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Montag, 9. August 2010
Eine Innenansicht der Gauck-Behörde, Teil 3
damals, 23:01h
Man sieht, es kann nicht gelingen, was Fuchs sich vornimmt. Warum nur tut er es? Wahrscheinlich kann er nicht anders. Mir scheint, er ist zu sehr verletzt, zu tief gedemütigt worden von seinen Häschern, als dass er je von ihnen loskommen kann. Als ich in den achtziger Jahren Anfang zwanzig war und das noch ziemlich verboten, waren Fuchs‘ „Gedächtnisprotokolle“ für mich ein wesentliches Leseerlebnis, die Unvoreingenommenheit, Genauigkeit und Unbestechlichkeit seines Blicks faszinierten mich, und ich vermute, diese Eigenschaften sind auch der Grund, weshalb kein anderer DDR-Regimekritiker – kein Biermann, kein Loest, keine Bohley – von der Stasi mit einem derart infernalischem Hass verfolgt wurde. Fuchs findet u. a. einen IM-Bericht folgenden Inhalts über die Zeit nach seiner Ausbürgerung: Der IM berichtet von einem Gespräch mit dem für Fuchs zuständigen SPIEGEL-Redakteur. Der meint, Fuchs werde langsam paranoid, sehe sich auch im Wedding überall von Stasi umzingelt. Aber er hätte das durch den Staatsschutz prüfen lassen – da seien keine Spitzel in seiner Nähe. Tatsächlich war Fuchs in Westberlin von 40 IM umgeben, einige sägten an seinem Auto, andere zündeten einen Brandsatz vor dem haus, als seine Tochter zur Schule ging.
Ich glaube, man kann – Unbestechlichkeit hin oder her – sowas nicht erleben, ohne ein bisschen die Relationen zu verlieren. Fuchs hofft, dass sich das Blatt gewendet haben könnte. Das hat es tatsächlich, aber er kann nicht verstehen, dass den neuen Eliten stabile Verhältnisse wichtiger sind als eine konsequente Verfolgung der Täter. Und in seiner Wut, dass man nun, in der Bundesrepublik, vieles gelassen unaufgeklärt lässt, verrennt er sich völlig. So ist ein nicht unerheblicher Teil seines Buches dem ungeklärten Tod seines Jenaer Mitstreiters Matthias Domaschk gewidmet. Auch die Staatsanwaltschaft nach der Wende hat den Fall nicht klären können, nun versucht es Fuchs – und scheitert auf der ganzen Linie. Doch was er dabei, quasi unterwegs, noch alles an Details herausfindet, ist dennoch aufschlussreich.
Es war 1981. Die Stasi bekam die Jenaer Oppositionsgruppe einfach nicht unter Kontrolle (etwas in der DDR ganz Ungewöhnliches), stand entsprechend unter Erfolgsdruck. Da reisen zwei davon am Wochenende nach Berlin – zu einer privaten Geburtstagsfeier – aber das weiß die Stasi nicht und argwöhnt schlimme Aktionen, da in Berlin grade ein SED-Parteitag läuft (ganz typisch, dieser Irrtum, wie wichtig die ihre albernen Politshows nahmen, ein Leben jenseits davon konnten sie sich nicht vorstellen). In Jüterbog holen sie die Leute aus dem Zug, schleppen sie ins Bezirksquartier nach Gera, verhören sie zwei Tage und zwei Nächte, müssen aber ihren Irrtum einsehen und sie laufen lassen. Damit sie aber wenigstens irgendeinen Erfolg melden können, pressen sie einem von ihnen, Matthias Domaschk, noch eine IM-Verpflichtungserklärung ab – mit welchen Methoden, das kann später nicht mehr geklärt werden. Eine Stunde später, Domaschk war einige Zeit unbewacht in einem Raum, ist der Mann tot, erhängt. Selbstmord? Fuchs zweifelt daran und findet jede Menge Ungereimtheiten. Zunächst empört ihn, dass alle beteiligten Stasi-Leute sich gegenseitig decken und hält dies für eine besondere Stasi-Infamie. Falsch! Ein solches Verhalten ist, so mies es ist, auch nahe liegend und schon auf vielen Polizeistationen auf der ganzen Welt beobachtet worden, auch auf bundesrepublikanischen. So etwas kann leicht passieren, wenn es nur parteiische Beteiligte gibt, die einander kollegial verbunden sind und die gemeinsam gehandelt haben, so dass keiner ganz ohne Schuld ist. Fuchs beschäftigt sich auch mit der Untersuchung des Falls durch die bundesdeutsche Staatsanwaltschaft Erfurt nach 1990. Er weist nach, dass diese bei der erneuten Vernehmung und Aktenprüfung auf plumpe Stasi-Lügen hereingefallen ist, und er zeigt, dass und warum sie darauf hereinfallen wollte. Natürlich ist das unschön (bei genauerem Hinsehen vermutlich sogar rechtswidrig), aber stasifreundliche Tendenzen bei einer ostdeutschen Staatsanwaltschaft finde ich nicht besonders verwunderlich. Fuchs setzt sich hier selbst ins Unrecht, indem er vergeblich einen Mord zu beweisen versucht, der vermutlich gar keiner gewesen ist. Und er zementiert dieses rhetorische Eigentor, indem er das am Ende der ellenlangen Ausführungen auch eingesteht. Letztendlich lenkt er damit selber von der Tatsache ab, dass die Geschichte von ungesühnten Straftaten wimmelt (von der Freiheitsberaubung durch die Transportpolizei am Beginn bis hin zur Rechtsbeugung durch die Erfurter Staatsanwaltschaft am Ende). Deshalb soll das hier noch einmal betont werden.
Ich glaube, man kann – Unbestechlichkeit hin oder her – sowas nicht erleben, ohne ein bisschen die Relationen zu verlieren. Fuchs hofft, dass sich das Blatt gewendet haben könnte. Das hat es tatsächlich, aber er kann nicht verstehen, dass den neuen Eliten stabile Verhältnisse wichtiger sind als eine konsequente Verfolgung der Täter. Und in seiner Wut, dass man nun, in der Bundesrepublik, vieles gelassen unaufgeklärt lässt, verrennt er sich völlig. So ist ein nicht unerheblicher Teil seines Buches dem ungeklärten Tod seines Jenaer Mitstreiters Matthias Domaschk gewidmet. Auch die Staatsanwaltschaft nach der Wende hat den Fall nicht klären können, nun versucht es Fuchs – und scheitert auf der ganzen Linie. Doch was er dabei, quasi unterwegs, noch alles an Details herausfindet, ist dennoch aufschlussreich.
Es war 1981. Die Stasi bekam die Jenaer Oppositionsgruppe einfach nicht unter Kontrolle (etwas in der DDR ganz Ungewöhnliches), stand entsprechend unter Erfolgsdruck. Da reisen zwei davon am Wochenende nach Berlin – zu einer privaten Geburtstagsfeier – aber das weiß die Stasi nicht und argwöhnt schlimme Aktionen, da in Berlin grade ein SED-Parteitag läuft (ganz typisch, dieser Irrtum, wie wichtig die ihre albernen Politshows nahmen, ein Leben jenseits davon konnten sie sich nicht vorstellen). In Jüterbog holen sie die Leute aus dem Zug, schleppen sie ins Bezirksquartier nach Gera, verhören sie zwei Tage und zwei Nächte, müssen aber ihren Irrtum einsehen und sie laufen lassen. Damit sie aber wenigstens irgendeinen Erfolg melden können, pressen sie einem von ihnen, Matthias Domaschk, noch eine IM-Verpflichtungserklärung ab – mit welchen Methoden, das kann später nicht mehr geklärt werden. Eine Stunde später, Domaschk war einige Zeit unbewacht in einem Raum, ist der Mann tot, erhängt. Selbstmord? Fuchs zweifelt daran und findet jede Menge Ungereimtheiten. Zunächst empört ihn, dass alle beteiligten Stasi-Leute sich gegenseitig decken und hält dies für eine besondere Stasi-Infamie. Falsch! Ein solches Verhalten ist, so mies es ist, auch nahe liegend und schon auf vielen Polizeistationen auf der ganzen Welt beobachtet worden, auch auf bundesrepublikanischen. So etwas kann leicht passieren, wenn es nur parteiische Beteiligte gibt, die einander kollegial verbunden sind und die gemeinsam gehandelt haben, so dass keiner ganz ohne Schuld ist. Fuchs beschäftigt sich auch mit der Untersuchung des Falls durch die bundesdeutsche Staatsanwaltschaft Erfurt nach 1990. Er weist nach, dass diese bei der erneuten Vernehmung und Aktenprüfung auf plumpe Stasi-Lügen hereingefallen ist, und er zeigt, dass und warum sie darauf hereinfallen wollte. Natürlich ist das unschön (bei genauerem Hinsehen vermutlich sogar rechtswidrig), aber stasifreundliche Tendenzen bei einer ostdeutschen Staatsanwaltschaft finde ich nicht besonders verwunderlich. Fuchs setzt sich hier selbst ins Unrecht, indem er vergeblich einen Mord zu beweisen versucht, der vermutlich gar keiner gewesen ist. Und er zementiert dieses rhetorische Eigentor, indem er das am Ende der ellenlangen Ausführungen auch eingesteht. Letztendlich lenkt er damit selber von der Tatsache ab, dass die Geschichte von ungesühnten Straftaten wimmelt (von der Freiheitsberaubung durch die Transportpolizei am Beginn bis hin zur Rechtsbeugung durch die Erfurter Staatsanwaltschaft am Ende). Deshalb soll das hier noch einmal betont werden.
