Samstag, 7. September 2019
Über tricksende Journalisten
Meinen Roman aufzuschlagen, hatte ich heute Morgen keine Lust, ich war noch zu erschöpft von der Woche, um derart Qualitätvolles zu lesen – also daddelte ich durch Zeitungsartikel im Internet, blieb bei einem sehr guten taz-Text über Relotius hängen, geriet von von da zu der Aberkennung eines Journalistenpreises 2011 und endlich zu journalistischen Schummeleien durch Heribert Prantl und durch Alexander Osang.

Interessant fand ich dabei die Chronologie. 2011 also wird dem Journalisten René Pfister ein Preis wieder aberkannt, weil er bei der Preisverleihung arglos erzählte, dass er eine private Szenerie im Hause Seehofer gar nicht selbst erlebt hat (allerdings offenbar gut recherchiert – Seehofer selbst hat die Fakten später bestätigt). Damals regten sich viele über die Aberkennung auf: gut verständlich, denn schließlich war der Journalist sorgfältig mit seinem Material umgegangen – von Betrug keine Spur. Im Nachhinein allerdings versteht man auch die Überreaktion der Jury – als Ausdruck eines sehr berechtigten Unbehagens (das hier vielleicht nicht den Richtigen traf) an zunehmender Fiktionalisierung im Journalismus, einer Entwicklung, die eh schon nicht mehr aufzuhalten war: Ein Jahr später und eine Bekanntheitsliga höher tat dann Heribert Prantl den nächsten Schritt, indem er eine Küchenszene zu Hause bei Verfassungsrichter Voßkuhle schildert, bei der er nicht anwesend war, aber dem Leser suggeriert, er sei es gewesen. Hier fängt es schon an, Betrug zu werden, wenn auch ganz im Kleinen und noch indirekt. Empörungswellen schlägt das schon nicht mehr, es fehlt ja auch der Glammer-Effekt, der Journalistenpreis.

Den nächsten Schritt, den zur direkten Manipulation, den geht dann ein Ossi: Alexander Osang, der mal einen sehr selbstkritischen Roman über die Angepasstheit ostdeutscher Journalisten geschrieben hat, erkennt Anfang 2018 die Zeichen der Zeit, indem er einem Berliner Senator der Linken unter Vorspiegelung eines falschen Interesses die benötigten Zitate entlockt. Allerdings bleibt er mit seinem Betrug und seinem Thema (der Sündenpfuhl Berlin und sein ideologieblinder Linkensenator) nicht unumstritten und der tricksende Quoten-Ossi, während sein SPIEGEL-Kollege Relotius gleichzeitig den ganz großen Betrug mit den internationalen Themen durchzieht und die Preise dafür abräumt.

Anderseits: Ich hab den Text von Pfister über Seehofer auch nachgelesen (hier) und fand ihn durchaus an der Grenze des guten Geschmacks befindlich. Störender als die von der Jury inkriminierte Kellerszene bei Seehofers daheim fand ich da z. B. Folgendes: Berichtet wird, wie Seehofer mit einem Freund ein kabarettistisches Theaterstück verfasst. Seehofer will einen zotigen Witz über Merkel einbauen, der Freund kann ihn davon abbringen. Dem Leser von Pfisters Seehofer-Portrait wird dieser Witz aber im Wortlaut übermittelt. Das geht gar nicht, das greift sowohl Seehofer als auch Merkel unter der Gürtellinie an.

Und ein paar Abschnitte später wird Seehofers Zweitbeziehung mit seiner Büroleiterin in Berlin (die immerhin Jahre dauerte und aus der ein Kind entstand) von oben herab als „Affäre mit einer Bundestagsmitarbeiterin“ abgetan.

Allerdings, das wird beim Weiterlesen klar, macht das Pfister nicht, weil er etwa Sexist wäre. Als in dem Artikel Seehofers Ehe thematisch drankommt, weiß er sehr wohl vom Gewicht dieser Zweitbeziehung zu berichten. Denn hier, wo das Zerrüttete dieser Ehe zu zeigen ist, spielt das Gewicht der Zweitbeziehung dramaturgisch die passende Rolle. Vielmehr fließen ihm die sexistischen Anklänge in die Feder, weil er die Gelüste seiner Leser kennt und sie bedient.

Genauso, wenn er eine Justizministerin, die Seehofer abkanzelt, eine „dünne Blondine“ nennt: Das ist nicht der Blick des Autors auf die Frau, das ist der Blick Seehofers, in den sich der Autor hineinfühlt, bis hin zur Verschmelzung. Und das ist, was mich an dem Artikel abstieß: Er empört sich über die autoritäre, patriarchale Machtgier des Portraitierten, aber diese Empörung bleibt in der Fixierung, in der Faszination, die die angeklagten Umstände letztendlich verstärkt, indem sie sie als alternativlos darstellt.

Liebe Journalisten, schreibt mehr Unspektakuläres, Langweiliges, nicht Empörungswürdiges! Dann werden eure Texte von ganz allein interessant, ganz ohne Trickserei.

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Ich habe zu Beginn meiner Tätigkeit auch die Illusion gehabt, es müsste mehr Platz für Ausgewogenheit und Unaufgeregtes sein. Aber das System, angefangen bei dem was in Journalistenschulen so gelehrt wird bis hin zu dem, was Ressortleiter und Chefs einem in die Texte reinredigieren, lässt dafür immer weniger Spielraum. Und wo der Klick die Währung geworden ist, um so mehr.

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Ja, und das "immer weniger", das ist wahrscheinlich das Problem. Dass es die Versuchung gibt, ist ja klar und vermutlich nie ganz vermeidbar, auch mich als Leser triggern Empörungs- und Skandaltexte immer erstmal und nicht selten lass ich mich von solch wunderbar süßem Entsetzen zu Meinungen hinreißen, die in der Regel blöd sind. Aber dann gibt es auch die andere Seite, die einen wieder runterbringt. Und diese Seite der Vernunft, des Maßvollen, die hat wohl derzeit "immer weniger" Spielraum (zumal die Skandalisiermanie sich ja auch aktuell gern faktengeschwängert als "rational" tarnt ...).

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alter Hut
Die Täuschung (der Sensation wegen) hat Tradition:
Hat nicht einer der Götter der Journalisten, Herr Kisch, seinen ersten professionellen Artikel ...?
...über den Brand einer Kirche:

"...kam Kisch in die Redaktion zurück und er erfindet mangels Fakten seine erste Reportage, wo sich unter anderem zerlumpte Obdachlose mit gierigen Gesichtern um die Flammen drängen, es entsteht eine “Elendenkirchweih im Feuerschein”. Auf diese Art verlegt Kisch Dantes Inferno und die Angst vor dem sozialen Aufstand mitten hinein ins brave Prager Lesepublikum. Den Bürger gruselts -und Kisch heimst am nächsten Tag alles Lob für die beste Reportage ein, weil er etwas sah, was - begreiflicherweise - niemand anders sah."
(Klaus Jarchows schrieb das in "reporter-forum"; angeblich ist's "eine Geschichte die bis heute in jedem Journalistik-Seminar verwurstet wird")

Inzwischen ist solch' Egon Erwin Kisch'sche 'Wahrheit' die Norm, q.e.d.

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Ihr historischer Einwurf relativiert die Sache natürlich, auch wenn er sie nicht schöner macht. (Vielleicht tut es jeder Professin gut, sich ab und an neue Götter zu suchen.)

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