Dienstag, 12. November 2019
Noch ein kleines Erinnerungsstück, Teil 1
Na, da mach ich doch gleich noch eine Serie. Ich hab nämlich neulich im Elternhaus ein Heft wiedergefunden, dass ich vor Jahrzehnten meiner Großmutter zum 80. Geburtstag geschenkt habe. Verfasst auf Anregung und gemeinsam mit meinem Vater. Fotocollagen hat er gern gebastelt mit uns.

(Und verzeihen Sie die Qualität - hab ich nur schnell mit dem Handy abfotografiert. Aber wie Sie sehen, galt auch damals 1974: Spontanität und Kreativität gehen vor Sorgfalt.)

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Sonntag, 10. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 6
Es war sein gehasster Bruder, ein Banker, der ihn rettete, den Rausschmiss aus der Wohnung verhinderte, für die mehrere Monate Miete ausstanden, überhaupt per Vollmacht das Finanzielle regelte - wozu L. nicht mehr in der Lage war. Nur mit dem Hartz-IV-Antrag, das musste L. irgendwie selbst hinkriegen, und das schaffte er auch, allerdings brauchte er ein halbes Jahr dafür. Jetzt stabilisiert sich die Lage langsam. Dennoch bin ich nach wie vor entsetzt, wie ein intelligenter, aktiver Mensch zu einem ein solchen hilflosen Nervenbündel werden kann.

Welche Rolle ich dabei spiele? Fragen Sie mich nicht! Ein aktiver Helfer in der Not, das bin ich nicht. Immerhin hab ich mich weiter mit ihm getroffen, als andere sich abwandten, hab ihm auch einen betragsfreien Versicherungsvertrag unterschrieben, damit er auf seine Akquisezahlen kommt, aber ansonsten hab ich einfach zugeguckt, zunehmend kopfschüttelnd, und tue es noch.

Aber irgendwie ist es zwischen Lachen und Weinen. Oder wie würden Sie das empfinden, wenn Ihnen ein erwachsener Mann von Mitte 50 beim Bier gut gelangt folgende Geschichte erzählt:

„Ich war so glücklich, als ich aus der Arbeitslosen-Beratung kam – das ist ja alles gar nicht so aussichtslos – und im Überschwang, da muss ich wohl vor der Tür irgendwo das Portemonnaie abgelegt haben beim Fahrradabschließen. Stell dir das mal vor: mit den hundert Euro, die mir mein Bruder zugesteckt hat! Ich hab gleich meine Mutter angerufen, dass sie mir was borgt – für ein Niedersachsenticket zu ihrem Altersheim reichte mein Geld noch. Aber nicht mehr für Zigaretten. Ich bin dann leider in den falschen Zug gestiegen. Zum Glück gilt das Niedersachsenticket ja überall. Ich musste in X. gar nicht lange warten auf den Zug zurück. Ich hab da einfach einen Bahnmitarbeiter um eine Zigarette angeschnorrt, das war richtig gut, der kam aus Ungarn und war ganz erstaunt, wie gut ich Bescheid weiß über die politischen Verhältnisse in Ungarn. Na ja, ich bin dann im Zug eingeschlafen, bin grade aufgewacht, als der Zug den Bahnhof verließ, wo ich aussteigen musste, und musste also von Y. aus zurückfahren. Ich hab mir noch von jemandem ein Handy erbeten und in dem Laden angerufen, in dem meine Mutter immer ihre Süßigkeiten kauft, dass sie ihr Bescheid sagen, dass ich später komme. Und das hat geklappt! Als ich ankam, saß meine Mutter gut gelaunt in ihrem Café und gab mir das Geld. Aber jetzt ist natürlich wieder Schluss, denn ich hab ja auch den Ausweis und die Bankkarte verloren. Kannst du mir was leihen? … Nein, bei der Polizei hab ich das noch nicht gemeldet, ich bin da in eine Polizeiwache rein, aber der Beamte war so frech, weißt du: so ein Schnauzbärtiger – einfach ätzend. Ich bin gleich wieder raus. Außerdem wurde der Ausweis ja nicht gestohlen – ich hab ihn einfach verloren.“

