Samstag, 18. Juni 2022
Ein Zitat
Die familiäre Situation erfordert es, dass ich wieder öfter übers Wochenende bei den Eltern bin. Ich übernachte dann im ehemaligen Kinderzimmer, das schon vor Jahrzehnten zum Gästezimmer mutierte und in das im Lauf der Jahre die Massen der jeweils weniger relevanten Bücher eingelagert wurden, die in der elterlichen Bibliothek von Wichtigerem verdrängt wurden. Überproportional vertreten: Schriften aus dem aufklärerischen Zeitalter. Vor dem Einschlafen greif ich mir dann oft einen Band heraus, neulich hab ich mir sogar ein Zitat rausfotografiert, das ich außerordentlich treffend fand, ich weiß leider nicht mehr, von wem es ist.



Nun, der Tag, von dem hier die Rede ist, der geht offensichtlich dem Ende entgegen, eigentlich sind sich alle einig, dass dunklere Zeiten anbrechen. Aber wenn dem so ist, dann sind die europäischen Intellektuellen (denen ich mich als akademisch Ausgebildeter auch zurechne) für die Zukunft eher schlecht ausgerüstet mit ihrer rationalen Faktenfinderei und Religionsverachtung.

Ein gutes Beispiel: der Roman "Dunkelblum" von Eva Menasse, den ich heute Morgen zuende las. Das Buch umkreist die Schrecken der nationalsozialistischen Vergangenheit mit prächtiger Sprachkunst, mit herrlichem Wortwitz und elegantem Spiel mit der Mundart sowie mit außerordentlich geschickt eingesetzten Andeutungen, aber letztlich wie die Katze den heißen Brei. Die Erzählstimme des Buchs reflektiert das sogar: Es ist die Rede von einem "tief eingewurzelten Misstrauen ... gegen Geschichten, die gut ausgehen" sowie auch davon, wie die Einheimischen den regionalen Jungnazi "verspotteten und in seinem Furor lächerlich machten", ihm "insgeheim jedoch recht" gaben. Aus dieser Tradition kann sich auch das Buch selbst nicht lösen: Die Starken sind in ihm mächtig und furchteinflößend, die Schwachen hilf- und orientierungslos und gern auch ein bisschen debil, und auf das Volk blickt der Text mit einer teils mitleidigen, teils gleichgültigen Arroganz, wie sie eben nicht nur den Nazis, sondern auch den gebildeten Aufgeklärten eigen ist. Und aus dieser Arroganz entspringt die Hilflosigkeit, mit der die Wahrheitssucher und Sympathieträger des Romans auf die Nazis starren.

Das Schönste an diesem ebenso klugen wie unsympathischen Roman: dass er das alles selber weiß. Er endet damit, dass die Figur des Grünen (aus der aufgeklärten Sicht des Buches natürlich nicht gerade ein Sympathieträger) in der örtlichen Kirche Schutz sucht und angesichts des Altarbildes zu der Überzeugung gelangt, dass die im Roman ausgebliebene Aufklärung der Verbrechen unausweichlich kommen wird, wenn es nur gelingt, sich nicht auf die Teufel zu fixieren und sie gerade dadurch teuflisch zu machen. Wie Recht er hat!

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Dienstag, 17. Mai 2022
Zweimal Kino
Mit den Lehrer-Kollegen war ich in "Eingeschlossene Gesellschaft", einem Film von Sönke Wortmann nach einem Drehbuch von Jan Weiler. Das lässt ja schon das Schlimmste befürchten, und so war es dann auch: die Klischees so verstaubt, dass sich niemand angegriffen fühlen muss, die Gags so platt, dass jeder mitlachen kann. Was sich Lehrer halt eben gern angucken: einen Film, in dem die Welt eine überschaubare, seit Jahrzehnten bekannte Struktur aufweist.

