Montag, 6. Dezember 2010
Kleiner Pausenfüller: Meine Frau hat mich beim Bloggen fotografiert


Nicht nur um mich herum, auch in mir dreht sich alles im Kreis im Moment - an Schreiben ist gar nicht zu denken. Ich hoffe, Sie bleiben mir gewogen, bis ich wieder ins Palvern komme.

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Dienstag, 23. November 2010
Was wäre die Bundeswehr ohne Frank Lehmann? – Ein Plädoyer für die Wehrpflicht
Es wird Sie vielleicht verwundern, dass ich hier ein Plädoyer für die Wehrpflicht halte, wo ich doch meine Leiden als Wehrpflichtiger hier schon ausführlich geschildert habe und mich auch sonst hinreichend als Linker geoutet habe.
Aber irgendwie piksen mich die öffentlichen Diskussionen dieser Tage an, diese von links bis weniger links einstimmige Ablehnung der Wehrpflicht, bei der höchstens das Wegfallen einiger bequemer Arbeitsplätze bedauert wird. Ich finde, man sollte die Frage grundsätzlicher diskutieren. Meiner Meinung nach verwirkt eine Armee sowohl das Recht als auch die Fähigkeit, für die Interessen einer Bevölkerung zu kämpfen, wenn diese Bevölkerung nicht auch ausreichend in ihr repräsentiert ist. Sie kennen doch sicher „Neue Vahr Süd“ und Sie werden mir zustimmen, dass die Bundeswehr erst durch die Präsenz von Skeptikern und Quertreibern wie Frank Lehmann die Akzeptanz und Autorität bekommen kann, die sie – meines Erachtens – auch verdient: entweder eine Armee für alle oder gar keine. Eine Armee ohne die vielen Frank Lehmanns, die eher zufällig da reingeraten, eine Armee nur aus Freiwilligen, – das wäre ja eine Söldnerarmee, wie es sie früher gab, ein willfähriges Heer im Dienste irgendeines Fürsten. Deshalb kann ich dem Vorschlag Karl Theodor zu Guttenbergs, die Bundeswehr vollends auf eine solche Söldnerarmee zu reduzieren, nichts abgewinnen. Und die zustimmenden Argumente von links und weniger links gefallen mir auch nicht. Die Wehrpflicht abzuschaffen, weil sie ein Zwangsdienst für nur wenige ist, das ist mir zu einfach. Soll eine Gemeinschaft nicht das Recht haben, sich ein Instrument zur Selbstverteidigung zu schaffen? Und ganz ohne Zwang geht das nun mal nicht – auch Steuern würde niemand freiwillig zahlen. Außerdem ist Steuerflucht moralisch mies, ebenso wie die Haltung: „Sollen doch die anderen zum Bund! Hauptsache, ich habe meine Freiheit. Und einen Ersatz dafür will ich auch nicht leisten – schließlich sind 'die da oben' sowieso die Bösen, und die Bundeswehr erst recht." Von weniger links kommt dann das Argument, dass es existenzielle deutsche Interessen im Ausland gibt, und die könne eben nur eine Berufsarmee vertreten. An dem Argument mit den existenziellen Interessen ist ja was dran. Allerdings steht dieser militärischen Interessenvertretung einiges entgegen, neben der derzeit fehlenden Zustimmung durch eine Bevölkerungsmehrheit vor allem die Souveränitätsrechte so genannter „instabiler“ Staaten, über die die meisten Pro-Berufsarmee-Argumentatoren ziemlich leichtfertig hinweggehen. (Stellen Sie sich mal vor, irgendeine außereuropäische Macht erklärte Europa aufgrund der Euro-Krise für „instabil“ und rechtfertigte damit eine militärische Invasion.) Außerdem: Wenn wirtschaftliche Zusammenhänge so lebensbedrohlich sein können, dass ein militärisches Sich-Hinweg-Setzen über fremde Souveränitätsrechte gerechtfertigt ist, dann sind sie mindestens so lebensbedrohlich, dass sie auch ein Asylrecht für Wirtschaftsflüchtlinge erfordern. Eine Ökonomisierung des Begriffs „Landesverteidigung“ ohne eine Ökonomisierung der Begriffe „Verfolgung“ und „Asyl“ wäre widersinnig. So, und zum Schluss muss ich noch auf ein Argument eingehen, das mich regelrecht aggressiv macht: Die neuen Aufgaben der Bundeswehr erforderten eine hoch spezialisierte, professionelle Armee und daher den Verzicht auf die Mitwirkung militärischer Laien. So? Ist damit gemeint, dass so ein Auslandseinsatz nur funktioniert, wenn man sich den Stress mit Herrn Lehmann sparen kann? Und glaubt wirklich jemand, dass Outsourcing gesellschaftlicher Kernaufgaben (wie der Landesverteidigung) an externe „Spezialisten“ zu einer Erhöhung der professionellen Qualität führt? Das Gegenteil ist der Fall. Ich arbeite selbst für ein externes, „gemeinnütziges“ Unternehmen, das im Auftrag staatlicher Stellen Spezialaufgaben übernimmt (Integrationskurse im Auftrag des Innenministeriums). Wenn meine Kollegen und ich im Vergleich zu unserem Auftraggeber, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, irgendwie „professioneller“ sind, dann nur in folgendem Sinne: Wir sind schlechter bezahlt, schlechter organisiert, weniger loyal. Also, so viel ist sicher: Eine Bundeswehr als professionelle Spezialtruppe wird chaotischer, brutaler, schwerer kontrollierbar sein. Und das können nicht mal die wirklich wollen, die ihren Einsatz nicht werden zu erleiden haben.