ENDE

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Samstag, 9. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 5
L.s Problem war sein früh verstorbener Vater, den er hasste und dem er in seinem Hass auf Innigste verbunden blieb: ein Nazi aus den deutschen Ostgebieten, dem nach Krieg und Flucht eine zweite Karriere als Geschäftsmann gelang. L. als sein Sohn versuchte zu entkommen, indem er sich politisch nach links wandte, und rutschte in das Dilemma, das alle abtrünnigen Kinder haben: Ihm fehlte ein Maßstab für die täglichen, unbewussten Lebensentscheidungen.

In seiner ersten Ehe, da hatte er ja zumindest in einem Teilbereich einen Kompromiss gefunden: Er gründete mit Frau und Weggefährten eine Baugemeinschaft in heruntergekommenem Innenstadtgebiet, auf dem Bauwagenleute hausten und das der Gentrifizierung harrte – für L. die ideale Verbindung von linkem Gemeinschaftssinn und der „Geld-statt-Moral“-Mentalität der Vaterwelt. Anders als sein Vater hielt er es dann aber in der unter solchem Motto stehenden Ehe nicht aus und ging.

Jahre später, als ich ihn kennenlernte, versuchte er einen neuen, weniger konventionellen Start mit Freundin und (einem weiteren) Kind: Aber auch da, als zwischen den Verantwortlichkeiten jonglierender Patchwork-Papa und (beruflich) als Sozialarbeiter in den äußersten Niederungen der Gesellschaft (da also, wo er als Linker eigentlich richtig war), hielt er es wieder nicht aus. Wie schon erwähnt, verweigerte er die Verbürgerlichung seiner zweiten Beziehung per Hochzeit, und dem Kompromissvorschlag „Schrebergarten statt gemeinsamer Wohnung“ konnte die Freundin und Mutter seines jüngsten Sohnes auch nichts abgewinnen. Sie trennten sich und auch bei der Firma kündigte er.

Beruflich schien es dennoch für einen Moment noch einmal aufwärts zu gehen: Er fand bald einen gut bezahlten Job bei einer Firma, die nach amerikanischem Vorbild und in amerikanischem Stil Wohlfahrt auf Spendenbasis zu organisieren wollte. Eigentlich genau das Richtige für ihn: linkes Gutmenschentum, gepaart mit neoliberaler Kommerzorientierung. Nur ging es L. da binnen kurzem wie mit seinem Vater: Das Kommerzielle und Autoritäre, das ihn an der Firma faszinierte und überzeugte, das entfachte auch seinen Hass: Er überwarf sich mit der strengen Chefin und wurde noch in der Probezeit gefeuert.

Danach nur noch Niedergang, den er, wie es heute so üblich ist, als Freiberuflichkeit kaschierte. Man traf ihn ständig auf dem Fahrrad unterwegs zu irgendeinem Sportklub, im Gespräch kündigte er immer großsprecherischer künftige Projekte an, aus denen nie etwas wurde.

Endlich, vielleicht als letzter, verzweifelter Ausweg, die Wende um 180 Grad: Er wurde im fortgeschrittenen Alter Außendienstler bei einer Versicherung. Brauchte einen Anzug, ein Auto, ein Diensthandy. Musste sich einarbeiten in Computerprogramme. Die übersprudelnde Energie, die in den Niedergangszeiten in Phantastereien verpufft war, nun endlich gebündelt in die neue Aufgabe. Dass diese finanziell hochriskant war (die Versicherung geizte nicht mit Vorschüssen), schien ihn zusätzlich zu motivieren. Mit der konkreten Arbeit in einem Versicherungsbüro begannen aber wieder die Geschichten über asoziale Kollegen und Konkurrenten und L. wollte schon wieder alles reformieren. Es endete mit Schulden, mit Mittelchen gegen die Schlaflosigkeit, die er wild kombinierte, bis er körperlich zusammenbrach.

