Mittwoch, 5. Mai 2010
Warum ich nicht zum Chef tauge ...
... und auch nicht zum Revolutionär (denn das ist nur eine andere Ausformung derselben spezies): Ich hab irgendwie keinen Sinn für Macht. Und das ist nichts, worauf ich stolz sein könnte, denn da es Macht nun einmal gibt, führt das zu absurden Konstellationen: „Komisch“, meinte meine vorige Chefin (die kürzlich an ihrem eigenen Machtanspruch scheiterte und die Notbremse „Kündigung“ zog), „Wenn man dir Verantwortlichkeiten überträgt, gibt’s Probleme. Scheinbar fühlst du gar keinen Ehrgeiz, die auszufüllen. Aber wenn du kein Amt hast, handelst du umsichtig, übernimmst selbstständig Verantwortung ...“ Tja, und nun hab ich eine neue Chefin, eine toughe Osteuropäerin – Ihr kennt sicher den Typ – und es gibt einen Herrn X., einen alten 68er, den Typ kennt Ihr auch, der hat schon als junger Mann im Asta gegen die Schulbehörde geklagt (und sich die Fünf im Staatsexamen eingefangen als Dank) und jetzt lässt er sich immer noch nichts sagen.
In seinem Kurs (d.h. dem Kurs, in dem er freiberuflich unterrichtet und ich als Festangestellter der Seminarleiter bin) war eine Teilnehmerin, die hatte ihr Stundenkontingent fast aufgebraucht, ohne die Aussicht, die Abschlussprüfung zu bestehen (denn das schaffen in den Analphabetenkursen nur die Wunderkinder, von denen bestenfalls eins aufs Dutzend kommt). Und die wird nun krank, drei Wochen lang. X. bittet mich um eine Verlängerung für die Frau. Nun, das kann man schon machen, es liegt sogar nahe: Die Fehlzeit wird nicht abgerechnet, sie bekommt nochmal hundert Stunden, das ist ein Monat, den sie noch mit den andern im Kurs sitzen darf, der kostenlose Kindergartenplatz für die Tochter wird auch verlängert für die Zeit. Allemal besser als mit Hartz IV und dem Kind allein in der Wohnung sitzen. Jetzt kommt sie wieder und zehn Tage später stürzt sie, bricht sich die Hand – wieder wochenlang krank. „Was machen wir?“ fragt mich A. , die die Kurse abrechnet. „Nochmal verlängern, das hat doch keinen Sinn.“ sag ich „Sie kommt doch im Unterricht überhaupt nicht mehr mit, nach fast zwei Monaten! Und nur wegen dem Kindergartenplatz? Nee, das mach ich nicht.“ Und ich sag X., dass für Frau Hastdunichtgesehen der Kurs nun leider vorbei ist. „Kann man da gar nichts mehr machen?“ – „Nichts zu machen“, sag ich und bin zu feige zu sagen: „Das ist meine Entscheidung und ich hab meine Gründe.“ Zwei Tage später sagt mir X.: „Ach, wegen Frau ... – ich hab beim Bundesamt in Nürnberg angerufen.“ Und ich sag nicht: „Das geht dich gar nichts an. Das ist unsere Entscheidung.“ Sondern nur: „Wenn du meinst, bitte sehr!“ Natürlich war ich sauer, dass er mich nicht ernst nimmt. Aber ich fühlte mich im Recht und auf der sicheren Seite. Und irgendwie belächelte ich auch seine revoluzzerhafte Art, gleich bei der obersten Behörde anzurufen. Eine Woche später stürzt meine Chefin wutentbrannt aus ihrem Büro: „Wissen Sie, dass Herr X. ...? In Nürnberg!“ Ich sag: „Ja, er hat mich informiert, nachträglich.“ – „Er hat sich als Mitarbeiter unserer Firma ausgegeben! Also, das geht gar nicht!“ Kurz und gut, sie hat ihn sich einbestellt – aber wie gesagt, X. ist ein alter 68er und lässt sich nichts sagen – dann hat sie mich gefragt: „Ist er jetzt wirklich so ein toller Lehrer, dass wir nicht auf ihn verzichten können?“ und ich sage „So toll nun auch wieder nicht.“ (anstatt die differenziertere Wahrheit: großartiger Pädagoge, aber jetzt grad kein Alphabetisierungsspezialist). Und diesmal hab ich das nicht aus Feigheit gesagt, sondern weil ich immer noch sauer war auf X.
Tja, und jetzt ist er raus und ich hab ein schlechtes Gewissen. Wie gesagt, in der Sache hab ich Recht, glaube ich, nur hätt ich den Vorgesetzten raushängen lassen müssen, wo ich ja in der Tat auch Vorgesetzter war. ... da hab ich mir den Niedriglohnbereich ausgesucht und gedacht, da entgeh ich den Problemen. Tu ich aber nicht.

