seiner eigenen Frau, die er an seinen Nöten aus Scham nicht teilhaben lässt und die – schwankend zwischen Existenzangst und Verständnislosigkeit gegenüber der (gelinde gesagt) Verhaltensänderung des einst geliebten Mannes - sich immer mehr aus der Beziehung zurückzieht.
Was mich an dieser an sich sehr stimmigen Geschichte beim Lesen störte, das war die subjektive Erzählhaltung aus der Sicht der Frau - einer Frau, die sich zusammen mit ihrem Mann für ein sehr traditionelles Familienmodell entschied, das nun vor der Katastrophe steht, und die nicht mal ansatzweise ihr eigene Rolle in dem Spiel begreift, die nur immer verzweifelter überlegt, ob ihrem Mann, dem Ernährer, nur so übel mitgespielt wird oder ob er selber es ist, der da durchdreht. Als ob das irgendeine Rolle spielen würde.
Der Film variiert diese ahnungslose Ehefrauensicht in einigen kleinen, aber entscheidenden Details. Im Film haben die beiden das Haus noch nicht gekauft, sie könnten noch raus aus der Nummer. Und die Frau denkt sogar daran. Außerdem wird die neue Chefin durch einen kurzen Satz über ihren Ehrgeiz („die geborene Chefin“) und durch ihren Namen („Dr. Elke Schulz““) als Luftnummer und Karrieristin gezeichnet. Von ihrem Gegenspieler, Hauptfigur und Ehemann Jo, können wir vermuten, dass er, obwohl selbst solide und vernünftig, im Hass auf solche Personen fixiert ist, da er eine penetrante, karriereorientierte Mutter hat, während die Eltern von Ehefrau Anja konservativ bodenständig daherkommen, was Anjas Rolle als Heldin verstärkt.
Diese Dramaturgie ist sicherlich kitschig und kulturpessimistisch, aber sie öffnet zumindest den Blick auf die politische Dimension des Konflikts, weist über die scheinbar unerklärliche Bosheit der Mobbenden (in der Romanfassung) hinaus. Auch Anja hat sich im Film (anders als im Buch) beruflich nicht durchsetzen können, ihre Freiberuflichkeit ist als bürgerlicher Luxus getarntes Scheitern. Dadurch rückt sein Problem in einen größeren Zusammenhang, einen, den sie auch kennt, den wir alle kennen: Dieses Mobbing ist kein individuelles Problem, es ist Ausdruck der sich verschlechternden Zustände im Arbeitsleben: Die fetten Jahre sind vorbei. Wenn die Futternäpfe weniger werden, dann wird brutaler um sie gekämpft.
Das Schöne an dem Film war, das es einen Ausweg zeigt: Es lohnt sich nicht, seine Würde dranzugeben, nur um ein Reihenhaus zu finanzieren. Wenn wir es schaffen, von dem Wohlstandsdenken der westdeutschen siebziger/achtziger Jahre runterzukommen (all meine Studienfreunde hatten Elternhäuser in den Vorstädten mit den dazugehörigen dicken Bankkonten, Zeitung lesenden Vätern und sich langweilenden Müttern), dann reicht es allemal noch locker, unsere Kinder vernünftig großzuziehen.
Frau von der Leyen hat das übrigens längst erkannt.

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Donnerstag, 4. April 2013
Osterüberraschung


Damit der nörgelige Beitrag über das Fernsehen nicht ewig hier als Startbeitrag stehen bleibt, berichte ich schnell von einem Glücksmoment.
Wir waren Ostern bei der Schwiegerfamilie. Und da die Leute eine Buchhandlung betreiben, liegen auf dem Couchtisch immer diverse Neuerscheinungen umher, die meine Schwägerin an- oder durchliest, damit sie immer mal einen neuen Lesetipp ins Schaufenster hängen kann. Dieser Tisch zog mich wieder wie magisch an. Und als nach dem Ostereiersuchen im Schnee und dem langen Familienfrühstück die Truppe loszog, weil der Hund raus musste, die Erwachsenen eine Tante besuchen und die Kinder weitere Schneeballschlachten veranstalten wollten, da durfte ich mich ausklinken und bei einer Schale Erdnussflips ein paar Stunden lang schmökern.
