Mittwoch, 6. Oktober 2021
Was ist links und was tut nur so? (Die Antwort erfolgt anhand einer familiengeschichtlichen Betrachtung)
Noch einmal tief in die Vergangenheit. Von meiner Mutter und ihren Eltern, ihrer Herkunft berichtete ich schon, aber wie war das bei meinem Vater 1945, als die Amerikaner kamen und er seine Spielzeugwehrmachtssoldaten mithilfe geschickter Papierkonstruktionen zu einer Jazzkapelle umbaute?

Nach den Amerikanern kamen die Russen, und vor meinen Großeltern, beides alte SPDler, stand die Frage, wie sie sich unter den neuen Verhältnissen einrichten. Mein Großvater, er hatte irgendwann das verhasste NSDAP-Parteibuch angenommen, um den Beamtenjob behalten zu können, wurde entnazifiziert und konnte unbehelligt in die SED. Meine Großmutter, so berichtet es die Familienüberlieferung, hatte nach dem Schlamassel die Nase voll und nutzte die Vereinigung von SPD und KPD, um jeglichen Parteien den Rücken zu kehren. Eine andere Familienüberlieferung sagt, sie sei zu diesem Schritt von ihrem Mann gedrängt worden, um seiner Karriere nicht im Wege zu stehen, ihn als Unbelastete womöglich beruflich zu überflügeln. Wie dem auch sei, bei meinen Großeltern als echten alten Linken war nach 1945 nichts zu spüren von Aufbruch oder Vorfreude auf ein sozialistisches Experiment in Deutschland.

Ihr halbwüchsiger Sohn, mein Vater, konnte diese depressive Stimmung nicht ertragen: Er trat noch als Teenager in die SED ein, er wollte seinen Eltern beweisen, dass noch Kraft steckt in der sozialistischen Idee. Und tatsächlich machte er schnell Karriere, mit nicht einmal 30 Jahren war er in leitender Position. Meine Großmutter verachtete das. Einmal besuchte sie seinen Betrieb, unterhielt sich aber demonstrativ nur mit der Frau am Empfang und bemängelte, dass es in den Räumen Spinnenweben gäbe.

Nun, wir wissen, wie die Geschichte ausgegangen ist: Es gelang meinem Vater nicht, es seinen Eltern zu beweisen. Das ist tragisch, aber eine Tatsache. Was mich betrifft, ich wusste so vieles davon nicht, den Wolfgang Leonhard habe ich erst nach der Wende gelesen. Jedenfalls macht es mich wütend, wenn sich auch heute noch Leute als "links" bezeichnen, die was vom "sozialistischen Experiment DDR" faseln. Es war keins, auch in seinen Anfängen nicht, es war immer ein von der imperialistischen Großmacht installiertes obrigkeitsstaatliches System.

Und genauso ist es natürlich Quatsch, die Schuld an den diktatorischen Verhältnissen in der DDR dem Sozialismus anzulasten. Der Sozialismus ist eine sehr ehrenwerte Idee, über die der Lauf der Zeit hinweggegangen ist, wie meine Großeltern erfahren mussten. Bewahren wir daraus, was aktuell von Nutzen ist (habe gerade einen sehr interessanten Vortrag über Karl Marx und seine Bedeutung für heute gehört) und überlassen den Schrott der Geschichte!

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 21. August 2021
Oh, jetzt liegt er schon quer, der Becher ...


... das passt gut zur Situation: "Wo habt ihr denn diese hässlichen Kaffeebecher her?" frage ich meine Eltern. Mein Vater: "Ich glaube, das sollen Kakaobecher sein," als wenn das irgendwas entschuldigen würde, "die haben wir irgendwo billig gekriegt, ich glaube, die sind aus Elsterwerda." - "Elsterwerda! So sehen die auch aus." kommentiert meine demente Mutter. Recht hat sie. So ein bisschen Ossi-Bashing tut gut. Auch wenn es nichts hilft.

