Donnerstag, 7. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 3
Seit diesem Zeitpunkt, T. kam immer noch am Freitagabend mit den aktuellen Filmen für meinen Beamer, oft mit einer familienfreundlichen Alternative, damit meine Frau mitgucken kann, und für damals jr. schnitt er sogar eine kindertaugliche Star-Wars-Zusammenfassung, seit diesem Zeitpunkt guckte nur noch ich mit ihm allein, und es war auch von meiner Seite mehr ein Liebesdienst, kein wirkliches Vergnügen mehr, denn das Jammern und Wehklagen wurde mehr und mehr zu seinem Mono-Thema. Sicher gings ihm schlecht, der tagelang allein in seiner Wohnung saß, die Fenster fest geschlossen (gegen die in der Tat geräusch- und abgasseitig ätzende Straße), und seinen Ängsten beim Wachsen zusah.

Aber er tat nichts dagegen, schlug wohlmeinende Ratschläge aus (Mach eine Psychotherapie! Geh mit der Gitarre zu den Jam-Sessions von Kumpel Y.! Hilf mit bei der Kleiderkammer für Flüchtlinge!) und unternahm nur Kontraproduktives: Statt zum Therapeuten ging er zum Heiler (bezahlen mussten das seine Eltern), der ihm immerhin eine Beschäftigung anbot, indem er ab jetzt aufwändig ayurvedische Essensvorschriften einhielt. Ansonsten brachte es nichts. Immer, wenn er kurz davor war, bei der Jam-Session mitzumachen, spielte wieder sein Daumen verrückt, und bei der Kleiderkammer passten ihm die Öffnungszeiten nicht. Noch wütender als mein Satz über die Katze machte ihn die Aussage des Amtsarztes, er sei 4 Stunden pro Tag arbeitsfähig. (Die Behörden machten sich aber letztendlich nicht den Stress, sondern verrenteten ihn und waren ihn los.)

Irgendwann sagte meine Frau, dass auch die dem Videoabend vorgeschalteten Abendbrote unzumutbar würden, auch für damals jr., jedenfalls wöchentlich sei das wohl nicht die richtige Inspiration. Ich bot T. an, statt der wöchentlichen Familienabendbrote mit anschließendem Video-Abend vielleicht öfter Abende zu zweit bei ihm mit einzuschalten. Für T. aber bedeutete jede Herunterdosierung des Beruhigungsmittels „Familienabendbrot bei damals&Co.“ einen weiteren Kontrollverlust und das löste Panik aus. Er reagierte erbost, nein, er brach den Kontakt ab, nach 20 Jahren, nein, er setzte mir die Pistole auf die Brust: entweder Freitage wie immer oder gar keinen Kontakt mehr. Das wiederum machte mich bockig und nach mehreren gescheiterten Ausspracheversuchen am Telefon nahm er nicht mehr ab, wenn ich anrief. Irgendwann hab ich das auch akzeptiert.

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Kurze Unterbrechung
Ich darf meine kleine Serie mal kurz unterbrechen, um was Positives zu sagen. In der Deutschlandfunkpresseschau heute morgen verglich irgendeine Zeitung den deutschen Staat mit einem Schiff, bei dem die schwere Diesel-Maschine zuverlässig läuft, was aber keinem auffällt, da die sich auf der Brücke ständig streiten. Fand ich ganz treffend, das Bild.

Ein Beispiel dafür las ich eben (ich hab heute Schreibtischarbeit und guck in den Pausen dann doch kurz ins Internet): Detlev Scheele (ist mir noch aus Hamburger Zeiten als sympathisch in Erinnerung) im Deutschlandfunk-Interview zu dem Urteil des Verfassungsgerichts zu den Hart-IV-Sanktionen. Da macht er als Chef des Arbeitsamts am Ende deutlich, wie froh er ist, dass und wie das Verfassungsgericht entschieden hat. Das heißt, selbst der Chef der Behörde, die die verfassungswidrigen Sanktionen die ganzen Jahre im Programm hatte, hat sich über die Vorgabe geärgert und war froh, dass das Verfassungsgericht da endlich einen kleinen Riegel vorgeschoben hat. Da können wir doch froh sein über die treudoof-loyalen Sozialdemokraten wie Scheele, die derzeit so aus der Mode sind. Stellen Sie sich nur mal froh, ein Maaßen oder Höcke (um nur mal zwei Beamte unter den aktuellen Hasspredigern zu nennen) würde diese Behörde leiten.

