Mittwoch, 3. August 2011
Dietrich Bonhoeffer ist lieber gestorben
Im folgenden Text werde ich leise Kritik an der konspirativen Tätigkeit Dietrich Bonhoeffers in der Anti-Hitler-Verschwörung von Canaris üben. Bitte verstehen Sie das nicht falsch. Ich will damit keineswegs andeuten, dass er persönlich falsch gehandelt hätte – im Gegenteil: Bonhoeffer hat ein Leben von beeindruckender Logik, Konsequenz und Verantwortlichkeit geführt, geradlinig bis in den Tod. Daran kann kein Zweifel sein. Falsch finde ich aber, dass sich das Interesse an Märtyrerfiguren wie ihm so auf ihren Tod fokussiert, weniger auf ihre Ideen. So wie man bei Che Guevara besonders gern das „bolivianische Tagebuch“ liest, sich am letzten Trotz-Kampf ergötzt, als die Idee schon gescheitert war – und dieser Idee so die Leuchtkraft, die konkrete Relevanz für das eigene Leben raubt. Bei Bonhoeffer sind es dann die Gefängnisbriefe und das „Von guten Mächten ...“, die Theologie aus der Todeszelle, als hätte die uns Lebenden mehr zu sagen als die konkrete und lebbare Reform des evangelischen Glaubens, die Bonhoeffer in den dreißiger Jahren entwickelte.
Dazu passt, dass Bonhoeffer so eine Art Heiligenleben geführt hat und auch führen wollte. Er hat selbst erkannt, wie viel Eitelkeit in diesem Wunsch steckt und konnte doch nicht davon lassen. Die Banalität und Lächerlichkeit des normalen Lebens in einer Zweier-Beziehung hat er sich gespart und seine faszinierende Idee von einem erneuerten christlichen Glauben so von den Niederungen des Alltags getrennt. Schade.
Doch jetzt mal im Einzelnen: Dietrich Bonhoeffer wurde als später Sohn in ein kinderreiches, großbürgerlich-intellektuelles, sehr liberales Elternhaus hineingeboren. Damit war einerseits schonmal klar, dass er es zu etwas bringen würde im Leben, anderseits aber auch, dass er sich gegen seine älteren Brüder (und auch anders als seine meisten Schwestern) entwickeln würde: nicht die rationale Welt des Vaters, sondern die Religiosität seiner Mutter, einer Hofpredigerstochter, bestimmte die Zielrichtung. Er studierte Theologie und machte rasant Karriere im Uni-Milieu. Dabei kennzeichneten ihn aber nicht nur sein Ehrgeiz, sondern auch sein Charme und seine Jugend, vor allem aber seine unter Theologen ganz unübliche Liberalität. So hatte er z.B. (noch unüblicher!) eine ihm intellektuell ebenbürtige Freundin, die ebenfalls promovierte Theologin Edith Zinn.
Das einzige Problem war, dass er mit Anfang zwanzig noch zu jung war, um die sichere Professorenstelle an der Berliner Uni schon anzutreten. Man schickte ihn daher ein Jahr nach Amerika, wo er, der erfolgreiche Theologe, erstmals mit wirklich gelebtem Glauben in Kontakt kam: in den Gemeinden der Schwarzen in Harlem. Das krempelte sein Leben um, sein Fokus wechselte von der Wissenschaft zur Praxis des Glaubens, er begann, sich mit Meditation zu beschäftigen, plante eine Reise zu Mahatma Gandhi, entwickelte eine verblüffend einfache, faszinierende Idee, wie evangelischer Glauben wieder echt werden könnte: indem man nämlich die Wiedergeburt Christi als eine Wiedergeburt in der Gemeinde versteht, d.h. die Gemeinde selbst ist Christus. Und das bedeutet wiederum, dass Christ zu sein nichts anderes heißt als erstens gemeinschaftlich und zweitens wie Christus zu leben.