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Dienstag, 6. April 2010
Die untote Ossi (Filmkritik zu "Yella")
Es gibt ein schönes Denkmal für den deutschen Autorenfilmer, und zwar ist das die Figur, die Florian Lukas in „Good bye, Lenin“ verkörpert: ein eigenbrötlerischer Bastler und Spinner, der amerikanische Filme liebt und zu Hause originelle und abstruse Filmideen verwirklicht.
Ein solcher Film ist mir mal wieder begegnet: kein großes Kino, dazu sind die Bilder zu simpel, mitunter bringen linke Ideologismen den Dialog zum Holpern und die symbolisch eingesetzten Soundeffekte wirken auch manchmal ein bisschen künstlich. Man spürt dem Film das Selbstgebastelte an. Dafür hat er aber auch alle Vorteile des Selbstgebastelten: Er ist originell, klug, teilweise richtig raffiniert. Nirgends mainstream, keine Minute langweilig (und außerdem sind die Schauspieler wirlich professionell).
Ich spreche von „Yella“, einem Film von Christian Petzold aus dem Jahr 2007. Ich sehne mich schon lang nach dem Film. Immerhin ist er vom Regisseur von „Innere Sicherheit“ und er spielt teilweise in Wittenberge, in der ostdeutschen Provinz – zwei Gründe, die reflexartig Sehnsucht in mir auslösen.
Yella (was für ein exotischer Name in so einer banalen Gegend) lebt in Wittenberge. Es ist Frühling, man sieht leere Straßen, leere Häuser, frisches Grün und kann Yella nur zu gut verstehen, die die gescheiterte Firmengründung und den von Wessis übertölpelten Ex-Freund zurücklassen will, um im sprichwörtlich hässlichen Hannover ein neues Leben zu beginnen. Aber ebendieser Exfreund stürzt sich und sie mit dem Auto von einer Brücke in die Elbe und fortan stolpert sie (nach dem Vorbild des herrlichen amerikanischen B-Movies „Karneval der Seelen“) als Untote durch Westdeutschland, betrügt als Assistentin eines Finanzgauners so geistesabwesend wie cool irgendwelche Investoren und wird verfolgt vom Geist ihres Exfreunds. Und natürlich muss sie ihm endlich ins Totenreich folgen.
Aber anders als die Hauptfigur aus „Karneval der Seelen“, die einfach leben will und sich deshalb dem Tod verweigert, versteht man bei Yella nicht so recht, was sie in der Welt der Lebenden eigentlich noch sucht. Lebendigkeit jedenfalls kann es nicht sein, wie magisch ist sie angezogen vom Finanzmilieu, in dem emotionslos und mit falschen Gesten um Werte gepokert wird, die es gar nicht gibt. Super erkannt vom Regisseur: Es ist ein Milieu der Untoten. Toter als diese Geschäftsverhandlungen ist eigentlich nur noch eins: der Schemen des Exfreunds Ben, wenn er schattenhaft in ihrem Hotelzimmer erscheint und von einer Normalo-Ehe fabuliert: „Ich werde wieder arbeiten gehen, als Installateur. Wir nehmen uns eine Wohnung. Du kannst doch so hübsch einrichten.“
Was will Yella in dieser Zombie-Welt, in der sie sich wahrhaft traumwandlerisch behauptet? Man wird den Verdacht nicht los, dass es um Rache geht, ein eher todessüchtiger als lebensbejahender Grund. Darauf deutet hin, dass ihr die Erkenntnisse aus dem Wittenberger Konkurs-Erlebnis die Idee zu ihrem ersten Trick auf dem West-Parkett verhelfen. Ein zweiter Hinweis: Ihr letzter Geschäftsgegner hat eine Ehefrau und ein Zuhause, die dem von Yellas erstem Hannoveraner Chef zum Verwechseln ähneln. Der Hannoveraner hatte Yella persönlich aufs Gemeinste entwürdigt. Sein Dessauer Nachahmer oder Wiedergänger, obwohl persönlich eher sympathisch, wird von ihr stellvertretend in den Tod getrieben (herrlich: Burkhard Klausner als Wasserleiche). Erst damit scheint ihr Auftrag erfüllt und sie kann von Ben nach Wittenberge und in den Tod heimgeholt werden.
Das leuchtet ein, erzähllogisch wie auch politisch: Nicht Helmut Kohl, sondern Günter Krause, nicht Wolfgang Schäuble, sondern Lothar de Maizière trafen der Hass und die Verachtung der Ostdeutschen. „Yella“ analysiert eindringlich, wie diese ostdeutschen Untoten entstanden sind - egal ob sie nun zur depressiven Untergruppe gehören wie ich (phlegmatisch und jammerfreudig) oder zur umtriebig aktiven wie Kai Pflaume oder Angela Merkel (handwerklich perfekt, aber affekt- und seelenlos).
Unbeantwortet bleibt aber die Frage, warum eigentlich der westdeutsche Kapitalismus so zombiehaft agiert. Es gibt eine Szene, da entführt Yella ihren Chef und Räuberhauptmann an den Ort ihres Todes, die Wittenberger Elbbrücke. Der Zuschauer erzittert, und tatsächlich öffnet der Wessi hier endlich seine Seele. Und es zeigt sich – eine Geschäftsidee.
Diese schreckliche Leere war der schlimmste Moment in dem Film. Und ehrlich gesagt: Ich glaube ihn nicht. Sollte der westdeutsche Geschäftsmann wirklich so hohl und seelenlos sein, wie das linkes Feindbild und neoliberales Selbstverständins einträchtig behaupten?! Dann wäre er ja auch ein Untoter und es müsste eine Elbbrücke geben, von der er einst gestürzt ist. Hm. Die Seele der westdeutschen Nachkriegselite ist offenbar noch nicht enträtselt.

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Montag, 15. März 2010
Handybild: Vermisstenanzeige
Seltsam auch, was man so am Wegrand mit der Handykamera knipsen kann, wenn man mit dem Rad von der Arbeit kommt:

Da ist ist also einem die Katze entlaufen und der andere sucht seine Freundin. Oder wie soll ich das deuten? Ich hatte jedenfalls ein ganz ungutes Gefühl, als ich die junge Ausländerin so am Laternenpfahl plakatiert sah. Dachte an den komischen alten Mann, der in Begleitung eines jungen muskulösen Helfers und Übersetzers in unser Büro kam - mit folgendem Anliegen: "Meine Frau soll angeblich hier zum Deutschkurs gehen. Stimmt das? Dann würde ich sie gern mal sprechen." Ganz zu schweigen von der jungen Frau, die in unserer Anwesenheitsliste unter einem Decknamen geführt wurde, auf Antrag des Frauenhauses, in dem sie lebte. Wie dem auch sei: Ich bevorzuge Staaten, in denen die Polizei zuständig ist für Vermisstenanzeigen.