(Übrigens betonte Scheele, dass er gar nicht der Chef der Jobcenter ist, sondern diese in gemeinsamer Trägerschaft mit den Kommunen geführt werden, also den kommunalen Haushalten unterliegen, was auch zu der Befristungssituation bei Jobcenter-Mitarbeitern und deren oft schlechter Qualifizierung/Eignung beiträgt. Das wusste ich gar nicht. Auch wieder so eine doofe Vorgabe der Politik: Die guten Arbeitslosen kriegt der Bund, die problematischen, die Hartzer, die Dreckarbeit, das dürfen die Kommunen machen. Nun hab ich doch wieder genörgelt. Na ja.)

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Mittwoch, 6. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 2
Bei meinen männlichen Freunden siehts etwas desaströser aus, und das ist (weil ja Nörgeln und Dampfablassen in meinem Blog die eigentliche Schreibmotivation ist), mein eigentliches Thema.

Mein Freund T., ich hab ihn hier öfter erwähnt, er war mein bester Freund, seit Ende der 90er Jahre, und seit ich ihn kenne (schon seit 1990), war er biografisch auf Schlingerkurs: Er hatte die riskante Karriere eines Punk-Gitarristen angesteuert und – als nur halbwegs erfolgreich – abrupt abgebrochen. Und in der sich anbahnenden zweiten Laufbahn als Filmvorführer, da wurde er nicht so recht sesshaft. Ich erinnere mich sogar an den Punkt, an dem er karrieremäßig den falschen Abzweig nahm: Nach Jahren als Vorführer in großstädtischen Multiplex-Kinos (da war das Arbeitsklima natürlich ätzend – ich erinnere mich an den Konflikt zwischen einem Kollegen, einem saufenden Ossi mit DDR-Knast-Erfahrung, und seinem Chef, einem stasibelasteten Typen aus der DDR-Kinowelt, der nun Geschäftsführer hier im Westen war), da erhielt er ein Angebot, in der Provinz ein Programmkino zu übernehmen, als Verantwortlicher für alles Technische und mit nur einem Kollegen für das Organisatorische. Er wagte es nicht, wegzugehen, obwohl ihn damals schon der Großstadtverkehr gehörig stresste.

Nun stört sowas ja eine Freundschaft nicht, wenn jemand beruflich schlingert – ich bewegte mich selbst grad nicht in den solidesten beruflichen Bahnen damals. Aber irgendwie wurde alles immer schlimmer. Die Sonnenbrille und die Ohrenstöpsel wurden seine immerwährenden Begleiter, am Ende auch in der kalten Jahreszeit, auch in der Wohnung, weil ihm die Reize der wirklichen Welt immer stärker auf die Nerven gingen. Manchmal fand ich das ja sogar noch lustig, z. B. wenn er – der immer getreulich die besten Filme der Woche aufnahm und zu mir zum Gucken mitbrachte, wenn er dann sagte: „Dein Beamer ist herrlich: so lichtschwach.“ Das entsprach ja auch meiner minimalistischen Anschauung.

Aber irgendwann wurde es verrückt, gab es einen fließenden Übergang ins Psychotische: Er hatte eine Verletzung am Daumen, die nicht verheilen wollte, weil er sie mit Besessenheit von morgens bis abends beobachtete. Einmal entfuhr mir ein Satz (T. hatte Angst, unsere Katze könnte ihn kratzen) „Jetzt müsste sie mal zuschlagen, da hätten wir eine Vergleichsverletzung.“, da war er tagelang beleidigt.