Zuerst fiel mein Blick auf „Westschrippe“, wegen des markanten Titels. Thema: eine Kindheit im Zonenrandgebiet der siebziger-achtziger Jahre, autobiographisch. Da dachte ich nach einer Seite schon: Wie banal! Las dann aber doch weiter. Denn Lebensgeschichten sind immer interessant und informativ („Ich hab keine Zeit mehr für Romane, ich les nur noch Biografien.“, meinte der Schriftsteller-Archivar Walter Kempowski an seinem Lebensende), da können sie ruhig banal sein. Ich hab jedenfalls einiges gelernt über die westdeutsche Einfamilienhauskultur zwischen Stromkonzern und Friedensbewegung. Unreflektiert und authentisch - ich mag das (ein bisschen wie "Titos Brille", nur eben nicht jüdisch-jugoslawisch überdreht, sondern hessisch-provinziell trocken).
Richtig gepackt hat mich aber erst das nächste Buch: „Die Dinge geschehen nicht einfach so“ von Tayie Selasi. Herrlich prätentiöser Titel (ganz im Gegensatz übrigens zum cool-knappen Originaltitel „Ghana must go“), und gleich die erste Szene präsentiert einen Todesfall unter gleißender ghanaischer Sonne und das psychologische Rätsel, das sich dahinter verbirgt. Und so geht es weiter: eindringlich, farbig, fast schon plakativ an der Oberfläche des Geschehens, sensibel, klug, oft jeanpaulhaft sich selbst korrigierend oder abschweifend auf der Ebene der eingestreuten Reflexionen: „Kwaku weiß – während er dasteht, in seinem Unterhemd und seiner MC Hammer-Hose, die Schulter an die halb offene Schiebetür gelehnt, während er tiefer in den Traum gleitet, in die Erinnerung und in andere Gefühle dieser Art (Bedauern, Reue, Ärger, Umwertung) - , dass er stirbt. Er weiß es. Aber er merkt es nicht.“
Ich bin begeistert und ich hoffe, meine Begeisterung hält sich. Ich werde berichten.

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Mittwoch, 23. Januar 2013
Zwischendurch bemerkt
Heute habe ich mir was ganz richtig Schönes gegönnt: Das Hamburger Literaturfaltblatt vermerkte, dass eine Lesung mit Hans-Ulrich Klose stattfindet. Nun, diesen Politiker fand ich damals als Jugendlicher ganz toll, als ich die Welt per Westfernsehen wahrzunehmen begann. Meine beiden anderen Stars aus dieser Lebensperiode, Neil Young und Rickie Lee Jones, habe ich inzwischen ja auch bei Auftritten in Hamburg live begutachtet, warum sollte ich dies nicht auch mit Klose tun?
Und es war wunderbar: Da saß also dieser stilvoll ergraute, hochseriöse alte Mann in einer St.-Pauli-Kellerkneipe vor 30 Altlinken und las Gedichte. Eine Szenerie aus lauter nicht zueinander passenden, aber jeweils sehr sympathischen Elementen. Natürlich konnte der Mann - als Berufspolitker - seine Texte professionell sprechen, es waren leichte, teils melancholische, teils mehr verträumte Gedichte über den westdeutschen Lebensalltag, manchmal mit einem kleinen Hang zum Kitsch, nicht sehr tiefgehend, aber nirgends platt, mit einem Grundton von postmoderner Heimatlosigkeit und voller dezentem Lebensgenuss. Und nach einer Stunde und bevor das Publikum ihn in weitergehende politische Diskussionen verwickeln konnte, zog Klose seinen Mantel an und verließ den Raum.
Und ich dachte staunend und neidisch: Die siebziger Jahre in Westdeutschland, für die dieser Mann steht, die müssen doch das Paradies gewesen sein.

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Sonntag, 6. Januar 2013
Zu Weihnachten geschenkt bekommen: Weidermann "Lichtjahre" - unterhaltsam, kenntnisreich, mysogyn und rechts
Zu Weihnachten habe ich „Lichtjahre“ geschenkt bekommen, eine deutsche Literaturgeschichte der Nachkriegszeit, geschrieben vom Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung Volker Weidermann, und möchte sie hier rezensieren.