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Sonntag, 8. August 2010
Eine Innenansicht der Gauck-Behörde, Teil 2
damals, 20:48h
Warum tut ein Mensch sich so etwas an? Fuchs redete sich ein, seine Gründe seien rein sachlicher Natur. Er wollte Freunden und Mitstreitern so möglichst weit reichende Kenntnis ihrer Stasi-Akten ermöglichen. Er wollte einen Ausgleich schaffen für die von ihm abgelehnte Praxis, dass die Akten vor „Akteneinsicht“ prepariert werden, um Persönlichkeitsrechte anderer zu schützen. Denn niemand kontrolliert den Behördenmitarbeiter, der die Akten sucht und vorbereitet. Dieser kann eine Akte einfach „nicht finden“, (ein Vorgehen, das Alexander Osang in seinem Roman „die nachrichten“ anschaulich schildert), er kann nach eigenem Ermessen Stellen schwärzen, Seiten weglassen usw., wenn etwas zu peinlich für seine ehemaligen Kollegen ist oder gar strafrechtliche Konsequenzen für sie befürchten lässt. Und auch bei den Mitarbeitern der westlichen Dienste, die in der Behörde tätig sind, weiß man nicht, ob sie wirklich nur die Stasis kontrollieren oder nicht auch Informationen über ihre eigenen Arbeitgeber unkenntlich machen (ich denke da z.B. an die, so Gauck, „erhebliche ausgedünnte“ des Agenten Karlheinz Kurras). Fuchs kann hier nachbessern – mit seinem Dienstausweis darf er alles im Original einsehen. Nur: Wie viel kann ein einzelner Mensch wirklich erreichen bei dieser Aufgabe, insbesondere bei der zu erwartenden Gegenwehr?
Man muss sich die Situation vorstellen, in die Fuchs da reinrutscht (er selbst tut das leider gar nicht) - das ist ja schon fast „undercover“: Der Bürgerrechtler wird vom Behördenchef persönlich als einfacher Mitarbeiter eingestellt, um Seilschaften aufzudecken. Natürlich schlägt ihm der blanke Hass entgegen. Schon vor seinem Dienstantritt warnt der Betriebsrat vor zu erwartenden Veröffentlichungen dieses renitenten Menschen. Ihn direkt anzugreifen, wagt man nicht, aber sein vor der Behörde parkendes Auto hat eines Tages kaputte Reifen und Bremsen. Und schließlich, da man Fuchs als Stasi-Jäger nicht loswerden kann, versucht man diese seine Rolle zu manipulieren. Sein direkter Vorgesetzter, Dr. Rolle, vor `89 bei der Akademie der Wissenschaften, ein sicher braver, aber gebildeter DDR-Bürger, findet „zufällig“ belastendes Material über den Bürgerrechtler Jens Reich und übergibt es Fuchs als zu dessen Bereich gehörig. Der fällt zunächst auf den Denunziationsversuch rein, prüft dann aber die Umstände und erkennt: Reich war doch kein IM – anders als (wie sich später herausstellt) der brave Dr. Rolle. Erfolgreicher ist Rolles ehemaliger Kollege bei der Akademie der Wissenschaften, Klaus Richter, ausgebildeter Stasi-Agent, in der Wendezeit kurzzeitig Geschäftsführer der ostdeutschen Grünen, er leitet bei der Gauck-Behörde das Nachbarreferat. Als Richter erfährt, dass Jürgen Fuchs manchmal mit Gesprächen oder Adressen von Unterstützer-Vereinen aushilft, wenn Behördenmitarbeiter mit traumatisierten Antragstellern nicht klarkommen, hat er eine Idee. Um solches individuelles Handeln (und vor allem das Fraternisieren einzelner Mitarbeiter mit Fuchs) wirksam zu unterbinden, schlägt er eine Institutionalisierung vor: Fuchs soll eine Weiterbildung für Behördenmitarbeiter anbieten: „Veranstaltung zu Problemfällen“. Das gelingt: Die betreffenden Mitarbeiter erscheinen ossihaft brav zu den Veranstaltungen und erwarten klare Instruktionen zum Umgang mit „Problemfällen“. Als der Referent stattdessen „angstfreies Miteinander-Reden“, ja sogar „persönliches Sprechen“ empfiehlt, fühlen sie sich überfordert. Augenrollen, Kopfschütteln erfolgen, eine feindselige Atmosphäre entsteht. Fuchs ist als Gefühlsdusel und Hippie, als „Betroffener“ stigmatisiert und somit unschädlich gemacht: „Sie sind Psychologe und waren Betroffener, pardon, sind Betroffener.“ sagt ein Kollege mit schlecht versteckter Verachtung.
Man muss sich die Situation vorstellen, in die Fuchs da reinrutscht (er selbst tut das leider gar nicht) - das ist ja schon fast „undercover“: Der Bürgerrechtler wird vom Behördenchef persönlich als einfacher Mitarbeiter eingestellt, um Seilschaften aufzudecken. Natürlich schlägt ihm der blanke Hass entgegen. Schon vor seinem Dienstantritt warnt der Betriebsrat vor zu erwartenden Veröffentlichungen dieses renitenten Menschen. Ihn direkt anzugreifen, wagt man nicht, aber sein vor der Behörde parkendes Auto hat eines Tages kaputte Reifen und Bremsen. Und schließlich, da man Fuchs als Stasi-Jäger nicht loswerden kann, versucht man diese seine Rolle zu manipulieren. Sein direkter Vorgesetzter, Dr. Rolle, vor `89 bei der Akademie der Wissenschaften, ein sicher braver, aber gebildeter DDR-Bürger, findet „zufällig“ belastendes Material über den Bürgerrechtler Jens Reich und übergibt es Fuchs als zu dessen Bereich gehörig. Der fällt zunächst auf den Denunziationsversuch rein, prüft dann aber die Umstände und erkennt: Reich war doch kein IM – anders als (wie sich später herausstellt) der brave Dr. Rolle. Erfolgreicher ist Rolles ehemaliger Kollege bei der Akademie der Wissenschaften, Klaus Richter, ausgebildeter Stasi-Agent, in der Wendezeit kurzzeitig Geschäftsführer der ostdeutschen Grünen, er leitet bei der Gauck-Behörde das Nachbarreferat. Als Richter erfährt, dass Jürgen Fuchs manchmal mit Gesprächen oder Adressen von Unterstützer-Vereinen aushilft, wenn Behördenmitarbeiter mit traumatisierten Antragstellern nicht klarkommen, hat er eine Idee. Um solches individuelles Handeln (und vor allem das Fraternisieren einzelner Mitarbeiter mit Fuchs) wirksam zu unterbinden, schlägt er eine Institutionalisierung vor: Fuchs soll eine Weiterbildung für Behördenmitarbeiter anbieten: „Veranstaltung zu Problemfällen“. Das gelingt: Die betreffenden Mitarbeiter erscheinen ossihaft brav zu den Veranstaltungen und erwarten klare Instruktionen zum Umgang mit „Problemfällen“. Als der Referent stattdessen „angstfreies Miteinander-Reden“, ja sogar „persönliches Sprechen“ empfiehlt, fühlen sie sich überfordert. Augenrollen, Kopfschütteln erfolgen, eine feindselige Atmosphäre entsteht. Fuchs ist als Gefühlsdusel und Hippie, als „Betroffener“ stigmatisiert und somit unschädlich gemacht: „Sie sind Psychologe und waren Betroffener, pardon, sind Betroffener.“ sagt ein Kollege mit schlecht versteckter Verachtung.