Den wirklichen Bruch, innerlich, brachte aber etwas Geistiges. T. war ein Fan von Sebastian Schipper, „Absolute Giganten“ war einer seiner Lieblingsfilme. Und dann kam „Victoria“ in die Kinos und ich fragte ihn, ob er nicht mitkommen wolle. „Nein“, meinte er, „ ins Kino, so zwischen den vielen Leuten, und dann auch noch ein Film mit Handkamera - nein, das ist mir zu anstrengend.“

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Dienstag, 5. November 2019
Meine merkwürdigen Sozialkontakte, Teil 1
Insgesamt ist es schon ein schmaler Grat, auf dem man sich bewegt in seinem bürgerlichen Dasein. Rings um mich herum seh ich Existenzen, die auch „etwas schief ins Leben gebaut“ sind (wie Ringelnatz das so schön sagte), was ja an und für sich nicht schlimm ist, aber mangels des „kleinstbürgerlichen“ (schizophrenist) Familienmodells ziemlich umherschlingern.

Na ja, wahrscheinlich ist es so, dass ich mir diese Nachbarschaften auch unbewusst einfach suche (so wie es vermutlich kein Zufall ist, dass mein depressiver Bruder in waldreicher Provinz sesshaft geworden ist, während meine kämpferische Schwester sich in einer Fernbeziehung Berlin-Stuttgart aufreibt).

Ich dagegen mochte es früher altmodisch (nicht umsonst heißt mein Pseudonym hier „damals“): Meine Frau lacht immer noch gern über meinen Hang zu alten Männern und führt als Beleg meinen Doktorvater an: Ja, er stand damals am Ende seines Berufsleben, und ja, ich mochte seine schon fast an Depression grenzende Verzagtheit, und die Ironie, mit der er sie verzierte, zog mich an. Und ich profitierte ja auch davon, indem die Uni ihm als Abschiedsgeschenk noch einen Doktoranden finanzierte und das war dann ich.

Und als ich dann in Hamburg noch einen Versuch machte, mich dem universitären Bereich zu nähern, da war es wieder so ein verschrobener Alt-68er, der mich und den ich sofort mochte und der mir den Eintritt ermöglichte. Seine jungen Mitstreiter mit ihrem Tempo und ihrem Pragmatismus, ja, die mochte ich auch, aber ich wurde nicht warm mit ihnen. Vielleicht war ich auch zu feige, jedenfalls zog ich ein Angestelltenverhältnis im Niedriglohnsektor der weiteren dynamischen, aber prekären Uni-Mitarbeit vor.

Damals also waren es die Alten, jetzt, da ich selbst älter werde, und zwar ganz konventionell als Ehemann, Vater, Angestellter, da sind es die psychisch Auffälligen, die mich emotional anziehen. Z. B. gibt es da G., eine Sechzigjährige mit einem superlangen mädchenhaften Zopf und einer leisen, langsamen Stimme, die alles Laute, Moderne, Bürgerliche oder gar Kommerzielle von oben herab verachtet (und das, obwohl sie als Selbstständige arbeitet – entsprechend sind ihre Einkünfte), mit ihrem Fahrrad immer einsam wie in einer Wolke von Weichheit und Sensibilität dahinradelt, ihren Pudel aber gouvernantenhaft streng erzieht. Nicht so ungewöhnlich, meinen Sie jetzt? Sicher. Aber für unsereins Normalos mitunter etwas anstrengend: Meine Frau, deren Freundin sie ursprünglich ist, klagt oft über G. mit ihren moralischen („Ihr habt ein Wohnmobil? Wie sieht denn die Energiebilanz aus?“) oder terminlichen („Ihr seid zehn Minuten zu spät. Ich hab gewartet.“) Anforderungen. Mir gefällt diese unbürgerliche Note, die sie in unser Leben bringt, beispielsweise, wenn ich ab und an an esoterischen Veranstaltungen teilnehme, mit denen sie recht und schlecht ihren Lebensunterhalt verdient, da staune ich immer, wie qualitätvoll man auch in diesem Bereich arbeiten kann, und ich mag auch ihre moralische wie politische Klarheit (auch das ja etwas Unbürgerliches), die ihre Macken mehr als aufwiegt.