Das Buch ist wie unsere Zeit, finde ich, eine Zeit, der ich mich mental sehr verbunden fühle, in der ich zu Hause bin, auch wenn ich ihre politischen Vorlieben nicht teile: „Lichtjahre“ ist sehr persönlich geschrieben, oft sogar flapsig und bewusst ungerecht, dabei aber sehr kenntnisreich und oft ziemlich treffsicher, gerade in den wie nebenher hingeworfenen Bemerkungen. Leider hat es eine Schlagseite nach rechts: Es zieht in der Regel Arschlöcher den netten Schriftstellern vor, reiche den armen, Egomanen den Romantikern und natürlich fast immer Männer den Frauen.
Der grundsätzliche Trick seiner Herangehensweise ist (literaturwissenschaftlich gesehen) sehr konservativ, aber auch sehr effektiv (auch ich hab ihn in meiner Examensarbeit einst angewendet): Er erschließt die Literatur über die Biografien der Autoren. Meisten funktioniert das ziemlich gut.
Manchmal geht es aber auch daneben, bei Doderer z. B.: Weidermann schildert kurz und eindringlich, welch verqueren Weg der „Herr aus Wien“ gegangen ist, nämlich in die Partei der Nazis, vor denen sonst (fast) alle Schriftsteller flohen, und die ihn auch gar nicht haben wollten, erwähnt auch dessen moralische Schattenseiten, um daraufhin auch Doderers schriftstellerisches Werk als merkwürdig, fast unsinnig und etwas anrüchig zu charakterisieren. Das ist natürlich nicht ganz falsch – ich wusste bisher nichts über Doderers Leben, habe nicht viel mehr als einen Roman von ihm gelesen, aber das da etwas sexuell-beziehungstechnisch Fragwürdiges und auch eine gewisse altmodische Spießigkeit mitschwingen, das hab ich auch als störend wahrgenommen – aber das ändert doch nichts am Witz, an der Sprachgenauigkeit, halt dem großen schriftstellerischen Können dieses Autors!
Trick Nr. 2 von Weidermann: subjektive, bewusst ungerechte Urteile. Und natürlich funktioniert das natürlich am besten bei den Autoren, die er liebt, Max Frisch z. B. Was mich betrifft, ich kann ja Max Frisch nicht ausstehen. Aber durch Weidermanns Liebeserklärung, da habe ich zum ersten Mal verstanden, weshalb viele Menschen Frischs Bücher so hoch schätzen: Frisch ist der Schriftsteller des Egozentrismus: geschichtslos, selbstverliebt, an sich selbst zweifelnd. Und immer auf der Suche nach dem individuellen Kern des eigenen Selbst, den man natürlich nie erblicken wird, solange man ihn krampfhaft fixiert. Diese tragische Ich-Suche hat Frisch in der Tat gedanklich tief und sprachlich überzeugend inszeniert. Und offenbar hat er damit ein Thema angesprochen, das die deutsche Gesellschaft seit Jahrzehnten umtreibt.
Wenn Weidermann die Leute nicht mag, also tendenziell eher die Gefühligen, die Hippies, Frauen usw., dann geht dagegen meistens was schief. Bei Plenzdorf mags noch angehen, der kriegt den Erfolgreichen-Bonus. Weidermann mag ihn zwar nicht, er erkennt aber neidlos an, dass „Die neuen Leiden ...“ und „Paul und Paula“ den Nerv der Zeit trafen. Die eventuellen schriftstellerischen Qualitäten Plenzdorfs sind ihm dann kein Thema mehr.