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Samstag, 7. August 2010
Eine Innenansicht der Gauck-Behörde
damals, 20:51h
Der folgende Text ist ein Referat meiner Urlaubslektüre, „Magdalena“ von Jürgen Fuchs, einem Erfahrungsbericht über seine Zeit als Mitarbeiter der Gauck-Behörde. Das Buch ist leider larmoyant, ungerecht und übertrieben, was die Formulierungen betrifft – kurz: kaum lesbar, für einen Wessi schon gar nicht. Entsprechend fand es bei seinem Erscheinen 1998 kaum Aufmerksamkeit, die überregionalen Zeitungen fühlten sich wohl zu Rezensionen verpflichtet, auch zu Mitgefühl, aber kaum zu Verständnis. Das ist schade. Ich finde nämlich, dass die Aussagen und Beobachtungen von Fuchs wissenswert und aufschlussreich sind (für alle Deutschen) – daher fasse ich diese hier zusammen und hoffe auch auf viele Leser für mein Exzerpt, das ich hier häppchenweise als Serie vorlege.
Zunächst zum Autor: Jürgen Fuchs stand seinem Land, der DDR, und dem Sozialismus in seiner Jugend nicht grundsätzlich negativ gegenüber. Er besaß aber den Mut (oder die Naivität?) in den 70er Jahren in Jena ausgerechnet „Sozialpsychologie“ zu studieren. Das musste schief gehen, jedenfalls für einen ehrlichen und vorurteilsfreien Menschen wie ihn. Er begann mit dem Schreiben von sozial engagierter Lyrik, kam in Kontakt mit Pannach und Kunert (von der bald darauf verbotenen Renft-Combo), Bettina Wegener und Wolf Biermann und wurde deshalb kurz vor Abschluss seines Examens exmatrikuliert. Weitere Stationen: Untermieter bei Robert Havemann in Berlin, Inhaftierung, ein knappes Jahr später Ausbürgerung, dann Sozialarbeiter in Westberlin, Anfang der neunziger Jahre Mitarbeiter der Gauck-Behörde. Von dieser letzten Station seiner Biografie (Fuchs starb 1999 an Krebs) handelt das Buch.
Das klingt zunächst mal banal und langweilig nach DDR-Bürgerrechtler. Ist aber alles andere als langweilig. Man vergegenwärtige sich die Situation: Da war die Wende und da waren die Stasi-Akten und die Frage: Was tun damit? Die einen wollten alles offenlegen und begannen schon damit und die anderen wollten alles vernichten und begannen auch schon damit. Die neue Ordnungsmacht, der westdeutsche Staat, entschied sich für einen Kompromiss. Eine Behörde wurde geschaffen und die Akten ihr unterstellt, die Bürger sollten dort aber auch Einsicht in sie betreffende unterlagen erhalten können. Chef musste natürlich ein unbelasteter Ossi werden (der Rostocker Pfarrer Joachim Gauck), Stellvertreter und eigentlicher spiritus rector ein hoher Geheimdienstmann aus dem Westen (der spätere BND-Chef Hansjörg Geiger). Man entschied sich, in größerem Umfang auch alte Stasi-Mitarbeiter bei der neuen Behörde einzustellen – das erleichterte die bürokratischen Abläufe, da die Leute mit der Materie vertraut waren und unbefangen mit dem Material umgingen. Außerdem vermied man so eine unnötige soziale Unruhe unter Leuten, die sich jetzt plötzlich als Täter fühlen mussten. Man verfuhr also ähnlich wie auch 1945, als man mit dieser Methode – beide Augen zudrücken und schuldbewusste Täter flugs in diensteifrige Untertanen des neuen Systems umwandeln – schon gute Erfahrungen gemacht hatte, was die (Wieder-)Herstellung eines handlungsfähigen Staates betrifft.
Natürlich ist dies Vorgehen moralisch einigermaßen fragwürdig. Daher brauchte es irgendwie einen Ausgleich, um wiederum die Opfer zu beruhigen, vielleicht auch, um die resozialisierten Stasis ein bisschen in ihre Schranken zu verweisen. Gauck lud also einige prominente DDR-Bürgerrechtler zu einem Gespräch ein, warb um ihre Mitarbeit. Aber nur Jürgen Fuchs begeisterte sich für die Aufgabe, als Behördenmitarbeiter in den Sumpf zu tauchen. Die anderen lehnten dankend ab. Offensichtlich erleichtert bestärkten sie Fuchs, die Aufgabe allein zu übernehmen. So geschah es. Er wurde eingestellt.
Zunächst zum Autor: Jürgen Fuchs stand seinem Land, der DDR, und dem Sozialismus in seiner Jugend nicht grundsätzlich negativ gegenüber. Er besaß aber den Mut (oder die Naivität?) in den 70er Jahren in Jena ausgerechnet „Sozialpsychologie“ zu studieren. Das musste schief gehen, jedenfalls für einen ehrlichen und vorurteilsfreien Menschen wie ihn. Er begann mit dem Schreiben von sozial engagierter Lyrik, kam in Kontakt mit Pannach und Kunert (von der bald darauf verbotenen Renft-Combo), Bettina Wegener und Wolf Biermann und wurde deshalb kurz vor Abschluss seines Examens exmatrikuliert. Weitere Stationen: Untermieter bei Robert Havemann in Berlin, Inhaftierung, ein knappes Jahr später Ausbürgerung, dann Sozialarbeiter in Westberlin, Anfang der neunziger Jahre Mitarbeiter der Gauck-Behörde. Von dieser letzten Station seiner Biografie (Fuchs starb 1999 an Krebs) handelt das Buch.
Das klingt zunächst mal banal und langweilig nach DDR-Bürgerrechtler. Ist aber alles andere als langweilig. Man vergegenwärtige sich die Situation: Da war die Wende und da waren die Stasi-Akten und die Frage: Was tun damit? Die einen wollten alles offenlegen und begannen schon damit und die anderen wollten alles vernichten und begannen auch schon damit. Die neue Ordnungsmacht, der westdeutsche Staat, entschied sich für einen Kompromiss. Eine Behörde wurde geschaffen und die Akten ihr unterstellt, die Bürger sollten dort aber auch Einsicht in sie betreffende unterlagen erhalten können. Chef musste natürlich ein unbelasteter Ossi werden (der Rostocker Pfarrer Joachim Gauck), Stellvertreter und eigentlicher spiritus rector ein hoher Geheimdienstmann aus dem Westen (der spätere BND-Chef Hansjörg Geiger). Man entschied sich, in größerem Umfang auch alte Stasi-Mitarbeiter bei der neuen Behörde einzustellen – das erleichterte die bürokratischen Abläufe, da die Leute mit der Materie vertraut waren und unbefangen mit dem Material umgingen. Außerdem vermied man so eine unnötige soziale Unruhe unter Leuten, die sich jetzt plötzlich als Täter fühlen mussten. Man verfuhr also ähnlich wie auch 1945, als man mit dieser Methode – beide Augen zudrücken und schuldbewusste Täter flugs in diensteifrige Untertanen des neuen Systems umwandeln – schon gute Erfahrungen gemacht hatte, was die (Wieder-)Herstellung eines handlungsfähigen Staates betrifft.
