Samstag, 3. Juli 2010
Kleine Anmerkung zur Bundespräsidentenwahl
Ich hab ja mit Gauck sympathisiert. Nicht dass das jetzt eine Heldenfigur wäre für mich, nein, alles andere als das. Aber eben auch nicht so ein aalglatter Typ wie Wulff, dem ich – ich weiß, das ist ungerecht – nicht über den Weg traue, nur seines Aussehens wegen. So sahen halt die Streber in meiner Jugend auch aus, die DSF-Kassierer und Träger des Abzeichens für gutes Wissen in Gold ...
Aber dies nur vorausgeschickt, um meine Unsachlichkeit gleich einzugestehen. Was mich wirklich aufgeregt hat bei dieser Wahl, das ist, wie sich viele Parteigänger der Linken (einer Partei, die ich um ein Haar gewählt hätte neulich, ich Naivling!), gerade hier im Internet aufgeführt haben, wie viel Gift sie über Gauck ausgegossen haben, während man über Wulff sogar ab und an ein „ganz okay“ hören konnte. Ach so? Wieso ist bei es Gauck „stockkonservativ“, wenn er den Kriegseinsatz in Afghanistan vorsichtig mainstream mit dem Hinweis auf die UNO befürwortet, bei Wulff (der nicht anders denkt) aber nicht? Man gucke sich die beiden Kandidaten an, nur die Gesichter: Ich finde, man sieht sofort, welcher von beiden der „Neoliberale“, der „fanatische Antikommunist“ ist, oder? Für wie blöd haltet ihr uns eigentlich, dass wir euch das glauben sollen?! Dass wir glauben sollen, ihr hasst Gauck wegen einer irgendwie exponierten politischen Haltung und nicht, weil bei der Aufdeckung einiger Untaten eurer Kumpel mitgewirkt hat.
Na, und überhaupt das Wort „neoliberal“, das ist völlig zum Denunziantenbegriff verkommen. Früher hieß es bei euch immer „kleinbürgerlich“, wenn man sein Gegenüber niedermachen wollte. Denn man kam aus kleinen Verhältnissen, träumte vom Aufstieg und wollte den anderen dahin zurückstoßen, wo er vielleicht auch herkam. Heute also „neoliberal“. Man ist selber Nutznießer der Verhältnisse, aber sauer darüber, dass einem die alte Seilschaft nur eine kleine GmbH verschaffen konnte, während ein Gerhard Schröder sich bei Gazprom dumm und dämlich verdient. Dann ist der also „neoliberal“ und man findet es total ungerecht, dass man nicht auch so viel verdient. Dann mauschelt man in Hinterzimmern und wütet, weil es nur für eine Anstellung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung reicht, während die drüben über den Seeheimer Kreis noch ganz andere Posten abfassen. Und man findet den ganzen Neoliberalismus eine einzige Ungerechtigkeit. Ja, das stimmt. Aber ich gönn es euch.

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Das ist ein mutiger Text, der in eine Tageszeitung gehörte. Dass die Linken dem Gauck die Stimmen verweigern, weil sie ihm übelnehmen, dass er die "lieben Genossen Denunzianten und Spitzel" so hart rangenommen hat, ist lächerlich.
In jeder Kita geht es demokratischer zu.
Sagt mal, schämt sich hier noch einer??? Gibts Scham noch?

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Na ja, mutig - ich weiß nicht, ich leb ja tief im Westen, wo die Sonne verstaubt und das Thema "Stasi" kein Thema ist. Im Übrigen muss ich mich in Bezug auf Gauck in zweierlei Hinsicht korrigieren: Erstens ist auch er ziemlich aalglatt, wovon mich der hinkende Bote überzeugen konnte, zweitens ist ihm wohl etwas vorzuwerfen wegen seiner Stasijägerei: Er und seine Behörde haben diese Jagd nicht etwa zu "fanatisch" und hasserfüllt, sondern im Gegenteil bewusst und feige ziemlich lasch und mit Beide-Augen-Zudrücken durchgeführt - siehe meine Ausführungen zu Jürgen Fuchs.

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naja,
das Problem ist aber doch, daß dieser ganze Neoliberalismus tatsächlich grauenhaft ungerecht ist. Weil er ja nun im Zeitalter des Postkapitalismus, wo also eigentlich jeder, der denken kann, gecheckt haben sollte, daß freie Marktwirtschaft kein sich selbst regulierendes System ist, sondern in der Regel nur ihrem eigenen Kollaps entgegensteuert, weil da jeder einfach so egoistisch handeln kann, wie ihm gerade ist. Und das tut dann jeder. Und diese Neoliberalen wollen doch genau das. Wie Schröder. Oder wie Clinton. Und diese ganzen CDUFDP-Masken sowieso. Die verbrämen das dann nur hinter schlechten neumodischen Worthülsen oder eklig christlichem Deckmäntelchen.
Der Saubermann Wulff hat in Niedersachsen doch ganz gut gezeigt, worum es ihm geht, in seiner elitären Schulpolitik zum Beispiel.
Ach. Ein Thema, bei dem man nicht bleiben kann, ohne sofort bei Hölzchen und Stöckchen zu landen.

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Da haben Sie natürlich Recht. Aber manchmal ist man eben schadenfroh. Insbesondere wenn kleine Ganoven rumpelstilzchenmäßig über große Ganoven meckern und dabei über ihre eigenen Beine stolpern. Aber davon abgesehen finde ich eben den ganzen Begriiff "Neoliberalismus" irreführend. Egoismus ist für mich alles andere als liberal, auch von einer freien Marktwirtschaft kann ja im Moment nur sehr begrenzt die Rede sein (und damit meine ich nicht die Begrenzungen durch den deutschen Staat, sofern es diese noch gibt). Deshalb (eh wir wirklich vom Hölzchen zum Stöckchen kommen) nochmal mein Vorschlag: Lasst uns ihre Worte nicht mehr benutzen! Damit fängt der Betrug nämlich schon an.

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Finde ich gut.
Auf Worte und ihren Gebrauch sollte man sowieso viel mehr achten. Gerade solche Modewörter wie "neoliberal" haben auch abgesehen von ihrem ursprünglichen Unsinn ja allein schon durch ihre Abnutzung kaum noch eine wirkliche Bedeutung, sondern man sagt sie so dahin.
Also müßte man unsere aktuelle sogenannte Wirtschaftsform irgendwie "institutionalisierte und internationalisierte Ungerechtigkeit auf hohem Niveau" nennen? Oder was schwebt Ihnen vor?
Denn ein Wort wie "kleinbürgerlich" ist doch genauso ein Etikett wie "neoliberal", das eigentlich keine faßbare Bedeutung mehr hat, außer der des Schimpfwortes.

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"internationalisierte Ungerechtigkeit auf hohem Niveau" finde ich herrlich. Und dass "kleinbürgerlich" ein Etikett, und zwar ein ätzendes ist, ist mir als Kenner des Stalinismus vertraut. Wollte bloß sagen: "neoliberal" ist ähnlich ätzend (und wird von denselben Typen kampagnenweise denunzierend eingesetzt).

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