Leider kam Bonhoeffer das Jahr 1933 dazwischen und zerstörte seine ersten Schritte heraus aus dem goldenen Käfig: Die Jugendstube für Arbeitslose, die er 1932 in Berlin-Charlottenburg gründete, löste die SA auf, einige seiner Bekannten von dort musste er sogar in einer Gartenlaube verstecken, da sie als des Kommunismus verdächtig in Lebensgefahr waren. Den Plan, eine Pfarrstelle im Berliner Osten anzutreten, konnte er sich unter diesen Umständen natürlich abschminken.
Stattdessen tat sich ein neues Tätigkeitsfeld auf: Hitlers Versuche, die evangelischen Kirche gleichzuschalten, führten zur Konstitution der Bekennenden Kirche. Bonhoeffer nutzt die Situation, indem er diese heterogene Protestbewegung sammelt und zu einer Abspaltung von der rettungslos opportunistischen Staatskirche zu bewegen versucht. Er hofft, mit diesen Leuten seine Ideen von einer erneuerten Glaubensgemeinschaft realisieren zu können und übernimmt die Leitung eines Priesterseminars für die Bekenntnisbewegung. Fortan pendelt er zwischen Berlin, wo er an der Uni lehrt und bei den Eltern wohnt, und Finkenwalde bei Stettin, wo er im Seminar seine Praxis- und Gemeinschaftssehnsüchte lebt.
Ende 1935 werden die Seminare der Bekennenden Kirche dann offiziell verboten. Bonhoeffer muss sich aus der Bürgerlichkeit (die für ihn Berlin heißt) lösen. Er verliert den Job an der Uni und trennt sich von seiner Freundin, will nur noch für Finkenwalde leben. Schließlich haben seine Seminaristen auch keine Chance auf ein solches bürgerliches Leben: Sie werden später, wenn überhaupt, nur als schlecht bezahlte „Hilfsprediger“ eine Stelle finden. Aber so wie sie nicht ins bürgerliche Leben hinein finden, so findet Bonhoeffer nicht heraus: Er pendelt weiter zwischen Berlin und Finkenwalde. Nur die Uni ist endgültig verloren – und natürlich Edith Zinn.
Bonhoeffer schafft sich als Ersatz für die geplante offizielle Verbindung (ob nun Verlobung oder schon Hochzeit, darüber schweigen sich die Biografen aus) einen Mini-Männerbund in Finkenwalde, dessen Kern er und sein bester Freund Eberhard Bethge darstellen. Dieser „Bruderrat“ soll mit den wechselnden Seminaristen eine Kontinuität des Lebens im Glauben einüben, ganz nach den zuvor von Bonhoeffer entwickelten Ideen über die christliche Gemeinde.
Natürlich hat dieses Projekt eine gewisse Künstlichkeit, schon allein wegen des völligen Fehlens von Frauen, aber natürlich auch in seiner Isoliertheit von der gesellschaftlichen Realität im Lande. Während in Finkenwalde ein Handvoll junger Männer ein unabhängiges Christentum lebt, dreht die nazifizierte Kirchenleitung in mühevoller Kleinarbeit, aber äußerst erfolgreich ein Leitungsmitglied der Bekennenden Kirche nach dem anderen um und integriert es in die gleichgeschaltete Staatskirche. Gleichzeitig laufen die bekannten Diskriminierungsaktionen gegen die Juden und die immer offene Vorbereitung des Krieges.
Bonhoeffer, der auf keinen Fall in den näher rückenden Krieg ziehen will, gibt auf und plant seine Emigration in die USA, die er vor sich selbst als Studienreise mit diffusem Ziel tarnt. Erst in New York begreift er, dass er bereits emigriert ist, dass er seine Familie in Berlin und seine Zweitfamilie in Finkenwalde auf Jahre nicht wiedersehen wird. Das hält er nicht aus und kehrt um. Es ist der Sommer 1939.