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Sonntag, 31. Oktober 2010
Der Kongo als Kriegsschauplatz – TV-Drama mit Jörg Schüttauf
Neulich kam ein TV-Drama mit dem Titel „Kongo“. Es sollte um den Bundeswehreinsatz 2006 dort gehen, „TV Spielfilm“ war begeistert und irgendeinen Filmpreis gab es auch. Ich war neugierig (dass die Bundeswehr im Kongo war, hatte ich gar nicht mitgekriegt – 2006 hatte ich grad andere Probleme als regelmäßig die Nachrichten zu verfolgen). Ich nahm den Film auf und kam vor ein paar Tagen endlich dazu, ihn zu gucken.
Über den Kongo war aber leider nichts zu erfahren, was über das banalste Stammtischwissen hinausgeht. Natürlich hatte man irgendwo einen Kurzdialog über den kongolesischen Rohstoffreichtum im Dienste der 1. Welt in das Drehbuch montiert, ebenso wie ein paar Hinweise auf mystisches Denken bei den Eingeborenen, die wohl Lokalkolorit und Rückständigkeit andeuten sollten. Der Kommandeur der Truppe ließ auch einen vagen Halbsatz über den Grund für den Einsatz fallen. Relevanz für die Handlung hatte das alles nicht. Für die waren bloß die Kindersoldaten und Rebellen wichtig, da ja in einem TV-Drama immer irgendjemand den Part des Bösen übernehmen muss.
Überhaupt die Handlung: durchaus fesselnd, aber nach Schema F gestrickt – ein Selbstmord, dessen Hintergründe vertuscht werden, eine Ermittlerin als Heldin (jung, hübsch, Oberleutnant), ihre Gegenspieler zwei Machos, von denen der eine den guten und der andere den bösen Bullen darstellt, am Ende scheitert die Idealistin tragisch und der böse Bulle mindert seine Schuld, indem er mit männlich-entschiedenem Einsatz das Schlimmste verhindert. Afrika, sofern es außerhalb des Militärlagers existierte, bildete den passenden Hintergrund aus Naturschönheit und armen Opfern (teilweise bemitleidenswert, teilweise gefährlich verstrickt, in jedem Fall aber: fremd, nicht vertrauenswürdig).
Ich, der etwas über den Kongo und, was die Deutschen dort so getrieben haben, erfahren wollte, war enttäuscht: Das Ganze hätte genauso gut in Afghanistan oder sonstwo spielen können, der Schauplatz inklusive einheimischer Bevölkerung war völlig austauschbar. Wenn irgendetwas echt war an der Geschichte, dann die Nöte der Soldaten, die in eine fremde, feindliche Umgebung und in einen Konflikt, den sie nicht verstehen, geworfen werden. Und tatsächlich – als ich nachgoogelte, erfuhr ich, dass sich der Plot an Motiven „am Hindukusch“ passierter Vorfälle orientiert.
Aber auch, was den Kongo betrifft, wurde ich im Internet fündig. Schon die Erlebnisse von Frau damenwahl hatten in mir ja – wie bei Herrn Stubenzweig – die Frage ausgelöst, was da eigentlich los ist. Eine mir einleuchtende Darstellung der Situation fand ich hier, und die hat mich schwer beeindruckt: Ich erfuhr, dass die heutigen Konflikte nicht nur Nachwehen eines besonders schlimmen Kolonialzeit waren, auch nicht nur Folgen des Mordes am ersten Präsidenten des unabhängigen Kongo durch belgische Söldner oder der darauf folgenden Diktatur durch Mobutu (einer echten Pinochet-Saddam-Figur von US-Gnaden), sondern dass auch im Jahr 2000 wieder ein kongolesischer Präsident durch westliche Geheimnisdienste ermordet wurde. Und dass der besagte Bundeswehreinsatz dazu diente, die Wahl des aktuellen Frankreich-Lieblings abzusichern. Die Führung dieses Militäreinsatzes wollte halt Frankreich aus Prestige-Gründen nicht schon wieder übernehmen - und Deutschland war grade scharf darauf, seine Auslandstruppen international zu etablieren.
So betrachtet war die Entscheidung des Drehbuchautors, die Geschichte im Kongo anzusiedeln, gar nicht schlecht: Wenn er weg wollte von der politisch aufgeheizten Tagesdiskussion um Afghanistan, wenn es darum ging, das Publikum daran zu gewöhnen, dass deutsche Soldaten in x-beliebige Länder der 3. Welt geschickt werden, in Konflikte, von denen sie keine Ahnung haben und auch nicht haben sollen, dann waren die Schauplatzwahl Kongo und das Ausblenden jeglicher gesellschaftlicher Hintergründe sicher eine gute Wahl: einfach professionell. Es gibt nämlich einen Grad an Professionalität, der Volksverdummung gleichkommt.