Bei Christa Wolf umgekehrt: Er beweist, dass er ihre Qualitäten sehr wohl erkennt: „Nachdenken über Christa T. ist am unsichersten im Ton, am suchendsten, am tastendsten, am zweifelndsten und deshalb ihr bestes Buch.“ (S. 141) Und dann macht er sie wider besseren Wissens als klischeehaft und kitschig nieder. Kein Wort über das Emanzipative, das ihrem Tasten, ihrem Suchen innewohnt. Dass man jenseits des Rationalismus freiheitlich denken kann, geht ihm wohl nicht ein. Selbst bei Ingeborg Bachmann vermag er keinen Freiheitsimpuls zu erkennen – er unterstellt ihr sogar, sie würde auf den Märchenprinzen warten, auf einen Märchenprinzen in Gestalt eines großen Dichters. Was für ein Blödsinn.
Das Attribut „kitschig“ ist bei ihm sowieso eher weiblich konnotiert. Christa Wolf und Nelly Sachs sind kitschig. Ingo Schulze bleibt von diesem Vorwurf verschont. (Immerhin, das muss man Weidermann anerkennen, macht er einmal eine Ausnahme: Bernhard Schlink bekommt, obwohl männlich, auch das Attribut "kitschig" – und sicher nicht zu Unrecht.)
Mehr Verständnis hat Wiedermann allerdings für die Meckerer. Dem Berühmtesten ihnen, Thomas Bernhard, widmet er viele Seiten. Den großen Meckerer Wolf Biermann wagt er entgegen dem Zeitgeist zu loben. Und die Oberzicke Monika Maron hält er für eine große Schriftstellerin (und Flugasche, diesen verlogenen Roman des abtrünnigen soz.Realismus für große Kunst) - er steht halt auf Motzen und Weltekel.
Und zum Schluss der Gipfel: Er lässt sein Buch mit Christian Kracht enden! Aber das ist vielleicht auch einfach eine Sache seiner Weltsicht. Wenn sich Frank Schulz mühsam mit journalistischen Jobs über Wasser hält (ich hab mal im Intercity in "DB mobil“ oder wie das heißt einen Artikel von Schulz gelesen), nennt er ihn „den seit zehn Jahren arbeitslosen ehemaligen Redakteur eines kleinen Anzeigenblättchens“ (S. 270f.), wenn sich Christian Kracht vom Geld seines Vaters besäuft und dabei ein bisschen schreibt: „Er war als Reporter des Magazins Tempo unterwegs.“
Weidermann mag halt Tempo. Und ich muss zugeben, das liest sich gut. Glauben muss man ihm nicht.

P.S. Wer Gehaltvolles übr Kracht lesen will, sehe lieber hier nach.

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Sonntag, 2. September 2012
Endlich gesehen: „Das weiße Band“
Nun habe ich mich doch noch überreden lassen, „Das weiße Band“ zu sehen. Jetzt kann ich mich nicht mehr vor der Tatsache verschließen, dass der Film gut ist, jedenfalls qualitativ: Er funktioniert als Film, reißt den Zuschauer mit und ist in sich stimmig bis ins letzte Detail. Und als ostdeutscher Bildungsbürger hatte ich auch kein Problem mit der übermetaphorisierten, überstilisierten Bildsprache. Das kann man machen. Warum nicht?
Und Haneke macht es, in einer atemberaubenden Konsequenz und Gnadenlosigkeit. Er führt den Zuschauer in ein norddeutsches Dorf der Zeit um 1900, das er samt menschlichem Inventar so korrekt und exakt ausstaffiert, dass es einem kalt den Rücken runterläuft: kein Stäubchen in den Bauernstuben, nicht das kleinste Unkraut auf der Dorfstraße - unsere hiesigen Museumsdörfer sind das blühende Leben im Vergleich dazu. Schon in den neunziger Jahren hat ja Haneke Kafkas herrlichen Roman „Das Schloss“ so steif und humorlos verfilmt, dass ich mir das damals im Fernsehen nicht zuende angeguckt habe. Daran knüpft er jetzt an.
Wieder ist es also ein ideal unterdrücktes Dorf, dessen männliche Repräsentanten ein brutales autoritäres Regiment aufrechterhalten. Nur gibt es diesmal Widerstand, und der ist das Thema des Films. Immer wieder geschehen Racheakte aus dem Untergrund, deren Brutalität der der offiziellen Unterdrücker in nichts nachsteht. Leider erschöpft sich darin auch schon die Logik des Films. Unterdrückte dürfen bei Haneke demütig erdulden oder irrational aufbegehren. Andere Lebensregungen sind nicht vorgesehen.
