Dienstag, 7. Juni 2011
Stasi - das sind immer die anderen
In meiner alten Heimat Brandenburg wird mal wieder über die Stasi diskutiert. Jetzt hat man also herausgefunden, dass eine Richterin – Irina Weiße – einst als IM für die Stasi berichtete, als sie noch als Leistungssportlerin dem Sportclub Dynamo angehörte. Welche Überraschung! (Anmerkung für Westbürger: Dynamo gehörte direkt der Stasi). Komisch, dass das niemandem aufgefallen ist, solange die CDU noch den Justizminister stellte.
Ja, dieses Versäumnis sieht die CDU auch ein und widmet sich nun, wo sie die Regierungsbeteiligung verloren hat, verstärkt der Suche nach Stasi-Seilschaften, jedenfalls im Lager des politischen Gegners. Dabei klingt die Vita ihrer eigenen Fraktionschefin auch nicht ganz unverdächtig: Sie begann ihre Karriere als Geschäftsführerin einer GmbH, die in den neunziger Jahren in Golm gegründet wurde, einem Familienunternehmen, wie sie selbst sagt. Nun sind sicherlich nicht alle Golmer GmbHs, die damals gegründet wurden, direkte Nachfolgeunternehmen der dortigen Stasihochschule, die ihre Mitarbeiter 1990 in die Selbstständigkeit entlassen musste. Aber doch immerhin die meisten. Eine Überprüfung wäre es wert. Oder, liebe CDU von Brandenburg?
...
P.S. am nächsten Morgen: Ich hoffe, liebe Leser, dass Sie beim Lesen meines Textes aufgestöhnt haben: Oh, nein, jetzt fängt der damals auch noch an mit Denunziationen - diese Ossis sind doch alle gleich! Denn so ist es - und trotzdem schaffe ich es nicht, den Text einfach wieder zu löschen. Gift erzeugt Gift. Diese künstlich empörte Stasi-Jägerei macht mich einfach wütend und unsachlich, eben weil sie nichts mit Aufklärung zu tun hat und nur die andere Seite eines großen Verschweigens darstellt. Mir geht es auch gar nicht um irgendeine Fraktionschefin, mich nervt das ganze politische Klima in diesem Ossiland, in dem sich niemand ehrlich zu erinnern scheint, sofern er nur irgendein politisches Amt erlangt hat.

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Sonntag, 3. April 2011
Manche nehmens mit Humor


... heute an einer Haustür in Hamburg gesehen und schnell aus der Hüfte mit dem Handy geknipst ...