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Donnerstag, 14. Oktober 2010
Schaut nicht weg! Ein persönliches Zeugnis
„Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist ein Thema, das die Gesellschaft erschüttert. [...] Stephanie zu Guttenberg ist der festen Überzeugung: Wir alle können etwas tun. Ihr Buch ,Schaut nicht weg!' ist ein Aufruf und ein persönliches Zeugnis.
Frau zu Guttenberg, Sie [...] engagieren sich zum Schutz der Kinder persönlich. Wie kam es dazu?
Als ich angefragt wurde und mich umfassend in das Thema eingelesen habe, war ich schon entsetzt [...] Ich bin auch gut vernetzt und somit in einer optimalen Position, [...] Spenden eintreiben zu können. [...] Und die Möglichkeit, sich in einem [...] professionellen Team dieser Herausforderung zu stellen, war für mich auch ein wichtiger Punkt.“
So weit ein Auszug aus einem Interview mit der Ministergattin aus „lebenswert. körper geist seele“, Ausgabe 2/2010, die mir heute in die Hände fiel. Schon interessant, was Journalisten heutzutage als „ein persönliches Zeugnis“ gilt. Ich meine, ich hab ja nichts dagegen, wenn eine Politikergattin sich irgendwelchen Wohltätigkeitszwecken zuwendet, die grade en vogue sind. Das muss wohl so sein, das war schon vor hundert Jahren so und ist heute auch nicht besser. Aber warum muss solch ein Akt braver, gedankenloser gesellschaftlicher Anpassung immer mit einem Adjektiv versehen werden, das gerade das Gegenteil dessen ausdrückt, was Sache ist?
In den neunziger Jahren, als eine Welle rücksichtsloser Ökonomisierung unser Land überrollte, hat man in einem solchen Fall immer gern von „Verantwortung übernehmen“ gesprochen. Heute, wo die Globalisierung unserer Verhaltensweisen weitgehend abgeschlossen ist, heißt es also: „ein persönliches Zeugnis“ oder gerne auch „authentisch“. Immer das, was gerade absolut nicht da ist. Ob sich in diesen Sprachabsurditäten geheime Sehnsüchte verstecken?

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Mittwoch, 6. Oktober 2010
Wo kommen eigentlich die ganzen arbeitslosen Ausländer her? (noch zwei Beispiele)
Unsere Sportlehrerin an der EOS sprach einmal begeistert von dem hervorragenden "Schülermaterial" einer neuen Klasse. Wir Siebzehnjährigen waren entsetzt und überzeugt, so eine Menschenverachtung wäre nur im Realsozialismus möglich. Dabei war das nur die Vorschule des Lebens.
Jetzt bin ich selbst Lehrer und prüfe die Deutschkenntnisse von Migranten. Einer von ihnen erzählte, wie er nach Deutschland gekommen ist. "Ich bin Profifußballer." und ein deutscher Verein hatte ihn, als hervorragendes Menschenmaterial, in Ghana entdeckt. Er spielte einige Jahre in Deutschland, dann war er verletzt und natürlich hieß es: Ab nach Hause! Auf seiner Abschiedsparty lernte er eine Ghanaerin aus Hamburg kennen. Sie heirateten in Ghana, er zog nach Hamburg. Jetzt ist die Ehe schon einige Jahre kaputt, seine Fußballerkarriere sowieso, er sitzt ohne Ausbildung, ohne Job in einer Hamburger Einzimmerwohnung. Wahrscheinlich wird ihn die Arge noch zu einigen sinnlosen "maßnahmen" schicken, sofern Frau Merkel die Gelder dafür nicht gänzlich streicht. Man kann nur noch hoffen, dass die Ghana-Connection ihm doch noch einen Job besorgt. Die viel gescholtenen Ausländer-Parallelwelten schaffen garantiert mehr Arbietsplätze als die Arbeitsagentur.
Auch dazu ein Beispiel: In einer ebensolchen Arbeitsamtsmaßnahme sollten wir einen türkischen KFZ-Mechaniker in Arbeit vermitteln. Wir fanden nicht einmal einen Praktikumsplatz für ihn. Das Problem war schlicht seine sture Weigerung, in einem türkischen Betrieb zu arbeiten. In einem türkischen Unterrnehmen hätte sofort Arbeit gefunden. Aber er wollte partout sein Deutsch verbessern. Sie sehen, mit der Integration ist es wie mit einer Schwangerschaft: Da gehören immer zwei dazu.

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Dienstag, 21. September 2010
Adäquate Elaborate
Zweimal schon in meinem Leben geriet ich in grundsätzliche Verzweiflung, sah alles zusammenbrechen und wusste keinen Ausweg mehr: als Soldat und später als Referendar. Jetzt fiel mir bei der selbstverliebten Durchsicht alter Tagebücher auf, dass ich in beiden Fällen (unter anderem) zu einem letzten Mittel der Selbstbehauptung griff: Ich kopierte Auszüge des gedruckten Schwachsinns, der da über uns ausgeschüttet wurde, in mein Tagebuch. Und da das nun alles lang her ist und die Ergüsse der einst übermächtig geglaubten Gegner heut keiner mehr ernst nehmen würde, kann ich sie hier ja getrost zum Schmunzeln darreichen.
Also erstens: Die „Junge Welt“, das Kampf-, Stürmer- und Hetzblatt der DDR (es ist ein Witz der Geschichte, dass die nette „Wochenpost“ bald nach der Wende unterging, der teilweise noch erträgliche „Sonntag“ immerhin im „Freitag“ aufgehen konnte, die „Junge Welt“ aber noch heute Erfolge feiert, als hätte es 1989 nie gegeben), ich hab sie als Soldat aus Langeweile tatsächlich gelesen, und was ich da las, das war ein Hohn:

Warum sich Torsten Krause aus der 12/2 der Jüterboger Goethe-Oberschule selbst hartnäckig in die Pflicht nimmt
Gerade 18, noch auf der Schulbank — und schon Genosse werden wollen? Torsten Krause aus der 12/2 der Jüterboger Goethe-Oberschule hat zu so einer Frage seine eigene Meinung: „Ob ich als FDJler bisher Vorbild war und konsequent meiner Verantwortung gerecht werde, ist nicht das entscheidend? Als Genosse die gute Politik der SED tatkräftig zu verwirklichen, das ist doch keine Frage des Alters. Das hängt vor allem davon ab, wie man sich einsetzt für die von der Partei beschlossenen Ziele." Und der freundliche Junge ist einer, der sich selbst hartnäckig in die Pflicht nimmt. Davon zeugt das, was der FDJler in der Grundorganisationsleitung der Schule als Verantwortlicher für die GST-Arbeit und die Ordnungsgruppe leistet. Eine Zeitlang lief die praktische Ausbildung der Ordnungsgruppen nicht. Torsten fand sich damit nicht ab, klopfte im Volkspolizeikreisamt um Unterstützung an.
So konsequent ist er auch in der Ordnungsgruppe. Wen wundert's, daß die noch bei jedem Einsatz gestanden hat wie eine Eins. Nur für Torsten selbst brachte das auch ein Problem. Durch diese Aufgabe ganz schön gefordert, ließen Ende der 11. Klasse seine Leistungen nach. Für den FDJler war das ein Signal, sich vor allem auf seine Verantwortung beim Lernen zu besinnen. Er lernte fortan intensiver, konzentrierter, steuert nun sein Abitur mit „Auszeichnung" an.
Wie ernst es Torsten mit seinem Anspruch ist, davon kündet auch der Entschluß, Politoffizier zu werden. „Die Politik der SED war und ist immer auch Friedenspolitik. Und weil angesichts der Konfrontationspolitik der NATO ein zuverlässig geschützter Sozialismus wichtiger denn je ist, ist der Beruf des Offiziers jetzt das Notwendige, das mir .Gemäße." Darin bestärkt wurde er nicht zuletzt von den Genossen in seiner Familie.

Nicht viel erträglicher jedoch die sich wissenschaftlich und progressiv dünkenden Ergüsse der 70er-Jahre-Didaktik. Hier ein Beispiel aus dem Jahr 1976, das ich 1996 noch als ernstzunehmende Grundsatzliteratur durchzuarbeiten hatte:

III. Die Bildbesprechung
1. Sprachdidaktischer Ansatz
Medium der Bildbesprechung ist die Sprache. Ihre Anwendung im Unterricht erfordert didaktische Reflexion. Zentrale Überlegungen sind folgende:
- Sprache im Sinne von Sprachverwendung (Performanz; parole) ist das wichtigste menschliche Kommunikationsmittel.
— Sprache im Sinne von Sprachbesitz (Kompetenz; langue) vermittelt historische Gehalte. [8] In diesen erschließt sich gesellschaftliches Bewußtsein bzw. erschließt sich dem Bewußtsein gesellschaftliches Sein.
- Sprache im Sinne von Kompetenz und Performanz intendiert Mündigkeit im menschheitsgeschichtlichen wie im individuell-biographischen Prozeß.
- Sprache besitzt demgemäß eine emanzipatorische und eine kompensatorische Funktion.
- Sprachliche Kompetenz ist (zentraler) Bestandteil kommunikativer Kompetenz.
- Beide Kompetenzen, die umfassende kommunikative und die spezielle linguistische, werden beeinträchtigt, wenn eine restriktive Sprachnorm die kommunikative Adäquanz der Äußerung beschneidet.
- Eine theoretisch bewußte Sprachdidaktik, die auf Mündigkeit zielt, d. h. emanzipatorische wie kompensatorische Interessen aufnimmt, muß zur Entwicklung und Förderung allgemeiner kommunikativer Kompetenz Sprache auf der Basis der kommunikativen Adäquanz anwenden (lassen).
- Die Schul- und Bildungssprache ist im bewußten Lernprozeß auf der Grundlage der Sprache kommunikativer Adäquanz zu elaborieren [9].

Ihr seht: Die Hetze, die Selbstüberschätzung, den Schwachsinn, das gab es schon immer, das haben nicht erst Sarrazin erfunden oder Broder. Und es wird vermutlich auch nicht mit ihnen untergehen. Der Dreck schwimmt halt immer oben.
... so weit mein Jahrzehnte verspäteter Hassausbruch.