Und weil die Unterdrückten so eindimensional dargestellt werden, fühlt der Zuschauer auch nicht mit ihnen. Was dagegen subtil inszeniert wird, das ist die Angst der Herrschenden vor einer möglichen Renitenz der Untertanen. Im Zentrum des Films steht der Dorfpfarrer, der von Anfang an ahnt, dass seine Kinder zu den Tätern gehören. Auch der Zuschauer weiß es am Anfang noch nicht, sondern ahnt es nur. Er fühlt das Grauen des Pfarrers mit, er stellt sich dessen bange Frage: Können Kinder so grausam sein? Und er wird am Ende natürlich bestätigt.
Das letzte, schlimmste Attentat der Kinder zielt übrigens nicht auf einen Täter, sondern auf ein Opfer: Ein behindertes Kind, Kalli, wird halt tot geschlagen, weil es unehelich ist und den Tätern somit als ein Symbol der Verkommenheit des Systems gilt, so jedenfalls verkündet es das Bekennerschreiben. Spätestens hier muss man an die Nazis denken (wie es viele Kritiker ja auch getan haben), an die Euthanasie oder an die Beweggründe der NSU-Täter. „Die Pfarrerstochter sieht doch schon aus wie so eine KZ-Aufseherin.“, meinte Mitgucker T. ganz richtig.
Und da hört sich für mich alles auf: Der Pfarrer-Patriarch hat also nach der Logik des Films eigentlich Recht (auch wenn er ideologisch irregeleitete Maßnahmen ergreift). Die vornehmlich weibliche leidende Bevölkerung (für die wieder Susanne Lothar ihre Kulleraugen hinhalten muss) ist im Grunde verachtenswert. Der vitale Widerstand der Kinder nötigt uns dagegen Respekt ab, führt aber in unkontrollierten Naziterror, einen Terror, der am Ende ungesühnt bleiben muss, weil sonst das System ins Wanken käme.
Damit folgt der Film einer konservativen, letztendlich menschenverachtenden Herrschaftslogik. Natürlich kann man so denken. Man kann auch bombenbastelnde V-Leute bezahlen, um den irrationalen Terror der Jugend wieder ins patriarchale System einzubauen.
Ich halte es für ein schlimmes Zeichen, dass „Das weiße Band“ den Deutschen Filmpreis 2009 ausgerechnet gegen „Alle anderen“ gewonnen hat. Auch „Alle anderen“ thematisiert die Unentrinnbarkeit des patriarchalen Systems. Aber er zeigt, wie individuelle Menschen darin einen gangbaren Weg suchen, vielleicht scheitern, vielleicht fündig werden, das ist gar nicht der Punkt. Wenn diese Suche überhaupt aussichtslos ist, wie „Das weiße Band“ behauptet, dann ... ja, dann hätte man ja nur die Wahl zwischen NSU oder CDU. Und so trostlos ist Deutschland nun auch wieder nicht. Und auch nie gewesen.

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Dienstag, 22. Mai 2012
Gespenster der Vergangenheit (Rezension zu „Alois Nebel“)
In die seit längerem andauernde Phase der Wiederholungslektüre von Lieblingsbüchern – erst Pamuks „Schnee“, jetzt schon seit einigen Wochen „Ich“ von W. Hilbig – habe ich jetzt mal was Aktuelles eingeschoben, damit ich mich nicht ganz im Selbstreferentiellen verliere, eine Feuilleton-Anregung: "Alois Nebel“, ein „Graphic Novel“ von Jaroslav Rudiš und Jaromir 99.
Es geht um einen tschechischen Bahnbeamten, den die Geister der Vergangenheit heimsuchen – SS-Leute und Verwundete, Häftlinge und Vertriebene. Er wird in der Wendezeit entlassen und in der Psychiatrie entsorgt, trifft dort auf den Stummen, eine verdichtete Inkarnation dieser Vergangenheitsgespenster, und später auf dem Prager Hauptbahnhof – auch dort spukt es natürlich – die Klofrau Kvĕta. Am Ende treten die Autoren selbst auf den Plan und verschaffen ihrem Protagonisten ein Happy End.