Zurück in Deutschland fährt er erstmal mit seinem Seminar an die Ostsee baden. Dann kommt mit dem Angriff auf Polen der Krieg. Finkenwalde liegt direkt im Kampfgebiet, das Semester kann nicht beginnen. Kurz darauf versiegelt die Gestapo das Haus in Finkenwalde. Die ersten Seminaristen werden eingezogen. Das Projekt ist gestorben.
Aber für den Chef ergibt sich eine neue Perspektive. Sein Schwager, Hans von Dohnanyi, arbeitet für den Geheimdienst der Wehrmacht und wirbt ihn als Agenten, zunächst um ihn vor einer möglichen Einberufung zu retten. Bonhoeffer weiß zu diesem Zeitpunkt schon, dass der Dienst im Geheimen gegen Hitler konspiriert, sein Schwager ist der Kern der Verschwörung. Natürlich tut er bei dieser Aktion mit, so gut er kann. So wie der Bruderrat ein Ersatz für die Ehe war, so ist die Verschwörung der Ersatz für den Bruderrat. Am Ende stehen die Verhaftung im Jahr 1943 und der Tod als Märtyrer.
Also, ich finde, das war einfach nicht Bonhoeffers Sache, diese Verschwörung, das war die Sache seiner Schwager und ihrer Kollegen – die nämlich, anders als der bekennende Pfarrer, in verantwortlichen Stellen des Staates saßen und ihrer Verantwortung weiter nachkamen, als die Politik ihres Staates ins Unverantwortliche abglitt. Natürlich ist es ehrenhaft, was Bonhoeffer getan hat, als er unter Einsatz seines Lebens dieses Projekt unterstützte – nur seiner Idee, der Idee eines gelebten Christseins, lief sie eigentlich zuwider, wie schon, wenn man ganz ehrlich ist, das Projekt seines privaten Finkenwalder Bruderrates.
Dass da irgendwas verkehrt gelaufen ist, das erweist sich meines Erachtens am Beziehungsproblem: Von seiner wirklichen Partnerin trennt er sich aus altmodischen bürgerlichen Rücksichten (die sie nicht einmal geteilt hätte – wie Renate Wind recherchiert hat) à la „Ich kann ihr keine Sicherheit bieten.“ Stattdessen verbindet er sich Jahre später als über 40-Jähriger aufs Konservativste (vorherige Absprache mit der Brautmutter) mit der 18-jährigen Tochter eines Bekannten.
Nein, die Flucht in die spätpubertäre Männergemeinschaft in Finkenwalde kann ebenso wenig eine wirkliche christliche Gemeinschaft ersetzen wie die Flucht ins Politikspiel der erwachsenen Männergesellschaft. Bonhoeffer hätte heiraten sollen, und zwar seine ebenbürtige Partnerin. Ohne die Ambivalenz geschlechtlicher Beziehung (wie auch immer diese organisiert sein mag) ist das doch alles nichts wert.

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Nochmal Bonhoeffer und die Frauen
In meinem Freundeskreis gibt es einen Theologen. Als ich dem von meiner Bonhoeffer-Begeisterung erzählte, drückte er mir die „Brautbriefe Zelle 92“ in die Hände, den Briefwechsel des Inhaftierten mit seiner jungen Braut Maria von Wedemeyer. Ich las und war enttäuscht: Als historisches Dokument, für den Forscher sicher interessant – aber als privater Leser kann man das kaum aushalten. wie man da die Fassung bewahrt, die Familie grüßen lässt, jede größere geistige oder emotionale Regung vermeidet oder formell verbrämt – eben ein Briefwechsel unter totaler Überwachung, Zensur und Todesdrohung. Traurig, aber kein Lesevergnügen. Ich verstehe gut, dass sich Maria von Wedemeyer ein Leben lang gegen eine Veröffentlichung sträubte, mit dem richtigen Argument, die Lektüre ergäbe doch keinen Sinn ohne genaue Kenntnis der Umstände.