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Sonntag, 8. September 2019
Blick zurück: Wie sehr sich doch das Geschlechter-Verhältnis zum Positiven verändert hat!
Es ist schon komisch: Seitdem wir in einer neuen, größeren Wohnung leben, scheint plötzlich alles zu funktionieren. Was hatte ich Probleme, den Fernseher mit dem Internet zu verbinden! Mit Wlan, das ging gar nicht (obwohl der Router im selben, winzigen Wohnzimmer stand), ich musste bei Bedarf eine Strippe durch den Raum zum Router ziehen, um den Empfang von youtube und netflix (sowie unseres bevorzugten anderen streaming-Dienstes) zu ermöglichen. Jetzt im neuen Wohnzimmer geht das auf einmal.

Natürlich sieht alles noch pottenhässlich aus: das Sofa viel zu klein für den großen Raum, der Fernseher steht provisorisch in einem leeren weißen Billy-Regal und scheppert mit Billig-Ton, da er sich, wo er steht, nicht an die Anlage anschließen lässt. Aber ansonsten:

Gestern Abend musste ich nur das WLAN-Passwort eingeben und schon konnte ich mir die ersten beiden Folgen von „When they see us“ (auf die Serie war ich schon lange neugierig) in aller Seelenruhe reinziehen. Und heute zum Bügeln stellte ich fest, dass mit 1 -2 Steckerverbindungen auch der Plattenspieler problemlos über die Anlage lief. Ich kramte ein paar Scheiben raus und …

… damit komme ich zu meinem eigentlichen Thema: Ich hörte electra, zum ersten Mal seit zehn oder zwanzig Jahren. „Einmal ich, einmal du ...“, den Song mochte ich zu DDR-Zeiten sehr. Jetzt, beim Wiedeerhören, befremdete mich das Lied doch sehr: diese Mischung aus Uralt-Patriarchalismus (selbstverständlich näht die Freundin ihrem Freund die fehlenden Knöpfe ans Hemd) und männlicher Weicheierei (die hohen Kastratenstimmen) -irgendwie schrill und daneben. Ja, sicher, das mag auch dem Spießertum des Texters Kurt Demmler geschuldet sein (verwiesen sei auf die vergleichsweise freie, emanzipatorische Rolle der Frau bei „Paul und Paula“ von Plenzdorf, der allerdings auch ein widerständigerer Charakter war als Demmler), aber dennoch ….

Andererseits: Im Westen sah es nicht besser aus. Neulich sah ich mal wieder „Der amerikanische Freund“ - dabei begeisterte mich der Blick auf Hamburg, meine jetzige Heimatstadt, Ecken, die ich täglich sehe, wie sie sich verändert haben, wie sie damals aussahen, und dann auch noch in solch exquisiter Kameraarbeit. Was darin allerdings an story und insbesondere an Mann-Frau-Interaktion zu sehen war, da schweigen wir mal lieber drüber - kein Ruhmesblatt für Wim Wenders.

Allerdings muss man sagen, dass der Westen in der Lage war, vorwärts zu gehen, auch den machismo der 68er (wie er sich in Wenders` Film manifestiert) hinter sich zu lassen. Im Osten hat electra noch bis 2015 existiert, und was mir youtube zum Thema zuerst anbietet, ist eine unerträglich verschlagerte Version von „Einmal ich, einmal, du ….“. Irgendwie kann man verstehen, dass die Kinder der electra-Fans dann dumpfe Nazis wurden.

Mal als Vergleich: Wie elegant liest sich das bei meinem derzeitigen Lieblingsautor Gert Loschütz! Ein Erzählstrang in „Ein schönes Paar“, den ich besonders mag, handelt von der Ex-Freundin des Ich-Erzählers. Er hatte (wie im electra-Song) gehofft, die ständig Männerwechselnde von ihrer Manie befreien können, derjenige zu sein, welcher … – und es auf seine Weise geschafft: In seinen Armen begriff sie, dass sie lesbisch ist. Und blieb im Weiteren (nun mit weiterhin wechselnden, allerdings weiblichen Sexualpartnern) seine zuverlässige, treue Freundin. Was für eine schöne Idee!

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Samstag, 7. September 2019
Über tricksende Journalisten
Meinen Roman aufzuschlagen, hatte ich heute Morgen keine Lust, ich war noch zu erschöpft von der Woche, um derart Qualitätvolles zu lesen – also daddelte ich durch Zeitungsartikel im Internet, blieb bei einem sehr guten taz-Text über Relotius hängen, geriet von von da zu der Aberkennung eines Journalistenpreises 2011 und endlich zu journalistischen Schummeleien durch Heribert Prantl und durch Alexander Osang.