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Sonntag, 9. Januar 2011
Plädoyer für eine Aussetzung des Wortes „Kommunismus“ (weil leicht verschwindet, wofür Worte kommen)
Wie ich sicher schon erwähnt habe, befand sich im Wohnzimmertisch meiner Eltern einige Jahre lang eine Wanze, die die Gespräche an diesem Tisch getreulich aufzeichnete – und mir später dank BStU erlaubte, Elemente meiner Erziehung genau zu rekonstruieren. Da spricht z. B. meine Mutter gegenüber meinem Vater von der Enttäuschung, dass ihre Kinder die marxistischen Begriffe nicht mehr ernst nehmen, weil sie ihnen durch den geistlosen und verlogenen Staatsbürgerkundeunterricht beigebracht wurden. Richtig. Schon damals ist das Kind in den Brunnen gefallen und die entsprechende Terminologie unbrauchbar geworden. Und das ist dreißig Jahre her.
Seitdem ist die Sinnentleerung dieser Begriffe weiter fortgeschritten. Meine Fernschüler schreiben oft und gern aus diesem Internettext ab, in dem behauptet wird, Bertolt Brecht sei in den dreißiger Jahren vor dem kommunistischen Regime in Deutschland ins Ausland geflohen – „Kommunismus“ gilt ihnen als unspezifische Bezeichnung für das schlechthin Böse in der Politik. Nun hat Gesine Lötzsch daran erinnert, dass es auch Leute gibt, die den Kommunismus ebenso unreflektiert für das Gute halten. Was er eigentlich ist, wissen offenbar beide nicht.
Jedenfalls habe ich Gesine Lötzsch vor ein paar Tagen im Deutschlandfunk-Interview gehört und sie war nicht in der Lage, dem Interviewer zu erklären, inwiefern Rosa Luxemburg demokratisch dachte (Ich hab das richtige Argument gleich eingeworfen, aber leider funktioniert ein Radio nicht als Sender und niemand hörte mich.) Und dann stritt sie sich mit dem Interviewer, ob sie sich für die Verbrechen des Kommunismus entschuldigen sollte. Als ob es auf diese Höflichkeitsgeste ankäme.
Wollte man den Begriff „Kommunismus“ wirklich ernsthaft in einem aktuellen Kontext verwenden, dann müsste man doch zuerst über die strukturellen Schwächen nachdenken, die der Kommunismus (wie jede Ideologie) hat und die die besagten Verbrechen erst ermöglicht haben. Aber daran scheinen weder Antikommunisten noch Kommunismus-Fans ein Interesse zu haben.
Auf „Kommunismus“ als hohlen Kampfbegriff kann ich getrost verzichten. Neulich fand ich in einer „Zu-verschenken“-Kiste am Straßenrand Rosa Luxemburgs politische Schriften. Ich nahm das Buch mit, schlug es zu Hause auf und stellte fest, dass es unlesbar ist – sofern man 100 Jahre altes Partei-Chinesisch nicht simultan übersetzen kann. Ich bin sicher, dass Luxemburg zu den ehrenhaftesten Politikern der letzten 100 Jahre gehört. Aber ich habe das Buch weggeworfen. Damit habe ich ihrem Andenken vermutlich die meiste Ehre angetan.

Und da heute doch der Gedenktag ist, will ich das durch ein Günter-Kunert-Gedicht aus den achtziger Jahren erklären:

Am Landwehrkanal

Durch Zeiten schwammen sie: Die Toten
Getragen von Kanälen unsrer Stadt.
Doch als sie uns erreichten, hat
Ihr Stummsein Schweigen uns geboten.

Weil leicht verschwindet, wofür Worte kommen:
Die bleiben, während ihr versinkt,
und ohne dass euch eines wiederbringt.
Sie haben euere Stelle eingenommen.

Gedenke sprachlos: Bilderfetzen,
von blinder Oberfläche absorbiert,
bevor auch solch Erinnern sich verliert
mit Wut und Ohnmacht und Entsetzen.

