Samstag, 9. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 5
damals, 12:06h
L.s Problem war sein früh verstorbener Vater, den er hasste und dem er in seinem Hass auf Innigste verbunden blieb: ein Nazi aus den deutschen Ostgebieten, dem nach Krieg und Flucht eine zweite Karriere als Geschäftsmann gelang. L. als sein Sohn versuchte zu entkommen, indem er sich politisch nach links wandte, und rutschte in das Dilemma, das alle abtrünnigen Kinder haben: Ihm fehlte ein Maßstab für die täglichen, unbewussten Lebensentscheidungen.
In seiner ersten Ehe, da hatte er ja zumindest in einem Teilbereich einen Kompromiss gefunden: Er gründete mit Frau und Weggefährten eine Baugemeinschaft in heruntergekommenem Innenstadtgebiet, auf dem Bauwagenleute hausten und das der Gentrifizierung harrte – für L. die ideale Verbindung von linkem Gemeinschaftssinn und der „Geld-statt-Moral“-Mentalität der Vaterwelt. Anders als sein Vater hielt er es dann aber in der unter solchem Motto stehenden Ehe nicht aus und ging.
Jahre später, als ich ihn kennenlernte, versuchte er einen neuen, weniger konventionellen Start mit Freundin und (einem weiteren) Kind: Aber auch da, als zwischen den Verantwortlichkeiten jonglierender Patchwork-Papa und (beruflich) als Sozialarbeiter in den äußersten Niederungen der Gesellschaft (da also, wo er als Linker eigentlich richtig war), hielt er es wieder nicht aus. Wie schon erwähnt, verweigerte er die Verbürgerlichung seiner zweiten Beziehung per Hochzeit, und dem Kompromissvorschlag „Schrebergarten statt gemeinsamer Wohnung“ konnte die Freundin und Mutter seines jüngsten Sohnes auch nichts abgewinnen. Sie trennten sich und auch bei der Firma kündigte er.
Beruflich schien es dennoch für einen Moment noch einmal aufwärts zu gehen: Er fand bald einen gut bezahlten Job bei einer Firma, die nach amerikanischem Vorbild und in amerikanischem Stil Wohlfahrt auf Spendenbasis zu organisieren wollte. Eigentlich genau das Richtige für ihn: linkes Gutmenschentum, gepaart mit neoliberaler Kommerzorientierung. Nur ging es L. da binnen kurzem wie mit seinem Vater: Das Kommerzielle und Autoritäre, das ihn an der Firma faszinierte und überzeugte, das entfachte auch seinen Hass: Er überwarf sich mit der strengen Chefin und wurde noch in der Probezeit gefeuert.
Danach nur noch Niedergang, den er, wie es heute so üblich ist, als Freiberuflichkeit kaschierte. Man traf ihn ständig auf dem Fahrrad unterwegs zu irgendeinem Sportklub, im Gespräch kündigte er immer großsprecherischer künftige Projekte an, aus denen nie etwas wurde.
Endlich, vielleicht als letzter, verzweifelter Ausweg, die Wende um 180 Grad: Er wurde im fortgeschrittenen Alter Außendienstler bei einer Versicherung. Brauchte einen Anzug, ein Auto, ein Diensthandy. Musste sich einarbeiten in Computerprogramme. Die übersprudelnde Energie, die in den Niedergangszeiten in Phantastereien verpufft war, nun endlich gebündelt in die neue Aufgabe. Dass diese finanziell hochriskant war (die Versicherung geizte nicht mit Vorschüssen), schien ihn zusätzlich zu motivieren. Mit der konkreten Arbeit in einem Versicherungsbüro begannen aber wieder die Geschichten über asoziale Kollegen und Konkurrenten und L. wollte schon wieder alles reformieren. Es endete mit Schulden, mit Mittelchen gegen die Schlaflosigkeit, die er wild kombinierte, bis er körperlich zusammenbrach.
In seiner ersten Ehe, da hatte er ja zumindest in einem Teilbereich einen Kompromiss gefunden: Er gründete mit Frau und Weggefährten eine Baugemeinschaft in heruntergekommenem Innenstadtgebiet, auf dem Bauwagenleute hausten und das der Gentrifizierung harrte – für L. die ideale Verbindung von linkem Gemeinschaftssinn und der „Geld-statt-Moral“-Mentalität der Vaterwelt. Anders als sein Vater hielt er es dann aber in der unter solchem Motto stehenden Ehe nicht aus und ging.