Interessant fand ich dabei die Chronologie. 2011 also wird dem Journalisten René Pfister ein Preis wieder aberkannt, weil er bei der Preisverleihung arglos erzählte, dass er eine private Szenerie im Hause Seehofer gar nicht selbst erlebt hat (allerdings offenbar gut recherchiert – Seehofer selbst hat die Fakten später bestätigt). Damals regten sich viele über die Aberkennung auf: gut verständlich, denn schließlich war der Journalist sorgfältig mit seinem Material umgegangen – von Betrug keine Spur. Im Nachhinein allerdings versteht man auch die Überreaktion der Jury – als Ausdruck eines sehr berechtigten Unbehagens (das hier vielleicht nicht den Richtigen traf) an zunehmender Fiktionalisierung im Journalismus, einer Entwicklung, die eh schon nicht mehr aufzuhalten war: Ein Jahr später und eine Bekanntheitsliga höher tat dann Heribert Prantl den nächsten Schritt, indem er eine Küchenszene zu Hause bei Verfassungsrichter Voßkuhle schildert, bei der er nicht anwesend war, aber dem Leser suggeriert, er sei es gewesen. Hier fängt es schon an, Betrug zu werden, wenn auch ganz im Kleinen und noch indirekt. Empörungswellen schlägt das schon nicht mehr, es fehlt ja auch der Glammer-Effekt, der Journalistenpreis.

Den nächsten Schritt, den zur direkten Manipulation, den geht dann ein Ossi: Alexander Osang, der mal einen sehr selbstkritischen Roman über die Angepasstheit ostdeutscher Journalisten geschrieben hat, erkennt Anfang 2018 die Zeichen der Zeit, indem er einem Berliner Senator der Linken unter Vorspiegelung eines falschen Interesses die benötigten Zitate entlockt. Allerdings bleibt er mit seinem Betrug und seinem Thema (der Sündenpfuhl Berlin und sein ideologieblinder Linkensenator) nicht unumstritten und der tricksende Quoten-Ossi, während sein SPIEGEL-Kollege Relotius gleichzeitig den ganz großen Betrug mit den internationalen Themen durchzieht und die Preise dafür abräumt.

Anderseits: Ich hab den Text von Pfister über Seehofer auch nachgelesen (hier) und fand ihn durchaus an der Grenze des guten Geschmacks befindlich. Störender als die von der Jury inkriminierte Kellerszene bei Seehofers daheim fand ich da z. B. Folgendes: Berichtet wird, wie Seehofer mit einem Freund ein kabarettistisches Theaterstück verfasst. Seehofer will einen zotigen Witz über Merkel einbauen, der Freund kann ihn davon abbringen. Dem Leser von Pfisters Seehofer-Portrait wird dieser Witz aber im Wortlaut übermittelt. Das geht gar nicht, das greift sowohl Seehofer als auch Merkel unter der Gürtellinie an.

Und ein paar Abschnitte später wird Seehofers Zweitbeziehung mit seiner Büroleiterin in Berlin (die immerhin Jahre dauerte und aus der ein Kind entstand) von oben herab als „Affäre mit einer Bundestagsmitarbeiterin“ abgetan.

Allerdings, das wird beim Weiterlesen klar, macht das Pfister nicht, weil er etwa Sexist wäre. Als in dem Artikel Seehofers Ehe thematisch drankommt, weiß er sehr wohl vom Gewicht dieser Zweitbeziehung zu berichten. Denn hier, wo das Zerrüttete dieser Ehe zu zeigen ist, spielt das Gewicht der Zweitbeziehung dramaturgisch die passende Rolle. Vielmehr fließen ihm die sexistischen Anklänge in die Feder, weil er die Gelüste seiner Leser kennt und sie bedient.