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Dienstag, 23. November 2010
Was wäre die Bundeswehr ohne Frank Lehmann? – Ein Plädoyer für die Wehrpflicht
Es wird Sie vielleicht verwundern, dass ich hier ein Plädoyer für die Wehrpflicht halte, wo ich doch meine Leiden als Wehrpflichtiger hier schon ausführlich geschildert habe und mich auch sonst hinreichend als Linker geoutet habe.
Aber irgendwie piksen mich die öffentlichen Diskussionen dieser Tage an, diese von links bis weniger links einstimmige Ablehnung der Wehrpflicht, bei der höchstens das Wegfallen einiger bequemer Arbeitsplätze bedauert wird. Ich finde, man sollte die Frage grundsätzlicher diskutieren. Meiner Meinung nach verwirkt eine Armee sowohl das Recht als auch die Fähigkeit, für die Interessen einer Bevölkerung zu kämpfen, wenn diese Bevölkerung nicht auch ausreichend in ihr repräsentiert ist. Sie kennen doch sicher „Neue Vahr Süd“ und Sie werden mir zustimmen, dass die Bundeswehr erst durch die Präsenz von Skeptikern und Quertreibern wie Frank Lehmann die Akzeptanz und Autorität bekommen kann, die sie – meines Erachtens – auch verdient: entweder eine Armee für alle oder gar keine. Eine Armee ohne die vielen Frank Lehmanns, die eher zufällig da reingeraten, eine Armee nur aus Freiwilligen, – das wäre ja eine Söldnerarmee, wie es sie früher gab, ein willfähriges Heer im Dienste irgendeines Fürsten. Deshalb kann ich dem Vorschlag Karl Theodor zu Guttenbergs, die Bundeswehr vollends auf eine solche Söldnerarmee zu reduzieren, nichts abgewinnen. Und die zustimmenden Argumente von links und weniger links gefallen mir auch nicht. Die Wehrpflicht abzuschaffen, weil sie ein Zwangsdienst für nur wenige ist, das ist mir zu einfach. Soll eine Gemeinschaft nicht das Recht haben, sich ein Instrument zur Selbstverteidigung zu schaffen? Und ganz ohne Zwang geht das nun mal nicht – auch Steuern würde niemand freiwillig zahlen. Außerdem ist Steuerflucht moralisch mies, ebenso wie die Haltung: „Sollen doch die anderen zum Bund! Hauptsache, ich habe meine Freiheit. Und einen Ersatz dafür will ich auch nicht leisten – schließlich sind 'die da oben' sowieso die Bösen, und die Bundeswehr erst recht." Von weniger links kommt dann das Argument, dass es existenzielle deutsche Interessen im Ausland gibt, und die könne eben nur eine Berufsarmee vertreten. An dem Argument mit den existenziellen Interessen ist ja was dran. Allerdings steht dieser militärischen Interessenvertretung einiges entgegen, neben der derzeit fehlenden Zustimmung durch eine Bevölkerungsmehrheit vor allem die Souveränitätsrechte so genannter „instabiler“ Staaten, über die die meisten Pro-Berufsarmee-Argumentatoren ziemlich leichtfertig hinweggehen. (Stellen Sie sich mal vor, irgendeine außereuropäische Macht erklärte Europa aufgrund der Euro-Krise für „instabil“ und rechtfertigte damit eine militärische Invasion.) Außerdem: Wenn wirtschaftliche Zusammenhänge so lebensbedrohlich sein können, dass ein militärisches Sich-Hinweg-Setzen über fremde Souveränitätsrechte gerechtfertigt ist, dann sind sie mindestens so lebensbedrohlich, dass sie auch ein Asylrecht für Wirtschaftsflüchtlinge erfordern. Eine Ökonomisierung des Begriffs „Landesverteidigung“ ohne eine Ökonomisierung der Begriffe „Verfolgung“ und „Asyl“ wäre widersinnig. So, und zum Schluss muss ich noch auf ein Argument eingehen, das mich regelrecht aggressiv macht: Die neuen Aufgaben der Bundeswehr erforderten eine hoch spezialisierte, professionelle Armee und daher den Verzicht auf die Mitwirkung militärischer Laien. So? Ist damit gemeint, dass so ein Auslandseinsatz nur funktioniert, wenn man sich den Stress mit Herrn Lehmann sparen kann? Und glaubt wirklich jemand, dass Outsourcing gesellschaftlicher Kernaufgaben (wie der Landesverteidigung) an externe „Spezialisten“ zu einer Erhöhung der professionellen Qualität führt? Das Gegenteil ist der Fall. Ich arbeite selbst für ein externes, „gemeinnütziges“ Unternehmen, das im Auftrag staatlicher Stellen Spezialaufgaben übernimmt (Integrationskurse im Auftrag des Innenministeriums). Wenn meine Kollegen und ich im Vergleich zu unserem Auftraggeber, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, irgendwie „professioneller“ sind, dann nur in folgendem Sinne: Wir sind schlechter bezahlt, schlechter organisiert, weniger loyal. Also, so viel ist sicher: Eine Bundeswehr als professionelle Spezialtruppe wird chaotischer, brutaler, schwerer kontrollierbar sein. Und das können nicht mal die wirklich wollen, die ihren Einsatz nicht werden zu erleiden haben.