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Freitag, 10. September 2010
Die Geschichte von Herrn E.
Ich bin ja verantwortlich für die Alphabetisierungkurse und im Kurs 40 gab es ein Problem, und zwar mit Herrn Y., einem älteren Afghanen bäuerlicher Ausstrahlung. Teilnehmer beschwerten sich, dass er stinke, wollten mit ihm nicht in einem Raum sitzen. Das erzählte mir der Dozent ratlos. Ich war es auch. Immerhin schlug mein Herz für Y: Ich hatte ihn eingestuft – er war Ende 50 und tatsächlich Analphabet: auch in seiner Muttersprache konnte er nur seinen Vornamen schreiben - und ich hatte ihm in meinem Anfängerkurs die ersten Buchstaben beigebracht. Von Stinken war mir nichts aufgefallen, allerdings: Ich bin in der Frage auch toleranter als im desodorierten Westdeutschland üblich. Was also tun? Ich schickte meine Kollegin J. in die Klasse, eine Polin und entsprechend etepetete. Sie setzte sich unter einem Vorwand neben Y. und befand: unangenehmer Geruch spürbar, aber im vertretbaren Bereich. Fast gleichzeitig erreichte mich ein Anruf von Y.s Sohn: Sein Vater werde von Frau M. gemobbt und wolle nicht mehr zum Kurs kommen. Bei mir schrillten die Alarmglocken: Ein Teilnehmer weniger bedeutet einen spürbaren Einnahmeverlust für die Firma. Ich beraumte eine Ansprache an, eine heikle Sache, wenn man es mit Sprachanfängern aus aller Herren Länder zu tun hat und selber nichts als Deutsch kann. Aber es wurde einfacher als gedacht: Die Iranerin M. und Y. kristallisierten sich schnell als die eigentlichen Kampfhähne heraus, sie sprachen dieselbe Sprache. Frau M., die Bildungsbürgerin unter Stress (sie befand sich gerade in einem hässlichen Scheidungskrieg) und Y., der Bauer, der mit Hartz IV und seinem Minijob in einer Restaurantküche ganz gut klar kann, solange der Sohn ordentlich seine Ausbildung machte. Sie kamen aus zwei Welten und sprachen dieselbe Sprache - was die gegenseitige Abneigung leider nur verstärkte. M. empfand Y. als ihren Landsmann und das war ihr peinlich.. Sie benahm sich wie eine persische Sarrazinin. Aber zum Glück sprach auch Herr E. Persisch und er fand sich bereit zu moderieren. Ihm ist es zu verdanken, dass die Sache nach zehn Minuten beigelegt war. So weit, so gut,.

Ein dreiviertel Jahr später war Prüfung, die ich mit einer Kollegin durchzuführen hatte. Und da waren sie wieder. Zwar nicht Y., der hatte aus Angst vor der Prüfung, die er einfach nicht bestehen konnte, einen Monat zuvor den Kurs verlassen. Und ich hatte auch ein paar Telefonate mit der Arge, der ich Gott sei Dank verständlich machen konnte, dass dieses Verhalten nachvollziehbar und jedenfalls keine Integrationsunwilligkeit ist. Frau M. aber war da. Im ersten Teil der Prüfung muss der Prüfling sich und seine Familie kurz vorstellen. Ich machte mich auf giftige Statements über ihren Ex-Ehemann gefasst. Aber etwas ganz anderes geschah. Sie brach in Tränen aus. "Ich habe zwei Töchter. Ich habe sie im Iran zurückgelassen. Ich weiß nicht, was mit ihnen ist. Ich halte das nicht aus. Ich habe eine Therapie begonnen. " Und wieder Heulen.

Aber damit nicht genug. Kurz darauf war Herr E. da. Er begann seine Vorstellung mit: "Mein Leben ist kaputt." Dann erzählte er: Als Jugendlicher hatte er bei den Volks-Mujahedin gekämpft (das hatte ich gar nicht gewusst, dass es die nicht nur im Iran gegeben hatte, dass es auch linken Widerstand gegen die Russen in Afghanistan gegeben hatte, nicht nur den durch Pakistan und den Westen unterstützten rechten Widerstand der Taliban). Nach Abzug der Russen gab es einen ungleichen Konkurrenzkampf der Anti-Russen-Aktivisten. Herr E. malte in Herat Anti-Taliban-Parolen an Häuserwände - und setzte sich sofort in Richtung Iran ab. Die Taliban erschossen ersatzweise seinen Vater und seinem Bruder. Herr E. schlug sich bis nach Deutschland durch, konnte seine Geschichte nicht beweisen und bekam jeweils eine vierteljährliche Duldung und einen Schlafplatz im Ausländerwohnheim. Ohne Arbeitserlaubnis, ohne ein Recht auf einen Deutschkurs. Acht Jahre lang. Dann gingen deutsche Soldaten nach Afghanistan, und aus schlechtem Gewissen bekamen die Afghanen in Deutschland alle ihren "Aufenthalt". Auch Herr E. Zu spät. Er ist Mitte dreißig, hat bescheidene deutsche Sprachkenntnisse und nicht die richtigen Kontakte. Seine Moderationsfähigkeit, seine Freundlichkeit helfen ihm da wenig.

Ob das alles stimmt das weiß ich auch nicht. Ich hänge mich nie in die Lebensgeschichte meiner Teilnehmer. Aber so habe ich es gehört und ich wollte es einfach einmal aufschreiben.