Jahre später, als ich ihn kennenlernte, versuchte er einen neuen, weniger konventionellen Start mit Freundin und (einem weiteren) Kind: Aber auch da, als zwischen den Verantwortlichkeiten jonglierender Patchwork-Papa und (beruflich) als Sozialarbeiter in den äußersten Niederungen der Gesellschaft (da also, wo er als Linker eigentlich richtig war), hielt er es wieder nicht aus. Wie schon erwähnt, verweigerte er die Verbürgerlichung seiner zweiten Beziehung per Hochzeit, und dem Kompromissvorschlag „Schrebergarten statt gemeinsamer Wohnung“ konnte die Freundin und Mutter seines jüngsten Sohnes auch nichts abgewinnen. Sie trennten sich und auch bei der Firma kündigte er.
Beruflich schien es dennoch für einen Moment noch einmal aufwärts zu gehen: Er fand bald einen gut bezahlten Job bei einer Firma, die nach amerikanischem Vorbild und in amerikanischem Stil Wohlfahrt auf Spendenbasis zu organisieren wollte. Eigentlich genau das Richtige für ihn: linkes Gutmenschentum, gepaart mit neoliberaler Kommerzorientierung. Nur ging es L. da binnen kurzem wie mit seinem Vater: Das Kommerzielle und Autoritäre, das ihn an der Firma faszinierte und überzeugte, das entfachte auch seinen Hass: Er überwarf sich mit der strengen Chefin und wurde noch in der Probezeit gefeuert.
Danach nur noch Niedergang, den er, wie es heute so üblich ist, als Freiberuflichkeit kaschierte. Man traf ihn ständig auf dem Fahrrad unterwegs zu irgendeinem Sportklub, im Gespräch kündigte er immer großsprecherischer künftige Projekte an, aus denen nie etwas wurde.
Endlich, vielleicht als letzter, verzweifelter Ausweg, die Wende um 180 Grad: Er wurde im fortgeschrittenen Alter Außendienstler bei einer Versicherung. Brauchte einen Anzug, ein Auto, ein Diensthandy. Musste sich einarbeiten in Computerprogramme. Die übersprudelnde Energie, die in den Niedergangszeiten in Phantastereien verpufft war, nun endlich gebündelt in die neue Aufgabe. Dass diese finanziell hochriskant war (die Versicherung geizte nicht mit Vorschüssen), schien ihn zusätzlich zu motivieren. Mit der konkreten Arbeit in einem Versicherungsbüro begannen aber wieder die Geschichten über asoziale Kollegen und Konkurrenten und L. wollte schon wieder alles reformieren. Es endete mit Schulden, mit Mittelchen gegen die Schlaflosigkeit, die er wild kombinierte, bis er körperlich zusammenbrach.
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froschfilm,
Samstag, 9. November 2019, 21:15
Schön erzählt.
Habe ich möglicherweise aus Versehen einen Kommentar von Ihnen in meinem Blog gelöscht - oder waren sie das selbst? Mir ist eine Erwiderung eingefallen, aber der Kommentar ist weg.
Habe ich möglicherweise aus Versehen einen Kommentar von Ihnen in meinem Blog gelöscht - oder waren sie das selbst? Mir ist eine Erwiderung eingefallen, aber der Kommentar ist weg.
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damals,
Samstag, 9. November 2019, 21:39
Nein, das war ich selber. Ich hatte mich spontan über eine utopiefeindliche Bemerkung von Ihnen aufgeregt - und dann fiel mir im Nachhinein auf, dass ich in letzter Zeit unverhältnismäßig viel rumgenörgelt habe bei Ihnen in den Kommentaren, obwohl ich doch gern bei Ihnen mitlese, und fand unsere ideologische Differenz dann doch nicht so wichtig, dass sie unbedingt rausgeblökt werden muss. Schade, dass ich Ihre Erwiderung nun nicht mehr erfahre (zumal ich meinen Kommentar schon halb vergessen habe). Trotzdem schön, dass ich Sie dazu angeregt habe.
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froschfilm,
Samstag, 9. November 2019, 22:53
Ach, Nörgeln ist doch interessanter als loben! Schade, aber nicht schlimm.
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