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Donnerstag, 14. Oktober 2010
Schaut nicht weg! Ein persönliches Zeugnis
„Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist ein Thema, das die Gesellschaft erschüttert. [...] Stephanie zu Guttenberg ist der festen Überzeugung: Wir alle können etwas tun. Ihr Buch ,Schaut nicht weg!' ist ein Aufruf und ein persönliches Zeugnis.
Frau zu Guttenberg, Sie [...] engagieren sich zum Schutz der Kinder persönlich. Wie kam es dazu?
Als ich angefragt wurde und mich umfassend in das Thema eingelesen habe, war ich schon entsetzt [...] Ich bin auch gut vernetzt und somit in einer optimalen Position, [...] Spenden eintreiben zu können. [...] Und die Möglichkeit, sich in einem [...] professionellen Team dieser Herausforderung zu stellen, war für mich auch ein wichtiger Punkt.“
So weit ein Auszug aus einem Interview mit der Ministergattin aus „lebenswert. körper geist seele“, Ausgabe 2/2010, die mir heute in die Hände fiel. Schon interessant, was Journalisten heutzutage als „ein persönliches Zeugnis“ gilt. Ich meine, ich hab ja nichts dagegen, wenn eine Politikergattin sich irgendwelchen Wohltätigkeitszwecken zuwendet, die grade en vogue sind. Das muss wohl so sein, das war schon vor hundert Jahren so und ist heute auch nicht besser. Aber warum muss solch ein Akt braver, gedankenloser gesellschaftlicher Anpassung immer mit einem Adjektiv versehen werden, das gerade das Gegenteil dessen ausdrückt, was Sache ist?
In den neunziger Jahren, als eine Welle rücksichtsloser Ökonomisierung unser Land überrollte, hat man in einem solchen Fall immer gern von „Verantwortung übernehmen“ gesprochen. Heute, wo die Globalisierung unserer Verhaltensweisen weitgehend abgeschlossen ist, heißt es also: „ein persönliches Zeugnis“ oder gerne auch „authentisch“. Immer das, was gerade absolut nicht da ist. Ob sich in diesen Sprachabsurditäten geheime Sehnsüchte verstecken?