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Donnerstag, 9. September 2010
Jeder kehre vor seiner Tür
Eigentlich wollte ich mich nicht zur Sarrazin-Debatte äußern. Ich hatte keine Lust, seine Thesen nun genau zu prüfen. Ob die Statistiken, die er zitiert, nun frei erfunden, manipuliert oder nur kühn interpretiert sind, das im Einzelnen nachzuprüfen, macht keinen Spaß. Da gibt es Journalisten, die dafür bezahlt werden nachzurecherchieren, und das haben Sie ja auch getan.
Was ich zur allgemeinen Diskussion beitragen kann, sind meine eigenen Erfahrungen mit Migranten, Erfahrungen eines Deutschen, wie er deutscher nicht sein könnte, und vor allem: Erfahrungen von Angesicht zu Angesicht und nicht aus der Vogelperspektive, wie sie Politiker und Statistikenbefrager bevorzugen und aus der die Betroffenen meist recht klein erscheinen.
Dass ich also so eine „Kopftuchfrau“ zum ersten Mal aus nächster Nähe gesehen habe, ist noch gar nicht so lang her. Mein Sohn war anderthalb, meine Frau wollte wieder zu arbeiten anfangen und wir suchten eine Tagesmutter. Nach einigem Zögern entschieden wir uns für eine Türkin. Die Alternative wäre eine etwas schmuddelige Deutsche gewesen oder eine perfekt durchorganisierte Zehn-Kinder-Einrichtung, die so sehr nach „KITA“ roch, dass es einfach gar nicht ging. Das ging im Februar los, es schneite manchmal und ich musste mein Kind zu halb acht früh per Fahrrad nach Ottensen kutschieren, wo Frau Z. im Morgenmantel die Tür öffnete und den Kleinen übernahm. Erst später, als einiges Vertrauen gewachsen war, gestand sie, dass dann immer seine kalten Händchen an den Busen nahm und nochmal mit ihm ins Bett verschwand, bis die anderen Kinder kamen. Frau Z. war super, obwohl sie nur so viel Deutsch radebrechen konnte, wie sie von den Tageskindern lernte. Die Skepsis aus unserem Umfeld („Gerade jetzt in der so wichtigen Phase der frühkindlichen Sprachentwicklung!“) erwies sich als unbegründet: Mein Sohn (2. von rechts) hat sehr gut Deutsch gelernt – und sein frühkindliches Türkisch (er konnte mehr als drei Sorten Börek unterscheiden) hat er leider schon völlig vergessen.

Und diese Frau soll eine Gefahr für Deutschland sein? Es gab nun mal nicht genug Arbeit in der Türkei damals. Ihr Mann fand einen guten Job in Hamburg (den er bis heute inne hat), da hieß es für sie mitkommen und Kinder großziehen. Natürlich hatte sie Sehnsucht nach zu Hause. Als sie sehr krank wurde, dachte ich sogar, dass es diese Sehnsucht war, die fast hat sterben lassen. Übrigens: Ihre Tochter erzählte, dass der Notarzt, als sie ihn rufen musste, zuerst überzeugt war, natürlich wieder zu so einer weinerlich-depressiven Türkin geholt zu werden. Erst als er vor ihr stand, wusste er, dass es um Leben und Tod ging. Diesen Blick – von Angesicht zu Angesicht – würde ich auch Herrn Sarrazin empfehlen.
Natürlich gibt es auch andere. Es gibt Leute, die aus derselben Verlegenheit heraus, in Deutschland zu sein und in Deutschland isoliert zu sein, nicht auf die Idee kommen, Tageskinder aufzunehmen, sondern sich – was näher liegt – zu gekonnten Sozialgeldempfängern und -ertricksern entwickeln. Und Leute, die anfangen Deutschland zu hassen. Meistens sind das dieselben.
Ich erinnere mich an einen Mann (aus Afghanistan), der Frau und Schwiegertochter zu mir in den Kurs schickte. Die beiden Frauen teilten sich in die Betreuung eines Babys – die Mutter kam vormittags, die Großmutter nachmittags – er selbst kümmerte sich um die Formalien, Bescheinigungen usw., sein Schwiegersohn arbeitete. Jetzt war die Großmutter (deren Kurs noch nicht begonnen hat) krank, also kann die Mutter nicht zur Schule kommen. Ich sage zu ihm: „Bringen Sie mir eine Krankschreibung Ihrer Frau. Das genügt.“ Darauf er: „Nein, das ist zu kompliziert.“ Und erscheint am Folgetag mit einer Krankschreibung für seine absolut gesunde Schwiegertochter. Diese selbe Schwiegertochter hat übrigens später den Termin für die schriftliche Prüfung verschlafen. Ich sage zu ihr: „Warum sind Sie nicht zur Prüfung gekommen?“ – „Mein Mann hat mir nicht gesagt, dass Prüfung ist.“ Na super! Ich: „Entweder Sie legen mir eine gültige Krankschreibung vor oder Sie bezahlen die Prüfungskosten. Das sind 95 Euro.“ Sie: „Kein Problem.“ Und zückt einen 50-Euro-Schein. Die Frau hat in einem Jahr Deutschunterricht nicht begriffen, dass 50 Euro weniger als 95 Euro sind. Weil sie nicht mit Geld umgehen darf. Weil ihr Mann ihr gesagt hat: Wenn es Probleme gibt, zückst du diesen Schein. Da krieg ich so einen Hass! Und sage: Dieselbe Sorte ist es, die mir dann erzählt: „Ist das nicht schrecklich, da in Dresden, wo einfach eine Muslimin erstochen wurde, mitten im Gerichtssaal. Furchtbar, dieses Deutschland!“ Als ich erwidere: „Ich finde es gut, dass in Deutschland eine Muslimin, wenn sie beleidigt wird, vor Gericht gehen kann und dort Recht bekommt.“, da stellt sich heraus, dass die Empörte über den Sachverhalt gar nicht informiert ist, sondern nur irgendwelche hetzerische Propaganda nachgeplappert hat.
Und da sind wir beim Punkt: Es gibt diese Leute, auf die Sarrazin abzielt. Aber man erkennt sie nicht am Kopftuch (das tragen andere auch), man erkennt sie an ihrer Haltung. Diese Leute sind nicht fundamentalistisch, kulturalistisch oder was auch immer – nennen wir das Kind doch beim (deutschen) Namen: Sie sind rechts. So rechts wie Sarrazin oder sogar noch mehr. Und das ist kein Wunder. Ich hatte in der Vergangenheit Anlass, mich mit Danzig und Königsberg vor dem Zweiten Weltkrieg zu beschäftigen. Die Leute dort waren mehrheitlich rechts, nationalistisch, Nazianhänger. Offenbar korrumpiert die Trennung von der Heimat das liberale Denken. Dieses Phänomen beobachte ich auch bei Menschen aus dem arabisch-persischen Raum und der Türkei. Sie fangen an, die Familie, Gott, die Hierarchie höher zu schätzen als ihre eigenen Angehörigen. Die Folge ist, dass Analphabetinnen aus Kamerun in der Regel doppelt so schnell lernen wie Analphabetinnen aus Pakistan. Gott sei Dank sind nicht alle so. Es gibt da auch Frauen, die könnten direkt aus dem wunderbaren „Women without men“ entsprungen sein, es gibt wunderbare Menschen wie Herrn E. aus Afghanistan, dessen Geschichte ich nochmal extra aufschreiben muss.
Und es gibt auch in Deutschland andere Menschen als diesen ideologischen Sarrazin, der, so scheints, lieber altklug über Probleme redet als sich diesen Problemen ehrlich zu konfrontieren. Wie kommt der überhaupt dazu, so auf Menschen herabzublicken, die er gar nicht kennt?! Da könnte ich mich genau so hinstellen und behaupten, er, Thilo Sarrazin, wäre als Bundesbanker per se und persönlich Schuld daran, dass ich so wenig Geld habe. Da gibt es sicher auch irgendwelche Statistiken, die das beweisen. Aber, um ehrlich zu sein: Ich habe keine Ahnung von Finanzen. Also behalte ich meine sozialen Ressentiments für mich. Und das sollte er auch tun.
Ein jeder kehre vor seiner Tür und rein bleibt jedes Stadtquartier.