Das macht man halt mit, aus Kollegialität, sagte ich mir, hielt mich für etwas Besseres und ging privat in den Film, auf dessen Erscheinen man als Kinoliebhaber schon seit Wochen wartet: "Rabyie Kurnaz gegen gegen George W. Bush". Aber wieder Fehlanzeige. Zwar war die Hauptdarstellerin großartig, blieb aber eingesperrt in einem eher sentimentalen Film. Kaum zu glauben, dass dafür derselbe Regisseur (und dieselbe Drehbuchautorin) verantwortlich sein sollen wie für den außerordentlichen "Gundermann".

Na ja, sagte ich mir, vielleicht liegts daran, dass der dem damaligen Film zugrundeliegende reale Gerhard Gundermann eine ziemlich widersprüchliche Figur gewesen ist - da ist Potential für eine differenzierte Ausgestaltung - während der Stoff des neuen Films, der Fall Kurnaz, so eine eindeutige und himmelschreiende Ungerechtigkeit darstellt, dass ein Filmemacher schon verlockt sein kann, seiner berechtigten Empörung nachzugeben und simpel, geradeaus und undifferenziert zu erzählen. Der Ton macht eben die Musik: Wenn die Bremer Kurnazfamilie ohne weitere Ausdifferenzierung einfach eben mal so hinskizziert wird mit ein bisschen Türkenfolkore, wenn die Anwalts- und Prozessgeschichte so langatmig dargestellt wird, wie sie in der Realität vermutlich auch gewesen ist, dann wird das nichts.

Ein kleines Detail fiel mir auf: Der Regisseur hat einen Cameo-Auftritt als Mitglied des Supreme Courts, der Geoge W. Bush wegen Guantanamo zurechtweist. Aber ein Filmregisseur soll nicht richten. Das steht ihm nicht zu und das kann er vermutlich auch nicht so gut. Er soll erzählen, differenziert und genau. Denn das kann Andreas Dresen.

(... solange ihm nicht nicht die leidige Politik dazwischenfunkt. Wie z.B. auch in "Willenbrock", einem seiner wenigen nicht so guten Filme, in dem er die Teufelsfigur eines russischen Mafioso aus der literarischen Vorlage von Christoph Hein flugs in die eines väterlichen Freunds umdeutet. Und ja, ich weiß, dass Dresen auch Laienrichter am brandenburgischen Verfassungsgericht ist. Das ist Politik, soll er machen, warum nicht? Aber er möge das bitte nicht in seine Filme reintragen.)

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Freitag, 11. März 2022
Enttäuscht von Gert Loschütz ...
... nachdem ich im Buchladen flink sein neuestes Buch kaufte - und es sich als ein altes herausstellte: den Roman "Flucht" von 1990, nun neu aufgelegt unter einem neuen Titel, da "Flucht?" inzwischen ganz andere Assoziationen wecke (als die aus der DDR in die BRD) und daher nicht mehr passe, wie der Autor in einer Nachbemerkung schreibt. Richtig. Aber der ganze Roman passt irgendwie nicht mehr. Allein die Tatsache, dass die beschriebene Flucht in den 50er Jahren mit einer normalen Eisenbahnfahrt zu bewältigen war ("Das ist ja lächerlich, das ist keine Flucht!" rief eine eritreische Schülerin sinngemäß, als Klassenkameraden von ihrer Flucht nach Deutschland per Flugzeug berichteten) und ihre eigentliche Härte nur im Ausgestoßensein als Ossi in der westdeutschen Provinz bestand (was übrigens beweist, dass Fremdenhass nichts mit Rassismus zu tun haben muss - er geht auch zwischen Deutschen verschiedener Regionen - und verschiedener sozialer Schichten).