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Dienstag, 13. Juli 2010
Die Hamburger Schulreform und ihre Wahlplakate
In Hamburg gibt es in einigen Tagen eine Volksabstimmung über die Schulreform ... na ja, jedenfalls über einen Teil von ihr. Das Wesentliche ist natürlich schon beschlossen: Man will vom dreigliedrigen (bzw. viergliedrigen, wenn man die Gesamtschulen mitrechnet) zum zweigliedrigen Schulsystem übergehen. Notwendig geworden ist dieser Schritt, weil die Hauptschule, diese bedauernswerte Schulform, seit einigen Jahrzehnten derart schamlos in die Enge getrieben wurde, dass man sie ehrlicherweise aus dem allgemeinen Schulsystem ausgliedern, in „Maßnahmeträger“ umbenennen und den Jobcentern unterstellen müsste. Manche in der Bevölkerung würden sich das auch wünschen – man wäre dann ein Problem los, kostengünstiger wäre es auch – man würde Lehrergehälter sparen und könnte stattdessen Sozialpädagogen und ähnliches niederes Volk einstellen. Aber leider gilt die Schulpflicht immer noch für alle Schichten der Bevölkerung.
Und so erweist man der Hauptschule immerhin eine letzte Gnade, sie nämlich abzuschaffen zugunsten einer weiterführenden allgemeinen Schule, die alle Schüler umfasst mit Ausnahme der Gymnasiasten. Und dem Hamburger Wahlvolk bleibt die Entscheidung überlassen, ob man diese neue Schulform, „Stadtteilschule“ genannt, sowie die Gymnasien schon nach vier oder erst nach sechs Jahren Grundschule beginnen lassen will. Es geht also um die Frage, ob die Grundschule nur eine Art Vorschule sein soll, an der man schon mal Lesen, Schreiben und das Einmaleins erlernt, bevor anderswo komplexere Dinge gelehrt werden, oder ob es über die Grundbildung hinaus irgendeinen allgemeinen Bildungskanon für alle gibt, ungeachtet, ihrer sozialen, religiösen oder ethnischen Herkunft.
Wie Sie sehen, habe ich eine Meinung der Sache, die ich auch schon per Briefwahl kundgetan habe. Wenn man aber die aktuellen Wahlplakate zum Volksentscheid anguckt, dürfte man sich eigentlich überhaupt nicht beteiligen an der Auseinandersetzung, so blöd argumentieren beide Seiten. Die FDP ist natürlich für ein langes Gymnasium und daher gegen die sechsjährige Grundschule. Ihr überall plakatiertes Argument: „Jedes Kind ist anders. Warum also ein starres Schulsystem?“ Was für eine Logik! Als wäre ein Schulsystem, das nach Klasse 4 schon die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen wirft, auf irgendeine Weise weniger starr als eins, das dies nach sechs Jahren tut! Ob ein Schulsystem starr ist oder auf Individuen eingeht, das erweist sich doch daran, ob und wie durchlässig es für Schulwechsler ist, und nicht daran, ob die eigenen Kinder schon früh aufs Gymnasium dürfen. Mir scheint, die FDP verwechselt hier mal wieder „liberal“ mit „kapitalistisch“: Es geht nicht um irgendeine Freiheit für individuell unterschiedliche Kinder, sondern um das Besitzrecht der Eltern an ihren Kindern. Und komisch: Genau denselben Herrschaftsanspruch vertreten Hamburg und seine Schulbehörde, die uns per Plakat wissen lassen: „Wir wollen mehr als gute Werte – guten Unterricht.“ Hier steckt doch als Idee dahinter: Die Werte sind uns ziemlich egal, solange wir die Schulstruktur bestimmen, die Didaktiken schreiben lassen und die Aufgaben fürs Zentralabitur festlegen. Dazu passt auch das laut schreiende Mädchen auf dem offiziellen Pro-Schulreform-Plakat, das auf plumpeste Weise das linke Klischee vom aufmüpfigen Gör bedient (Oh, Irmgard Keun, was hast du angerichtet!) – während den Reformgegnern für ihr Plakat ein braver blonder Junge und ein kindisch lächelnder Schulranzen einfallen.
Dass Schule ein Dienstleistung ist, und zwar für die Kinder, nicht für die Eltern, das scheint den technokratischen Reformern so wenig bewusst zu sein wie den egomanen Reformgegnern.