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Freitag, 8. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 4
Nummer 2: L.: Ich kenne ihn über die Kinder. Sein Sohn (sein letzter Sohn) ist nahezu gleichaltrig mit meinem (einzigen). Die Mutter lernten wir auf dem Spielplatz kennen, auf den ersten Blick so eine typische Wessi: freundlich, psychologisch wach, allerdings mit einem befremdlich buddhistischen Einschlag und überhaupt ein bisschen zu sehr labile Helicoptermutter. Ich war gespannt auf den Vater – und positiv überrascht, als ich ihn traf: weltoffen, intelligent und redegewandt, fähig zu Selbstkritik. Und interessiert auch an größeren Zusammenhängen, insbesondere politischer Art.

Es entwickelte sich eine merkwürdige Beziehung zwischen uns: Wir trafen uns, um abzulästern. Und das machte Spaß. Wir fühlten uns beide unterbezahlt (beide arbeiten wir überqualifiziert in schlecht bezahlten Jobs im sozialen Bereich), aber das war nicht der Punkt. Das Schöne war einfach, dass ich mit ihm einen Menschen hatte, mit dem ich geistig abfliegen konnte und diskutieren über allgemein politische Gebiete, die für keinen von uns relevant waren. Und wenn, dann nur in dem Sinne, dass wir ablästern konnten über Machthaber und Vorgesetzte sowie die Welt im Allgemeinen.

Natürlich blieb mir nicht verborgen, dass sich L. irgendwie immer weiter reinritt in die Sch… (während ich begann, aus ihr herauszukrabbeln). Einerseits, was die Beziehung betraf: Als wir die beiden kennenlernten, zogen sie gerade in eine gemeinsame, große Wohnung, teuer zwar, aber bezahlbar, sogar mit zwei kleinen Zimmerchen für seine Kinder aus erster Ehe, mich beeindruckte die Art, mit der stolz sein Patchwork-Modell lebte. Doch dann gelüstete es seine Partnerin auf etwas mehr als Patchwork, sie wollte geheiratet werden, so wie die andere vor ihr auch. Darauf konnte sich L. nicht einlassen, er reagierte mit panischer Suche nach sich selbst: schmiss den Job, suchte sich eine eigene Wohnung, kündigte endlich die Beziehung. In der Reihenfolge. Nur als Vater blieb er einigermaßen in der Rolle und in der Verantwortung.

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Donnerstag, 7. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 3
Seit diesem Zeitpunkt, T. kam immer noch am Freitagabend mit den aktuellen Filmen für meinen Beamer, oft mit einer familienfreundlichen Alternative, damit meine Frau mitgucken kann, und für damals jr. schnitt er sogar eine kindertaugliche Star-Wars-Zusammenfassung, seit diesem Zeitpunkt guckte nur noch ich mit ihm allein, und es war auch von meiner Seite mehr ein Liebesdienst, kein wirkliches Vergnügen mehr, denn das Jammern und Wehklagen wurde mehr und mehr zu seinem Mono-Thema. Sicher gings ihm schlecht, der tagelang allein in seiner Wohnung saß, die Fenster fest geschlossen (gegen die in der Tat geräusch- und abgasseitig ätzende Straße), und seinen Ängsten beim Wachsen zusah.

Aber er tat nichts dagegen, schlug wohlmeinende Ratschläge aus (Mach eine Psychotherapie! Geh mit der Gitarre zu den Jam-Sessions von Kumpel Y.! Hilf mit bei der Kleiderkammer für Flüchtlinge!) und unternahm nur Kontraproduktives: Statt zum Therapeuten ging er zum Heiler (bezahlen mussten das seine Eltern), der ihm immerhin eine Beschäftigung anbot, indem er ab jetzt aufwändig ayurvedische Essensvorschriften einhielt. Ansonsten brachte es nichts. Immer, wenn er kurz davor war, bei der Jam-Session mitzumachen, spielte wieder sein Daumen verrückt, und bei der Kleiderkammer passten ihm die Öffnungszeiten nicht. Noch wütender als mein Satz über die Katze machte ihn die Aussage des Amtsarztes, er sei 4 Stunden pro Tag arbeitsfähig. (Die Behörden machten sich aber letztendlich nicht den Stress, sondern verrenteten ihn und waren ihn los.)