Umso erstaunter war ich, dass ausgerechnet Renate Wind über diesen Briefwechsel ein Büchlein geschrieben hat. Renate Wind, die Autorin der großartigen Bonhoeffer-Biografie, die ich so verehre, weil sie in ihrer Darstellung der historischen Umstände ganz unüblicherweise die politische Linke nicht kleinredet und die gemeinhin heiligenmäßig verehrte Figur Bonhoeffer ganz vom Privaten, auch von ihrer Geschlechtlichkeit her versteht. Renate Wind war diejenige, die die Bedeutung der Beziehung Dietrich Bonhoeffer – Edith Zinn erst recherchiert und an die Öffentlichkeit gebracht und mich dadurch zu dem obigen Text inspiriert hat!
Aber was fällt ihr zu seiner zweiten großen Beziehung ein? Sie durchforscht den Briefwechsel und findet tatsächlich ein anarchisches, rebellisches Element in dieser Beziehung, einen Punkt, an dem für einen Moment alle gesellschaftlichen Gebundenheiten und Rücksichten hinweggeschwemmt werden, wo sich das Sein öffnet ins Weite. Einen Moment, wie es ihn in jeder Liebe gibt, wenn sie echt ist.
Insofern ist, was Renate Wind da herausgefunden hat, nachvollziehbar, aber banal. Und ihre Schlussfolgerungen, jedenfalls in Bezug auf Dietrich Bonhoeffer, kann ich gar nicht nachvollziehen. Für Maria von Wedemeyer, ja, da stimmt es wohl, dass dieser Freiheitsimpuls gewirkt hat. Schließlich war ihre Familie rechts, autoritär-patriarchalisch (ihr Vater war Privatsekretär von Papens) – was Wind verschweigt, um den Kitsch- und Rührungseffekt der Geschichte nicht zu gefährden: bei ihr sind das einfach moralisch aufrechte Hitler-Gegner. (Sicher, aber es gab eben auch rechts gerichtete, autoritäre Menschen, die moralisch aufrecht und Nazi-Gegner waren.) Für Maria von Wedemeyer bedeutet die Beziehung zu Dietrich Bonhoeffer auch die Emanzipation von der Familie, den Beginn eines eigenständigen, beeindruckend selbstbestimmten Lebens, wie Wind einleuchtend darstellt. Aber für ihn? Wind behauptet, dass Bonhoeffer aus diesem Liebeserlebnis zu „befreiungstheologischen“ Ideen gefunden hätte. Befreiungstheologie? Was meint sie damit? Ist die nicht viel später, katholisch und südamerikanisch? Also, wenn sie Bonhoeffers Parteinahme für sozial Benachteiligte und Ausgegrenzte meint – die wurzelt bei ihm doch eher im Erlebnis schwarzer christlicher Gemeinden im New York der zwanziger Jahre und nicht in der Liebe zu einer zwanzig Jahre jüngeren Gutsbesitzerstochter! Oder meint sie etwa die Idee eines „religionslosen Christentums“? Das wäre ja noch abwegiger. Meines Erachtens ist die Idee nur aus Dietrich Bonhoeffers Scheitern heraus zu verstehen: Er hat es wirklich versucht, echte religiöse Gemeinschaften evangelischen Glaubens zu etablieren, und es ist ihm nicht gelungen. Seine Ansätze wurden ins Abseits gedrängt und vernichtet, auch mit Hilfe einer religionsentleerten evangelischen Staatskirche. Da bleibt als letzte Bastion ein individuelles Christentum ohne äußere Form, ein Christentum der inneren Emigration. Aber rebellische „Befreiungstheologie“ ist das nun nicht.
Und vor allem frage ich mich, wie eine Frau Professorin der evangelischen Theologie sein kann, wie Renate Wind es ist, also, eine Frau, die ihr Geld dafür bekommt, die künftigen Amtsträger der evangelischen Kirche auszubilden, und gleichzeitig ein solches „religionsloses Christentum“ feiern, das doch im Kern gegen ihre Organisation gerichtet ist. Da stimmt doch was nicht.

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