... link (6 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 29. Juli 2021
Spielfilme gucken für die Bildung?
Ich habe endlich "Gandhi" von Richard Attenborough gesehen. War eine Idee meiner Frau: damit wir mal was zu dritt gucken können. Mein Sohn hatte nämlich ein Buch über Gandhi gelesen, das ihm sehr gefiel. Zwar liest er eigentlich nicht mehr, seit er in die Pubertät gekommen ist, aber vor 2 Jahren hat ihn mein Vater zu seinem Geburtstag in eine gut sortierte Buchhandlung geschleppt und aufgefordert, als Geschenk ein beliebiges Buch auszusuchen. Das tat er, und er las es dann auch, offenbar mit Gewinn. Anregungen nimmt er immer gern auf.

Der Gandhi-Film war dann eher mau, fanden wir alle drei. Schön anzusehen, angenehm, unterhaltsam und zumindest so fesselnd, dass die Überlänge nicht stört, aber nichts, was einen tiefer bewegt, was einem noch länger im Sinn bleibt. Mich persönlich störte vor allem die Sache mit den Moslems und der Entstehung von Pakistan, da blieben mir die Vorgänge doch viel zu sehr im Nebel.

Schade - ich hatte mir sowas wie "Schindlers Liste" erhofft. Der (also jetzt Spielbergs Film) war zwar künstlerisch viel schlechter, aber von atemberaubender historischer Präzision. Eigentlich muss man ihn als Dokumentarfilm gucken, um ihn genießen zu können.

Vielleicht sollte man Sachtexte/Sachfilme doch wieder stärker von fiktionalem Erzählen trennen. Die Illusion, man könnte sich Sachwissen gemütlich über Spielfilme/Romane erschließen, die funktioniert eben doch nicht. Ich lese gerade den neuen Gert-Loschütz-Roman "Besichtigung eines Unglücks", wieder ein sehr waches Buch, was die Beschreibung gesellschaftlicher Umstände betrifft, da kann man durchaus das eine oder andere lernen, aber das nur am Rande, das würde kein ganzes Buch rechtfertigen. Worum es im Kern geht, was einen umtreibt, noch nachdenken lässt, das ist eben etwas, das über einen Sachtext nicht erzählt werden kann. Dafür sind Spielfilme und Romane da.

Und eben das fand ich in "Gandhi" zu schwach ausgeprägt, von "Schindlers Liste" mal ganz zu schweigen.

... link (2 Kommentare)   ... comment


Müsste nicht ...
... nachdem es die digitale Gesichtserkennung gibt, das Vermummungsverbot zumindest überarbeitet, wenn nicht abgeschafft werden?

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 6. Juli 2021
Wahlkampfirrsinn
Vor ein paar Wochen hat ein Tagesschausprecher einen Roman veröffentlicht, in dem er ein düsteres Bild der Zukunft malt. Er warnt vor einer Zeit, in der sich linksgrünes Gedankengut und "Cancelculture" schon so weit verbreitet haben, dass z. B. öffentliche Angestellte sich einer "Peinlichen Befragung" stellen müssen, in der ihre Einstellungen und Kontakte auf rechte Einflüsse geprüft werden und was dergleichen ideologisierte Maßnahmen mehr sind. Als es gar nicht mehr anders geht, greift eine moralisch aufrechte, blonde, christliche Ostdeutsche zur Waffe und schießt auf die grüne Kanzlerkandidatin.

Der CDU-Politiker Hans-Georg Maaßen las den Roman und war entsetzt über das Gedankengut von Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Er forderte öffentlich, die Biografien dieser Journalisten, insbesondere der Tagesschau, auf Verbindungen ins linksextremistische Lager zu überprüfen. Und jetzt regen sich alle über ihn auf. Dabei hat er doch nur in der Aufregung rechts und links verwechselt.

Na ja, das kann jedenfalls noch heiter werden mit diesem Wahlkampf, wenn das so weiter geht.

... link (3 Kommentare)   ... comment


Samstag, 5. Juni 2021
Naive Freude
Es mag ja naiv sein, aber es erfüllt mich mit Freude, dass in Israel so viele verschiedene, ja gegensätzliche Parteien es geschafft haben, eine Koalition gegen den Irrsinn zu bilden. Und dass es niemandem gelungen ist, einen Bürgerkrieg herbeizubomben.