Natürlich ist dies Vorgehen moralisch einigermaßen fragwürdig. Daher brauchte es irgendwie einen Ausgleich, um wiederum die Opfer zu beruhigen, vielleicht auch, um die resozialisierten Stasis ein bisschen in ihre Schranken zu verweisen. Gauck lud also einige prominente DDR-Bürgerrechtler zu einem Gespräch ein, warb um ihre Mitarbeit. Aber nur Jürgen Fuchs begeisterte sich für die Aufgabe, als Behördenmitarbeiter in den Sumpf zu tauchen. Die anderen lehnten dankend ab. Offensichtlich erleichtert bestärkten sie Fuchs, die Aufgabe allein zu übernehmen. So geschah es. Er wurde eingestellt.
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Schön wars im Spreewald ...
damals, 20:50h
...aber jetzt bin ich wieder da, freue mich, dass in meiner Abwesenheit doch hier gelesen und kommentiert wurde und präsentiere neue Ergüsse (ja, schon wieder DDR-Vergangeheit, ich kann nun mal nicht anders ..). Voila!
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Dienstag, 13. Juli 2010
Die Hamburger Schulreform und ihre Wahlplakate
damals, 18:48h
In Hamburg gibt es in einigen Tagen eine Volksabstimmung über die Schulreform ... na ja, jedenfalls über einen Teil von ihr. Das Wesentliche ist natürlich schon beschlossen: Man will vom dreigliedrigen (bzw. viergliedrigen, wenn man die Gesamtschulen mitrechnet) zum zweigliedrigen Schulsystem übergehen. Notwendig geworden ist dieser Schritt, weil die Hauptschule, diese bedauernswerte Schulform, seit einigen Jahrzehnten derart schamlos in die Enge getrieben wurde, dass man sie ehrlicherweise aus dem allgemeinen Schulsystem ausgliedern, in „Maßnahmeträger“ umbenennen und den Jobcentern unterstellen müsste. Manche in der Bevölkerung würden sich das auch wünschen – man wäre dann ein Problem los, kostengünstiger wäre es auch – man würde Lehrergehälter sparen und könnte stattdessen Sozialpädagogen und ähnliches niederes Volk einstellen. Aber leider gilt die Schulpflicht immer noch für alle Schichten der Bevölkerung.
Und so erweist man der Hauptschule immerhin eine letzte Gnade, sie nämlich abzuschaffen zugunsten einer weiterführenden allgemeinen Schule, die alle Schüler umfasst mit Ausnahme der Gymnasiasten. Und dem Hamburger Wahlvolk bleibt die Entscheidung überlassen, ob man diese neue Schulform, „Stadtteilschule“ genannt, sowie die Gymnasien schon nach vier oder erst nach sechs Jahren Grundschule beginnen lassen will. Es geht also um die Frage, ob die Grundschule nur eine Art Vorschule sein soll, an der man schon mal Lesen, Schreiben und das Einmaleins erlernt, bevor anderswo komplexere Dinge gelehrt werden, oder ob es über die Grundbildung hinaus irgendeinen allgemeinen Bildungskanon für alle gibt, ungeachtet, ihrer sozialen, religiösen oder ethnischen Herkunft.
Wie Sie sehen, habe ich eine Meinung der Sache, die ich auch schon per Briefwahl kundgetan habe. Wenn man aber die aktuellen Wahlplakate zum Volksentscheid anguckt, dürfte man sich eigentlich überhaupt nicht beteiligen an der Auseinandersetzung, so blöd argumentieren beide Seiten. Die FDP ist natürlich für ein langes Gymnasium und daher gegen die sechsjährige Grundschule. Ihr überall plakatiertes Argument: „Jedes Kind ist anders. Warum also ein starres Schulsystem?“ Was für eine Logik! Als wäre ein Schulsystem, das nach Klasse 4 schon die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen wirft, auf irgendeine Weise weniger starr als eins, das dies nach sechs Jahren tut! Ob ein Schulsystem starr ist oder auf Individuen eingeht, das erweist sich doch daran, ob und wie durchlässig es für Schulwechsler ist, und nicht daran, ob die eigenen Kinder schon früh aufs Gymnasium dürfen. Mir scheint, die FDP verwechselt hier mal wieder „liberal“ mit „kapitalistisch“: Es geht nicht um irgendeine Freiheit für individuell unterschiedliche Kinder, sondern um das Besitzrecht der Eltern an ihren Kindern. Und komisch: Genau denselben Herrschaftsanspruch vertreten Hamburg und seine Schulbehörde, die uns per Plakat wissen lassen: „Wir wollen mehr als gute Werte – guten Unterricht.“ Hier steckt doch als Idee dahinter: Die Werte sind uns ziemlich egal, solange wir die Schulstruktur bestimmen, die Didaktiken schreiben lassen und die Aufgaben fürs Zentralabitur festlegen. Dazu passt auch das laut schreiende Mädchen auf dem offiziellen Pro-Schulreform-Plakat, das auf plumpeste Weise das linke Klischee vom aufmüpfigen Gör bedient (Oh, Irmgard Keun, was hast du angerichtet!) – während den Reformgegnern für ihr Plakat ein braver blonder Junge und ein kindisch lächelnder Schulranzen einfallen.
Dass Schule ein Dienstleistung ist, und zwar für die Kinder, nicht für die Eltern, das scheint den technokratischen Reformern so wenig bewusst zu sein wie den egomanen Reformgegnern.
Und so erweist man der Hauptschule immerhin eine letzte Gnade, sie nämlich abzuschaffen zugunsten einer weiterführenden allgemeinen Schule, die alle Schüler umfasst mit Ausnahme der Gymnasiasten. Und dem Hamburger Wahlvolk bleibt die Entscheidung überlassen, ob man diese neue Schulform, „Stadtteilschule“ genannt, sowie die Gymnasien schon nach vier oder erst nach sechs Jahren Grundschule beginnen lassen will. Es geht also um die Frage, ob die Grundschule nur eine Art Vorschule sein soll, an der man schon mal Lesen, Schreiben und das Einmaleins erlernt, bevor anderswo komplexere Dinge gelehrt werden, oder ob es über die Grundbildung hinaus irgendeinen allgemeinen Bildungskanon für alle gibt, ungeachtet, ihrer sozialen, religiösen oder ethnischen Herkunft.
Wie Sie sehen, habe ich eine Meinung der Sache, die ich auch schon per Briefwahl kundgetan habe. Wenn man aber die aktuellen Wahlplakate zum Volksentscheid anguckt, dürfte man sich eigentlich überhaupt nicht beteiligen an der Auseinandersetzung, so blöd argumentieren beide Seiten. Die FDP ist natürlich für ein langes Gymnasium und daher gegen die sechsjährige Grundschule. Ihr überall plakatiertes Argument: „Jedes Kind ist anders. Warum also ein starres Schulsystem?“ Was für eine Logik! Als wäre ein Schulsystem, das nach Klasse 4 schon die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen wirft, auf irgendeine Weise weniger starr als eins, das dies nach sechs Jahren tut! Ob ein Schulsystem starr ist oder auf Individuen eingeht, das erweist sich doch daran, ob und wie durchlässig es für Schulwechsler ist, und nicht daran, ob die eigenen Kinder schon früh aufs Gymnasium dürfen. Mir scheint, die FDP verwechselt hier mal wieder „liberal“ mit „kapitalistisch“: Es geht nicht um irgendeine Freiheit für individuell unterschiedliche Kinder, sondern um das Besitzrecht der Eltern an ihren Kindern. Und komisch: Genau denselben Herrschaftsanspruch vertreten Hamburg und seine Schulbehörde, die uns per Plakat wissen lassen: „Wir wollen mehr als gute Werte – guten Unterricht.“ Hier steckt doch als Idee dahinter: Die Werte sind uns ziemlich egal, solange wir die Schulstruktur bestimmen, die Didaktiken schreiben lassen und die Aufgaben fürs Zentralabitur festlegen. Dazu passt auch das laut schreiende Mädchen auf dem offiziellen Pro-Schulreform-Plakat, das auf plumpeste Weise das linke Klischee vom aufmüpfigen Gör bedient (Oh, Irmgard Keun, was hast du angerichtet!) – während den Reformgegnern für ihr Plakat ein braver blonder Junge und ein kindisch lächelnder Schulranzen einfallen.