Genauso, wenn er eine Justizministerin, die Seehofer abkanzelt, eine „dünne Blondine“ nennt: Das ist nicht der Blick des Autors auf die Frau, das ist der Blick Seehofers, in den sich der Autor hineinfühlt, bis hin zur Verschmelzung. Und das ist, was mich an dem Artikel abstieß: Er empört sich über die autoritäre, patriarchale Machtgier des Portraitierten, aber diese Empörung bleibt in der Fixierung, in der Faszination, die die angeklagten Umstände letztendlich verstärkt, indem sie sie als alternativlos darstellt.

Liebe Journalisten, schreibt mehr Unspektakuläres, Langweiliges, nicht Empörungswürdiges! Dann werden eure Texte von ganz allein interessant, ganz ohne Trickserei.

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Sonntag, 11. August 2019
Beim Aufräumen gefunden:

Manchmal ist es schon lustig, was man als Lehrer so erlebt.

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Samstag, 10. August 2019
Verjährung
Gordian Meyer-Plath - ich weiß nicht, ob Ihnen der Name was sagt. Damals in den wilden 90er Jahren, als im Osten die Saat gelegt wurde, die jetzt aufgeht, da arbeitete er für den brandenburgischen Verfassungsschutz, betreute so einen Messermann aus dem rechten Milieu (er hatte einen Schwarzen fast totgeschlagen) und dessen Projekt, die Herausgabe eines Skinhead-Blättchens aus dem Gefängnis heraus, sowie den Job bei einem rechten Szeneladen, damit er Freigang bekommen konnte.

Im NSU-Ausschuss ist das Meyer-Plath jetzt tatsächlich vorgeworfen worden. Deshalb ließ er durch die Staatsanwaltschaft feststellen, dass die betreffenden Taten ("aktive Beihilfe") längst verjährt sind. Was ich mich frage: Offenbar hat er doch genau durch diese beruflichen Erfahrungen die Eignung erworben, jetzt Verfassungsschutzpräsident in Sachsen zu werden. Verjährt diese Eignung denn gar nicht?

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Montag, 8. Juli 2019
Der verrückte Klassensprecher
Ich habe sicher schon öfter von ihm erzählt, aber so im Nachhinein, im Urlaub, gehen einem noch einmal die schrillsten Fälle durch den Kopf, und einen davon will ich hier aufschreiben. Obwohl bei mir, in einer Alphabetisierungsklasse für jugendliche Flüchtlinge, wo der Bodensatz derjenigen zusammengekehrt wird, die zu Hause nicht ordentlich zur Schule gingen oder gehen konnten, eigentlich jeder Fall irgendwie schrill ist: Da gab es z. B. die Somalierin, die schon als Kind aus Armutsgründen zur Tante nach Ägypten delegiert wurde, dort natürlich auch nicht zur Schule ging und schließlich, Jahre später, nach Deutschland weitergeschickt wurde. Da war an einen Hauptschulabschluss natürlich nicht zu denken, denn obwohl sie im Praktikum handfest (und umsichtig!) zupackte und auch im Politikunterricht interessiert und rege mit dabei war, ging es doch mit Lesen und Schreiben auch nach drei Jahren noch recht mühsam, und in Englisch ging rein gar nichts.

Genau aus diesem Grund gibt es ja die „Sprachersatzprüfung“, d. h. die Migranten dürfen anstatt Englisch ihre Herkunftssprache als Fremdsprache wählen für den Hauptschulabschluss. Aber welche sollte sie da wählen? Sie kann in keiner ihrer drei Sprachen (Somali, Arabisch, Deutsch) richtig lesen und schreiben.

Oder der andere Armutsflüchtling, der ägyptische, der dank Merkels Vereinbarung mit Al-Sisi alle zehn Tage seine Duldung verlängern muss, dem war das Minderwertigkeitsgefühl von seiner Herkunftsschule schon so eingeimpft, dass er sich nicht traute, die Sprachersatzprüfung auf Hocharabisch zu beantragen - bis er endlich irgendwann kapierte, dass er allemal besser Hocharabisch kann als deutsche Hauptschüler Englisch …

Ganz anders der verrückte Klassensprecher: Er erzählte jedem stolz, dass er sieben Sprachen spricht - allerdings tat er das immer gleichzeitig. Er ging die Dinge offensiv an, so konnte er sich am besten selbst vormachen, er habe die Kontrolle. So schaffte er es auch, dass die anderen ihn zum Klassensprecher wählten.