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Handybild vom Porzellanteller
Neulich ging es bei Don Alphonsos FAZ-Blog um Porzellan als Garant von Stil (http://faz-community.faz.net/blogs/stuetzen/archive/2010/02/28/famille-rose-oder-die-schwiegermuetter-der-porzellankiste.aspx). Als ich das las, dachte ich an meine Eltern (die auch die Schränke voll mit schönem Porzellan haben), musste zustimmen, aber auch schmunzeln: Die ganzen alten Dinge aufzuheben, das ist sicher stilvoll - und sogar noch mehr: historisch interessant - aber es ist auch ein bisschen seltsam. Das beste Beispiel knipste ich jetzt schnell und unscharf beim Wochenendbesuch:

Den Katzenteller in der Küche schmücken ein Goldrand und die Aufschrift "Zur Erinnerung an den 18. August 1870". Da frage ich leicht belustigt meine Mutter: "Was war denn am 18. August 1870?" und sie antwortet unbeirrt: "Da wurde meine Urgroßmutter geboren." Was sagt man dazu?

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Sonntag, 28. Februar 2010
Meine Lieblingsliste ...
...umfasst (wenn ich nichts vergessen habe) 45 Titel, fast ausschließlich Belletristik, ich habe auch ein paar Sachbuchtitel reingeschmuggelt. Es sind fast alles längere oder kürzere Einzeltexte, im Ausnahmefall habe ich auch mal einen ganzen Erzählband genannt. Dramatik dagegen fehlt, denn das interessiert mich weniger. Schade ist das nur wegen Schiller, Horvath und Büchner – und wegen der „Trilogie des Wiedersehens“ von Botho Strauß. Und Lyrik habe ich ganz rausgelassen – ich verrate hier nur, dass meine Lieblingsgedichte Nr. 1 -3 von Hofmannsthal sind, ansonsten liebe ich (wie vermutlich jeder vernünftige Mensch) die Gedichte von Morgenstern und Ringelnatz – und von den Ausländern Alexander Blok und Emily Dickinson.
Auch meine Belletristik-Liste ist deutschlastig. Voilà !

1. Manfred Bieler, Maria Morzeck oder Das Kaninchen bin ich
2. Georg Büchner, Der hessische Landbote
3. Lewis Carrol, Alice im Wunderland
4. Stig Dagermann, Deutscher Herbst `46
5. Fjodor Dostojewski, Weiße Nächte
6. Hans Fallada, Geschichten aus der Murkelei
7. Hans Fallada, Lüttenweihnachten
8. Anne Frank, Tagebuch
9. Johann Wolfgang Goethe, Die Leiden des jungen Werthers
10. Maxim Gorki, Konowalow
11. Sebastian Haffner, Geschichte eines Deutschen
12. Christoph Hein, Der fremde Freund („Drachenblut“)
13. Christoph Hein, Der Tangospieler
14. Judith Hermann, Sonja
15. Judith Hermann, Zuhälter
16. Hermann Hesse, Unterm Rad
17. Wolfgang Hilbig, „Ich“
18. E.T.A. Hoffmann, Der goldene Topf
19. E.T.A. Hoffmann, Nussknacker und Mausekönig
20. Hugo von Hofmannsthal, Ein Brief
21. Hugo von Hofmannsthal, Reitergeschichte
22. Ödön von Horvath, Sportmärchen und kleine Prosa
23. Jens Peter Jacobsen, Niels Lyhne
24. Imre Kertész, Roman eines Schicksallosen
25. Eduard von Keyserling, Schwüle Tage
26. Thomas Mann, Buddenbrooks
27. Thomas Mann, Tonio Kröger
28. Gustav Meyrink, Des deutschen Spießers Wunderhorn
29. Hans Erich Nossack, Der Untergang
30. Orhan Pamuk, Istanbul
31. Orhan Pamuk, Schnee
32. Ulrich Plenzdorf, Die neuen Leiden des jungen W.
33. Ulrich Plenzdorf, kein runter kein fern
34. Wilhelm Raabe, Die Akten des Vogelsangs
35. Wilhelm Raabe, Hastenbeck
36. Wilhelm Raabe, Stopfkuchen
37. Erich Maria Remarque, Im Westen nichts Neues
38. Philip Roth, Der menschliche Makel
39. Arthur Schnitzler, Fräulein Else
40. Wassili Schukschin, Kalina Krasnaja
41. Frank Schulz, Morbus fonticuli oder Die Sehnsucht des Laien
42. Anna Seghers, Das siebte Kreuz
43. Anna Seghers, Transit
44. Botho Strauß, Wohnen Dämmern Lügen
45. Jens Wonneberger, Gegenüber brennt noch Licht

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In Bloggersdorf kursiert eine Literaturliste ...
... mit hundert bedeutsamen Buchtiteln. Ich habe schon bei einigen mit Interesse gelesen, was sie so gelesen haben - und wie es ihnen gefiel. Hier nun meine Version (alle Bücher, die ich mehr als angelesen habe - fett):
1. Der Herr der Ringe, JRR Tolkien

2. Die Bibel (teilweise, wird eher wie ein Lexikon benutzt)

3. Die Säulen der Erde, Ken Follett

4. Das Parfum, Patrick Süskind (banal)

5. Der kleine Prinz, Antoine de Saint-Exupéry (zu oft gelesen, kanns nicht mehr hören)

6. Buddenbrooks, Thomas Mann (herrlich: bürgerlich-konservativer Biedersinn und die geistreiche Eleganz und Dekadenz der Jahrhundertwende in einem Buch kombiniert – fast die Quadratur des Kreises)

7. Der Medicus, Noah Gordon

8. Der Alchimist, Paulo Coelho

9. Harry Potter und der Stein der Weisen, JK Rowling

10. Die Päpstin, Donna W. Cross

11. Tintenherz, Cornelia Funke (nett: macht Spaß zu lesen, prägt sich aber nicht ein)

12. Feuer und Stein, Diana Gabaldon

13. Das Geisterhaus, Isabel Allende

14. Der Vorleser, Bernhard Schlink (klug konstruiertes und stilistisch schlechtes Diskutierbuch – ideale Schullektüre, im schlechtesten Sinne deutsch)