Dass Schule ein Dienstleistung ist, und zwar für die Kinder, nicht für die Eltern, das scheint den technokratischen Reformern so wenig bewusst zu sein wie den egomanen Reformgegnern.
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Samstag, 3. Juli 2010
Kleine Anmerkung zur Bundespräsidentenwahl
damals, 20:39h
Ich hab ja mit Gauck sympathisiert. Nicht dass das jetzt eine Heldenfigur wäre für mich, nein, alles andere als das. Aber eben auch nicht so ein aalglatter Typ wie Wulff, dem ich – ich weiß, das ist ungerecht – nicht über den Weg traue, nur seines Aussehens wegen. So sahen halt die Streber in meiner Jugend auch aus, die DSF-Kassierer und Träger des Abzeichens für gutes Wissen in Gold ...
Aber dies nur vorausgeschickt, um meine Unsachlichkeit gleich einzugestehen. Was mich wirklich aufgeregt hat bei dieser Wahl, das ist, wie sich viele Parteigänger der Linken (einer Partei, die ich um ein Haar gewählt hätte neulich, ich Naivling!), gerade hier im Internet aufgeführt haben, wie viel Gift sie über Gauck ausgegossen haben, während man über Wulff sogar ab und an ein „ganz okay“ hören konnte. Ach so? Wieso ist bei es Gauck „stockkonservativ“, wenn er den Kriegseinsatz in Afghanistan vorsichtig mainstream mit dem Hinweis auf die UNO befürwortet, bei Wulff (der nicht anders denkt) aber nicht? Man gucke sich die beiden Kandidaten an, nur die Gesichter: Ich finde, man sieht sofort, welcher von beiden der „Neoliberale“, der „fanatische Antikommunist“ ist, oder? Für wie blöd haltet ihr uns eigentlich, dass wir euch das glauben sollen?! Dass wir glauben sollen, ihr hasst Gauck wegen einer irgendwie exponierten politischen Haltung und nicht, weil bei der Aufdeckung einiger Untaten eurer Kumpel mitgewirkt hat.
Na, und überhaupt das Wort „neoliberal“, das ist völlig zum Denunziantenbegriff verkommen. Früher hieß es bei euch immer „kleinbürgerlich“, wenn man sein Gegenüber niedermachen wollte. Denn man kam aus kleinen Verhältnissen, träumte vom Aufstieg und wollte den anderen dahin zurückstoßen, wo er vielleicht auch herkam. Heute also „neoliberal“. Man ist selber Nutznießer der Verhältnisse, aber sauer darüber, dass einem die alte Seilschaft nur eine kleine GmbH verschaffen konnte, während ein Gerhard Schröder sich bei Gazprom dumm und dämlich verdient. Dann ist der also „neoliberal“ und man findet es total ungerecht, dass man nicht auch so viel verdient. Dann mauschelt man in Hinterzimmern und wütet, weil es nur für eine Anstellung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung reicht, während die drüben über den Seeheimer Kreis noch ganz andere Posten abfassen. Und man findet den ganzen Neoliberalismus eine einzige Ungerechtigkeit. Ja, das stimmt. Aber ich gönn es euch.
Aber dies nur vorausgeschickt, um meine Unsachlichkeit gleich einzugestehen. Was mich wirklich aufgeregt hat bei dieser Wahl, das ist, wie sich viele Parteigänger der Linken (einer Partei, die ich um ein Haar gewählt hätte neulich, ich Naivling!), gerade hier im Internet aufgeführt haben, wie viel Gift sie über Gauck ausgegossen haben, während man über Wulff sogar ab und an ein „ganz okay“ hören konnte. Ach so? Wieso ist bei es Gauck „stockkonservativ“, wenn er den Kriegseinsatz in Afghanistan vorsichtig mainstream mit dem Hinweis auf die UNO befürwortet, bei Wulff (der nicht anders denkt) aber nicht? Man gucke sich die beiden Kandidaten an, nur die Gesichter: Ich finde, man sieht sofort, welcher von beiden der „Neoliberale“, der „fanatische Antikommunist“ ist, oder? Für wie blöd haltet ihr uns eigentlich, dass wir euch das glauben sollen?! Dass wir glauben sollen, ihr hasst Gauck wegen einer irgendwie exponierten politischen Haltung und nicht, weil bei der Aufdeckung einiger Untaten eurer Kumpel mitgewirkt hat.
Na, und überhaupt das Wort „neoliberal“, das ist völlig zum Denunziantenbegriff verkommen. Früher hieß es bei euch immer „kleinbürgerlich“, wenn man sein Gegenüber niedermachen wollte. Denn man kam aus kleinen Verhältnissen, träumte vom Aufstieg und wollte den anderen dahin zurückstoßen, wo er vielleicht auch herkam. Heute also „neoliberal“. Man ist selber Nutznießer der Verhältnisse, aber sauer darüber, dass einem die alte Seilschaft nur eine kleine GmbH verschaffen konnte, während ein Gerhard Schröder sich bei Gazprom dumm und dämlich verdient. Dann ist der also „neoliberal“ und man findet es total ungerecht, dass man nicht auch so viel verdient. Dann mauschelt man in Hinterzimmern und wütet, weil es nur für eine Anstellung bei der Friedrich-Ebert-Stiftung reicht, während die drüben über den Seeheimer Kreis noch ganz andere Posten abfassen. Und man findet den ganzen Neoliberalismus eine einzige Ungerechtigkeit. Ja, das stimmt. Aber ich gönn es euch.
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Samstag, 26. Juni 2010
Vor 65 Jahren war der Krieg vorbei - kleine Gedenkrezension, Teil 2: Darf eine „Anonyma“ anonym bleiben und wer hindert sie eigentlich daran?
damals, 14:47h
Ich weiß, ich bin mal wieder zu spät: Der Gedenktag ist lang vorbei, meine erste Rezension zm Thema "Kriegsende" hab ich auch schon vor einem Monat geschrieben; ich referiere eine Debatte aus dem Jahr 2004 und auch die unvermeidliche Verfilmung der "Anonyma" ist schon nicht mehr ganz aktuell. Aber ich gehe davon, dass sich meine Leser (seid gegrüßt, Ihr 5 -6 Getreuen!) dennoch an meinem Text erfreuen. Er ist das Ergebnis der Tatsache, dass ich letzte Woche ein bisschen Zeit und Muße hatte, um mal dem Tipp von K.Modick nachzugehen, dass es mit der Authentizität des Textes nicht allzu weit her sei.
Das Internet ist ja herrlich, es gab mir prompt einige Auskünfte, und danach stellt sich die Sache so dar: Eine Journalistin erlebt das Kriegende in Berlin, und das war für eine junge Frau ein grausiges Erlebnis, wie wir heute wissen. Sie notiert die Geschehnisse in einem Tagebuch, also für sich. Das Tagebuch zur Veröffentlichung freizugeben, dazu überredet sie zehn Jahre später ein guter Freund. Dieser Freund, ebenfalls Journalist, hat sich in den Kriegsjahren als propagandistischer Kriegsberichterstatter hervorgetan, es gelang ihm aber, nach dem Krieg eine zweite Karriere als Autor und Rowohlt-Lektor aufzubauen. Der Freund übernimmt das Manuskript (und überarbeitet es?), zunächst für eine amerikanische Ausgabe. Offenbar hat er – wie schon in den vierziger Jahren – einen guten Riecher für erfolgversprechende Trends: In den USA der 50er Jahre lassen sich russische Vergewaltiger gut verkaufen. Das Buch wird ein Erfolg. Davon angespornt bereitet der Mann auch eine deutsche Ausgabe vor. Diese aber floppt: In Deutschland ist Schweigen über die Vergangenheit angesagt. Hier haben einige einiges zu vertuschen, und damit das nicht so auffällt, schweigt man überhaupt, über Täter ebenso wie über Opfer. Und über Frauen sowieso.