Sich auf irgendetwas konzentrieren konnte er allerdings nicht. Und da sich bei ihm nichts tat, machten die allmählichen Lernfortschritte der anderen ihm Angst, was sich in immer häufigeren Wutanfällen äußerte. Manche Lehrer hatten Angst vor ihm, manche Schüler auch.

Als er ein neues Handy hatte, ein iPhone, auf das er sehr stolz war, verborgte er sein Ladekabel gönnerhaft an deutsche Schüler, die ihre iPhones an den Normalo-Ladekabeln ihrer Mitschüler nicht geladen kriegten. (Sie kennen sicher das lästige Kompatibilitätsproblem mit den Apple-Geräten - meine Schulleiterin an der Designschule hatte einmal zwei Halbjahre hintereinander für Chaos in der Notenkonferenz gesorgt, weil der Adapter ihres schicken MacBooks partout nicht mit dem Beamer zusammenarbeiten wollte und die Notenlisten mündlich vorgetragen werden mussten.) Dann war Freitagmittag, er marschierte mit seinem iPhone ins Wochenende und hatte bald selbst keinen Strom mehr. (Dennoch, aber das war ein anderes Mal, telefonierte er abends lange mit seiner toten Mutter, wie mir die Betreuer erzählten.) Entsprechend tobte er am Montagmorgen wutentbrannt durch die Klassenräume und suchte sein Kabel.

Daraufhin weigerten sich die deutschen Schülerinnen, die er angeschrien hatte, weiter auf derselben Etage wie er unterrichtet zu werden. Eine Lehrerin, vor der er sich nach einer normalen Ermahnung stiernackig aufgebaut hatte, weigerte sich, noch länger in der Klasse zu bleiben. Und einer schicken Afghanin unterstellte er, ihn „Esel“ genannt zu haben, und verfolgte sie auf den Schulfluren mit wütenden Entschuldigungsforderungen. Dabei konnte er nur nicht ertragen, dass sie hübsch und gebildet war, obwohl sie aus demselben armen Land kam wie er. (Oder fand er sie einfach toll und ärgerte sich, von ihr übersehen zu werden?)

Nach den Tobsuchtsanfällen tat es ihm immer schrecklich leid und er entschuldigte sich in seinem Kauderwelsch wortreich bei mir als seinem Klassenlehrer. Eine Scheibe, die er in der Wut zerschlagen hatte, bezahlte er getreulich, anhand des Nebenjobs, den ihm der Vormund besorgt hatte. Zu Gegenüberstellungen mit seinen Kontrahenten war er aber emotional nicht in der Lage - ich hätte weitere Anfälle provoziert, das merkte ich schon.

Einmal zeigte er mir auf dem Handy seine „Freundinnen“ - die Alsterschwäne.

Als ein neuer Schüler in die Klasse kam, der sofort ägyptisch-machohaft eine Führungsrolle in der Gruppe beanspruchte, hatte er in dem Moment, in dem ich in der ersten kleinen Pausen kurz den Raum verließ, die Fäuste des Klassensprechers im Gesicht, und man sah sich erst vor Gericht wieder.

Was tut man mit so einem Schüler? Das fragten mich auch seine Klassenkameraden: ob es denn erlaubt sei, einen Verrückten zum Klassensprecher zu haben. Der Vormund brachte jedenfalls in Erfahrung, dass sein Mündel wegen genau solcher Vorfälle in Afghanistan keine Schule besucht hatte, und schickte ihn zum sozialpsychiatrischen Dienst. Der beurteilte ihn als schulfähig. Auch der Schulpsychologe, den ich kontaktierte, vermochte nur ein Fluchttrauma zu erkennen. Und wer bin ich, als Laie, hier psychiatrische Hilfe einzufordern?