Wie dem auch sei (jetzt hab ich mich schon in der Einleitung verzettelt): Mit Gert Loschütz geht es mir wie mit Wilhelm Raabe. Dessen realistisches Frühwerk interessiert mich nicht - den "Hungerpastor" zu lesen würde vermutlich nur meine Liebe für den Autor von "Stopfkuchen", von "Hastenbeck" und "Altershausen" trüben, und das muss ja nicht sein. Genau so fehlt mir das Interesse für den Alt68er Loschütz, den Herumreisenden und Tausendsassa, ich liebe den Romancier Loschütz, den älter und ruhig gewordenen und klug gebliebenen epischen Erzähler, und der beginnt mit "Flucht" von 1990.

Sicher ist das kein gutes, kein gelungenes Buch (ich ahnte das ganz richtig, als ich es mir nicht besorgte, bevor er es mir nun unterjubelte): schön und farbig, abwechslungsreich erzählt zwar, aber noch viel zu dicht an der biografischen Wirklichkeit, die wie jede Wirklichkeit trivial ist. Dadurch wirkt vieles ein bisschen weinerlich, und die dazugemixten seltsam-mystischen Episoden machen es nicht besser: Sie sind unterhaltsam zu lesen, wirken aber auch ein bisschen aufgesetzt. Das Gute an dem Buch: Es es ist die offenbar notwendige Vorarbeit für die beiden wirklich großen Romane Loschütz'.

In "Dunkle Gesellschaft" baut der Autor den surrealen Strang aus "Flucht" zu einem richtigen Privat-Mythos aus, der ergreifend und mitreißend, da in sich völlig stimmig ist, wobei der gesellschaftlich-politische Aspekt, die reale Existenz von Ungerechtigkeit und gesellschaftlichen Machtverhältnissen, immer auf kluge Weise mitschwingt, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Umgekehrt in "Ein schönes Paar" (Was für ein schöner Titel! Wie er das Verhängnis, schön zu sein, für das Schöne zu sein, schon ironisch ankündigt!): Hier wird die harte Geschichte eines persönlichen Schicksals, eben der besagten Flucht, unter den Zwängen gesellschaftlicher Umstände erzählt (die weder im Osten noch im Westen sonderlich menschenfreundlich waren) und mit einer liebevoll ersonnenen Geschichte zart mystisch überhöht.

Und damit hats ein Ende. Schon der nächste Roman, "Besichtigung eines Unglücks", ist kein so großer Wurf mehr, nämlich ein bisschen gekünstelt konstruiert, wenn auch die einzelnen Episoden an sich wiederum sprachlich wunderbar, mitfühlend und politisch klug erzählt werden.

Und nun hat wohl der Verlag gedrängelt angesichts der vorherigen Erfolge oder Loschütz musste was für den Lebensunterhalt tun oder was weiß ich, jedenfalls diese Neuauflage von "Flucht" unter falscher Flagge - literarisch ist sie überflüssig, unpassend.

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Donnerstag, 17. Februar 2022
Zwei Bücher
die ich mir zu Weihnachten gewünscht hatte: Zunächst mal "Die Rache ist mein" von Marie Ndiaye. Den Namen der Autorin hatte ich schon länger auf dem Schirm, und als jetzt die Feuilletons berichteten, dass sie einen richtigen Thriller mit Kriminalfall geschrieben hat, dachte ich, das könnte es doch sein, endlich auch mal Ndiyae zu lesen.

Das Buch war sehr spannend, es war brilliant geschrieben und es störte auch gar nicht, dass der Kriminalfall (es geht um eine Frau, die ihre Kinder tötete, um sich aus ihrer Ehe zu befreien) sich bald nur als ein beinahe nebensächlicher Anlass, in diesem Fall kann man sogar sagen: Trigger, herausstellte, um in die inneren Abgründe der Protagonistin, einer Anwältin, einzutauchen. Ein Buch, das einen fesselt: aufregend, überraschend, geradezu irre. Letzteres war allerdings auch der Punkt, der mich nach anfänglicher Faszination dann allmählich immer weiter auf Distanz gehen ließ: Die ganze Geschichte wird aus der Sicht der Protagonistin erzählt, die ständig lügt, und zwar nicht aus strategischen, sondern aus neurotischen Gründen - auch sich selbst belügt sie in einem fort. Das nervt. Natürlich kennen wir das alle: Verdrängungen, Lebenslügen, innere Abgründe - wer hat das nicht in sich? Aber in dieser Dichte, dieses Ausreden- und Lügengespinst, das war schon schwer auszuhalten.

