Samstag, 7. November 2020
Phantomschmerz
Ich steh heute Morgen auf, taper ich in die Küche und mache das Radio an, um beim Kaffeekochen ein bisschen was Interessantes aus der weiten Welt zu hören. Aber ich hör nur „Pensylvania“ und Auszählung“ und schalte gleich wieder aus. Seit Tagen geht das nun so, einfach grässlich!

Nicht, dass ich nicht auch wissen wollte, wer der nächste US-Präsident wird – aber doch nicht tagelang von morgens bis abends! Nachdem ich seit Monaten genauestens über Kandidatenkür und Vorwahlen informiert wurde. Ist das nicht ein bisschen unverhältnismäßig? Wie das Kaninchen starren sie immer noch auf den Besatzer von vor Jahrzehnten, da sind die Putin-Versteher ja Waisenkinder dagegen.

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Freitag, 6. November 2020
Bonmot des Tages - aus dem Erfahrungshorizont meiner Schüler
Derzeit ist ja Lüften angesagt. Als ich während der Stunde die Fenster zu Vorplatz/Straße aufriss, kam mir entsetzlicher Fäkal-Gestank entgegen. Spontan rief ich: "Von wo stinkts denn hier so?" Ebenso spontane Antwort eines Schülers: "Wahrscheinlich kiffen die wieder."

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Samstag, 31. Oktober 2020
Fliegen heißt Landen
So heißt es bei den Piloten, wenn sie über die Fähigkeit reden, ein Flugzeug sicher zu führen. Das hab ich jedenfalls mal gehört. Auf jeden Fall aber trifft das auch auf Menschen zu, denen es vergönnt ist, ihr Leben einigermaßen regulär zuendezuführen.

Meine neunzigjährige, inzwischen demente Schwiegermutter, die ich sehr mag und die das mit dem Lebensende bisher recht gut hinbekommen hat, ist jetzt ins Krankenhaus gekommen, da sie nicht mehr aus dem Bett kam und auch fast nichts mehr aß. Und dort, im Krankenhaus, hat man dann festgestellt, dass das natürlich eine romantische Illusion war, unsere Beobachtung ihres langsamen, wohlgeordneten Dahinschwindens, das keine Medikamente und keinen Arzt benötigt, sondern dass da schon konkrete Krankheiten vorhanden sind, die man auch behandeln muss (auch wenn diese nicht die Ursache des Dahinschwindens sind, sondern dieses nur begleiten). Jetzt herrscht bei den Kindern natürlich Angst: das Schreckbild eines Sterbens im Krankenhaus, denn es ist sehr die Frage, ob ihr geschwächter Körper mit den aktuellen Herausforderungen klarkommt.

Anderseits, das sage ich mir als erst in zweiter Linie beteiligter Angehöriger: Es gehört zum Lebensende, dass der Raum, das Lebensumfeld, in dem man sich bewegt, immer kleiner wird. Und sie hat ja in den letzten Monaten auch ihre kleine Wohnung nicht mehr aktiv bespielen können. Wenn man krank im Bett liegt, ist ein Tod im unter ärztlicher Aufsicht im sauberen Krankenhausbett vielleicht wirklich angemessener als alleine in der Wohnung. Zumal die Angehörigen da wie dort nicht per se da sind, sondern zu Besuch kommen müssen.

Und wieder andererseits: Vielleicht kommt sie ja doch wieder auf die Beine und kann noch für eine (vielleicht sogar längere) Zeit mit ihrer Katze in ihrer Wohnung umhergehen. Denn das wissen wir alle aus eigener Erfahrung: dass jeder Tag, den wir auf dieser Erde leben dürfen, eine Kostbarkeit ist.

Oder mit anderen Worten gesagt, nämlich denen von Arno Geigers ebenfalls dementen Vater (in dessen wunderbarem Buch „Der alte König in seinem Exil“): Auf die Ansage eines Heim-Mitbewohners, dass oben bei Gott noch Wohnungen frei wären, meinte der: „Nein, ich möchte noch ein bisschen hier die Straße auf und ab wandern.“ Ja, das wollen wir doch alle. Und das Flugzeug dennoch irgendwie ohne Bruchlandung auf die Erde zu bringen, das ist gar nicht so einfach.

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Dienstag, 27. Oktober 2020
Auch ich trauere
Wer mir fehlen wird, das ist mark793. In seinem letzten Beitrag spottete er noch über die weißen, alten Männer wie ihn, auf wie schmalen Reifen sie dahin rollen. Und ein paar Tage später war er tot. Ich hatte wirklich Tränen in den Augen, als ich die Nachricht seiner Frau las. Ich hatte nämlich Minuten vorher am Küchentisch meiner Frau erzählt von den nachrufartigen Kommentaren unter seinem Alte-Männer-Post, die mich ängstigten. Das sagte sie: „Du stehst jetzt auf, machst den Computer an und fragst nach!“ Das machte ich und das las ichs.