15. Faust. Der Tragödie erster Teil, Johann Wolfgang von Goethe (super. Aber nicht mein Stil)

16. Der Schatten des Windes, Carlos Ruiz Zafón (hab ich nach 20 Seiten weggelegt, roch verdächtig nach süffig-banaler Schmökerliteratur)

17. Stolz und Vorurteil, Jane Austen

18. Der Name der Rose, Umberto Eco

19. Illuminati, Dan Brown

20. Effi Briest, Theodor Fontane (fand ich sterbenslangweilig, als ichs in der Schule lesen musste, würde mir heute vermutlich besser oder sogar gut gefallen)

21. Harry Potter und der Orden des Phönix, JK Rowling

22. Der Zauberberg, Thomas Mann (hab ich mit 22 begeistert gelesen, würde ich heute vermutlich spießig finden)

23. Vom Winde verweht, Margaret Mitchell

24. Siddharta, Hermann Hesse

25. Die Entdeckung des Himmels, Harry Mulisch (ich kenne nur den Film, der ist nicht schlecht)

26. Die unendliche Geschichte, Michael Ende

27. Das verborgene Wort, Ulla Hahn (hab ich auch nach zwanzig Seiten wegeglegt, ihre Gedichte mag ich auch nicht)

28. Die Asche meiner Mutter, Frank McCourt

29. Narziss und Goldmund, Hermann Hesse

30. Die Nebel von Avalon, Marion Zimmer Bradley

31. Deutschstunde, Siegfried Lenz (enttäuschend: betulich, tendenziell die Nazizeit verharmlosend)

32. Die Glut, Sándor Márai (hab "Die Gräfin von Parma" von ihm gelesen: mit großem Genuss weggeschmökert und sofort vergessen)

33. Homo faber, Max Frisch (hab ich gehasst – wie den ganzen Max Frisch)

34. Die Entdeckung der Langsamkeit, Sten Nadolny

35. Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, Milan Kundera (ein gut geschriebenes, kluges und wichtiges Buch, zumindest für Ostblockgeborene – wenn auch in der Haltung machohaft und unsympathisch)

36. Hundert Jahre Einsamkeit, Gabriel Garcia Márquez

37. Owen Meany, John Irving

38. Sofies Welt, Jostein Gaarder (ganz doof)

39. Per Anhalter durch die Galaxis, Douglas Adams

40. Die Wand, Marlen Haushofer (ging so)

41. Gottes Werk und Teufels Beitrag, John Irving

42. Die Liebe in den Zeiten der Cholera, Gabriel Garcia Márquez

43. Der Stechlin, Theodor Fontane

44. Der Steppenwolf, Hermann Hesse (schönes Buch, wohl eins der besseren von Hesse)

45. Wer die Nachtigall stört, Harper Lee

46. Joseph und seine Brüder, Thomas Mann

47. Der Laden, Erwin Strittmatter

48. Die Blechtrommel, Günter Grass (genial und widerlich gleichzeitig)

49. Im Westen nichts Neues, Erich Maria Remarque (einfach super)

50. Der Schwarm, Frank Schätzing

51. Wie ein einziger Tag, Nicholas Sparks

52. Harry Potter und der Gefangene von Askaban, JK Rowling

53. Momo, Michael Ende

54. Jahrestage, Uwe Johnson

55. Traumfänger, Marlo Morgan

56. Der Fänger im Roggen, Jerome David Salinger

57. Sakrileg, Dan Brown

58. Krabat, Otfried Preußler

59. Pippi Langstrumpf, Astrid Lindgren

60. Wüstenblume, Waris Dirie

61. Geh, wohin dein Herz dich trägt, Susanna Tamaro

62. Hannas Töchter, Marianne Fredriksson

63. Mittsommermord, Henning Mankell

64. Die Rückkehr des Tanzlehrers, Henning Mankell

65. Das Hotel New Hampshire, John Irving

66. Krieg und Frieden, Leo N. Tolstoi

67. Das Glasperlenspiel, Hermann Hesse (bin irgendwann nach der Hälfte drin stecken geblieben – gute Grundidee, irgendwie zu abgehoben – und wesentlich zu lang)

68. Die Muschelsucher, Rosamunde Pilcher

69. Harry Potter und der Feuerkelch, JK Rowling

70. Tagebuch, Anne Frank (bewegend – aber weniger der Politik wegen, sondern wegen der authentisch geschilderten Pubertätsnöte, sie war der einzige Mensch, der mich verstand, als ich 14 war)

71. Salz auf unserer Haut, Benoite Groult

72. Jauche und Levkojen , Christine Brückner

73. Die Korrekturen, Jonathan Franzen (solide erzählter intellektueller Mainstream, mochte ich überhaupt nicht, hat mich teilweise regelrecht aggressiv gemacht)

74. Die weiße Massai, Corinne Hofmann

75. Was ich liebte, Siri Hustvedt

76. Die dreizehn Leben des Käpt’n Blaubär, Walter Moers

77. Das Lächeln der Fortuna, Rebecca Gablé

78. Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran, Eric-Emmanuel Schmitt

79. Winnetou, Karl May

80. Désirée, Annemarie Selinko

81. Nirgendwo in Afrika, Stefanie Zweig

82. Garp und wie er die Welt sah, John Irving (nach zwanzig Seiten weggelegt, konnte ich nichts mit anfangen)

83. Die Sturmhöhe, Emily Brontë

84. P.S. Ich liebe Dich, Cecilia Ahern

85. 1984, George Orwell (auch ein wichtiges, sehr aufrichtiges Buch – aber viel, viel zu politisch, ich hab irgendwann in der zweiten Hälfte aufgegeben)

86. Mondscheintarif, Ildiko von Kürthy

87. Paula, Isabel Allende

88. Solange du da bist, Marc Levy

89. Es muss nicht immer Kaviar sein, Johanns Mario Simmel

90. Veronika beschließt zu sterben, Paulo Coelho

91. Der Chronist der Winde, Henning Mankell

92. Der Meister und Margarita, Michail Bulgakow (hab ich früher über alles geliebt, als ich neulich nochmal reinlas, war es mir sehr fremd)

93. Schachnovelle, Stefan Zweig (rasant, elegant, banal – wer war das gleich, der Zweig als „Literaturfabrikant“ bezeichnete?)