Irgendwann sagte meine Frau, dass auch die dem Videoabend vorgeschalteten Abendbrote unzumutbar würden, auch für damals jr., jedenfalls wöchentlich sei das wohl nicht die richtige Inspiration. Ich bot T. an, statt der wöchentlichen Familienabendbrote mit anschließendem Video-Abend vielleicht öfter Abende zu zweit bei ihm mit einzuschalten. Für T. aber bedeutete jede Herunterdosierung des Beruhigungsmittels „Familienabendbrot bei damals&Co.“ einen weiteren Kontrollverlust und das löste Panik aus. Er reagierte erbost, nein, er brach den Kontakt ab, nach 20 Jahren, nein, er setzte mir die Pistole auf die Brust: entweder Freitage wie immer oder gar keinen Kontakt mehr. Das wiederum machte mich bockig und nach mehreren gescheiterten Ausspracheversuchen am Telefon nahm er nicht mehr ab, wenn ich anrief. Irgendwann hab ich das auch akzeptiert.

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Kurze Unterbrechung
Ich darf meine kleine Serie mal kurz unterbrechen, um was Positives zu sagen. In der Deutschlandfunkpresseschau heute morgen verglich irgendeine Zeitung den deutschen Staat mit einem Schiff, bei dem die schwere Diesel-Maschine zuverlässig läuft, was aber keinem auffällt, da die sich auf der Brücke ständig streiten. Fand ich ganz treffend, das Bild.

Ein Beispiel dafür las ich eben (ich hab heute Schreibtischarbeit und guck in den Pausen dann doch kurz ins Internet): Detlev Scheele (ist mir noch aus Hamburger Zeiten als sympathisch in Erinnerung) im Deutschlandfunk-Interview zu dem Urteil des Verfassungsgerichts zu den Hart-IV-Sanktionen. Da macht er als Chef des Arbeitsamts am Ende deutlich, wie froh er ist, dass und wie das Verfassungsgericht entschieden hat. Das heißt, selbst der Chef der Behörde, die die verfassungswidrigen Sanktionen die ganzen Jahre im Programm hatte, hat sich über die Vorgabe geärgert und war froh, dass das Verfassungsgericht da endlich einen kleinen Riegel vorgeschoben hat. Da können wir doch froh sein über die treudoof-loyalen Sozialdemokraten wie Scheele, die derzeit so aus der Mode sind. Stellen Sie sich nur mal froh, ein Maaßen oder Höcke (um nur mal zwei Beamte unter den aktuellen Hasspredigern zu nennen) würde diese Behörde leiten.

(Übrigens betonte Scheele, dass er gar nicht der Chef der Jobcenter ist, sondern diese in gemeinsamer Trägerschaft mit den Kommunen geführt werden, also den kommunalen Haushalten unterliegen, was auch zu der Befristungssituation bei Jobcenter-Mitarbeitern und deren oft schlechter Qualifizierung/Eignung beiträgt. Das wusste ich gar nicht. Auch wieder so eine doofe Vorgabe der Politik: Die guten Arbeitslosen kriegt der Bund, die problematischen, die Hartzer, die Dreckarbeit, das dürfen die Kommunen machen. Nun hab ich doch wieder genörgelt. Na ja.)

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Mittwoch, 6. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 2
Bei meinen männlichen Freunden siehts etwas desaströser aus, und das ist (weil ja Nörgeln und Dampfablassen in meinem Blog die eigentliche Schreibmotivation ist), mein eigentliches Thema.