Überhaupt fand ich - als zugegeben weit Außenstehender - die Rede von der Zwei-Staaten-Lösung schon immer befremdlich: Wie sollen denn zwei (noch dazu seit vielen Jahrzehnten verfeindete) Völker auf einem so winzigen Landstrich zwei Staaten bilden? Das wissen wir doch spätestens seit dem Versuch in Bosnien, dass das nicht funktionieren kann. Ich kann mir eine Lösung des Nahostkonflikts nicht anders vorstellen, als dass alle Bewohner des betreffenden Landstrichs als gleichberechtigte Bürger eines gemeinsamen Staates irgendwie miteinander klarkommen.

... link (7 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 23. Mai 2021
Geschlechterverhältnisse im späten 20. Jahrhundert - jetzt das ostdeutsche Beispiel
Das soll jetzt kein Ost-West-Vergleich werden, schon allein, weil das Ost-Beispiel fiktional ist, außerdem aus den 1980er Jahren, also 20 Jahre später. Da hat sich das männliche Dominanzverhalten schon sehr gewandelt, weg vom Familienpatriarchen, hin zum revolutionär-egoistischen Einzelkämpfer, wie er zum Beispiel in Joschka Fischer eine Idealverkörperung fand.

Aber hier gehts ja um den Osten. Also: Ich sah gestern "Was wäre wenn", ein Liebesdrama eines ostdeutschen Schriftstellers, der seinen eigenen Roman verdrehbucht hat - Regie führte der Produzent des ostophilen Christian Petzold. Die Geschichte ist folgende: Christiane Paul (hab sie selten so schön in Szene gesetzt gesehen) spielt eine Ärztin ostdeutschen Ursprungs, ihr neuer (westdeutscher) Liebhaber Ronald Zehrfeld schenkt ihr eine Reise nach Budapest, da er weiß, dass sie romantische Jugenderinnerungen an diese Stadt hat. Dort treffen sie fast sofort auf ihre große Jugendliebe, der sie sofort wieder verfällt, bis sie sich nach mancherlei Hin und Her und aus äußerst interessanten Gründen doch wieder für den aktuellen Freund entscheidet.

Was ist nun so verführerisch an dieser Jugendliebe? Das wird in wenigen Rückblenden weniger erlebbar gemacht als grob skizziert: Der Typ ist von vornherein Opposition (seine Mutter ist eine oppositionelle Malerin, sein Vater nach dem Westen verschwunden), er ist unnahbar, lässt sich von der in ihn vernarrten angepassten EOS-Schülerin zwar gern verführen, weiß sie aber auch auf Abstand zu halten. Er macht sein Ding. Da sie seine Sehnsucht nach Westdeutschland nicht teilt, plant er seine Flucht allein, gelangt mit Hilfe seines westdeutschen Halbbruders auf abenteuerliche Weise über die ungarisch-jugoslawische Grenze in die Freiheit - und verlangt dann von ihr, als sie mit genehmigter Westreise in Westberlin ist, dass sie spontan bleiben soll. Was sie nicht tut.

Kein Wunder, dass er Jahrzehnte später, in der Gegenwartshandlung, mehrere Kinder mit mehreren Frauen, aber keine Partnerin hat. Er ist der Draufgänger, der Einzelkämpfer. Aktuell hat er eine Affäre mit einer ungarischen Künstlerin, die das verhasste Orban-Regime nur zu gern verlassen würde, es hält sie nur ihr bodenständiger jugoslawischer Ehemann, der aus der ungarisch-serbischen Grenzregion stammt und seine Heimat nicht verlassen will.