94. Tadellöser & Wolff, Walter Kempowski

95. Anna Karenina, Leo N. Tolstoi

96. Schuld und Sühne, Fjodor Dostojewski

97. Der Graf von Monte Christo, Alexandre Dumas

98. Der Puppenspieler, Tanja Kinkel

99. Jane Eyre, Charlotte Brontë

100. Rote Sonne, schwarzes Land, Barbara Wood

Mein eigene Lieblingsliste folgt demnächst.

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Freitag, 26. Februar 2010
Kleine Idiotien des Alltags
Ich habe heute wieder "Orientierungskurs" unterrichtet, die Vorbereitung auf den Politiktest, den kleinen Bruder des berühmten Einbürgerungstests. Was das für ein Blödsinn ist! 30% der Fragen sind völlig irrelevant, weitere 30 % versteht man nur, wenn man eh schon in der deutschen Sprache und Kultur orientiert ist. Zum Thema "Religöse Vielfalt" gibt es z. B. fünf Fragen - eine zur Religionsfreiheit und vier zum Christentum. Ähnlich spießig sind die Fragen zur Politik ("Was bedeutet die Abkürzung CSU in Deutschland?") und auch viele der historischen Fragen: "Wie waren die Besatzungszonen Deutschlands nach 1945 verteilt?"
Es ist mir peinlich vor meinen Schülern, die ja vor wenigen Monaten noch Analphabeten waren - und auch jetzt noch recht holperig lesen. Heute morgen auf dem Fahrrad hab ich mir einen Lesetext mit möglichst vielen der idiotisch schweren Politikwörter ausgedacht, der beginnt so: "Deutschland ist eine Demokratie. Es gibt seinen Bürgern viele Freiheiten. Auch für die Einwohner ohne deutsche Staatsangehörigkeit gelten die demokratischen Regeln. Leider haben diese Regeln meistens komplizierte Namen. Das ist so, weil die Juristen und Beamten eindeutige Begriffe für die Regeln festlegen müssen. Manche Beamte lieben diese Begriffe mehr als die demokratischen Regeln. Deshalb muss jeder Ausländer im Orientierungskurs lernen, was der Unterschied zwischen Bundesversammlung und Bürgerversammlung ist."

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Dienstag, 23. Februar 2010
Mein Beitrag zum Fall Hegemann
Na, da kommt man dieser Tage wohl nicht drumrum, auch einmal über Helene Hegemann zu schreiben. Ich stelle im Folgenden einen Leserbrief an Iris Radisch ein, die doch in der "Zeit" allem Ernstes den Eindruck vermitteln wollte, Helene Hegemann sei eine unabhängige junge Wilde, die vom patriarchalischen Feuilleton gehetzt wird, und sie entstamme einer Kultur, die "so herschaftsfrei, so gestzlos" sei. So naiv kann man doch nicht sein!

Sehr geehrte Frau Radisch,

ich antworte auf Ihren Kommentar „Die Alten Männer und das junge Mädchen“, weil er meines Erachtens zwar in der Sache richtig ist, aber dennoch die völlig falschen Signale aussendet.
Es ist sicher richtig, dass die aktuelle Debatte um Helene Hegemann sexistische Züge trägt und dass die geschmacklosen Angriffe auf ihre Person auch mit ihrem Geschlecht zu tun haben. Dass man (wie vorher bei der Ludhudelei) auch in der notwendig folgenden Niedermachung weniger das Werk als die Person im Blick hat und sich als moralischer Richter über eine Autorenpersönlichkeit aufspielt. So etwas wird in der Tat häufiger und heftiger an Autorinnen als an Autoren praktiziert. Erinnern Sie sich noch an die Debatte um Christa Wolf nach der Wende? Auch da wurde eine Autorin über Gebühr (und aus außerliterarischen Gründen) hochgelobt und, als der Zeitgeist umschlug, umso heftiger als Person niedergemacht, wobei ihr eigentliches Werk immer mehr aus dem Blick geriet. Oder Judith Hermann vor einigen Jahren – erst wie verrückt hochgelobt, und zwar vor allem für ihre Szenenähe, ihren Zigarettenkonsum und den modischen Ton ihrer Erzählungen - aber ihren zweiten, meines Erachtens deutlich besseren Erzählungsband hat man dann schon kaum noch wahrgenommen. Denn verkaufsträchtig war das Phänomen Judith Hermann, nicht ihre Literatur. Handelt es sich dagegen um einen männlichen Autor, dann argumentiert das Marketing mehr mit dem Begriff der literarischen Qualität als mit dem Verweis auf den Autor. Und entsprechend ist Uwe Tellkamp, als er entthront wurde, als Person recht glimpflich davon gekommen.
Aber wenn ein autoritäres Feuilleton Helene Hegemann angreift, dann kann man doch ihrem Buch nicht einfach im Umkehrschluss attestieren, dass es „so herrschaftsfrei, so gesetzlos“ sei. Ein Buch, das nach allen Regeln der Marktgesetze auf jede Ladentheke jeder Buchhandelskette gebracht wurde! Das ist doch einfach nicht glaubhaft. Seit wann bekommt eine junge, wilde Debütantin einen Vertrag mit Ullstein? Und warum unterschreibt sie so einen Vertrag? Aus reiner „Postpostauthentizität“?
Ich habe neulich in einem Kommentar gelesen, dass auf dem deutschen Buchmarkt derzeit mit 5% der Titel 90% des Umsatzes gemacht werden. Da fragt man sich doch, wie eine solche Gleichschaltung möglich ist. Und der Gedanke liegt nahe, dass das Hochloben von Hegemann ebenso zur Marketingstrategie gehört wie das Niedermachen, wenn es mit dem Hochloben aus irgendeinem Grund nicht mehr funktioniert: Hauptsache Aufmerksamkeit. Ich finde, da dürfen Sie als ZEIT-Autorin nicht mitmachen.
Frau Radisch, ich bitte Sie inständig, die in der Tat unappetitlichen, lächerlichen Meta-Debatten des Feuilletons einfach zu ignorieren, und lieber weiter Ihrer Arbeit als Kritikerin nachzugehen: uns Lesern die qualitätvollen Bücher vorzustellen, die von den 5% Blockbustern verdrängt werden und von denen wir ohne Ihre Mithilfe nicht erfahren würden. Helene Hegemann kommt schon ohne Sie klar.