Mein Freund T., ich hab ihn hier öfter erwähnt, er war mein bester Freund, seit Ende der 90er Jahre, und seit ich ihn kenne (schon seit 1990), war er biografisch auf Schlingerkurs: Er hatte die riskante Karriere eines Punk-Gitarristen angesteuert und – als nur halbwegs erfolgreich – abrupt abgebrochen. Und in der sich anbahnenden zweiten Laufbahn als Filmvorführer, da wurde er nicht so recht sesshaft. Ich erinnere mich sogar an den Punkt, an dem er karrieremäßig den falschen Abzweig nahm: Nach Jahren als Vorführer in großstädtischen Multiplex-Kinos (da war das Arbeitsklima natürlich ätzend – ich erinnere mich an den Konflikt zwischen einem Kollegen, einem saufenden Ossi mit DDR-Knast-Erfahrung, und seinem Chef, einem stasibelasteten Typen aus der DDR-Kinowelt, der nun Geschäftsführer hier im Westen war), da erhielt er ein Angebot, in der Provinz ein Programmkino zu übernehmen, als Verantwortlicher für alles Technische und mit nur einem Kollegen für das Organisatorische. Er wagte es nicht, wegzugehen, obwohl ihn damals schon der Großstadtverkehr gehörig stresste.

Nun stört sowas ja eine Freundschaft nicht, wenn jemand beruflich schlingert – ich bewegte mich selbst grad nicht in den solidesten beruflichen Bahnen damals. Aber irgendwie wurde alles immer schlimmer. Die Sonnenbrille und die Ohrenstöpsel wurden seine immerwährenden Begleiter, am Ende auch in der kalten Jahreszeit, auch in der Wohnung, weil ihm die Reize der wirklichen Welt immer stärker auf die Nerven gingen. Manchmal fand ich das ja sogar noch lustig, z. B. wenn er – der immer getreulich die besten Filme der Woche aufnahm und zu mir zum Gucken mitbrachte, wenn er dann sagte: „Dein Beamer ist herrlich: so lichtschwach.“ Das entsprach ja auch meiner minimalistischen Anschauung.

Aber irgendwann wurde es verrückt, gab es einen fließenden Übergang ins Psychotische: Er hatte eine Verletzung am Daumen, die nicht verheilen wollte, weil er sie mit Besessenheit von morgens bis abends beobachtete. Einmal entfuhr mir ein Satz (T. hatte Angst, unsere Katze könnte ihn kratzen) „Jetzt müsste sie mal zuschlagen, da hätten wir eine Vergleichsverletzung.“, da war er tagelang beleidigt.

Den wirklichen Bruch, innerlich, brachte aber etwas Geistiges. T. war ein Fan von Sebastian Schipper, „Absolute Giganten“ war einer seiner Lieblingsfilme. Und dann kam „Victoria“ in die Kinos und ich fragte ihn, ob er nicht mitkommen wolle. „Nein“, meinte er, „ ins Kino, so zwischen den vielen Leuten, und dann auch noch ein Film mit Handkamera - nein, das ist mir zu anstrengend.“

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Dienstag, 5. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 1
Insgesamt ist es schon ein schmaler Grat, auf dem man sich bewegt in seinem bürgerlichen Dasein. Rings um mich herum seh ich Existenzen, die auch „etwas schief ins Leben gebaut“ sind (wie Ringelnatz das so schön sagte), was ja an und für sich nicht schlimm ist, aber mangels des „kleinstbürgerlichen“ (schizophrenist) Familienmodells ziemlich umherschlingern.

Na ja, wahrscheinlich ist es so, dass ich mir diese Nachbarschaften auch unbewusst einfach suche (so wie es vermutlich kein Zufall ist, dass mein depressiver Bruder in waldreicher Provinz sesshaft geworden ist, während meine kämpferische Schwester sich in einer Fernbeziehung Berlin-Stuttgart aufreibt).