Hier kommt nun Christiane Pauls aktueller Liebhaber ins Spiel: Er ist lieb und nett und bindungsscheu, hat es bisher in keiner Beziehung länger ausgehalten, ist aber immer offen und neugierig. Als sich herausstellt, dass Christiane Pauls Jugendliebe damals über den Heimatort des Jugoslawen floh, fahren alle zusammen dorthin. Bewegendes Déjàvu: der Grenzzaun. Diesmal ist die ungarische aber die privilegierte Seite - sie können rüber. Während die beiden Frauen das tun, wollen die Männer auf Teufel-komm-raus den Zaun überwinden, um vergangene Heldentaten zu simulieren - und tun das auch. Dadurch wird der weiche Zehrfeld zum harten Mann geadelt und Paul kann beruhigt mit ihm in eine gemeinsame Zukunft absegeln. Happy End.

Ist das nicht interessant? Zehrfeld verkörpert den neuen Mann, den kompromissfähigen, neugierig-netten, offenen Mann. Alles, was ihm fehlt, ist ein bisschen Abenteuergeruch. Aber niemand verlangt von ihm, wirklich welche zu bestehen, seine Existenz aufs Spiel zu setzen - er muss nur einstige Abenteuer anderer simulieren. Mit einem bundesdeutschen Pass in der Tasche illegal über die Grenze nach Serbien - ein wunderbares Bild dafür.

Und im Gegenzug (und darauf wollte ich eigentlich hinaus) darf dann der Egoist von einst (wir erinnern uns: der Mann, der das Land verließ, in dem seine Freundin wohnen bleiben wollte, und der sie dann unter Druck setzte, ihr doch nachzufolgen) als freiheitsliebender Revolutionär stilisiert werden.

Aber vielleicht ist die Welt einfach so: Wir lieben die Revolution, die gern autoritär sein darf, wenn sie nur vergangen oder weit genug weg ist, um uns nicht weh zu tun, denn wir lieben die Sicherheit, können sie aber nur ertragen, wenn wir sie uns ein bisschen gefährlich reden.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Geschlechterverhältnisse im späten 20. Jahrhundert - zuerst das westdeutsche Beispiel
Was mal sich halt so reinzieht, wenn man so ziellos durch die Medien geistert und halt mitnimmt, was einem am Wegrand begegnet ...

Da las ich doch irgendwo, dass es ein Buch der Tochter von Filbinger gibt, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der vor Jahrzehnten über die Todesurteile gestolpert war, die er zu Nazizeiten ausgesprochen hatte. Das fand ich spannend. Denn so aus persönlicher Sicht erklären sich die Dinge ja oft am besten. Zum Fall ihres Vaters selbst brachte das Buch dann relativ wenig für mich Neues, nur, dass er tatsächlich kein überzeugter Nazi gewesen ist, nur ein soldatisch gesinnter rechtskonservativer Katholik. Also ein sogenannter Mitläufer, wobei schon erschreckend ist, wie weit Mitläuferschaft gehen kann: Wenn man gewillt ist, wirklich alles zu geben für eine ungebrochene Karriere, dann kann dies eben auch bedeuten, dass man andere Menschen zu Tode bringt, nur um selbst weiter unbehelligt auf dem Weg nach oben marschieren zu können. Mir unbegreiflich, wie man das mit einem christlichen Glauben vereinbaren kann - ... na ja, da ist er wohl nicht der einzige.

Interessanter war der Handlungsstrang um seine Tochter. Die Autorin, Susanna Filbinger-Riggert, nennt ihr (ehrliches, wenn auch reflexionsfreies) Buch ja auch eine "Vater-Tochter-Biografie". Also: Wie es sich für einen Karrieristen gehört, hatte Filbinger, der aus einfachen Verhältnissen stammt, auch karriereorientiert geheiratet, eine großbürgerliche Schlesierin, die aber durch den Krieg alles verlor. Nach der Hochzeit war es für sie trotz Studium natürlich nichts mit einer irgendwie gearteten eigenen Karriere. Beeindruckt hat mich die Szene, wie sie nach einer sehr schweren Schwangerschaft endlich den "Stammhalter" gebar, dann aber nicht an der pompös inszenierten Taufe teilnehmen durfte, sondern sich nur heimlich kurz im Bademantel reinschmuggelte. So wie es ihre Tochter darstellt, beschäftigte sie sich sich viel mit eingebildeten Krankheiten und damit, die Kinder zu kontrollieren und auszuspionieren, natürlich im Auftrag des Vaters. Dieser war dann der Mann für drakonische Strafen, "er kannte noch den Rohrstock" (ebenso wie der Mathelehrer in der Schule!) und verteilte Kopfnüsse, wenn die Tochter zu lernende geografische Begriffe nicht sofort perfekt runterrasseln konnte. Als sie trotzdem nicht spurte, wurde sie ins Internat geschickt - na, und die erste Liebe wurde selbstverständlich auch vereitelt.