Das ist eine wunderbare Geschichte, stimmig und doch geheimnisvoll, anspielungsreich und doch deutlich. Toll fand ich auch die holzschnittartigen Schwarz-Weiß-Bilder: wirkungsvoll, ja heftig, durch ihre starken Kontraste, doch kein bisschen pauschalisierend. Im Gegenteil: Da ich als Comic-Verächter im Lesen von Bildinformationen eher ungeübt bin, habe ich viele Anspielungen gar nicht sofort verstanden, musste öfter vor- und zurückblättern, blieb dabei wieder bei anderen eindrucksvollen Szenen hängen, versank völlig in der erzählerischen Überfülle der Geschichte – und war am Ende umso dankbarer, dass die Autoren mich sicher zu einer absolut sinnvollen Auflösung führten.
Eine Kleinigkeit nur im Nachhinein, die mir nicht so gefiel: Es geht ein bisschen machohaft zu, oder wenigstens kreist alles um die Konflikte der Männer untereinander. Frauen treten nur auf, sofern sie als Opfer, Ehefrau oder böse Mutter dramaturgisch benötigt werden. Nicht, dass die Männer jetzt besonders positiv geschildert wären – die meisten von ihnen sind Täter, Mitläufer, Opfer, Mörder oder Alkoholiker, manchmal sogar mehreres davon. Auch Gott ist ein Mann – er trägt das Auge Gottes auf seiner Baseballkappe – und alles andere als eine erhabene Figur, er hat eher etwas von einem Penner. Als positives Gegenbild dazu steht Alois da, der Vater wird, obwohl er – wie ich finde – schon etwas alt dafür ist.
Aber ich will mal nicht meckern: Die Geister der gewalttätigen patriarchalen Vergangenheit inklusive eines lächerlichen Gottvaters nicht zu leugnen, ihre Anwesenheit unter uns in der Gegenwart zu zeigen, ihnen einen braven, tumben, allerdings im Wahn hellsichtigen, wirklichen Vater als Positivbild gegenüberzusetzen – das ist schon gut so, wohltuend und sinnvoller als vieles, was heutzutage als Vergangenheitsbewältigung daherkommt. Noch besser wäre es natürlich etwas weniger biologistisch gewesen. Aber dazu braucht es wohl einen Gott, der weder Bart noch Baseballkappe trägt.

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Dienstag, 14. Februar 2012
Der Freitagabend (Rezension zu „The Happening“)
Vor zwei Wochen haben meine Frau und ich uns für dem Freitagabend getrennt: Sie raus in die Welt - mit ihrer besten Freundin ins Kino zu dem Film, den derzeit jeder gesehen haben muss („Ziemlich beste Freunde“); ich blieb in der Drei-Zimmer-Höhle und bekam wie jeden Freitagabend von meinem besten Freund einen herausragenden Spielfilm aus dem Fernsehprogramm der vorigen Woche nach Haus geliefert, um ihn gemeinsam auf dem Beamer zu gucken.
Wir sahen „The Happening“ von M. Night Shyamalan, diesem von den Cineasten und sogar schon vom SPIEGEL geschmähten Regisseur und waren bewegt: ein herrlicher Mainstream-Gruselfilm, der aber (Shyamalans esoterischer Ader sei‘s gedankt) auf die übliche Hollywood-Plattheit verzichtet. Irgendwo im Internet hab ich gelesen, der Regisseur hätte für einen groß angelegten Öko-Thriller keine Produktionsfirma gefunden und wäre daher gezwungen gewesen, das große Thema auf eine private Geschichte zurechtzustutzen. Na, Gott sei Dank! Das Schöne des Films besteht ja gerade darin, dass er eine Menschheitskatastrophe anhand einer kleinen, menschlichen Geschichte erzählt.