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Samstag, 3. Juli 2010
Kleine Anmerkung zur Bundespräsidentenwahl
Ich hab ja mit Gauck sympathisiert. Nicht dass das jetzt eine Heldenfigur wäre für mich, nein, alles andere als das. Aber eben auch nicht so ein aalglatter Typ wie Wulff, dem ich – ich weiß, das ist ungerecht – nicht über den Weg traue, nur seines Aussehens wegen. So sahen halt die Streber in meiner Jugend auch aus, die DSF-Kassierer und Träger des Abzeichens für gutes Wissen in Gold ...
Aber dies nur vorausgeschickt, um meine Unsachlichkeit gleich einzugestehen. Was mich wirklich aufgeregt hat bei dieser Wahl, das ist, wie sich viele Parteigänger der Linken (einer Partei, die ich um ein Haar gewählt hätte neulich, ich Naivling!), gerade hier im Internet aufgeführt haben, wie viel Gift sie über Gauck ausgegossen haben, während man über Wulff sogar ab und an ein „ganz okay“ hören konnte. Ach so? Wieso ist bei es Gauck „stockkonservativ“, wenn er den Kriegseinsatz in Afghanistan vorsichtig mainstream mit dem Hinweis auf die UNO befürwortet, bei Wulff (der nicht anders denkt) aber nicht? Man gucke sich die beiden Kandidaten an, nur die Gesichter: Ich finde, man sieht sofort, welcher von beiden der „Neoliberale“, der „fanatische Antikommunist“ ist, oder? Für wie blöd haltet ihr uns eigentlich, dass wir euch das glauben sollen?! Dass wir glauben sollen, ihr hasst Gauck wegen einer irgendwie exponierten politischen Haltung und nicht, weil bei der Aufdeckung einiger Untaten eurer Kumpel mitgewirkt hat.
Na, und überhaupt das Wort „neoliberal“, das ist völlig zum Denunziantenbegriff verkommen. Früher hieß es bei euch immer „kleinbürgerlich“, wenn man sein Gegenüber niedermachen wollte. Denn man kam aus kleinen Verhältnissen, träumte vom Aufstieg und wollte den anderen dahin zurückstoßen, wo er vielleicht auch herkam. Heute also „neoliberal“. Man ist selber Nutznießer der Verhältnisse, aber sauer darüber, dass einem die alte Seilschaft nur eine kleine GmbH verschaffen konnte, während ein Gerhard Schröder sich bei Gazprom dumm und dämlich verdient. Dann ist der also „neoliberal“ und man findet es total ungerecht, dass man nicht auch so viel verdient. Dann mauschelt man in Hinterzimmern und wütet, weil es nur für eine Anstellung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung reicht, während die drüben über den Seeheimer Kreis noch ganz andere Posten abfassen. Und man findet den ganzen Neoliberalismus eine einzige Ungerechtigkeit. Ja, das stimmt. Aber ich gönn es euch.

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Mittwoch, 2. Juni 2010
Die Wut des Herrn Minkmar
Gestern habe ich mich bei Don Alphonso und Damenwahl an Diskussionen über den Rücktritt von Horst Köhler beteiligt und dabei ist mir eine peinliche Sache passiert: Ich warf dem FAZ-Kommentator Nils Minkmar vor, die alte militaristische Floskel vom „gerechten Krieg“ wieder zu etablieren. Dabei war das Ironie! So weit kann’s gehen mit der Politisierei. Aber warum war mir Minkmars Kommentar so unangenehm, dieser doch engagierte, elegante, selbst beim Griff zur Umgangssprache fast immer treffsichere und inhaltlich fundierte Text? Minkmars Text überzeugt, er ist von einer Wut getragen, die für den Leser klar nachvollziehbar ist. Sie speist sich aus der Enttäuschung über ein Staatsoberhaupt, das „nie durch eigene Ideen aufgefallen war“ und sich darauf beschränkte, Gesetze beamtenhaft auf ihre Verfassungskonformität zu prüfen. Und dann „das berüchtigte Interview“, in dem Köhler „seine Interpretation des gerechten Krieges in globalisierten Zeiten“ dargestellt hat. Das ist doch irgendwie merkwürdig: Der uninspiriert, konventionell, tatenlos gescholtene Köhler tritt als eigenmächtiger Interpret der Regierungspolitik auf und lässt leichtfertig Zweifel an deren Verfassungstreue aufkommen. Schwer glaubhaft. Aber darum geht es dem Autor auch gar nicht. Es geht ihm um die Frechheit, dass Köhler einfach kündigt, während „wir uns selbst beschwören ... die Ansprüche zu senken, sich fit zu halten, mobil zu bleiben ...“. Tun wir das wirklich? Nehmen wir jede Erniedrigung in Kauf, „um durch die Zeiten zu kommen“? Köhler hat getan, was jeder von uns darf. Jeder darf kündigen und niemand darf gezwungen werden, eine Arbeit zu tun, die er nicht aushält. Nicht einmal ein HartzIV-Empfänger. So steht es in der Verfassung, von der hier schon öfter die Rede war. Und wir sollten nicht so tun, als würde sie nicht mehr gelten. Ja, aber, entgegnet nun Herr Minkmar: „Und wie will man beispielsweise in den ostdeutschen Provinzen Kandidaten für die Kommunalwahlen finden“? Tja, das ist eure Sorge in Berlin und bei der FAZ. Ihr bestimmt die Politik. Wir haben das Recht, nicht mitzumachen. Nils Minkmar nennt das „illoyal“. Wieso das? „illoyal, weil er der Bundeskanzlerin, die ihn gefördert ...hat, den Boden unter den Füßen wegzieht.“ Aha. Hatte er nicht anfangs an Köhler kritisiert, dass er brav im Sinne seiner „Gönner“ agiert? Und wenn er das nicht mehr tut, ist es auch wieder verkehrt? Offenbar macht Minkmar gar nicht wütend, dass Köhler vorher so zurückhaltend war. Wirklich wütend macht ihn, dass er nicht mehr im Sinne der Politikmaschinerie funktioniert. Da muss ich schadenfroh lächeln: Denn so gesehen, hat Köhler gerade mit seinem Rücktritt bewiesen, dass er doch ein guter Präsident war. Köhler, der Fahnenflüchtling, das hat Minkmar treffend beobachtet. Köhler, der die Richtlinien der Bundeswehr ausplaudert, möchte man ergänzen. Ingeborg Bachmann wollte einen Orden verleihen „für die Flucht vor den Fahnen, ... für den Verrat unwürdiger Geheimnisse und die Nichtachtung jeglichen Befehls.“ So, und zum Schluss noch die „Verschwörungstheorie“: Könnte es nicht sein, dass man versucht, unsere ganz andere Wut, die Wut über die klammheimliche Umwandlung der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- und Verteidigungsarmee zu einer Berufs- und Interventionsarmee, geschickt auf einen ehemaligen Bundespräsidenten umzulenken, um die wahrhaft dafür Verantwortlichen aus der Schusslinie zu bekommen? Das wäre doch einigen sehr bequem. P.S. Kann mir jemand mal verraten, wie man einen optisch vernünftigen Link setzt?