Vielleicht ist das für kriminalistisch geschulte Leser, die Lügen schneller und mit mehr Spaß auf die Spur kommen, ein Vergnügen - mich hat es gequält. Ich bin solchen Personen zwar auch im echten Leben schon begegnet, mit einer war ich sogar einige Zeit lang befreundet, aber im echten Leben ist es irgendwie einfacher, da kann man sich darauf einstellen, indem man Tatsachenaussagen der betreffenden Person immer erstmal dahingestellt sein lässt und nur von Herz zu Herz kommuniziert. Aber in dem Roman, da musste ich ja jede freche, abstruse Lüge von vorn bis hinten durchlesen, sonst hätte ich den Handlungsfaden verloren, und ich wollte schon wissen, wie es ausgeht. Doch am Ende gabs realistischerweise keine Auflösung und nur so ein halbes Happyend, sodass ich das Buch mit einem blöden Gefühl der Antipathie verließ. Schade um so viel vergeudete Sprachkunst und erzählerische Rafinesse.

Was für ein Labsal war dagegen mein nächstes Wunschbuch, "Sie kam aus Mariupol" von Natascha Wodin! Wodin ist Romanschriftstellerin, das Buch wirkt auch wie ein Roman - es ist aber ein Sachbuch: Wodin forscht darin nach ihren familiären Wurzeln, nach der Biografie ihrer Mutter, von der sie fast nichts wusste. Denn diese Mutter hat sich mit nicht einmal 40 Jahren umgebracht, als Wodin noch ein Kind war, nachdem sie etliche Katastrophen des Jahrhunderts - Bürgerkrieg, Stalinzeit und deutsche Besatzung in der Ukraine, Zwangsarbeit und Nachkriegselend als Displaced Person in Deutschland - erlitten hatte. Wodin schreibt darüber in einer schönen, aber einfachen Sprache, deren Wucht sich aus den Inhalten, aus der Authentizität des Gesagten, speist.

Diese Authentizität geht so weit, dass das Buch je nach den zugrunde liegenden Quellen unterschiedliche stilistische Färbungen annimmt. Da ist zunächst das Hirn der Autorin selbst: ihr Bericht von der Suche, ihre Erinnerungen an die Kindheit, an ihre Mutter. Diese Passagen berühren natürlich am meisten, sie sind am persönlichsten.

Ein großer Teil des Buches fußt auf dem Lebensbericht von Wodins Tante, der älteren Schwester ihrer Mutter, die als alte Frau Erinnerungen an ihre Jugend, insbesondere die Jahre als Gulag-Häftling am berüchtigten Belomor-Kanal, verfasste, Jahre, in denen ihr ihre erzählerische Phantasie mitunter das Leben rettete. Diese Passagen wirken in Wodins Buch ein bisschen opernhaft, und ganz sicher ist das der Mentalität ihrer Tante zu verdanken.

Über die Mutter als Zwangsarbeiterin hat Wodin keinerlei biografische Angaben, sie muss sich auf entsprechende deutsche Forschungsliteratur stützen, entsprechend wird es hier ein bisschen spröde, manchmal moralisierend.