Das Blatt wendet sich ein paar Jahrzehnte später. Die Kriegsgeneration ist alt, Lebensrückschau, sentimentales Erinnern angesagt. Diesmal ist es H. M. Enzensberger, der den guten Riecher hat: Er veranstaltet in seiner „Anderen Bibliothek“ (im Eichborn-Verlag) eine Neuausgabe des Buches – ein Riesenerfolg. Ob und inwiefern der Text nachbearbeitet oder nicht ganz echt sein könnte, prüft er nicht, wozu auch. Dann erhebt sich aber doch Protest. Jens Bisky weist in der „Süddeutschen Zeitung“ auf die Nazivergangenheit des Herausgebers hin, Gustav Seibt schließt sich ihm an. Da auch sie nicht wissen, ob bzw. wie authentisch der Text ist, werden sie stark angegriffen. Endlich kommt ein Journalist der ZEIT auf die Idee, die Witwe und Nachlassverwalterin des Herausgebers zu kontaktieren. Zum vereinbarten Treffen mit ihr ist aber ein Mitarbeiter des Eichborn-Verlags anwesend, der den Einblick in das Originalmanuskript verhindert.
Klar, dass das der Verlag nicht auf sich sitzen lassen kann – er bestellt einen Gutachter: Walter Kempowski. Das ist eine gute Wahl, Kempowski hat in derselben Zeit wie die Anonyma ebenfalls genug Schlimmes durch die Russen erlebt, so dass man sich seines Antikommunismus sicher sein kann. Allerdings ist er nicht nur Antikommunist, sondern auch korrekt. So erledigt er erstmal seinen Auftrag und erklärt, dass alle Geschehnisse im Buch authentisch sind und auf den Originialaufzeichnungen basieren. (Daran hat allerdings auch nie jemand gezweifelt, wie J. Güntner in NZZ richtig anmerkt.) Der in knappem Stil gehaltene, teilweise unfertige Text des Tagebuchs wurde später lediglich etwas literarisiert. Auch das ist ja normal. Interessant wäre die Frage, wer hier überarbeitet hat. Kempowski sagt (auftragsgemäß), er hätte keinen Hinweis auf das Eingreifen des Herausgebers finden können. Er sagt aber auch, warum: Es gebe, so hat er erfahren, neben abgetipptem Originalmanuskript und Buchausgabe noch ein drittes Manuskript, über das sich alle Beteiligten ausschweigen.
Fazit: Zwei Frauen (eine Autorin, eine Nachlassverwalterin) und viele Männer, eine schlimmes Schicksal und viele, die damit rumgetrickst haben. Und sicher ist nur eins: Was derzeit über die Leinwände flimmert (und von Max Färberböck sicherlich akkurat in Szene gesetzt wurde), basiert auf einer Literarisierung im Geist der 50er (oder sogar der frühen 40er?) Jahre. Und passt damit hervorragend in unsere Zeit.
Das Internet ist ja herrlich, es gab mir prompt einige Auskünfte, und danach stellt sich die Sache so dar: Eine Journalistin erlebt das Kriegende in Berlin, und das war für eine junge Frau ein grausiges Erlebnis, wie wir heute wissen. Sie notiert die Geschehnisse in einem Tagebuch, also für sich. Das Tagebuch zur Veröffentlichung freizugeben, dazu überredet sie zehn Jahre später ein guter Freund. Dieser Freund, ebenfalls Journalist, hat sich in den Kriegsjahren als propagandistischer Kriegsberichterstatter hervorgetan, es gelang ihm aber, nach dem Krieg eine zweite Karriere als Autor und Rowohlt-Lektor aufzubauen. Der Freund übernimmt das Manuskript (und überarbeitet es?), zunächst für eine amerikanische Ausgabe. Offenbar hat er – wie schon in den vierziger Jahren – einen guten Riecher für erfolgversprechende Trends: In den USA der 50er Jahre lassen sich russische Vergewaltiger gut verkaufen. Das Buch wird ein Erfolg. Davon angespornt bereitet der Mann auch eine deutsche Ausgabe vor. Diese aber floppt: In Deutschland ist Schweigen über die Vergangenheit angesagt. Hier haben einige einiges zu vertuschen, und damit das nicht so auffällt, schweigt man überhaupt, über Täter ebenso wie über Opfer. Und über Frauen sowieso.
Das Blatt wendet sich ein paar Jahrzehnte später. Die Kriegsgeneration ist alt, Lebensrückschau, sentimentales Erinnern angesagt. Diesmal ist es H. M. Enzensberger, der den guten Riecher hat: Er veranstaltet in seiner „Anderen Bibliothek“ (im Eichborn-Verlag) eine Neuausgabe des Buches – ein Riesenerfolg. Ob und inwiefern der Text nachbearbeitet oder nicht ganz echt sein könnte, prüft er nicht, wozu auch. Dann erhebt sich aber doch Protest. Jens Bisky weist in der „Süddeutschen Zeitung“ auf die Nazivergangenheit des Herausgebers hin, Gustav Seibt schließt sich ihm an. Da auch sie nicht wissen, ob bzw. wie authentisch der Text ist, werden sie stark angegriffen. Endlich kommt ein Journalist der ZEIT auf die Idee, die Witwe und Nachlassverwalterin des Herausgebers zu kontaktieren. Zum vereinbarten Treffen mit ihr ist aber ein Mitarbeiter des Eichborn-Verlags anwesend, der den Einblick in das Originalmanuskript verhindert.
Klar, dass das der Verlag nicht auf sich sitzen lassen kann – er bestellt einen Gutachter: Walter Kempowski. Das ist eine gute Wahl, Kempowski hat in derselben Zeit wie die Anonyma ebenfalls genug Schlimmes durch die Russen erlebt, so dass man sich seines Antikommunismus sicher sein kann. Allerdings ist er nicht nur Antikommunist, sondern auch korrekt. So erledigt er erstmal seinen Auftrag und erklärt, dass alle Geschehnisse im Buch authentisch sind und auf den Originialaufzeichnungen basieren. (Daran hat allerdings auch nie jemand gezweifelt, wie J. Güntner in NZZ richtig anmerkt.) Der in knappem Stil gehaltene, teilweise unfertige Text des Tagebuchs wurde später lediglich etwas literarisiert. Auch das ist ja normal. Interessant wäre die Frage, wer hier überarbeitet hat. Kempowski sagt (auftragsgemäß), er hätte keinen Hinweis auf das Eingreifen des Herausgebers finden können. Er sagt aber auch, warum: Es gebe, so hat er erfahren, neben abgetipptem Originalmanuskript und Buchausgabe noch ein drittes Manuskript, über das sich alle Beteiligten ausschweigen.
Fazit: Zwei Frauen (eine Autorin, eine Nachlassverwalterin) und viele Männer, eine schlimmes Schicksal und viele, die damit rumgetrickst haben. Und sicher ist nur eins: Was derzeit über die Leinwände flimmert (und von Max Färberböck sicherlich akkurat in Szene gesetzt wurde), basiert auf einer Literarisierung im Geist der 50er (oder sogar der frühen 40er?) Jahre. Und passt damit hervorragend in unsere Zeit.
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Samstag, 12. Juni 2010
Warum ist es schön, in Deutschland zu leben?
damals, 23:29h
Warum ist es schön, an einem Freitagmorgen im Juni bei bedecktem Himmel über das Kopfsteinpflaster der Leverkusenstraße zu radeln? Der schöne Farbklang von Himmelsgrau, Laubgrün und Backsteinrot kann doch nicht über die triste Atmosphäre von Arbeitervorort mit Grillstübchen und Zeitungskiosk hinweg täuschen, auf den schon der Straßenname deutlich genug hinweist. Nebenan liegen Boschstraße, Ruhrstraße und Leunastraße, und so sieht das Viertel auch aus. Dass das schön ist, kann mir keiner erzählen: Meine Großeltern kommen selber aus einem dieser Industriestädtchen, wo man früher SPD wählte, später Pauschalreisen (bzw. FDGB-Reisen) buchte und Schönheit immer als Dekadenz verachtete.