Gut, man kennt solche Familiengeschichten, ich gebe aber zu bedenken: Das war nicht 1910 und unter Kaiser Wilhelm, das war in den 1960er Jahren in einem demokratischen Land (in dem die Prügelstrafe selbstverständlich verboten war)!

Der Vater hatte für die "Vater-Tochter" eine diplomatische Laufbahn vorgesehen, schleppte sie zu allen möglichen offiziellen Anlässen und sogar Auslandsreisen mit, oft als Vertretung der leidenden Ehefrau, sogar später noch, als die über 30-jährige Tochter schon längst eigene berufliche Pläne verfolgte. Denn diese orientierte sich eher an den Werten als an den Vorgaben ihres Vaters: Sie spürte genau, dass dessen Maxime "Tu alles für die Nähe zur Macht!" nicht mehr die feste Beamtenstelle bei Vater Staat, sondern das Mitmischen im internationalen Finanzwesen bedeutet. Zähneknirschend verhandelte der Vater dann mit ihrem Londoner Arbeitgeber und vermittelte ihr später auch die richtigen Kontakte in den USA - und sorgte für den Anwalt im Alimentekrieg mit dem Finanzhai, von dem sie nach einem One-Night-Stand ein Kind erwartete. Erotisch angezogen hatte sie an diesem, das berichtet sie ganz ehrlich, die Illoyalität und Verachtung allem Weiblichen gegenüber bei gleichzeitiger Perfektion im Beruflichen - halt das, was sie beim Vater gelernt hatte.

Kurz: Es ist ein Milieu, in dem Figuren wie Franz-Joseph Strauß und Kardinal Ratzinger die Strippen ziehen und eine seelisch gebrochene Vater-Tochter völlig reflexionsfrei von sich behaupten kann, sie habe sich alles aus eigener Kraft erarbeitet. Eine traurige Lektüre!

... link (1 Kommentar)   ... comment


Samstag, 15. Mai 2021
Cui bono
In der FAZ hab ich heute gelesen, dass bei der Regierungsbildung in Israel die Zustimmung durch arabische Abgeordnete oder gar die Beteiligung einer arabischen Partei in den Bereich des Möglichen tritt. Zum Glück kann sich der Präsident in einem solchen Notfall immer auf die Mithilfe seiner Freunde von der Hamas verlassen. Man hat sich ja schon manches Mal mit gegenseitigem Bomben- und Raketenbeschuss den politischen Erfolg gesichert.

... ach, es ist widerlich, diese Gestalten, die das nackte Überleben ihrer Untertanen so leichtfertig aufs Spiel setzen, nur für ein bisschen Macht.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 6. Mai 2021
Historiker-Demenz, die zweite
Schon wieder eine spannende Aussage meiner Mutter, bei der sich aufgrund von Demenz der geistige Horizont immer weiter einengt, die aber innerhalb dieses eingeschränkten Blickfeldes erstaunlich wach und klar bleibt.

Ich hatte mir einen Artikel aus der FAZ ausgeschnitten, weil ich ihn spannend fand: Eine ukrainische Schriftstellerin erzählt von umgangssprachlichen Begriffen aus dem Wortschatz ihrer Eltern, die sie erst nach ihrer Übersiedlung nach Deutschland und dem Deutschlernen erkannte: Diese deutsch klingenden Vokabeln sind jiddisch und verraten die nach dem 2. Weltkrieg verschwiegene Bedeutung des Judentums in der Gegend, in der sie groß wurde.