Und damit will ich gar nichts gegen die Quellen sagen, die außerordentlich glaubhaft und aufschlussreich sind. Es sind einfach unterschiedliche Techniken, die passierten monströsen Verbrechen überhaupt erzählbar, aussprechbar zu machen: indem man einen tragischen Lebensroman daraus macht wie die russische Tante - oder indem man sie als trockenen Faktenbericht mit moralischen Dekorationen darbietet wie die deutschen Forscher. Und als dritte Lesart kommt noch das Zeugnis der Autorin selbst dazu: das Leid ihres Lebens mit den riesigen biografischen Leerstellen, auch das eine Folge der Verbrechen.

Diese Vielfalt im Umgang mit dem Geschehenen macht die Größe des Buches aus. Ganz das Gegenstück zum irrwitzig in sich selbst Gefangenen von "Die Rache ist mein": wahrhaftig, differenziert, direkt - eine seltene, wohltuende Mischung.

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Freitag, 14. Januar 2022
Kleiner Lesetipp
Ich habe dieser Tage einen Text gelesen, der mich bewegte, weil er im persönlichen Beispiel ein kluges Urteil über eine ganze historische Bewegung darbrachte, nämlich über die 1968er. Jetzt versteh ich besser, warum ich denen gegenüber so ambivalent reagiere, wenn sie (oder ihre Äußerungen, ihre Werke) mir begegnen. Einerseits bin ich fasziniert von ihrer anarchischen Frische, ihrem quicklebendigen Widerspruchsgeist, wie es ihn heute gar nicht mehr gibt (bzw. nur noch als Farce auf der rechten Seite und als Komödie auf der linken) und ich bin dankbar für das, was sie damit bewirkt haben - andererseits stößt mich ihre Grobheit ab, auch ihre Romantisierung ostdeutscher, osteuropäischer Ausbeutungssysteme, vor allem aber ihre feindliche Haltung gegenüber Geist und Intellekt.

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Sonntag, 7. November 2021
Nichts Neues am Büchermarkt
Es ist die tote Zeit nach dem Sonntagsfrühstück. Auf dem Fernsehbildschirm sieht man eine Kaffeemaschine und wie Kaffee in so eine Gastronomietasse rinnt. Am unteren Bildrand der Buttom "lesenswert". Damit ist mein Interesse geweckt: Ich will wissen, um welches Buch es geht.

Bald ist klar: "Glitterschnitter" von Sven Regener. Ich mag Sven Regener, hab alle seine "Herr-Lehmann"-Romane gelesen. Zwei fand ich richtig gut (bezeichnenderweise die beiden, die nicht in Kreuzberg spielen: "Neue Vahr Süd" und "Magical Mystery"), die anderen mehr oder weniger amüsant. Nur in "Glitterschnitter" bin ich kürzlich nach der Hälfte steckengeblieben und hatte keine Lust mehr weiterzulesen. Es war weniger das zunehmend Konservative, das mir schon in "Wiener Straße" nicht so recht gefiel, sondern dass ich die immergleichen Witze einfach auch mal satt hatte und außer diesen Witzen fand in "Glitterschnitter" leider rein gar nichts statt.

Denis Scheck, der Moderator von "lesenswert", dagegen outete sich als begeisterter Leser. Er traf den Autor an einem Biergartentisch in Berlin. Regener nahm große Schlucke aus seinem Weißbierglas und machte auch sonst kein Hehl aus seiner Verwurzelung in den 80er Jahren. Er schnatterte munter drauflos, amüsant und eloquent, und streute ab und zu einen klugen Gedanken ein. Scheck hatte dem nichts hinzuzufügen. Er saß in dem gewohnten, für die Situation viel zu eleganten Anzug dabei und nippte an seinem Pils. Sein Resümee: Das Buch sei "ein Fest". Offenbar leicht zufriedenzustellen, der Mann.

Dann folgte ein (in den Feuilletons viel diskutiertes) Ritual: Scheck verreißt ein einst sehr beliebtes Buch plakativ und in wenigen Worten. Diesmal traf es den "Tod eines Märchenprinzen" von Svende Merian, einen wohl etwas in die Jahre gekommenen sogenannten Frauenroman, in dem sich eine Frau einfach autobiografisch ihre Geschichte von der Seele schreibt.