Also muss es am Wetter liegen. Richtig. Ich mag diese milde, leicht diesige Frische. Ich erinnere mich an Urlaubstage an der Ostsee, wo dieses Wetter die Unterbrechung des Schwimm- und Badealltags und das Aufkommen faulenzerischen Glücks anzeigte. Wir waren damals jedes Jahr an der Ostsee, in Ahrenshoop, wo in der Nachfolge Johannes R. Bechers allerlei Semiprominenz urlaubte. Zu denen gehörten wir zwar nicht, da wir weder Westgeld hatten noch einen klingenden Nachnamen à la Maron oder Havemann. Aber mein Vater hatte eine gute Freundin, die über das Etikett „Altkommunistin“ und VVN ein Ferienhäuschen dort gesponsort bekam, sich dafür schämte und das Haus alljährlich kostenlos reihum ihren Freunden übergab. Mein Vater hielt Abstand zu den Besitzern der Nachbarhäuser, die er als faul und neureich verachtete. Wir liefen jeden Morgen schon vor dem Frühstück im Bademantel zum Strand runter, um mit ihm eine Runde zu schwimmen. Ab 14 Grad Wassertemperatur war das Pflichtprogramm. Außer bei Regen. Da konnte man den Vater beim Schwimmen begleiten (und wurde als besonders standhaft belobigt), man konnte aber auch zu Hause bleiben und war doch kein Faulenzer. Regen, das waren lange Frühstücke und kurze Spaziergänge, gut eingepackt, und vor allem: stundenlanges Lesen.
Das alles ist lange her. Mein Vater ist alt und immer noch kämpferisch gesinnt. Und ich liebe ihn mehr trotzdem als deshalb. Ich liebe auch dieses nördliche Deutschland, in dem es so viel regnet, niemand mehr SPD wählt und selbst der Bundespräsident keine Lust mehr hat. Ich finde, die Depression steht dem Land gut zu Gesicht.
Also muss es am Wetter liegen. Richtig. Ich mag diese milde, leicht diesige Frische. Ich erinnere mich an Urlaubstage an der Ostsee, wo dieses Wetter die Unterbrechung des Schwimm- und Badealltags und das Aufkommen faulenzerischen Glücks anzeigte. Wir waren damals jedes Jahr an der Ostsee, in Ahrenshoop, wo in der Nachfolge Johannes R. Bechers allerlei Semiprominenz urlaubte. Zu denen gehörten wir zwar nicht, da wir weder Westgeld hatten noch einen klingenden Nachnamen à la Maron oder Havemann. Aber mein Vater hatte eine gute Freundin, die über das Etikett „Altkommunistin“ und VVN ein Ferienhäuschen dort gesponsort bekam, sich dafür schämte und das Haus alljährlich kostenlos reihum ihren Freunden übergab. Mein Vater hielt Abstand zu den Besitzern der Nachbarhäuser, die er als faul und neureich verachtete. Wir liefen jeden Morgen schon vor dem Frühstück im Bademantel zum Strand runter, um mit ihm eine Runde zu schwimmen. Ab 14 Grad Wassertemperatur war das Pflichtprogramm. Außer bei Regen. Da konnte man den Vater beim Schwimmen begleiten (und wurde als besonders standhaft belobigt), man konnte aber auch zu Hause bleiben und war doch kein Faulenzer. Regen, das waren lange Frühstücke und kurze Spaziergänge, gut eingepackt, und vor allem: stundenlanges Lesen.
Das alles ist lange her. Mein Vater ist alt und immer noch kämpferisch gesinnt. Und ich liebe ihn mehr trotzdem als deshalb. Ich liebe auch dieses nördliche Deutschland, in dem es so viel regnet, niemand mehr SPD wählt und selbst der Bundespräsident keine Lust mehr hat. Ich finde, die Depression steht dem Land gut zu Gesicht.
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Mittwoch, 2. Juni 2010
Die Wut des Herrn Minkmar
damals, 18:00h
Gestern habe ich mich bei Don Alphonso und Damenwahl an Diskussionen über den Rücktritt von Horst Köhler beteiligt und dabei ist mir eine peinliche Sache passiert: Ich warf dem FAZ-Kommentator Nils Minkmar vor, die alte militaristische Floskel vom „gerechten Krieg“ wieder zu etablieren. Dabei war das Ironie! So weit kann’s gehen mit der Politisierei.
Aber warum war mir Minkmars Kommentar so unangenehm, dieser doch engagierte, elegante, selbst beim Griff zur Umgangssprache fast immer treffsichere und inhaltlich fundierte Text?
Minkmars Text überzeugt, er ist von einer Wut getragen, die für den Leser klar nachvollziehbar ist. Sie speist sich aus der Enttäuschung über ein Staatsoberhaupt, das „nie durch eigene Ideen aufgefallen war“ und sich darauf beschränkte, Gesetze beamtenhaft auf ihre Verfassungskonformität zu prüfen. Und dann „das berüchtigte Interview“, in dem Köhler „seine Interpretation des gerechten Krieges in globalisierten Zeiten“ dargestellt hat. Das ist doch irgendwie merkwürdig: Der uninspiriert, konventionell, tatenlos gescholtene Köhler tritt als eigenmächtiger Interpret der Regierungspolitik auf und lässt leichtfertig Zweifel an deren Verfassungstreue aufkommen. Schwer glaubhaft.
Aber darum geht es dem Autor auch gar nicht. Es geht ihm um die Frechheit, dass Köhler einfach kündigt, während „wir uns selbst beschwören ... die Ansprüche zu senken, sich fit zu halten, mobil zu bleiben ...“. Tun wir das wirklich? Nehmen wir jede Erniedrigung in Kauf, „um durch die Zeiten zu kommen“? Köhler hat getan, was jeder von uns darf. Jeder darf kündigen und niemand darf gezwungen werden, eine Arbeit zu tun, die er nicht aushält. Nicht einmal ein HartzIV-Empfänger. So steht es in der Verfassung, von der hier schon öfter die Rede war. Und wir sollten nicht so tun, als würde sie nicht mehr gelten.
Ja, aber, entgegnet nun Herr Minkmar: „Und wie will man beispielsweise in den ostdeutschen Provinzen Kandidaten für die Kommunalwahlen finden“? Tja, das ist eure Sorge in Berlin und bei der FAZ. Ihr bestimmt die Politik. Wir haben das Recht, nicht mitzumachen.
Nils Minkmar nennt das „illoyal“. Wieso das? „illoyal, weil er der Bundeskanzlerin, die ihn gefördert ...hat, den Boden unter den Füßen wegzieht.“ Aha. Hatte er nicht anfangs an Köhler kritisiert, dass er brav im Sinne seiner „Gönner“ agiert? Und wenn er das nicht mehr tut, ist es auch wieder verkehrt?
Offenbar macht Minkmar gar nicht wütend, dass Köhler vorher so zurückhaltend war. Wirklich wütend macht ihn, dass er nicht mehr im Sinne der Politikmaschinerie funktioniert. Da muss ich schadenfroh lächeln: Denn so gesehen, hat Köhler gerade mit seinem Rücktritt bewiesen, dass er doch ein guter Präsident war.
Köhler, der Fahnenflüchtling, das hat Minkmar treffend beobachtet. Köhler, der die Richtlinien der Bundeswehr ausplaudert, möchte man ergänzen. Ingeborg Bachmann wollte einen Orden verleihen „für die Flucht vor den Fahnen, ... für den Verrat unwürdiger Geheimnisse und die Nichtachtung jeglichen Befehls.“
So, und zum Schluss noch die „Verschwörungstheorie“: Könnte es nicht sein, dass man versucht, unsere ganz andere Wut, die Wut über die klammheimliche Umwandlung der Bundeswehr von einer Wehrpflicht- und Verteidigungsarmee zu einer Berufs- und Interventionsarmee, geschickt auf einen ehemaligen Bundespräsidenten umzulenken, um die wahrhaft dafür Verantwortlichen aus der Schusslinie zu bekommen? Das wäre doch einigen sehr bequem.
P.S. Kann mir jemand mal verraten, wie man einen optisch vernünftigen Link setzt?