Ich dagegen mochte es früher altmodisch (nicht umsonst heißt mein Pseudonym hier „damals“): Meine Frau lacht immer noch gern über meinen Hang zu alten Männern und führt als Beleg meinen Doktorvater an: Ja, er stand damals am Ende seines Berufsleben, und ja, ich mochte seine schon fast an Depression grenzende Verzagtheit, und die Ironie, mit der er sie verzierte, zog mich an. Und ich profitierte ja auch davon, indem die Uni ihm als Abschiedsgeschenk noch einen Doktoranden finanzierte und das war dann ich.

Und als ich dann in Hamburg noch einen Versuch machte, mich dem universitären Bereich zu nähern, da war es wieder so ein verschrobener Alt-68er, der mich und den ich sofort mochte und der mir den Eintritt ermöglichte. Seine jungen Mitstreiter mit ihrem Tempo und ihrem Pragmatismus, ja, die mochte ich auch, aber ich wurde nicht warm mit ihnen. Vielleicht war ich auch zu feige, jedenfalls zog ich ein Angestelltenverhältnis im Niedriglohnsektor der weiteren dynamischen, aber prekären Uni-Mitarbeit vor.

Damals also waren es die Alten, jetzt, da ich selbst älter werde, und zwar ganz konventionell als Ehemann, Vater, Angestellter, da sind es die psychisch Auffälligen, die mich emotional anziehen. Z. B. gibt es da G., eine Sechzigjährige mit einem superlangen mädchenhaften Zopf und einer leisen, langsamen Stimme, die alles Laute, Moderne, Bürgerliche oder gar Kommerzielle von oben herab verachtet (und das, obwohl sie als Selbstständige arbeitet – entsprechend sind ihre Einkünfte), mit ihrem Fahrrad immer einsam wie in einer Wolke von Weichheit und Sensibilität dahinradelt, ihren Pudel aber gouvernantenhaft streng erzieht. Nicht so ungewöhnlich, meinen Sie jetzt? Sicher. Aber für unsereins Normalos mitunter etwas anstrengend: Meine Frau, deren Freundin sie ursprünglich ist, klagt oft über G. mit ihren moralischen („Ihr habt ein Wohnmobil? Wie sieht denn die Energiebilanz aus?“) oder terminlichen („Ihr seid zehn Minuten zu spät. Ich hab gewartet.“) Anforderungen. Mir gefällt diese unbürgerliche Note, die sie in unser Leben bringt, beispielsweise, wenn ich ab und an an esoterischen Veranstaltungen teilnehme, mit denen sie recht und schlecht ihren Lebensunterhalt verdient, da staune ich immer, wie qualitätvoll man auch in diesem Bereich arbeiten kann, und ich mag auch ihre moralische wie politische Klarheit (auch das ja etwas Unbürgerliches), die ihre Macken mehr als aufwiegt.

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Sonntag, 8. September 2019
Blick zurück: Wie sehr sich doch das Geschlechter-Verhältnis zum Positiven verändert hat!
Es ist schon komisch: Seitdem wir in einer neuen, größeren Wohnung leben, scheint plötzlich alles zu funktionieren. Was hatte ich Probleme, den Fernseher mit dem Internet zu verbinden! Mit Wlan, das ging gar nicht (obwohl der Router im selben, winzigen Wohnzimmer stand), ich musste bei Bedarf eine Strippe durch den Raum zum Router ziehen, um den Empfang von youtube und netflix (sowie unseres bevorzugten anderen streaming-Dienstes) zu ermöglichen. Jetzt im neuen Wohnzimmer geht das auf einmal.

Natürlich sieht alles noch pottenhässlich aus: das Sofa viel zu klein für den großen Raum, der Fernseher steht provisorisch in einem leeren weißen Billy-Regal und scheppert mit Billig-Ton, da er sich, wo er steht, nicht an die Anlage anschließen lässt. Aber ansonsten:

Gestern Abend musste ich nur das WLAN-Passwort eingeben und schon konnte ich mir die ersten beiden Folgen von „When they see us“ (auf die Serie war ich schon lange neugierig) in aller Seelenruhe reinziehen. Und heute zum Bügeln stellte ich fest, dass mit 1 -2 Steckerverbindungen auch der Plattenspieler problemlos über die Anlage lief. Ich kramte ein paar Scheiben raus und …