Das verwunderte mich, denn gleich darauf folgte ein großes Lob für einen ebensolchen, nur halt aktuellen Frauenroman, das neue Buch von Julia Franck, "Welten auseinander". Scheck traf die Autorin in einem nostalgisch eingerichteten Café, zu dem sein Anzug dann schon besser passte. Franck trug ihr Mädchengesicht (in dem ich das ihrer Großmutter wiedererkannte) und erzählte aus ihrem Leben. Ich fand daran vor allem eins interessant: wie eindringlich sie ihr Fremdheitsgefühl (als Ossi und Ökö-Tochter) darstellte, das sie bewog, sich immer anzupassen, ganz hinter dieser Anpassung zu verschwinden. Und dieses Angepasste, ganz in der Norm Verschwindende, das zeichnet ja auch ihre Bücher aus. Scheck genoss das Gespräch sichtlich, groß in den Dialog ging ist er aber auch hier nicht, er hörte einfach zu, die einzige tiefergehende Frage (warum sie denn als Ausgereiste so problemlos zwischen Ost und West hatte pendeln können in den 80er Jahren) beantwortete sie nicht, er hakte nicht nach, sondern beendete das Gespräch mit einem Blick auf die Armbanduhr und einem väterlich-jovialen "Na".

Und ich hoffe, dass ich jetzt nicht so herablassend gegenüber Scheck agiert habe wie er gegenüber Franck. Das ist nunmal sein Job, er muss sich an dem orientieren, was auf dem Buchmarkt los ist, dann soll es auch noch irgendwie interessant und unterhaltsam sein, mit genug Feier und plakativem Verriss. Das ist auch nicht einfach, da noch eine interessante Sendung hinzubekommen, wenn rein gar nichts los ist auf dem Bestsellermarkt.

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Donnerstag, 29. Juli 2021
Spielfilme gucken für die Bildung?
Ich habe endlich "Gandhi" von Richard Attenborough gesehen. War eine Idee meiner Frau: damit wir mal was zu dritt gucken können. Mein Sohn hatte nämlich ein Buch über Gandhi gelesen, das ihm sehr gefiel. Zwar liest er eigentlich nicht mehr, seit er in die Pubertät gekommen ist, aber vor 2 Jahren hat ihn mein Vater zu seinem Geburtstag in eine gut sortierte Buchhandlung geschleppt und aufgefordert, als Geschenk ein beliebiges Buch auszusuchen. Das tat er, und er las es dann auch, offenbar mit Gewinn. Anregungen nimmt er immer gern auf.

Der Gandhi-Film war dann eher mau, fanden wir alle drei. Schön anzusehen, angenehm, unterhaltsam und zumindest so fesselnd, dass die Überlänge nicht stört, aber nichts, was einen tiefer bewegt, was einem noch länger im Sinn bleibt. Mich persönlich störte vor allem die Sache mit den Moslems und der Entstehung von Pakistan, da blieben mir die Vorgänge doch viel zu sehr im Nebel.

Schade - ich hatte mir sowas wie "Schindlers Liste" erhofft. Der (also jetzt Spielbergs Film) war zwar künstlerisch viel schlechter, aber von atemberaubender historischer Präzision. Eigentlich muss man ihn als Dokumentarfilm gucken, um ihn genießen zu können.

Vielleicht sollte man Sachtexte/Sachfilme doch wieder stärker von fiktionalem Erzählen trennen. Die Illusion, man könnte sich Sachwissen gemütlich über Spielfilme/Romane erschließen, die funktioniert eben doch nicht. Ich lese gerade den neuen Gert-Loschütz-Roman "Besichtigung eines Unglücks", wieder ein sehr waches Buch, was die Beschreibung gesellschaftlicher Umstände betrifft, da kann man durchaus das eine oder andere lernen, aber das nur am Rande, das würde kein ganzes Buch rechtfertigen. Worum es im Kern geht, was einen umtreibt, noch nachdenken lässt, das ist eben etwas, das über einen Sachtext nicht erzählt werden kann. Dafür sind Spielfilme und Romane da.