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Über dieses Blog
Nachdem ich mich drei Jahre damit begnügt habe, einfach drauflos zu bloggen, hier nun einige Erklärungen zu diesem Vorhaben:
1. Als ich endgültig einsah, dass ich kein Schriftsteller mehr werde, und mir also vornahm, weitere Anläufe zu unterlassen, musste ich schnell doch noch einen längeren Text verfassen. Als der aber auch keinen Leser fand, empfahl mir Zeitnehmer, es doch mal bei blogger.de zu versuchen. Also stellte ich den Text hier als „Soldat mit Abitur“ ein – und dann bin ich hängen geblieben. Als einstiger eifriger Tagebuchschreiber (die Jahre 1978 – 1999 sind handschriftlich dokumentiert und harren noch der Veröffentlichung) fand ich mich schnell wieder in die kurze essayistische Form und zurück zu der Freude, schriftlich Dampf abzulassen, während ich im Leben oft schweige (sofern kein Alkohol fließt oder Frauenaugen als Stimulanz dienen).
2. Ich bin sehr froh, dass ich hier einige wenige Leser habe – und immer interessanten Lesestoff. Anfangs habe ich das sogar auf meiner Festplatte gesammelt – also wenn jemand einen Verleger für „Die schönsten Blogger.de-Texte 2007-09, ausgewählt von damals“ weiß, soll er sich melden.
3. Meine Themen sind, was mich nicht loslässt: meine letztendlich nicht aufarbeitbare DDR-Vergangenheit, meine spannende und stressige Berufs-Gegenwart unter ausländischen Analphabeten und natürlich – wie bei so ziemlich jedem männlichen Schreiber – gelegentliche Anmerkungen zu Politik und Literatur.
4. Schreiben können Sie mir unter meiner Notadresse für alle Fälle (vollzeitjob-ät-gmx-punkt-de), die ich aber höchstens einmal monatlich besuche.
... ach, und natürlich: Meine Texte gehören mir und sollten nicht ohne Zitatangabe weiterverwendet werden. So wie ich natürlich auch meine blogger.de-Sammlung nie ungefragt in die Welt rausposaunen würde.
Aber was sich gehört, wissen Sie ja so gut wie ich. Ich wollte's nur noch mal gesagt haben.

