Freitag, 11. März 2022
Enttäuscht von Gert Loschütz ...
... nachdem ich im Buchladen flink sein neuestes Buch kaufte - und es sich als ein altes herausstellte: den Roman "Flucht" von 1990, nun neu aufgelegt unter einem neuen Titel, da "Flucht?" inzwischen ganz andere Assoziationen wecke (als die aus der DDR in die BRD) und daher nicht mehr passe, wie der Autor in einer Nachbemerkung schreibt. Richtig. Aber der ganze Roman passt irgendwie nicht mehr. Allein die Tatsache, dass die beschriebene Flucht in den 50er Jahren mit einer normalen Eisenbahnfahrt zu bewältigen war ("Das ist ja lächerlich, das ist keine Flucht!" rief eine eritreische Schülerin sinngemäß, als Klassenkameraden von ihrer Flucht nach Deutschland per Flugzeug berichteten) und ihre eigentliche Härte nur im Ausgestoßensein als Ossi in der westdeutschen Provinz bestand (was übrigens beweist, dass Fremdenhass nichts mit Rassismus zu tun haben muss - er geht auch zwischen Deutschen verschiedener Regionen - und verschiedener sozialer Schichten).

Wie dem auch sei (jetzt hab ich mich schon in der Einleitung verzettelt): Mit Gert Loschütz geht es mir wie mit Wilhelm Raabe. Dessen realistisches Frühwerk interessiert mich nicht - den "Hungerpastor" zu lesen würde vermutlich nur meine Liebe für den Autor von "Stopfkuchen", von "Hastenbeck" und "Altershausen" trüben, und das muss ja nicht sein. Genau so fehlt mir das Interesse für den Alt68er Loschütz, den Herumreisenden und Tausendsassa, ich liebe den Romancier Loschütz, den älter und ruhig gewordenen und klug gebliebenen epischen Erzähler, und der beginnt mit "Flucht" von 1990.

Sicher ist das kein gutes, kein gelungenes Buch (ich ahnte das ganz richtig, als ich es mir nicht besorgte, bevor er es mir nun unterjubelte): schön und farbig, abwechslungsreich erzählt zwar, aber noch viel zu dicht an der biografischen Wirklichkeit, die wie jede Wirklichkeit trivial ist. Dadurch wirkt vieles ein bisschen weinerlich, und die dazugemixten seltsam-mystischen Episoden machen es nicht besser: Sie sind unterhaltsam zu lesen, wirken aber auch ein bisschen aufgesetzt. Das Gute an dem Buch: Es es ist die offenbar notwendige Vorarbeit für die beiden wirklich großen Romane Loschütz'.

In "Dunkle Gesellschaft" baut der Autor den surrealen Strang aus "Flucht" zu einem richtigen Privat-Mythos aus, der ergreifend und mitreißend, da in sich völlig stimmig ist, wobei der gesellschaftlich-politische Aspekt, die reale Existenz von Ungerechtigkeit und gesellschaftlichen Machtverhältnissen, immer auf kluge Weise mitschwingt, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Umgekehrt in "Ein schönes Paar" (Was für ein schöner Titel! Wie er das Verhängnis, schön zu sein, für das Schöne zu sein, schon ironisch ankündigt!): Hier wird die harte Geschichte eines persönlichen Schicksals, eben der besagten Flucht, unter den Zwängen gesellschaftlicher Umstände erzählt (die weder im Osten noch im Westen sonderlich menschenfreundlich waren) und mit einer liebevoll ersonnenen Geschichte zart mystisch überhöht.

Und damit hats ein Ende. Schon der nächste Roman, "Besichtigung eines Unglücks", ist kein so großer Wurf mehr, nämlich ein bisschen gekünstelt konstruiert, wenn auch die einzelnen Episoden an sich wiederum sprachlich wunderbar, mitfühlend und politisch klug erzählt werden.

Und nun hat wohl der Verlag gedrängelt angesichts der vorherigen Erfolge oder Loschütz musste was für den Lebensunterhalt tun oder was weiß ich, jedenfalls diese Neuauflage von "Flucht" unter falscher Flagge - literarisch ist sie überflüssig, unpassend.

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Bei "Jetzt habe ich mich schon in der Einleitung verzettelt "
Musste unweigerlich 🤣🤣🤣😇.

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Freut mich, ging mir beim Schreiben auch so. (Und das mit dem Verzetteln, das geht mir jetzt häufiger so, zumindest wenn ich den Text statt brav in Word und mit Nachkorrektur gleich in das vergesehene Fenster tippe.)

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