Donnerstag, 29. April 2021
Was soll denn das? (Shida Bazyar: Drei Kameradinnen)
Es kommt selten vor, dass ich so schnell bin und mir tatsächlich einen soeben erschienenen Roman kaufe. Aber der Zufall wollte es, dass ich vor ein paar Wochen Bazyars Debüt "Nachts ist es leise in Teheran" gelesen habe, ein wunderbares Buch, und da will man dann das nächste natürlich auch haben. In diesem wunderbaren Buch, der Geschichte einer Flüchtlingsfamilie aus dem Iran in Deutschland aus verschiedenen Perspektiven, da fand ich wiederum ein Kapitel besonders anrührend, das handelt vom Sohn Mo und seinen Erlebnissen in der deutschen Studentenwelt. Das wirkt auf den ersten Blick etwas oberflächlich mit seinem studentischen Plaudertonfall, aber man spürt doch genau die Verlorenheit des jungen Menschen, aber auch seine Wachheit, sein Gespür für das, was in dieser Studentenwelt nicht stimmt. Natürlich funktioniert das nur im Gesamtzusammenhang des Romans, weil man seinen Hintergrund kennt und weiß, warum er verloren wirkt, und auch, woher sein kritischer Geist stammt.

Ich erwähne das, weil der neue Roman in demselben Tonfall gehalten ist, von drei jungen Frauen erzählt, von ihren Gesprächen, ihren Sehnsüchten, ihren Besäufnissen, allerdings bewusst die biografischen Hintergründe der Figuren verschweigt, abgesehen von der Tatsache, dass sie nicht biodeutsch sind. Das ist schon mutig von der Autorin, die Erzählerin da so 300 Seiten lang schwadronieren zu lassen, inklusive Nörgeleien und Flunkereien, Klischees und Vorurteilen, Wut und Aggressionen. Also, ich hätte das Buch bestimmt nach der Hälfte weggelegt, hätte nicht der etwas dick aufgetragene Suspense-Effekt - mehrfach wird angedeutet, dass am Ende die Sache mit dem Brand und mit der Verhaftung aufgeklärt wird - letztendlich doch funktioniert: Ich wollte einfach wissen, wie's ausgeht, und raste weiter durchs Buch, wobei mir das, was unterwegs als Handlung passierte, immer mehr egal wurde.

Und dann, wie gesagt nach 300 Seiten, da sagt die Erzählerin plötzlich: Natürlich alles Quatsch, was ich hier erzähle, aber da seht ihr mal, wie das ist, wenn man so ständig mit Klischees und Vorurteilen bombardiert wird als Nicht-Weiße. Da hat sie sicher Recht. Ich frage mich bloß, welchen Sinn das haben soll, das 1:1 zu spiegeln und damit die Menge der Vorurteile zu verdoppeln. Und vor allem frage ich mich, was die Autorin sich davon verspricht. Denn Leser gewinnt man auf diese Weise nicht - oder schlimmer noch: Man gewinnt nur Leser, die die Wahrheit im Grunde nicht hören wollen, sondern sich lieber an Nörgeleien, Klischees und Vorurteilen ergötzen.

Vor allem aber ärgerte mich eins: In dem Buch gibt es viele kleine Episoden, gut und eindringlich erzählte Episoden, die am konkreten Beispiel erfahrbar machen, wie Diskriminierung funktioniert. Diese Episoden hätten es verdient, zum Leuchten gebracht zu werden, in einem direkten, deutlichen, ehrlichen Buch. So - verwoben in ein Netz aus Banalität und Missgunst - verlieren sie einiges an Glaubhaftigkeit. Und das ist schade.

Vielleicht bin ich auch nur für diese Sorte Humor zu ehrpusselig.

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Ich wollte einfach wissen, wie's ausgeht, und raste weiter durchs Buch, wobei mir das, was unterwegs als Handlung passierte, immer mehr egal wurde.

Sehr schön beschrieben und ich glaube, so machen es viele Menschen.
Ich habe allerdings noch nie verstanden, was an Spannung positiv ist, eben weil sie einem den Genuss der unterwegs beschriebenen Handlung kaputtmacht.
Wie fünf Chilischoten im Essen, die killen auch jeden anderen Geschmack.

Ich lese deshalb bei Krimis gerne als erstes das Ende, damit ich in Ruhe die Handlung verfolgen kann und sammele grundsätzlich alle Chilischoten aus meinem Essen.

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Manchmal (ist mir bisher aber auch erst 4-5mal passiert, zuletzt bei "Ein schönes Paar" von Loschütz) rase ich das Buch durch, weil es mich so packt, und les es dann gleich nochmal langsam auf Genuss ... aber Sie haben Recht, auch da war der Grund ein Spannungseffekt, der gar nicht sein gemusst hätte - "Dunkle Gesellschaft" von Loschütz, das ich danach las, kam ganz ohne Spannung aus und war letztendlich das noch bessere Buch.

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Nachtrag: Na ja, wenn ich ganz ehrlich bin, war ich schon auf Seite 5 ziemlich skeptisch: Bazyar stellt ihrem Roman einen Zeitungsartikel voran, der fiktiv, also ausgedacht, aber meines Erachtens böswillig ausgedacht ist: Er berichtet von einer Brandkatastrophe in dem typisch betont seriösen Tonfall, wie man ihn vom Deutschlandfunk oder der nzz kennt, strotzt inhaltlich aber von miesesten Vorurteilen gegen Migranten. Was für mich auf die Aussage hinausläuft: Die sind eh alle gleich, die Medien. Also, diese verleumderische Idee von der Gleichschaltung der Medien, die krieg ich schon von rechts ständig zu hören, die brauch nicht auch nochmal von links.

Und dann noch die künstlerisch verfremdete Anspielung auf den NSU-Prozess: Bei Bazyar haben die NSUler explizit Frauen umgebracht. Diese Verfremdung kann ich nur als Verkitschung lesen.

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