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Dienstag, 17. August 2010
Architektur und Unfreiheit
(Dies ist eine erweiterte Version meiner Antwort auf prieditis in einer Architekturdiskussion bei Stubenzweig.)
In meiner Studentenzeit habe ich auch einige Semester Kunstgeschichte belegt, aus dieser Zeit möchte ich eine Anekdote zum Besten geben. Ich hatte mich für die Arbeitsgruppe eines Professors gemeldet, der ein Buch über „Norddeutsche Backsteinarchitektur 1850 – 1945“ schreiben wollte, weil mich diese stimmungsvoll-autoritäre Architektur nicht unberührt lässt. Natürlich witzelte ich über das Thema – ich sagte, ehrlicherweise müsste es „Preußischer Schul- und Kasernenbau von der Niederschlagung der 48er Revolution bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs“ heißen. Unser Professor aber war begeistert. Er zeigte uns massenweise Dias von absolut rechteckigen Kirchen, Krankenhäusern und Schulen und meinte mit leuchtenden Augen: „Spüren Sie hier den Nachklang des Schinkelschen Rationalismus?“
Natürlich hatte er Recht. Seine Behauptung war trotzdem absurd. Denn was in der Politik des 19. Jahrhunderts passierte, davon blieb auch die Backsteinarchitektur nicht verschont: Das autoritäre Element im Rationalismus überwucherte alles andere und endlich auch den Rationalismus selbst. Kein Wunder, dass dieser Professor ein treuer Parteisoldat war (1989 jammerte er: "Da hat man so viele Jahre alles getan für seine Partei - und jetzt lassen sie einen so hängen!"), eben einer, der in der Architekur letztendlich die Wiederspiegelung der Macht liebt, auch wenn er sich selbst einredet, er würde die Vernunft darin lieben. Es ist eigentlich die gleiche Geschichte wie mit dem berühmt-berüchtigten Plattenbau (für den die DDR so gern gescholten wird, obwohl er in Westdeutschland genauso rumsteht). Auch im Plattenbau könnte man mit einigem guten Willen einen letzten Nachklang des Neuen Bauens, der klassischen Moderne, erspüren. Nur gibt es eben Nachklänge, in denen sich das Original nur als Farce wiederholt, wie Marx so schön sagte.

Also abhaken und verachten, all die vernünftig obrigkeitsstaatliche Architektur? Das find ich auch wieder nicht richtig. Auch nach Schinkels Tod ist noch mitunter guter Backsteinbau entstanden im Norden, z. B. die Unibibliothek in Greifswald, und es gibt sogar auch guten Plattenbau nach 1945. Stubenzweig erwähnt mit Recht die Hamburger Grindelhochhäuser.
Manchmal bedauere ich, dort nicht eingezogen zu sein. Aber eigentlich bedauere ich es auch nicht. Als ich 1990 aus der DDR nach Hamburg kam, vermittelte mir eine ehemalige Kommilitonin den Kontakt zu dem Vermieter einer Einzimmerwohnung dort. Ich besah mir das Haus flüchtig von außen und konnte darin nur Marzahn und Rostock-Lichtenhagen erblicken. Ich lehnte dankend ab und zog in eine feuchte Wohnung mit Dauerbrandofenheizung nahe der St.-Pauli-Kirche. Diese Wohnung liebte ich: Es war meine erste eigene.
So habe ich meine Haltung der letzten DDR-Jahre – die Verhältnisse kritiklos akzeptieren und die Mitarbeit so weit möglich verweigern, ironische Witzchen machen und vor allem: immer nach unten, immer weg vom Zentrum – im Westdeutschen konserviert. Besonders sinnvoll war diese Haltung schon 1988 nicht. 1989 wurde sie vollends lächerlich, wie Andreas Dresen in seinem Debütfilm “Stilles Land“ eindringlich darstellt, einem Film, in dem ich mich völlig wiedererkenne.
Na ja, vielleicht ist ja dieses Blog ein erster Versuch, die Verweigerungshaltung aufzugeben und ein bisschen doch mitzureden.

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Dienstag, 10. August 2010
Eine Innenansicht der Gauck-Behörde, Teil 4 und Schluss
Das ist das Tragische an dem Buch, dass einen der subjektiv übersteigerte Blickwinkel des Autors dazu verleitet, seine Beobachtungen nicht ernst zu nehmen. Dabei steht alles drin in dem Buch. Wir lernen den wohlwollenden, aber eitlen Gauck kennen, der gern gute Anzüge trägt und damals schon vom Bundespräsidentenamt träumt, den jovialen, korrekten Dr. Geiger, der Fuchs beschwichtigt, die „Pulloverbande“ der Bürgerrechtsbewegung – und natürlich die Stasi-Typen: die Offiziere, die jetzt Sachlichkeit und Spezialistentum raushängen lassen, die kleinen Aktenträger, die das nun, nach `89, immer noch tun, und die vielen, vielen IM, die sich ihrer Clique immer noch verbunden fühlen und in deren Sinne agieren. Wenn man sich nicht abschrecken lässt von dem larmoyanten Bürgerrechtler-Pathos, wenn man auch die Nebensätze liest, dann ist alles da, was man über die Gauck-Behörde und die DDR-Bürgerrechtler wissen muss, auch die Selbstreflexion, die Zweifel, die Zurücknahme. Fuchs findet ein großartiges Bild für die Situation, in der sich für ihn alles änderte: als er exmatrikuliert, aus der Partei geworfen und damit aus der DDR-Gesellschaft ausgestoßen war. Damals fand er mit Frau und Tochter Unterschlupf in Robert Havemanns Gartenhaus in Grünheide. Und vielleicht wurde er deshalb kurz darauf auch so sehr gequält. Havemann und Biermann konnte man mit letzter Konsequenz nicht an den Kragen, die waren zu prominent, hatten zu gute Kontakte. Aber Fuchs, der musste es ausbaden. Er berichtet vom Zusammenleben in Grünheide, von der Sickergrube, die das alles nicht fassen konnte (die Babywäsche, die Waschmaschinenladungen), vom Sumpf zwischen Gartenhaus und Havemanns Haus. Und endlich auch von Havemanns Berichten für westliche und östliche Geheimdienste, damals in den fünfziger Jahren, bevor er sich lossagte und entsprechend dafür bestraft wurde.
Fuchs selber war frei von solchen Eitelkeiten. Für mich bleibt er ein Held.

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