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Freitag, 26. Februar 2010
Kleine Idiotien des Alltags
Ich habe heute wieder "Orientierungskurs" unterrichtet, die Vorbereitung auf den Politiktest, den kleinen Bruder des berühmten Einbürgerungstests. Was das für ein Blödsinn ist! 30% der Fragen sind völlig irrelevant, weitere 30 % versteht man nur, wenn man eh schon in der deutschen Sprache und Kultur orientiert ist. Zum Thema "Religöse Vielfalt" gibt es z. B. fünf Fragen - eine zur Religionsfreiheit und vier zum Christentum. Ähnlich spießig sind die Fragen zur Politik ("Was bedeutet die Abkürzung CSU in Deutschland?") und auch viele der historischen Fragen: "Wie waren die Besatzungszonen Deutschlands nach 1945 verteilt?"
Es ist mir peinlich vor meinen Schülern, die ja vor wenigen Monaten noch Analphabeten waren - und auch jetzt noch recht holperig lesen. Heute morgen auf dem Fahrrad hab ich mir einen Lesetext mit möglichst vielen der idiotisch schweren Politikwörter ausgedacht, der beginnt so: "Deutschland ist eine Demokratie. Es gibt seinen Bürgern viele Freiheiten. Auch für die Einwohner ohne deutsche Staatsangehörigkeit gelten die demokratischen Regeln. Leider haben diese Regeln meistens komplizierte Namen. Das ist so, weil die Juristen und Beamten eindeutige Begriffe für die Regeln festlegen müssen. Manche Beamte lieben diese Begriffe mehr als die demokratischen Regeln. Deshalb muss jeder Ausländer im Orientierungskurs lernen, was der Unterschied zwischen Bundesversammlung und Bürgerversammlung ist."

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Dienstag, 23. Februar 2010
Mein Beitrag zum Fall Hegemann
Na, da kommt man dieser Tage wohl nicht drumrum, auch einmal über Helene Hegemann zu schreiben. Ich stelle im Folgenden einen Leserbrief an Iris Radisch ein, die doch in der "Zeit" allem Ernstes den Eindruck vermitteln wollte, Helene Hegemann sei eine unabhängige junge Wilde, die vom patriarchalischen Feuilleton gehetzt wird, und sie entstamme einer Kultur, die "so herschaftsfrei, so gestzlos" sei. So naiv kann man doch nicht sein!

