Dienstag, 16. Juni 2020
Das Recht auf Privatheit
Ich habe gestern Abend spontan einen Text in mein Blog getippt, der mir, obwohl ich völlig nüchtern war, dennoch zu privat geriet, sodass ich ihn heute Morgen wieder löschen musste.

Das ließ mich mal wieder über das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem nachdenken, dessen Schieflage unsere Gesellschaft ja seit Kafka ("Amtsentscheidungen sind scheu wie junge Mädchen.") zunehmend beschäftigt. Und prompt kam heute Morgen im Deutschlandfunk eine passende Meldung: Da will jemand juristisch erstreiten, dass seine persönlich empfundene Geschlechtsidentität auch genau so in den Pass eingetragen wird, auch wenn die von der Öffentlichkeit beauftragten Experten (Ärzte) das anders sehen. Was für ein Quatsch!

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es muss ein selbstverständliches Recht sein, eine andere Geschlechtsidentität zu leben, als im Pass steht. Und jeder hat das im alltäglichen Umgang anzuerkennen.

In meinem langjährigen LieblingsfilmCalendar“ gibt es diesen schönen Dialog:
Er: "Was heißt das, du betrachtest dich als Ägypterin?"
Sie: "Einer meiner Großväter war Ägypter. Und vielleicht fahre ich da mal hin."
Er: "Ja, jetzt, wo du es sagst: Die Art, wie du gehst, dein Gang, das ist irgendwie - ägyptisch."
So soll es sein.

Stellen Sie sich doch einfach mal vor (um nun wieder privat zu werden), in meinem Ausweis wäre die Anmerkung "Angsterkrankung" eingetragen und ich hätte als Nachteilsausgleich die behördliche Berechtigung, 5-6 Tage im Jahr spontan blau zu machen, weil ich nicht aus dem Bett komme. Das wär doch mehr peinlich, als es mir helfen würde.

Außerdem meinte mein Therapeut, die Angsterkrankung wäre überstanden und auskuriert. Mag sein. Aber es hilft mir, mich weiter ein bisschen behindert zu fühlen und ab und an mal in mich hineinzuweinen. Was geht das die Öfentlichkeit an?

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Ich sehe das exakt so wie Sie, ich kann auch nicht begreifen, warum es irgendeine Art von Bedeutung hat, was in irgendwelchen Papieren steht. Das ist für mich im Zweifel nur eine Maske nach außen und hat nichts mit mir selber zu tun. Außer es ist ein willkommener Vorwand, um einfach mal eine Runde fröhliche Renitenz auszuleben, dann ist das natürlich was anderes. So habe ich zB darauf bestanden, meine Bestellungsurkunde in der "Basisform" der Berufsbezeichnung zu erhalten, also in der männlichen Form, ohne "in" hinten dran, weil ich der Meinung bin, ich kann beruflich alles, was ein Mann kann - und was eine Frau kann, kann ich zusätzlich auch noch, muss das aber nicht als erste Qualifikation nach vorne schieben.

Von "privat" halte ich außerdem auch eine Menge und kann schon aus diesem Grund nicht verstehen, warum Leute mit ihrem Privatleben teilweise so lautstark öffentlich wahrgenommen werden wollen. Ich bin ein großer Fan von "unbedeutend" und fühle mich in der zweiten Reihe tausendmal wohler als in der ersten. Je weniger ich auffalle, umso besser kann ich machen, was ich will. Ich verstecke mich deshalb auch sehr gerne und sehr bewusst hinter anderen, im unscharfen Hintergrund lebt es sich entschieden freier und zwangloser, was ich sehr mag.
Echte Vorteile habe ich auch immer dann, wenn ich unterschätzt werde, das liebe ich sehr. Das klappt aber nur, wenn man sich nicht vordrängelt und alles auf sich persönlich zugeschnitten haben will.

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Da sind wir uns ja völlig einig. Insbesondere dass die gesellschaftliche öffentliche Zuschreibung zwar einerseits ihren Sinn hat (irgendwie müssen die ja sortieren, als Staat), anderseits nie die Fülle einer individuellen Person erfasst (und auch nicht erfassen darf, das wäre ja ein Horror). Insofern ist auch "Kein Mensch ist illegal." ein ziemlich fragwürdiger Slogan (weil ja Illegalität nur eine aktuelle ausländerrechtliche Zuschreibung ist, die einerseits völlig normal ist, anderseits natürlich nicht den Wesenskern eines Menschen erfasst). Besser wäre: "Kein Menschenrecht, das nicht auch für Illegale gilt." Klingt aber nicht so schön.
Überhaupt sind mir die gleich zur Klage Greifenden oft ein bisschen suspekt. Ich hörte vor ein paar Jahren von einem Theologieprofessor (natürlich Beamter), der aufgrund seiner theologischen Studien festgestellt hatte, dass er nicht mehr an Gott glauben kann - und dies auch lautstark verkündete - und dann klagte er gegen seine Uni, weil die ihn nur noch "Geschichte des Glaubens" und keine Inhalte der Glaubenslehre mehr unterrichten ließ. So frech sind manche Leute.

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