Und eben das fand ich in "Gandhi" zu schwach ausgeprägt, von "Schindlers Liste" mal ganz zu schweigen.

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Donnerstag, 29. April 2021
Was soll denn das? (Shida Bazyar: Drei Kameradinnen)
Es kommt selten vor, dass ich so schnell bin und mir tatsächlich einen soeben erschienenen Roman kaufe. Aber der Zufall wollte es, dass ich vor ein paar Wochen Bazyars Debüt "Nachts ist es leise in Teheran" gelesen habe, ein wunderbares Buch, und da will man dann das nächste natürlich auch haben. In diesem wunderbaren Buch, der Geschichte einer Flüchtlingsfamilie aus dem Iran in Deutschland aus verschiedenen Perspektiven, da fand ich wiederum ein Kapitel besonders anrührend, das handelt vom Sohn Mo und seinen Erlebnissen in der deutschen Studentenwelt. Das wirkt auf den ersten Blick etwas oberflächlich mit seinem studentischen Plaudertonfall, aber man spürt doch genau die Verlorenheit des jungen Menschen, aber auch seine Wachheit, sein Gespür für das, was in dieser Studentenwelt nicht stimmt. Natürlich funktioniert das nur im Gesamtzusammenhang des Romans, weil man seinen Hintergrund kennt und weiß, warum er verloren wirkt, und auch, woher sein kritischer Geist stammt.

Ich erwähne das, weil der neue Roman in demselben Tonfall gehalten ist, von drei jungen Frauen erzählt, von ihren Gesprächen, ihren Sehnsüchten, ihren Besäufnissen, allerdings bewusst die biografischen Hintergründe der Figuren verschweigt, abgesehen von der Tatsache, dass sie nicht biodeutsch sind. Das ist schon mutig von der Autorin, die Erzählerin da so 300 Seiten lang schwadronieren zu lassen, inklusive Nörgeleien und Flunkereien, Klischees und Vorurteilen, Wut und Aggressionen. Also, ich hätte das Buch bestimmt nach der Hälfte weggelegt, hätte nicht der etwas dick aufgetragene Suspense-Effekt - mehrfach wird angedeutet, dass am Ende die Sache mit dem Brand und mit der Verhaftung aufgeklärt wird - letztendlich doch funktioniert: Ich wollte einfach wissen, wie's ausgeht, und raste weiter durchs Buch, wobei mir das, was unterwegs als Handlung passierte, immer mehr egal wurde.

Und dann, wie gesagt nach 300 Seiten, da sagt die Erzählerin plötzlich: Natürlich alles Quatsch, was ich hier erzähle, aber da seht ihr mal, wie das ist, wenn man so ständig mit Klischees und Vorurteilen bombardiert wird als Nicht-Weiße. Da hat sie sicher Recht. Ich frage mich bloß, welchen Sinn das haben soll, das 1:1 zu spiegeln und damit die Menge der Vorurteile zu verdoppeln. Und vor allem frage ich mich, was die Autorin sich davon verspricht. Denn Leser gewinnt man auf diese Weise nicht - oder schlimmer noch: Man gewinnt nur Leser, die die Wahrheit im Grunde nicht hören wollen, sondern sich lieber an Nörgeleien, Klischees und Vorurteilen ergötzen.

Vor allem aber ärgerte mich eins: In dem Buch gibt es viele kleine Episoden, gut und eindringlich erzählte Episoden, die am konkreten Beispiel erfahrbar machen, wie Diskriminierung funktioniert. Diese Episoden hätten es verdient, zum Leuchten gebracht zu werden, in einem direkten, deutlichen, ehrlichen Buch. So - verwoben in ein Netz aus Banalität und Missgunst - verlieren sie einiges an Glaubhaftigkeit. Und das ist schade.