Ich frage mich auch manchmal, was wohl aus den anderen „alten Männern“ geworden ist, die – wohl aus Altersgründen? - eines Tages kommentarlos aufgehört haben, aus Stubenzweig und dem hinkenden Boten. Wie es denen wohl geht und ob die noch leben.

Aber mit mark, das war nochmal anders. Erstens mal war er ja noch gar nicht so alt, sondern erst so wie ich. So dass schon von daher, auch was die Familiensituation betrifft, eine Nähe da war, ich ihn immer instinktiv sofort verstand und nachfühlen konnte, auch wenn er oft anderer Meinung war. Und dann natürlich seine Bedeutung für blogger.de insgesamt! Da fragt man sich, wie das ohne ohne ihn einigermaßen sinnvoll weitergehen soll in den Kommentarspalten. Ich wüsste keinen, der die Kompetenz und das Engagement hätte, so wie mark793 für Niveau und Bodenhaftung zu sorgen.

Wie gesagt: Er wird fehlen!

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Donnerstag, 10. September 2020
Oberflächliche Gedanken
Als ich gestern im Radio hörte, dass die Zahl der ungewollt kinderlosen Paare deutlich angestiegen ist, dachte ich zuerst: Ah, es muss doch einen Gott geben – jemand, der erkennt, dass unser Lebensstil nicht gesund ist, und mal eine kleine Bremse einbaut. Dabei ist das Quatsch, denn dieser Lebensstil, der dazu führt, dass hier zu wenige Kinder geboren werden, der führt ja auch dazu, dass anderswo viel zu viele geboren werden. In der Summe gibt es keine Bremse für den Wahnsinn. Auch wenn das brennende Moria weit weg scheint und Timbuktu, das versandet und verislamistet, noch weiter - insgesamt ist es unser Planet. Und bis Gott die Notbremse zieht, da muss noch mehr passieren.

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Sonntag, 9. August 2020
Arnold Vaatz: Die DDR-Keule schlägt zurück
Sie haben sicher davon gelesen: Arnold Vaatz aus dem Vorstand der CDU hat sich jetzt bei „Tichys Einblick“ darüber beschwert, dass viel zu häufig die Nazikeule geschwungen wird, wenn man den lästigen Lärm skurriler Protestler nicht mehr ignorieren kann. Das mag was dran sein.

Das Schwingen der DDR-Keule in allen möglichen oder unmöglichen Situationen scheint er dagegen gut zu finden – zumindest glaubt er im Verhalten der Polizei bei der Corona-Demo in Berlin ein typisches DDR-Polizei-Verhalten erkannt zu haben. Da staunt man, wie sehr sich bei einem, der es besser wissen müsste, doch die Erinnerung verzerrt.

Das heißt, vielleicht ist es ja gar nicht die Erinnerung, die bei Vaatz verzerrt ist, sondern die aktuelle Wahrnehmung. Bei der berühmt-berüchtigten Chemnitzer Demo 2018 konnte Vaatz jedenfalls überhaupt nur einen Menschen erkennen, der den Hitlergruß gezeigt hat, und der, so verrät er uns, sei ein linker Provokateur gewesen.

Also, dazu fällt mir nichts mehr ein, als nun meinerseits mit der DDR-Keule zu kommen: Denn das kenne ich aus dem Neuen Deutschland von einst noch sehr gut: Wenn die Tatsachen nicht mehr zu leugnen waren, dann mussten es immer geheime Kräfte des politischen Gegners gewesen sein, die das organisiert und und finanziert haben, um die schöne Inszenierung zu verunglimpfen.

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Montag, 3. August 2020
Augenblicksemotion
Eben beim Kochen nebenher Deutschlandfunk: Gespräch mit einem Fotografen, Jahrgang 1977: Der hat in den USA gelebt und sich für "Pop" interessiert, was bedeutet, Portraits von Popmusikern mit Zitaten von diedrich Diederischen oder Heinz Bude zu kombinieren, er hat die einstigen Machtzentren in Bonn fotografiert, erstaunt über und fasziniert von dem verblüffend Kleinstädtischen dieser Macht, von einer Zeit, in der er lieber gelebt hätte.

Mir fremd mir das alles ist: die USA, Bude und Diederichsen, das alte Bonn! Ich bin so froh und dankbar, in der "Berliner Republik" zu leben, die von so vielen Wessis und Ossis emotional (aus unterschiedlichen Perspektiven) abgelehnt wird. Bin ich schon wieder in der Minderheit?

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Dienstag, 16. Juni 2020
Das Recht auf Privatheit
Ich habe gestern Abend spontan einen Text in mein Blog getippt, der mir, obwohl ich völlig nüchtern war, dennoch zu privat geriet, sodass ich ihn heute Morgen wieder löschen musste.