Ich war ratlos. Aber zum Glück hatte ich einen pragmatischen Abteilungsleiter, der sich nicht nur formelrechtlich gut auskannte, sondern vor allem sah, dass hier ein Schüler begann, die ganze Abteilung zu demolieren. „Der Schulleiter hat mich ermahnt, dass es rechtlich nahezu unmöglich ist, einen Schüler auszuschulen, der das nicht will,“, erklärte er mir, „aber …“ Wer nach einem Jahr nicht alphabetisiert ist, kann nicht wie die anderen (die Somalierin schaffte es wie gesagt mit Ach und Krach) in die normale Flüchtlingsklasse wechseln in Richtung Schulabschluss und Ausbildung - also ab in eine andere Schule und nochmal von vorn.

Aber die, nicht dumm, nahm ihn nicht auf. Nach zwei Wochen hatten wir ihn wieder am Hals. Denn ein Über-18-Jähriger darf seine Schullaufbahn vollenden, sofern er das möchte. Und der verrückte Klassensprecher war wild entschlossen, seinen Abschluss zu machen, was auch immer er sich darunter vorstellte. Wieder half der Abteilungsleiter. Er sagte: „In dieses Gebäude hier kommt er mir nicht mehr, das kann ich nicht verantworten.“ und bastelte dem jungen Querkopf einen individuellen Schulplan zu wechselnden Uhrzeiten an einem Außenstandort der Schule. Der Plan ging auf: Der Eingeladene erschien nur sporadisch. Und ab 20 unentschuldigten Fehlstunden
kann dieses Verhalten als Ablehnung des Angebots zum freiwilligen Schulbesuch gelten …

Was aus ihm geworden ist, weiß ich nicht. Ich bin nur sicher, ein Psychiater wäre hilfreicher gewesen. Für alle Beteiligten.


P.S. Lustig in diesem Zusammenhang: Ein Bekannter, der interkulturelle Pädagogik studiert, erzählte mir neulich, dass folgende Idee in seinen Kreisen wissenschaftlich ernst genommen wird: Die Idee, alle Migranten müssten zuerst ordentlich Deutsch lernen, zeuge auch von nationaler Überheblichkeit - schließlich sei in vielen Wirtschaftszweigen das Englische Standard. Wie viel soziale Ignoranz brauch man eigentlich, um auf so eine Idee zu kommen?

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Sonntag, 5. Mai 2019
Beim Lesen alter Liebesliteratur
Ich lese gerade aus der Grabbelkiste erworben eine vor einigen Jahrzehnten erschienene Anthologie mit Liebesgeschichten und -gedichten("Wiedersehen mit der Liebe", Kreuz-Verlag 1991). Schon interessant, sich mal was ein bisschen Veraltetes anzugucken . Da gibt es eine Erzählung von Hermann Kesten, „Gabriel und Giulia“. Es geht um zwei ihren jeweiligen Partnern untreue Eheleute, die sich aus einem irgendwie noch komplexerem System gegenseitigen Betrugs entwinden und aus diesem Verrat ein Begehren füreinander generieren. Aber natürlich, nach der Liebesnacht verrät der Mann auch seine neue Liebe, indem er sie wiederum verlässt.

Wie lächerlich, dieses Sich-Berauschen am Verrat, das so typisch ist für das 20. Jahrhundert! Natürlich gibt es Verrat, und der ist schmerzhaft für den Verratenen. Aber das geht vorüber. Auf der anderen Seite gibt es dann auch Treue. Die ist schmerzhaft für den Treuen, wenn er der Versuchung widersteht. Und das geht ebenso schnell vorüber. Es gibt wirklich Wichtigeres, Interessanteres, Erregenderes.

Aber seien wir nicht zu überheblich! Eine andere Lächerlichkeit dieses 20. Jahrhunderts, jedenfalls seiner 2. Hälfte, nämlich die Manie, alles und jedes in ökonomische Beziehungen umzurechnen („Die auf Widerruf gestundete Zeit“ usw.), die treiben wir im Moment ja gerade auf die Spitze. Was werden künftige Generationen den Kopf schütteln über unsere Blödheit!

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Samstag, 27. April 2019
Kleine Testfrage
Als Sie Notre Dame brennen sahen, ist Ihnen da als Erstes der Gedanke an einen Anschlag durch den Kopf gefahren?

Wenn ja, dann haben Sie in den letzten Jahren zu viel Medien konsumiert und sollten mal an eine Reinigung Ihres Assoziationssystems denken.

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