Dienstag, 5. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 1
Insgesamt ist es schon ein schmaler Grat, auf dem man sich bewegt in seinem bürgerlichen Dasein. Rings um mich herum seh ich Existenzen, die auch „etwas schief ins Leben gebaut“ sind (wie Ringelnatz das so schön sagte), was ja an und für sich nicht schlimm ist, aber mangels des „kleinstbürgerlichen“ (schizophrenist) Familienmodells ziemlich umherschlingern.

Na ja, wahrscheinlich ist es so, dass ich mir diese Nachbarschaften auch unbewusst einfach suche (so wie es vermutlich kein Zufall ist, dass mein depressiver Bruder in waldreicher Provinz sesshaft geworden ist, während meine kämpferische Schwester sich in einer Fernbeziehung Berlin-Stuttgart aufreibt).

Ich dagegen mochte es früher altmodisch (nicht umsonst heißt mein Pseudonym hier „damals“): Meine Frau lacht immer noch gern über meinen Hang zu alten Männern und führt als Beleg meinen Doktorvater an: Ja, er stand damals am Ende seines Berufsleben, und ja, ich mochte seine schon fast an Depression grenzende Verzagtheit, und die Ironie, mit der er sie verzierte, zog mich an. Und ich profitierte ja auch davon, indem die Uni ihm als Abschiedsgeschenk noch einen Doktoranden finanzierte und das war dann ich.

Und als ich dann in Hamburg noch einen Versuch machte, mich dem universitären Bereich zu nähern, da war es wieder so ein verschrobener Alt-68er, der mich und den ich sofort mochte und der mir den Eintritt ermöglichte. Seine jungen Mitstreiter mit ihrem Tempo und ihrem Pragmatismus, ja, die mochte ich auch, aber ich wurde nicht warm mit ihnen. Vielleicht war ich auch zu feige, jedenfalls zog ich ein Angestelltenverhältnis im Niedriglohnsektor der weiteren dynamischen, aber prekären Uni-Mitarbeit vor.

Damals also waren es die Alten, jetzt, da ich selbst älter werde, und zwar ganz konventionell als Ehemann, Vater, Angestellter, da sind es die psychisch Auffälligen, die mich emotional anziehen. Z. B. gibt es da G., eine Sechzigjährige mit einem superlangen mädchenhaften Zopf und einer leisen, langsamen Stimme, die alles Laute, Moderne, Bürgerliche oder gar Kommerzielle von oben herab verachtet (und das, obwohl sie als Selbstständige arbeitet – entsprechend sind ihre Einkünfte), mit ihrem Fahrrad immer einsam wie in einer Wolke von Weichheit und Sensibilität dahinradelt, ihren Pudel aber gouvernantenhaft streng erzieht. Nicht so ungewöhnlich, meinen Sie jetzt? Sicher. Aber für unsereins Normalos mitunter etwas anstrengend: Meine Frau, deren Freundin sie ursprünglich ist, klagt oft über G. mit ihren moralischen („Ihr habt ein Wohnmobil? Wie sieht denn die Energiebilanz aus?“) oder terminlichen („Ihr seid zehn Minuten zu spät. Ich hab gewartet.“) Anforderungen. Mir gefällt diese unbürgerliche Note, die sie in unser Leben bringt, beispielsweise, wenn ich ab und an an esoterischen Veranstaltungen teilnehme, mit denen sie recht und schlecht ihren Lebensunterhalt verdient, da staune ich immer, wie qualitätvoll man auch in diesem Bereich arbeiten kann, und ich mag auch ihre moralische wie politische Klarheit (auch das ja etwas Unbürgerliches), die ihre Macken mehr als aufwiegt.

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