Das ließ mich mal wieder über das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem nachdenken, dessen Schieflage unsere Gesellschaft ja seit Kafka ("Amtsentscheidungen sind scheu wie junge Mädchen.") zunehmend beschäftigt. Und prompt kam heute Morgen im Deutschlandfunk eine passende Meldung: Da will jemand juristisch erstreiten, dass seine persönlich empfundene Geschlechtsidentität auch genau so in den Pass eingetragen wird, auch wenn die von der Öffentlichkeit beauftragten Experten (Ärzte) das anders sehen. Was für ein Quatsch!

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es muss ein selbstverständliches Recht sein, eine andere Geschlechtsidentität zu leben, als im Pass steht. Und jeder hat das im alltäglichen Umgang anzuerkennen.

In meinem langjährigen LieblingsfilmCalendar“ gibt es diesen schönen Dialog:
Er: "Was heißt das, du betrachtest dich als Ägypterin?"
Sie: "Einer meiner Großväter war Ägypter. Und vielleicht fahre ich da mal hin."
Er: "Ja, jetzt, wo du es sagst: Die Art, wie du gehst, dein Gang, das ist irgendwie - ägyptisch."
So soll es sein.

Stellen Sie sich doch einfach mal vor (um nun wieder privat zu werden), in meinem Ausweis wäre die Anmerkung "Angsterkrankung" eingetragen und ich hätte als Nachteilsausgleich die behördliche Berechtigung, 5-6 Tage im Jahr spontan blau zu machen, weil ich nicht aus dem Bett komme. Das wär doch mehr peinlich, als es mir helfen würde.

Außerdem meinte mein Therapeut, die Angsterkrankung wäre überstanden und auskuriert. Mag sein. Aber es hilft mir, mich weiter ein bisschen behindert zu fühlen und ab und an mal in mich hineinzuweinen. Was geht das die Öfentlichkeit an?

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Freitag, 12. Juni 2020
Speichel trinken?
Kurz vor dem Zensurenschluss ist für mich als Lehrer natürlich zeitlich alles sehr eng und wenig Zeit zum Bloggen, stattdessen viel zu korrigieren – und coronabedingt liegt mir diesmal besonders viel digital vor. Daher kann ich Ihnen heute anstatt tiefsinniger Gedanken zwei besonders schöne Zitate aus dem thematisch weit gefächerten Schatz der in meinem Unterricht entstandenen Texte präsentieren.

Erstens die Interpretation einer Szene aus dem Roman „Herr Lehmann“ (Sven Regener, der sich in einem Interview mal missmutig über die Aussicht geäußert hat, seine Romane könnten zum Opfer schulischer Interpretationsübungen werden, hätte an diesem Versuch hier vermutlich dennoch seine Freude):


Zweitens ein Ausschnitt aus der Zusammenfassung einer Diskussion im Politikunterricht:


Wie wahr.

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Dienstag, 12. Mai 2020
Was mir angesichts der Schlagzeilen so einfällt ...
... einerseits gibts da allerorten die Rede von der "Vernichtung der Existenzen". Aber in der Regel leben diese Existenzen hinterher in der Form einfacher Menschen weiter: für ein Individuum ein nicht zu verachtender Vorteil.

Ich will damit nicht die Dramatik der Situation beschönigen, ich erinnere mich sehr wohl an Zeiten, in denen ich unter drückender Geldnot ziemlich gelitten habe. Da war meine Lebensfreude schon sehr stark eingeschränkt, und manchmal dachte ich mit Blick auf die Bäume, die Wolken, die Welt: "Wie schön könnte das sein, wenn nicht ..." Oder ich traf auf Menschen, mit denen es schön war, da dachte ich noch nichtmal das, sondern genoss es einfach. Die Existenz - das ist etwas weitaus Beglückenderes, Wertvolleres und auch Stärkeres als die berufliche Existenz.

Na, und dann die Angst vor den Fake News. Ja, das ist schlimm, aber auch nicht von historisch einmaliger Bedrohlichkeit. Ich erinnere mich, im Studium gehört zu haben, dass ca. die Hälfte aller mittelalterlichen Urkunden gefälscht ist. Und trotzdem gab es eine funktionierende Gesellschaft, gab es das Vertrauen, das verbindliche Beziehungen möglich machte. Die Leute wussten sich schon zu orientieren, sie hatten dazu die Instanz Gott. Nun wissen wir als Kinder des aufgeklärten Zeitalters, dass auch Gott eine ziemlich unzuverlässige Instanz ist. Aber irgendsowetwas in der Art bräuchten wir, damit unser Verstand nicht in der Flut von Informationen, Halb- und Fehlinformationen und falschen Fährten untergeht.

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