... aus naheliegenden Gründen lege ich den Beitrag unter "Politk" ab ...

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Montag, 15. Februar 2010
"Gegenüber brennt noch Licht", ein Roman von Jens Wonneberger
Dieses Blog verkommt langsam zum Rezensionsblog, so ereignisfrei, so dumpf ist mein Leben. Meine Frau schreckte mich gestern Abend mit der Frage: „Ist alles in Ordnung?“ aus dem beginnenden Schlaf, weil sie mein Wegschieben und meine Depression gespürt hatte, die mir durch ihre Rückfrage erst bewusst wurde ...
Ich verdanke die Bekanntschaft mit Jens Wonneberger eigentlich Uwe Tellkamp. Denn dem hat man kürzlich nachgewiesen, dass eine meiner absoluten Lieblingsstellen aus dem „Turm“ eigentlich von Jens Wonneberger verfasst wurde. Die Konsequenz für mich: Den musst du lesen. Also besorgte ich mir seinen aktuellen Roman.
Das Grundthema von „Gegenüber brennt noch Licht“ stammt von Heimito von Doderer. Der hat nämlich vor einigen Jahrzehnten einen kleinen Roman namens „Die erleuchteten Fenster“ geschrieben, in dem ein pensionierter Amtsrat akribisch seine Spanner-Tätigkeit am abendlichen Großstadtfenster dokumentiert. Glücklicherweise verwandeln sich seine voyeuristischen Lüste im Laufe des Romans in reales Liebesgeschehen, es kommt zur „Menschwerdung des Amtsrates Julius Zihal“. Ich hab das Buch in meiner Doktorandenzeit gelesen, da mein Doktorvater ein Doderer-Fan war. Fand es brilliant geschrieben, auch witzig, leider auch ein bisschen spießig.
Auch Wonneberger schreibt über einen Beamten als Spanner, allerdings alles andere als spießig. Sein Stil erscheint auf den ersten Blick eher ein bisschen mainstream: Ich-Erzähler, spannend, kühl und genau – wie sie eben heute alle schreiben. Der Plot ist sehr überlegt konstruiert, auch die überraschende Wendung nach zwei Dritteln (goldener Schnitt!) fehlt nicht.
Aber zunächst zum Inhalt: Ein Herr Plaschinski, auch nicht mehr der Jüngste, lebt als Single einsam in seiner Dresdner Wohnung und nimmt „mit Hilfe eines Zeißes“ (Chr. Morgenstern) am Leben seiner Nachbarn im Haus gegenüber teil, alle Ereignisse werden penibel protokolliert. Tagsüber ist er ein ebenso exakter Beamter der Rentenversicherungsanstalt, hat zwei mehr oder weniger ätzende Kollegen und neuerdings auch eine hübsche, aber unterkühlte Kollegin. Und während sich am Tage langsam eine Liaison mit dieser verklemmten, eleganten Anna-Sophie anbahnt, wird es auch abends am Fenster spannender: Zwar findet seine heimliche Verehrung für eine der Nachbarinnen ein abruptes Ende, nachdem er ihr zufällig in der Realität und in knallbunten Jogginghosen begegnet – eine herrlich peinliche Szene. Dafür öffnet sich aber endlich ein seit Wochen abgedecktes Fenster in der Nachbarwohnung – und sichtbar wird Herr Zimmermann, der Plaschinski vor einiger Zeit bei einem Dienstaufenthalt in der Provinz vor angetrunkenen Neonazis rettete, mit denen er offensichtlich unter einer Decke steckte. Was Zimmermann hier in Dresden treibt, riecht ebenfalls sehr nach brauner Untergrundtätigkeit, kann aber vom Fenster gegenüber nicht völlig durchschaut werden. Am Ende verschwindet Zimmermann, Anna-Sophie hält Einzug in Plaschinskis Wohnung und der Ordner mit den Spanner-Protokollen wird vorerst zur Seite gepackt.
Eine runde Geschichte, wie gesagt. Was sie für mich aus dem Durchschnitt heraushebt, zu etwas Besonderem macht, ist zunächst mal ein persönlicher Gleichklang: Die Art Melancholie und emotionale Kontaktschwäche wie Plaschinski schlepp ich auch mit mir rum, und so wie Wonneberger – stilistisch unauffällig, aber sehr fein in der Beobachtung und hintersinnig in den Andeutungen – würde ich auch schreiben, wenn ichs könnte: Der Mann beschreibt ein sächsisches Provinzstädtchen, böse und trocken, satirisch zugespitzt und doch genau und treffend und beendet die Beschreibung mit folgenden Worten: „Ich habe mich angesichts der Ödnis oft gefragt, was die Menschen hier machten, was ich hier machte, ich habe mich gefragt, was die Menschen eigentlich auf dieser Welt machten.“ Super!
Oder die ganze Geschichte mit Anna-Sophia, die ihn aus der Perversion errettet, erretten kann, da sie selbst alles andere als psychisch auf dem Posten ist. Ganz herrlich die Schilderung ihrer Wohnung in einer besseren Dresdner Gegend, in der sich überhöhter Anspruch und die Armseligkeit des Single-Daseins auf so ergreifende Weise begegnen. Kennt sicher jeder von uns, solche Wohnungen.
Großartig fand ich auch den Erzählstrang um den Neonazi. Da war einfach alles drin: die allgegenwärtige Angst vor den besoffenen Horden in der ostdeutschen Provinz und deren Kumpanei mit den ansässigen Kneipenwirten (das stimmt, da könnt ich auch eine Geschichte zu beisteuern, und wahrscheinlich nicht nur ich), die merkwürdige Rolle des normalbürgerlichen Anführers Zimmerman inklusive V-Mann-Verdacht, die aggressive Fremdenfeindlichkeit der Normalbevölkerung (der Kunde, der in Plaschinski aufgrund seines Namens einen Polen vermutet und sofort ausfallend wird).
Und nicht zuletzt war auch der Schluss wunderbar elegant. Wie da einfach diverse Erzählstränge unaufgelöst bleiben und die Errettung Plaschinskis durch Anna-Sophie unvollständig, dieses „Alles wird besser, doch nie wieder gut“ – das war einfach lebensecht und darum umso bewegender.
Kurz: Ein ganz und gar nicht genialisches Buch (im Gegensatz zu Tellkamp), eher bodenständiges Handwerk mit Seele. Und eine beeindruckende Feinfühligkeit in der Beobachtung und im Bau der Geschichte. Was will man mehr?!