Sehr geehrte Frau Radisch,

ich antworte auf Ihren Kommentar „Die Alten Männer und das junge Mädchen“, weil er meines Erachtens zwar in der Sache richtig ist, aber dennoch die völlig falschen Signale aussendet.
Es ist sicher richtig, dass die aktuelle Debatte um Helene Hegemann sexistische Züge trägt und dass die geschmacklosen Angriffe auf ihre Person auch mit ihrem Geschlecht zu tun haben. Dass man (wie vorher bei der Ludhudelei) auch in der notwendig folgenden Niedermachung weniger das Werk als die Person im Blick hat und sich als moralischer Richter über eine Autorenpersönlichkeit aufspielt. So etwas wird in der Tat häufiger und heftiger an Autorinnen als an Autoren praktiziert. Erinnern Sie sich noch an die Debatte um Christa Wolf nach der Wende? Auch da wurde eine Autorin über Gebühr (und aus außerliterarischen Gründen) hochgelobt und, als der Zeitgeist umschlug, umso heftiger als Person niedergemacht, wobei ihr eigentliches Werk immer mehr aus dem Blick geriet. Oder Judith Hermann vor einigen Jahren – erst wie verrückt hochgelobt, und zwar vor allem für ihre Szenenähe, ihren Zigarettenkonsum und den modischen Ton ihrer Erzählungen - aber ihren zweiten, meines Erachtens deutlich besseren Erzählungsband hat man dann schon kaum noch wahrgenommen. Denn verkaufsträchtig war das Phänomen Judith Hermann, nicht ihre Literatur. Handelt es sich dagegen um einen männlichen Autor, dann argumentiert das Marketing mehr mit dem Begriff der literarischen Qualität als mit dem Verweis auf den Autor. Und entsprechend ist Uwe Tellkamp, als er entthront wurde, als Person recht glimpflich davon gekommen.
Aber wenn ein autoritäres Feuilleton Helene Hegemann angreift, dann kann man doch ihrem Buch nicht einfach im Umkehrschluss attestieren, dass es „so herrschaftsfrei, so gesetzlos“ sei. Ein Buch, das nach allen Regeln der Marktgesetze auf jede Ladentheke jeder Buchhandelskette gebracht wurde! Das ist doch einfach nicht glaubhaft. Seit wann bekommt eine junge, wilde Debütantin einen Vertrag mit Ullstein? Und warum unterschreibt sie so einen Vertrag? Aus reiner „Postpostauthentizität“?
Ich habe neulich in einem Kommentar gelesen, dass auf dem deutschen Buchmarkt derzeit mit 5% der Titel 90% des Umsatzes gemacht werden. Da fragt man sich doch, wie eine solche Gleichschaltung möglich ist. Und der Gedanke liegt nahe, dass das Hochloben von Hegemann ebenso zur Marketingstrategie gehört wie das Niedermachen, wenn es mit dem Hochloben aus irgendeinem Grund nicht mehr funktioniert: Hauptsache Aufmerksamkeit. Ich finde, da dürfen Sie als ZEIT-Autorin nicht mitmachen.
Frau Radisch, ich bitte Sie inständig, die in der Tat unappetitlichen, lächerlichen Meta-Debatten des Feuilletons einfach zu ignorieren, und lieber weiter Ihrer Arbeit als Kritikerin nachzugehen: uns Lesern die qualitätvollen Bücher vorzustellen, die von den 5% Blockbustern verdrängt werden und von denen wir ohne Ihre Mithilfe nicht erfahren würden. Helene Hegemann kommt schon ohne Sie klar.

... aus naheliegenden Gründen lege ich den Beitrag unter "Politk" ab ...

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