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Mittwoch, 19. Mai 2010
Lesen Sie auch diese Blogs?
damals, 01:30h
Wenn ich mich abends zur zweiten Schicht an den Computer setze, stöbere ich immer erst mal die die Nachbarblogs, und da sind mir dieser Tage einige Frühlingsfotos aufgefallen, so dass auch ich nicht zurückstehen möchte. Wunderbar malerischer Frühling ist es offenbar gerade in Oberitalien, und versteckt in Kommentaren habe ich auch ein nicht weniger schönes Foto aus dem Oderbruch gesehen (auch wenn es da natürlich architektonisch weniger spektakulär zu geht – schließlich ist das Ostelbien). Trist wirken dagegen die jüngst eingestellte Flugplatzansicht aus dem inneren Afrika und die verlassenen Zechen und Bahnhöfe des Ruhrgebiets. Im Rheinland ist man mit dem Rennrad unterwegs und in Bremen sorgt die getreulich abfotografierte Klospülung für herrliches Chaos. Tja, und bei mir, da wird der Radweg zur Arbeit jeden Tag schöner, es könnten richtige glückliche Radtouren sein, wenn ich’s nur nicht immer so eilig hätte. Aber das Gehetze ist nun mal das Abzeichen der Unterschicht, wie man im gemütlichen Oberbayern richtig bemerkt. Und so ärgere ich mich jeden Morgen, kaum dass ich die ersten Momente Glück erradelt habe: weil da schon wieder so ein geschlechtsloses Wesen, Rennrad unterm Hintern, Kapuzenshirt über beide Ohren, ohne links und rechts zu gucken quer meine Bahn abschneidet. Und an der Fußgängerampel stehen fünf Leute und warten geduldig, dass es Grün werde, aber auf den Knopf drückt keiner und ich muss also auch absteigen. Ansonsten aber sind die Fahrten wunderbar. Wie es sich für den Unterschichtler gehört, knipse ich fröhlich mit der billigen Handykamera. Die kann zwar weder das Sonnenglitzern auf der Alster abbilden noch die herrlichen Kastanienblüten an der Christuskirche, aber wie unglaublich grün es ist, das wird schon deutlich. Denn grün wird es jeden Frühling wieder. Vielleicht haben ja die Leute an der Ampel Recht.
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Dienstag, 11. Mai 2010
Vor 65 Jahren war der Krieg vorbei - kleine Gedenkrezension
damals, 02:44h
Sozusagen in Gedenken an das 65 Jahre zurückliegende Kriegsende rezensiere ich (in schwarz-weiß-malerischer Absicht) zwei Texte darüber. Heute geht es um die Erzählung „Ein Kriegsende“ von Siegried Lenz aus dem Jahr 1983., die eher zufällig auf meinen Nachttisch geriet und mich sofort in ihren Bann zog, wenn auch nicht unbedingt im positiven Sinne. In der Geschichte berichtet ein Ich-Erzähler, wie er das Kriegsende auf einem Minensuchboot erlebte. Die Mannschaft fuhr gerade über die Ostsee, um irgendwo im Ostpreußischen Verwundete aufzunehmen (Anfang 1945 ein halsbrecherischer Auftrag, wie man sich denken kann), als die Nachricht von der Kapitulation kommt. Es entspinnt sich eine Diskussion darüber, ob man die gefährliche Aktion abbrechen kann oder muss, um als Besiegter heimzukehren. Der Kapitän will weiterfahren, der Steuermann nicht und wird von einem auf das Boot strafversetzten Besatzungsmitglied zur Meuterei aufgestachelt. Man kehrt zurück, wird verhaftet, die beiden Aufrührer erschossen. Obwohl der Krieg eigentlich schon vorbei ist.
Das ist eine Geschichte, die ins Innerste militärischer Logik führt: Darf und muss man ab dem Zeitpunkt einer Kapitulation sofort jegliches militärische Handeln unterlassen? Wiegt die Rettung in Ostpreußen festsitzender Kameraden schwerer als das Leben der eigenen Mannschaft? Endlich: Darf die Entscheidung eines militärischen Vorgesetzten angezweifelt werden? Alles unschöne, hässliche, vielleicht notwendige Fragen. Aber es ist schon merkwürdig, wenn angesichts eines Kriegsendes immer noch Fragen des Krieges verhandelt werden und die Sehnsucht nach dem Ende, die Hoffnung, dass bald alles überstanden ist, erzählerisch eher die Rolle des Verführers spielt. Wenn der Strafversetzte vorsichtig negativ gezeichnet wird – im Gegensatz zu Steuermann und Kapitän, die uns als ehrliche Fischer vorgestellt werden, die eben, wenn es sein muss, ihren Dienst tun. Und besonders merkwürdig finde ich diesen Ich-Erzähler, der die Geschehnisse atmosphärisch sensibel beschreibt, in einer ganz unmilitärischen Sprache („Unser Minensucher glitt mit kleiner Fahrt durch den Sund ...“), und sich doch widerstandslos dem Sog dieser militärischen Logik hingibt. Er sieht alles, sagt nichts und hat immer Kopfschmerzen. Das einzige Mal, dass er als Figur in Erscheinung tritt, ist die Stelle, wie er vor dem Militärgericht den verehrten Steuermann zu retten versucht, indem er den ohnehin verlorenen Strafversetzten anschwärzt.
Und das Ganze dann 1983 geschrieben! Über dreißig Jahre nach „Die Mörder sind unter uns“, sogar noch nach der Filbinger-Entlarvung. Da kann doch eine Erzählung nicht mehr so enden: mit dem naiven Entsetzen darüber, dass uns unsere Vorgesetzten so enttäuschen und einfach zwei unserer Kameraden erschießen, obwohl ihre juristische Berechtigung dazu sehr in Frage steht. Das schmeckt mir sehr nach Untertanengeist (à la „ich bin ja ein Schöngeist, aber wenn nun mal Krieg ist ...“). Vielleicht wär ich auch nicht besser, ich erinner mich gut, wie stolz ich auf die Beherrschung der bescheuerten Kanone war, an die man mich mit 18 zwang. Aber schön ist das trotzdem nicht.
Das ist eine Geschichte, die ins Innerste militärischer Logik führt: Darf und muss man ab dem Zeitpunkt einer Kapitulation sofort jegliches militärische Handeln unterlassen? Wiegt die Rettung in Ostpreußen festsitzender Kameraden schwerer als das Leben der eigenen Mannschaft? Endlich: Darf die Entscheidung eines militärischen Vorgesetzten angezweifelt werden? Alles unschöne, hässliche, vielleicht notwendige Fragen. Aber es ist schon merkwürdig, wenn angesichts eines Kriegsendes immer noch Fragen des Krieges verhandelt werden und die Sehnsucht nach dem Ende, die Hoffnung, dass bald alles überstanden ist, erzählerisch eher die Rolle des Verführers spielt. Wenn der Strafversetzte vorsichtig negativ gezeichnet wird – im Gegensatz zu Steuermann und Kapitän, die uns als ehrliche Fischer vorgestellt werden, die eben, wenn es sein muss, ihren Dienst tun. Und besonders merkwürdig finde ich diesen Ich-Erzähler, der die Geschehnisse atmosphärisch sensibel beschreibt, in einer ganz unmilitärischen Sprache („Unser Minensucher glitt mit kleiner Fahrt durch den Sund ...“), und sich doch widerstandslos dem Sog dieser militärischen Logik hingibt. Er sieht alles, sagt nichts und hat immer Kopfschmerzen. Das einzige Mal, dass er als Figur in Erscheinung tritt, ist die Stelle, wie er vor dem Militärgericht den verehrten Steuermann zu retten versucht, indem er den ohnehin verlorenen Strafversetzten anschwärzt.
Und das Ganze dann 1983 geschrieben! Über dreißig Jahre nach „Die Mörder sind unter uns“, sogar noch nach der Filbinger-Entlarvung. Da kann doch eine Erzählung nicht mehr so enden: mit dem naiven Entsetzen darüber, dass uns unsere Vorgesetzten so enttäuschen und einfach zwei unserer Kameraden erschießen, obwohl ihre juristische Berechtigung dazu sehr in Frage steht. Das schmeckt mir sehr nach Untertanengeist (à la „ich bin ja ein Schöngeist, aber wenn nun mal Krieg ist ...“). Vielleicht wär ich auch nicht besser, ich erinner mich gut, wie stolz ich auf die Beherrschung der bescheuerten Kanone war, an die man mich mit 18 zwang. Aber schön ist das trotzdem nicht.
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