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Sonntag, 14. Februar 2010
Wieder gehört: eine alte Kassette
Erinnert sich noch jemand an Billy Bragg, den englischen Folk-Punker mit Working-Class-Hero-Attitüde? Er begegnete mir gestern, als ich eine alte Lieblingskassette beim Autofahren hörte (das Auto ist komischerweise der einzige Ort, wo sich nicht nur ein Kassettenrekorder befindet, sondern dieser auch noch benutzt wird).
Es ist ja komisch, wenn man über Musik so unvermittelt in die eigene Vergangenheit gerät. Plötzlich war ein altes Pubertätsdilemma wieder da: Ich war ja Ende der siebziger bis Anfang der neunziger Jahre im entsprechenden Alter (ja, so lange dauert eine Pubertät, hierzulande!), und da war Punk die entscheidende Musikrichtung, die entscheidende Lebenshaltung. Aber ich konnte Punk nicht leiden. Mit siebzehn ließ ich mir die Haare wachsen, während mein Kumpel C. sie sich kurz schor. Ich liebte Cat Stevens, Blues und die Dire Straits und wusste, dass ich total veraltet und damit (als DDR-Jugendlicher) auch unnötig systemnah war: Immerhin hatte ich gegen den Kitsch von „Karussell“ zwar politisch-moralische (wegen Pannach und Renft), aber keine musikalischen Vorbehalte.
Und so hörte ich eben allein zu Hause meine Liedermacher, einsam schmachtend – und gestern verwundert über mich selbst: Bettina Wegner und Joan Baez (das ist ja unerträglich, wie konnte ich das nur mögen?!), Bob Dylan und Wolf Biermann (na, immerhin) und den oberpeinlichen Konstantin Wecker. Danach kam André Heller. Merkwürdigerweise kann ich dem im Gegensatz zu Wecker immer noch etwas abgewinnen: Das ist zwar Schwachsinn, aber unbekümmert ehrlich. Und seine kindlich verspielte Androgynität ist allemal moderner als das Macho-Gehabe des gewöhnlichen männlichen Liedermachers.
Die zweite Kassettenseite hab ich wohl ein paar Jahre später bespielt. Das finden sich Tracy Chapman – und eben Billy Bragg. Ich erinnere mich meiner Begeisterung für Tracy Chapman – und der Ablehnung, die ich wegen ihr erfuhr (allenfalls „She`s got a ticket“ war gesellschaftlich akzeptiert, da es als Ausreiser-Lied gehört wurde, was es ja auch ist). Warum hab ich Tracy Chapman so lange vergessen?
Na, und Billy Bragg, das war der Kompromiss: der Liedermacher als Punk. Zum ersten Mal vernommen hab ich seine Musik live, beim „Festival des Politischen Liedes“, ich glaub, ich war damals Soldat – ein verstörendes Erlebnis. Es war eine Gemeinschaftsveranstaltung, bei der nach zwei – drei Liedern eine Gruppe jeweils die nächste ablöste. Das meiste war exotisch-fokloristisch (was man heute Weltmusik nennt) und gefiel mir nicht sonderlich, aber um mich herum die begeistert tanzenden, häufig ausländisch aussehenden Menschen (sogar Schwarze!) machten das mehr als wett – ich genoss das internationale Flair (so wie ich später in Studentenzeiten so manche Goran-Bregovic-CD über mich ergehen ließ – um der Linken und Osteuropäer wegen, die auf ihn standen). Dann betrat Billy Bragg die Bühne, ein junger, dünner Mann im T-Shirt, allein mit seiner E-Gitarre, und machte einen Höllenlärm. Die Tänzer blieben verstört stehen und ich stand mit offenem Mund. Bragg war offenbar belustigt über die Reaktion und machte fröhlich weiter. Ich war beeindruckt.
Später begegnete mir seine Musik noch öfter. Zunehmend beeindruckte mich die noble Haltung dieses Menschen, dessen punkige Seite ich bald als Antihaltung gegen Kitsch begriff und akzeptierte. Wirklich gemocht habe ich sie nie.
Wie gestern Abend dieses Konzert „KlangRaum St.Petri“, in das ich geriet: Sphärenklänge und ein paar Gedichte, zelebrierend vorgetragen im Chorraum einer Kirche. Das Etikett „Esoterik“ drängte sich auf (mir so unangenehm wie „Punk“) – aber es war wie bei Billy Bragg. Man spürte schon nach einigen Minuten die Echtheit und vornehme Hingabe („Spiritualität“ nennt man das heute normalerweise). Hut ab vor solchen Leuten!
Aber die Musik mag ich trotzdem nicht. Ich bleib beim musikalischen Mainstream, bei Tracy Chapman und Cat Stevens. Auch wenn er heute anders heißt.