Meine Mutter sah den Artikel liegen, las interessiert die Überschrift "Zurik, oder es gibt eine Menge Zores! Wer brachte meinen Eltern dieses seltsame Vokabular bei?" und sagte: "Na sowas! Da wundert sich eine Ukrainerin, woher die deutschen Vokabeln bei ihren Eltern herkommen. Das Kindchen! Na, von den Nazis natürlich. Die haben doch da in der Ukraine ... Das weiß ich von meinem Vater, der war doch bei Dingler in der Personalabteilung und da hat er die Ukrainer zur Arbeit eingeteilt. Ich weiß noch genau: Wenn meine Mutter wieder mit dem Haushalt nicht zurande kam, weil eingekocht werden musste zum Beispiel, da hat er gesagt: Ach, sag doch einfach Bescheid, da schick ich dir mal die Tanja rüber ..."

Ich fand das interessant, weil mein Opa nach meinem bisherigem Kenntnisstand bei Dingler als Werbefachmann gearbeitet und nichts mit Zwangsarbeitern zu tun gehabt hatte. In diesem Zusammenhang ergibt sich sich auch ein ganz neuer Blick auf eine grausige Kindheitserinnerung, die meine Mutter schon öfter erzählt hat: wie sie nämlich zusammen mit ihrer Mutter irgendwas am Bahnhof zu besorgen hatte und wie da ein Güterzug am Gleis stand, aus dem Menschen nach Wasser riefen. Aber wie sie mit zwei Gläsern Wasser hingehen wollten, wurden sie von waffenfuchtelnden Soldaten zurückgetrieben. Und wie mein Opa, als die beiden weinend nach Hause kamen, seiner Frau wütend befahl, doch still zu sein: "Du weißt doch genau, was los ist! Und nur, weil dus einmal mit eigenen Augen siehst, brauchst du doch nicht zu heulen!"

... link (1 Kommentar)   ... comment


Donnerstag, 29. April 2021
Was soll denn das? (Shida Bazyar: Drei Kameradinnen)
Es kommt selten vor, dass ich so schnell bin und mir tatsächlich einen soeben erschienenen Roman kaufe. Aber der Zufall wollte es, dass ich vor ein paar Wochen Bazyars Debüt "Nachts ist es leise in Teheran" gelesen habe, ein wunderbares Buch, und da will man dann das nächste natürlich auch haben. In diesem wunderbaren Buch, der Geschichte einer Flüchtlingsfamilie aus dem Iran in Deutschland aus verschiedenen Perspektiven, da fand ich wiederum ein Kapitel besonders anrührend, das handelt vom Sohn Mo und seinen Erlebnissen in der deutschen Studentenwelt. Das wirkt auf den ersten Blick etwas oberflächlich mit seinem studentischen Plaudertonfall, aber man spürt doch genau die Verlorenheit des jungen Menschen, aber auch seine Wachheit, sein Gespür für das, was in dieser Studentenwelt nicht stimmt. Natürlich funktioniert das nur im Gesamtzusammenhang des Romans, weil man seinen Hintergrund kennt und weiß, warum er verloren wirkt, und auch, woher sein kritischer Geist stammt.

Ich erwähne das, weil der neue Roman in demselben Tonfall gehalten ist, von drei jungen Frauen erzählt, von ihren Gesprächen, ihren Sehnsüchten, ihren Besäufnissen, allerdings bewusst die biografischen Hintergründe der Figuren verschweigt, abgesehen von der Tatsache, dass sie nicht biodeutsch sind. Das ist schon mutig von der Autorin, die Erzählerin da so 300 Seiten lang schwadronieren zu lassen, inklusive Nörgeleien und Flunkereien, Klischees und Vorurteilen, Wut und Aggressionen. Also, ich hätte das Buch bestimmt nach der Hälfte weggelegt, hätte nicht der etwas dick aufgetragene Suspense-Effekt - mehrfach wird angedeutet, dass am Ende die Sache mit dem Brand und mit der Verhaftung aufgeklärt wird - letztendlich doch funktioniert: Ich wollte einfach wissen, wie's ausgeht, und raste weiter durchs Buch, wobei mir das, was unterwegs als Handlung passierte, immer mehr egal wurde.