Diese ist einfach geradezu simpel: Als mehrere Großstädte an der Ostküste der USA von einem Nervengift lahmgelegt werden, das die Menschen massenweise in den Selbstmord treibt, verzichtet der Regisseur auf eine Gesamtschau, sondern erzählt von einem einzelnen Ehepaar, das aus sich wie alle anderen auf die Flucht begibt. Die beiden sind ein bisschen naiv, ein bisschen spießig und aufgrund ihrer Unreife in einer Ehekrise. So wie sie (gespielt von Zooey Deschanel) eiskalt und verständnislos in die Welt guckt mit ihren bewegungslos stahlblauen Augen, das ist großartig, es erinnert mich an meine Frau, als sie zwanzig war und ich nicht an sie heran kam. Er dazu passend naiv und ebenso ahnungslos aufrichtig. Im Laufe der Flucht übernehmen sie das Kind eines Kollegen (der seine Frau nachholen will, und – natürlich – in den Tod geht), und an ihrer Zuneigung zu diesem Kind wird sie erwachsen, während er von einem alten Gärtner, einer Hippie-Helden-Figur, lernt, dass es nicht Terroristen sind, die da angreifen, sondern die gepeinigten Pflanzen selbst. Tapsig (einmal versucht er, mit einer Plastik-Pflanze zu kommunizieren), aber letztendlich erfolgreich nimmt er die Herausforderung an und versucht, seine kleine Kunstfamilie möglichst gut durch die Gefahr zu bringen. Die drei kommen durch – und man freut sich für sie, auch wenn das unvermeidliche Ende den nächsten Pflanzen-Angriff andeutet.
Ja, ich weiß, das ist kitschig, aber das ist halt mein Kitsch: gegenüber der Natur sind wir im Unrecht, als Einzelindividuen sind wir lächerlich, aber wachsen an den Herausforderungen, das Glück ist vorübergehend und findet sich irgendwo bei Liebe und Vertrauen. Eigentlich doch naheliegend, dass ein großer Mainstream-Kinofilm nach so einer privaten, einfachen Geschichte als Ausgleich verlangt; das wusste schon David Lynch, als er „Eine einfache Geschichte“ drehte. Nur kann ich eben mit dessen Klischees von Männerfreundschaft und „God bless America“ weniger anfangen als mit Shyamalans Mann-Frau-Kind-und-Liebe-Klischee.
Und folgerichtig bin ich eine Woche später am Samstag dann auch mit meiner Frau in „Ziemlich beste Freunde“ gewesen und hab mich total wohl gefühlt. (Auch da gings um Zuneigung und Vertrauen, und das auch noch in französicher Eleganz dargestellt!) Einfach im Zeise-Kino um die Ecke und keine weiteren Ausgehabenteuer, auch keinen Sex, wir sind danach einfach ins Bett gegangen und eingeschlafen. Und im Traum gratulierte mir M. – die uns beide damals vor 25 Jahren kannte und die inzwischen schon längst tot ist – dass ich die verehrte Frau doch noch errungen hab, und ich sagte nur: „Ja, ich bin glücklich.“

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Donnerstag, 4. August 2011
Nach fünfzig Jahren ist alles vorbei
Fünfzig Jahre ist der Mauerbau nun her, und da muss das Fernsehen natürlich entsprechend reagieren. Also zum hunderttausendsten Mal die Mauertoten, und da wird nicht nur „An die Grenze“ wieder rausgekramt, über den ich hier schon unter dem Thema „Soldat mit Abitur“ geschrieben habe, sondern es gibt auch ein neues TV-Drama: „Der Mauerschütze“. Das gabs gestern im Ersten und es war so banal, dass es nicht mal ärgerlich war. Da wird das Klischee treu und brav dramatisiert, die Story ist stimmig und rund und total vorhersehbar, die Schauspieler professionell, und was die inhaltliche Problematik betrifft, so sind am Ende alle irgendwie ein bisschen schuld, und wir können um Viertel vor zehn getrost den Fernseher ausschalten und ins Bett gehen.
Eigentlich schön, denn diese Langeweile zeigt, dass das Thema gegessen ist, endlich. Vielleicht können jetzt ja mal die Menschen ins Blickfeld rücken, die gerade in Syrien erschossen werden. Oder die im Mittelmeer ertrinken. Das wäre doch auch mal gut als Thema für den 20.15-Film, oder?

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