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Sonntag, 31. Januar 2010
Besserwessi und Stasityp
Ich bin kürzlich beim Rumdaddeln im Netz auf eine Seite gestoßen, auf der man sich als Online-Rezensent für wissenschaftliche Literatur melden kann, gegen Erhalt des Rezensionsexemplars. Das erschien mir, als Reminiszenz an alte Doktorandenzeiten, reizvoll und ich hab es ausprobiert und eine Aufsatzsammlung über ostdeutsche Befindlichkeiten rezensiert. Ich hatte auch geplant, sie auch hier einzustellen, mich dann aber doch dagegen entschieden, damit ich hier in Ruhe ablästern kann (ohne Namen zu offenbaren).
Denn es war schon interessant, wer so einen Sammelband herausgibt – und damit auch die öffentliche Meinung zum Thema Ostdeutschland mitbestimmt. Offenbar wächst da zusammen, was zusammen gehört – ein Besserwessi und eine rote Socke fungieren in trauter Harmonie als Editoren.
Der Wessi ein Hans Dampf in allen Gassen: Er hat ein erstes Fach studiert, in einem zweiten promoviert und sich in einem dritten habilitiert. Mitglied in diversen Forschungsprojekten und -gremien. Publikationsliste bis zum Abwinken, die einzelnen Publikationen meist zusammen mit jeweils mehreren Mitautoren. Aber die ordentliche Professur, die fette Stelle, die gabs erst 1991 im Beitrittsgebiet – der typische Besserwessi.
Und nun der Ossi: Berufsausbildung mit Abitur in der ostdeutschen Provinz und dann ab in die Hauptstadt. Diverse ungelernte Jobs, daneben freier Autor (was immer das bedeuten mag im publikationstechnisch totalüberwachten Ostberlin). Ab 1986 (dem Jahr, ab dem auch die Stasi ihre V-Leute, OibEs genannt, verstärkt unter die Künstler schickte) auch eine eigene Galerie, ausgerechnet in Berlin-Lichtenberg (also wer das noch für Underground und Opposition hält, muss ganz doof sein). 1989 natürlich politisch äußerst aktiv und Autor für die „Junge Welt“. Danach in den Neunzigern die zweite Karriere: Politik-Studium mit Promotion und schneller Aufstieg in kulturpolitischen Gremien der neuen Bundeshauptstadt, natürlich immer auf festen Angestellten-Posten, man ist ja sicherheitsorientiert als Ostdeutscher – jedenfalls wenn man eine rote Socke ist und die entsprechenden Kontakte hat.
Ich kann sie einfach nicht leiden, diese Netzwerker und Bescheidwisser. Aber ich frag mich auch, weshalb ich immer wieder ihr Milieu aufsuche und mich dann ärgere.

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Samstag, 23. Januar 2010
Mein Freitagabend: Glücklich mit Andres Veiel
Heute Morgen bei der Arbeit (der Unterricht selbst war wie immer super, Entspannung pur) stellt sich heraus, dass – nachdem ich eine Woche nicht im Unterricht gewesen bin – schon wieder zwei Personen Schwund zu verzeichnen sind. Scheiße!
Der Abend aber war aber gut. Meine Frau zwar verabschiedete sich schon gegen acht – nachdem sie unser Kind ins Bett gebracht hatte, nahm sie für 15 min mit der Küche vorlieb, eh sie ins Bett ging. Ich sah mit T., meinem freitagabendlichem Gast, fern, und zwar auf meinen Wunsch Andres Veiel. „Oh, nein“, sagte T., „bei deinen billigen Computerlautsprechern ...“ Aber dann gelang es mir, nicht nur den Beamer an den Pc, sondern auch den Pc an die Anlage anzuschließen!
Zu Weihnachten hab ich nämlich eine Andres-Veiel-DVD-Kollektion geschenkt bekommen, von meiner Frau und meinen Geschwistern, das hatte ich mir gewünscht. „Die Überlebenden“ kannte ich schon und nominierte ihn zum besten Dokumentarfilm „ever“. „Black Box BRD“ hab ich damals im Kino gesehen und war erst etwas irritiert, die linken Klischees nicht bestätigt zu sehen, dann aber begeistert.
„Die Spielwütigen“ endlich heute Abend. Ein Film über vier Bewerber an der Schauspielschule „Ernst Busch“. Unglaublich, wie exakt ein Schwabe den Autoritätswahn der ossihaften Preußen ins Bild setzen kann. Ganz zu schweigen von der Sensibilität, mit der er (ohne in irgendeiner Weise denunziatorisch zu sein) mit zwei, drei kleinen Einstellungen verdeutlicht, welche Rolle die Ängste oder Überzeugungen der Eltern für den Erfolg der Kinder haben.
Ein Beamer, eine Flasche Wein, eine Packung Salzstangen und interessierter Mitgucker machten mein Glück perfekt ... so dachte ich, als T. gegen Mitternacht nach Hause ging und ich das Kabelgewirr wieder rückgängig machte und den letzten Rest Wein austrank.
Dass S. dann um Viertel nach zwölf noch anrief mit der traurigen Nachricht, dass sein Vater tot ist, und wir dann noch stundenlang besprachen, was in seiner und meiner Familie so alles schief gegangen ist, nun, das gehört auch dazu. Ein schöner Freitagabend. Ich hoffe nur, meine Frau morgen wiederzusehen.

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