Und dann, wie gesagt nach 300 Seiten, da sagt die Erzählerin plötzlich: Natürlich alles Quatsch, was ich hier erzähle, aber da seht ihr mal, wie das ist, wenn man so ständig mit Klischees und Vorurteilen bombardiert wird als Nicht-Weiße. Da hat sie sicher Recht. Ich frage mich bloß, welchen Sinn das haben soll, das 1:1 zu spiegeln und damit die Menge der Vorurteile zu verdoppeln. Und vor allem frage ich mich, was die Autorin sich davon verspricht. Denn Leser gewinnt man auf diese Weise nicht - oder schlimmer noch: Man gewinnt nur Leser, die die Wahrheit im Grunde nicht hören wollen, sondern sich lieber an Nörgeleien, Klischees und Vorurteilen ergötzen.

Vor allem aber ärgerte mich eins: In dem Buch gibt es viele kleine Episoden, gut und eindringlich erzählte Episoden, die am konkreten Beispiel erfahrbar machen, wie Diskriminierung funktioniert. Diese Episoden hätten es verdient, zum Leuchten gebracht zu werden, in einem direkten, deutlichen, ehrlichen Buch. So - verwoben in ein Netz aus Banalität und Missgunst - verlieren sie einiges an Glaubhaftigkeit. Und das ist schade.

Vielleicht bin ich auch nur für diese Sorte Humor zu ehrpusselig.

... link (3 Kommentare)   ... comment


Montag, 12. April 2021
Verriss des Verrisses
Das wird ja ein reines Nörgelblog hier, und wenn ich mal was richtig Schönes erlebt habe, dann kommt mir das erst dann zu Bewusstsein, wenn ich mich im Zusammenhang damit über etwas aufregen kann.

Und zwar über Denis Scheck mal wieder. Scheck ist wunderbar, wenn er sich im bildungsbürgerlichen Literatur-Diskurs so richtig wohlfühlen kann. Ich habe ihn vor einem Jahr live erlebt, im Gespräch mit Heinrich Steinfest, da ging es um Grunde um nichts: um Gedankenspielereien, um Verrücktheiten bei Sinneswahrnehmungen, die beiden klugen Männer warfen sich die Bälle zu - es war eine wahre Freude!

Aber schick Denis Scheck mal in ein Gebiet, in dem sich nicht auskennt - das wird nix. Als er den "Turm" des Emporkömmlings Tellkamp rezensieren sollte, der seine Wahrhaftigkeiten zwischen überangepasstem Kitsch, zwischen Über- und Untertreibungen versteckt, da hat sich der Bürger Scheck gar nicht erst auf die Suche begeben, da fand er, dass das "nach Schweiß" stinkt, und wandte sich naserümpfend ab.

Und jetzt lese ich hier, dass er dort behauptet hat, Deniz Ohde könne nicht denken, ihr fehle jede Intellektualität. Tja, was sagt man dazu? Na ja, so denken wie Denis Scheck, das kann sie wahrscheinlich nicht, sie kommt ja auch aus einem ganz anderem Milieu - aber hingucken, vorurteilsfrei und differenziert hingucken, das kann sie, im Gegensatz zu Scheck. Da kann er sich eine Scheibe abschneiden.

Na ja, vielleicht ist es nicht nur das. Vielleicht ist es auch eine bestimmte psychische Disposition. Wie anders wäre es erklärbar, dass ich, der ich keine Türkin bin und auch nicht aus der Unterschicht komme, dass ich "Streulicht", ihren Debütroman, so identifizierend lesen, ja verschlingen konnte, dass ich in jeder Zeile verstanden habe und mich verstanden fühlte, dass ich - so irrational das ist - beim Lesen eine Genugtuung empfand, dass mal eine von uns auf die Bestsellerlisten klettert? Und mich einfach nur freute, freute?

Oder ist es im Grunde viel einfacher und Deniz Ohde kann einfach nur richtig gut schreiben?

... link (1 Kommentar)   ... comment


<