… damit komme ich zu meinem eigentlichen Thema: Ich hörte electra, zum ersten Mal seit zehn oder zwanzig Jahren. „Einmal ich, einmal du ...“, den Song mochte ich zu DDR-Zeiten sehr. Jetzt, beim Wiedeerhören, befremdete mich das Lied doch sehr: diese Mischung aus Uralt-Patriarchalismus (selbstverständlich näht die Freundin ihrem Freund die fehlenden Knöpfe ans Hemd) und männlicher Weicheierei (die hohen Kastratenstimmen) -irgendwie schrill und daneben. Ja, sicher, das mag auch dem Spießertum des Texters Kurt Demmler geschuldet sein (verwiesen sei auf die vergleichsweise freie, emanzipatorische Rolle der Frau bei „Paul und Paula“ von Plenzdorf, der allerdings auch ein widerständigerer Charakter war als Demmler), aber dennoch ….

Andererseits: Im Westen sah es nicht besser aus. Neulich sah ich mal wieder „Der amerikanische Freund“ - dabei begeisterte mich der Blick auf Hamburg, meine jetzige Heimatstadt, Ecken, die ich täglich sehe, wie sie sich verändert haben, wie sie damals aussahen, und dann auch noch in solch exquisiter Kameraarbeit. Was darin allerdings an story und insbesondere an Mann-Frau-Interaktion zu sehen war, da schweigen wir mal lieber drüber - kein Ruhmesblatt für Wim Wenders.

Allerdings muss man sagen, dass der Westen in der Lage war, vorwärts zu gehen, auch den machismo der 68er (wie er sich in Wenders` Film manifestiert) hinter sich zu lassen. Im Osten hat electra noch bis 2015 existiert, und was mir youtube zum Thema zuerst anbietet, ist eine unerträglich verschlagerte Version von „Einmal ich, einmal, du ….“. Irgendwie kann man verstehen, dass die Kinder der electra-Fans dann dumpfe Nazis wurden.

Mal als Vergleich: Wie elegant liest sich das bei meinem derzeitigen Lieblingsautor Gert Loschütz! Ein Erzählstrang in „Ein schönes Paar“, den ich besonders mag, handelt von der Ex-Freundin des Ich-Erzählers. Er hatte (wie im electra-Song) gehofft, die ständig Männerwechselnde von ihrer Manie befreien können, derjenige zu sein, welcher … – und es auf seine Weise geschafft: In seinen Armen begriff sie, dass sie lesbisch ist. Und blieb im Weiteren (nun mit weiterhin wechselnden, allerdings weiblichen Sexualpartnern) seine zuverlässige, treue Freundin. Was für eine schöne Idee!

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Samstag, 7. September 2019
Über tricksende Journalisten
Meinen Roman aufzuschlagen, hatte ich heute Morgen keine Lust, ich war noch zu erschöpft von der Woche, um derart Qualitätvolles zu lesen – also daddelte ich durch Zeitungsartikel im Internet, blieb bei einem sehr guten taz-Text über Relotius hängen, geriet von von da zu der Aberkennung eines Journalistenpreises 2011 und endlich zu journalistischen Schummeleien durch Heribert Prantl und durch Alexander Osang.