Vielleicht bin ich auch nur für diese Sorte Humor zu ehrpusselig.

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Montag, 12. April 2021
Verriss des Verrisses
Das wird ja ein reines Nörgelblog hier, und wenn ich mal was richtig Schönes erlebt habe, dann kommt mir das erst dann zu Bewusstsein, wenn ich mich im Zusammenhang damit über etwas aufregen kann.

Und zwar über Denis Scheck mal wieder. Scheck ist wunderbar, wenn er sich im bildungsbürgerlichen Literatur-Diskurs so richtig wohlfühlen kann. Ich habe ihn vor einem Jahr live erlebt, im Gespräch mit Heinrich Steinfest, da ging es um Grunde um nichts: um Gedankenspielereien, um Verrücktheiten bei Sinneswahrnehmungen, die beiden klugen Männer warfen sich die Bälle zu - es war eine wahre Freude!

Aber schick Denis Scheck mal in ein Gebiet, in dem sich nicht auskennt - das wird nix. Als er den "Turm" des Emporkömmlings Tellkamp rezensieren sollte, der seine Wahrhaftigkeiten zwischen überangepasstem Kitsch, zwischen Über- und Untertreibungen versteckt, da hat sich der Bürger Scheck gar nicht erst auf die Suche begeben, da fand er, dass das "nach Schweiß" stinkt, und wandte sich naserümpfend ab.

Und jetzt lese ich hier, dass er dort behauptet hat, Deniz Ohde könne nicht denken, ihr fehle jede Intellektualität. Tja, was sagt man dazu? Na ja, so denken wie Denis Scheck, das kann sie wahrscheinlich nicht, sie kommt ja auch aus einem ganz anderem Milieu - aber hingucken, vorurteilsfrei und differenziert hingucken, das kann sie, im Gegensatz zu Scheck. Da kann er sich eine Scheibe abschneiden.

Na ja, vielleicht ist es nicht nur das. Vielleicht ist es auch eine bestimmte psychische Disposition. Wie anders wäre es erklärbar, dass ich, der ich keine Türkin bin und auch nicht aus der Unterschicht komme, dass ich "Streulicht", ihren Debütroman, so identifizierend lesen, ja verschlingen konnte, dass ich in jeder Zeile verstanden habe und mich verstanden fühlte, dass ich - so irrational das ist - beim Lesen eine Genugtuung empfand, dass mal eine von uns auf die Bestsellerlisten klettert? Und mich einfach nur freute, freute?

Oder ist es im Grunde viel einfacher und Deniz Ohde kann einfach nur richtig gut schreiben?

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Samstag, 20. Februar 2021
Unsensibel
Gestern bin ich kurz vor acht vom Familienabendbrotstisch aufgesprungen, um schnell den 20.15-Uhr-Film auf arte zu programmieren, den ich später noch gucken wollte.

Der Film selber war ganz gut gemacht und von Anfang an schön spannend, er fußte aber auf einer derart billigen antiislamischen Ideologie, dass ich nach einer halben Stunde genervt ausschaltete. Das war so weit okay und völlig normal - schließlich fußen die allermeisten Thriller auf irgendeiner billigen Ideologie, nur selten ist einer dabei, den ich mit Spaß zuendegucke. Und mit meinem Roman im Bett, wo auch meine Frau vor sich hin schmökerte, da wars auch ganz nett.

Nur hinterher, da fragte ich mich, ob das wirklich sein muss, an so einem Tag, an dem andere der Opfer von Hanau gedenken, da um 20.15 Uhr so einen Film zu zeigen. Man zeigt doch auch nicht "Das Leben des Bryan" am Heiligen Abend oder "Inglorious Basterds" am Tag des Holocaust-Gedenkens.

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