Interessant fand ich dabei die Chronologie. 2011 also wird dem Journalisten René Pfister ein Preis wieder aberkannt, weil er bei der Preisverleihung arglos erzählte, dass er eine private Szenerie im Hause Seehofer gar nicht selbst erlebt hat (allerdings offenbar gut recherchiert – Seehofer selbst hat die Fakten später bestätigt). Damals regten sich viele über die Aberkennung auf: gut verständlich, denn schließlich war der Journalist sorgfältig mit seinem Material umgegangen – von Betrug keine Spur. Im Nachhinein allerdings versteht man auch die Überreaktion der Jury – als Ausdruck eines sehr berechtigten Unbehagens (das hier vielleicht nicht den Richtigen traf) an zunehmender Fiktionalisierung im Journalismus, einer Entwicklung, die eh schon nicht mehr aufzuhalten war: Ein Jahr später und eine Bekanntheitsliga höher tat dann Heribert Prantl den nächsten Schritt, indem er eine Küchenszene zu Hause bei Verfassungsrichter Voßkuhle schildert, bei der er nicht anwesend war, aber dem Leser suggeriert, er sei es gewesen. Hier fängt es schon an, Betrug zu werden, wenn auch ganz im Kleinen und noch indirekt. Empörungswellen schlägt das schon nicht mehr, es fehlt ja auch der Glammer-Effekt, der Journalistenpreis.

Den nächsten Schritt, den zur direkten Manipulation, den geht dann ein Ossi: Alexander Osang, der mal einen sehr selbstkritischen Roman über die Angepasstheit ostdeutscher Journalisten geschrieben hat, erkennt Anfang 2018 die Zeichen der Zeit, indem er einem Berliner Senator der Linken unter Vorspiegelung eines falschen Interesses die benötigten Zitate entlockt. Allerdings bleibt er mit seinem Betrug und seinem Thema (der Sündenpfuhl Berlin und sein ideologieblinder Linkensenator) nicht unumstritten und der tricksende Quoten-Ossi, während sein SPIEGEL-Kollege Relotius gleichzeitig den ganz großen Betrug mit den internationalen Themen durchzieht und die Preise dafür abräumt.

Anderseits: Ich hab den Text von Pfister über Seehofer auch nachgelesen (hier) und fand ihn durchaus an der Grenze des guten Geschmacks befindlich. Störender als die von der Jury inkriminierte Kellerszene bei Seehofers daheim fand ich da z. B. Folgendes: Berichtet wird, wie Seehofer mit einem Freund ein kabarettistisches Theaterstück verfasst. Seehofer will einen zotigen Witz über Merkel einbauen, der Freund kann ihn davon abbringen. Dem Leser von Pfisters Seehofer-Portrait wird dieser Witz aber im Wortlaut übermittelt. Das geht gar nicht, das greift sowohl Seehofer als auch Merkel unter der Gürtellinie an.

Und ein paar Abschnitte später wird Seehofers Zweitbeziehung mit seiner Büroleiterin in Berlin (die immerhin Jahre dauerte und aus der ein Kind entstand) von oben herab als „Affäre mit einer Bundestagsmitarbeiterin“ abgetan.

Allerdings, das wird beim Weiterlesen klar, macht das Pfister nicht, weil er etwa Sexist wäre. Als in dem Artikel Seehofers Ehe thematisch drankommt, weiß er sehr wohl vom Gewicht dieser Zweitbeziehung zu berichten. Denn hier, wo das Zerrüttete dieser Ehe zu zeigen ist, spielt das Gewicht der Zweitbeziehung dramaturgisch die passende Rolle. Vielmehr fließen ihm die sexistischen Anklänge in die Feder, weil er die Gelüste seiner Leser kennt und sie bedient.

Genauso, wenn er eine Justizministerin, die Seehofer abkanzelt, eine „dünne Blondine“ nennt: Das ist nicht der Blick des Autors auf die Frau, das ist der Blick Seehofers, in den sich der Autor hineinfühlt, bis hin zur Verschmelzung. Und das ist, was mich an dem Artikel abstieß: Er empört sich über die autoritäre, patriarchale Machtgier des Portraitierten, aber diese Empörung bleibt in der Fixierung, in der Faszination, die die angeklagten Umstände letztendlich verstärkt, indem sie sie als alternativlos darstellt.

Liebe Journalisten, schreibt mehr Unspektakuläres, Langweiliges, nicht Empörungswürdiges! Dann werden eure Texte von ganz allein interessant, ganz ohne Trickserei.

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Sonntag, 11. August 2019
Beim Aufräumen gefunden:

Manchmal ist es schon lustig, was man als Lehrer so erlebt.

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