Dienstag, 10. Mai 2016
Auch Madame Tussauds ist lehrreich
Familienurlaub heißt immer auch Kinderprogramm. Aber nun sage man nicht, ?Madame Tussauds?, das sei blöde Unterhaltung und einfach stumpfsinnig. Denkanstöße gibt es auch da. Meine Frau betrachtete sich z.B. die wächserne Taille von Herzogin Kate aus der Nähe und fragte sich, ob ein derart anorektischer Körper tatsächlich lebensfähig sein könnte. Ich blieb bei Audrey Hepburn stehen und überlegte, was diese verschleierte Frau wohl träumen mag: Hasst sie das christliche Abendland und sein Schönheitsideal oder eher im Gegenteil?


Na, und dann dachte ich noch, wie unrecht Sigmar Gabriel hat, wenn er meint, man solle die Politik doch lieber anhand der Inhalte beurteilen anstatt anhand der Personen. Bei Madame Tussauds lernt man, dass das Äußere schon einiges aussagt: Welchem ideologischen Führer würden Sie folgen? A (wie Atatürk), dessen Blick das ganze ?Ich weiß Bescheid und ihr dumme Masse müsst mir folgen? ausstrahlt? Oder lieber B mit seinem ?Die Welt ist schön, wenn man nur richtig verdrängt!??


Oder dann doch lieber C: ?Ich weiß nicht, ob sich das wirklich lohnt, die vielen Gefängnisjahre, aber ich halts jetzt einfach durch, vielleicht folgt mir ja jemand.?? Oder D, dem ganz offensichtlich ein irrationaler Glaube die Kraft gibt, dieses Jammertal Welt würdig zu durchschreiten?


Ich persönlich neige ja zu C und noch mehr zu D. Madame Tussaud lehrt einen, den Ideologen ins Gesicht zu sehen, ihnen die Wahrheit aus dem Gesicht abzulesen.

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Montag, 11. April 2016
Mal ganz was Banales: Kraftfahrzeuge (aber andere schreiben ja auch über Fahrräder)
Es fing damit an, das meine Mutter mich fragte: Sie würden mir gern etwas schenken zum erfolgreichen Studienabschluss, ob ich denn einen Wunsch hätte. Eigentlich nicht. Ich musste lange überlegen, bis ein längst vergessener Wunsch aus der Jugendzeit wieder auftauchte: ein Moped. Das fanden meine Eltern natürlich blöd, sie hatten aber eine wunderbare Kompromissidee: Während ich das Interesse am Nachholen versäumten Jugendlebens hatte, hatten sie das Interesse an meinem bürgerlichem Fortkommen – sie schenkten mir den Autoführerschein, das passende Moped müsse ich mir selber kaufen. Und das tat ich. Mein Jugendfreund S., inzwischen Zahnarzt in der brandenburgischen Provinz, wollte seinen Roller loswerden, nachdem er einmal mit Sandalen hässlich gestürzt war. Ich durfte mir das Gerät abholen aus einem Schuppen in Berlin-Friedrichshagen – und fuhr es dann zwei Jahre lang, bis es völlig hinüber war.

Der nächste Schritt war natürlich ein Motorrad. Freunde entsetzten sich über das machohafte Teil, ich selbst auch: Ich fiel zweimal durch die Prüfung, wie um mir zu beweisen, dass das nicht meins wär. Aber als ichs dann hatte, fuhr ich sommers wie winters damit, und auch der Warnhinweis des Verkäufers („Das ist alt, das ist was für Schrauber.“) bewahrheitete sich nicht – meine Werkstatt kriegte es immer zu erträglichen Preisen hin.

Das Motorrad führte mich nicht nur zu L. nach Leer, der ich Schlimmes zu beichten hatte, auch zu ? In Hamburg, die meine Freundin wurde, und als unser Sohn geboren wurde und das Motorrad kaum noch ansprang und immer mehr Öl verlor, da ermunterte sie mich, das altersschwache Teil noch gegen ein neueres einzutauschen. Was natürlich Quatsch war. Ich hab das neue Motorrad nach wenigen Monaten verlustreich verkauft: Vater und Motorrad, das passt nicht.
Stattdessen – die berufliche Laufbahn ging immer weiter den Bach runter – nutzte ich 5000 Euro aus einer Abfindung, um für die Familie einen Kangoo zu kaufen. Über dem Verkaufsbüro des Autohändlers prangte ein großes Schild „Orientalische Lebensmittel“ und verrostet sah das Ding von unten auch aus – aber vier Jahre lang war es unser Schiff und Symbol der Familie, die eigentlich vierköpfig werden sollte.

Daraus wurde nichts und dem Kangoo brach die Achse, als sie durchgerostet war. Wir kauften einen billigen, aber technisch total in-ordnungen, etwas ps-schwachen Ford. Ein Auto für alle Fälle: selten kaputt, wenns sein muss, schafft er es auch voll beladen über die Alpen nach Kroatien, wenn man die Sitze umklappt, passt eine Ladung Flohmarkt rein und in Frankreich war er auch schon mit uns und dem Zelt. Nur hässlich ist er halt. Schwarz und langweilig wie alle diese kleinen Autos.
Als dann zwei Straßen weiter das Wohnmobil am Straßenrand stand mit einem Zettel im Fenster „zu verkaufen“, redete mir meine Liebste zu, obwohl wir uns das eigentlich nicht leisten können: Sie weiß, allein würd ichs nie wagen. Ich liebte ihn auf den ersten Blick. Trotz oder wegen seiner Roststellen und weil er so alt ist und noch richtig nach Blech aussieht und nicht nach Plastik+Elektronik. Und jetzt hab ich ihn. Meine Frau mag ihn nicht, nur meine Freude an ihm. Technisch ist er wohl so weit fit, nachdem plötzlich mein zehn Jahre älterer Cousin wieder in meinem Leben aufgetaucht ist, ein LKW-Fahrer, der einen ukrainischen Schrauber kennt, der für 1000 Euro das Gröbste ausbügelte. Heute habe ich zwei Stunden lang die Markise geschrubbt, die völlig vermodert war.

Ich kann die erste Tour kaum erwarten: Im Mai soll es zwei Tage durch Brandenburg gehen, so als erstes Anschnuppern.

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Samstag, 13. Februar 2016
Der 50. Geburtstag
Eigentlich wollte ich heute über den Film von gestern Abend ablästern ("Nacht ohne Morgen": tolle Kamera, eindringliche Stimmungen, aber ansonsten die übliche Thriller-Macho-Sauce), aber nicht eigentlich steht mir der Sinn grad eher nach Tagebuch-Besinnungstexten - wo sonst darf man sowas noch mit über 50, wenn nicht hier auf blogger.de, wo jeder sabbelt, was er will.
Also, es ist ja ein magisches Datum nach den Ritualen unserer Kultur, der Tag, an dem man das Lebensalter von exakt fünfzig Jahren erreicht hat. Da wir unser Dasein als einen "Lebensweg" begreifen und entsprechend eifrig bemüht sind, die Zufälligkeiten des Selbsterlebten in eine irgendwie logisch klingende chronologische Ordnung zu bringen, eine erzählbare Geschichte daraus zu machen, brauchen wir natürlich auch einen dramaturgischen Höhepunkt, und der wird üblicherweise auf das Alter von 50 gesetzt und am Tag des 50. Geburtstages symbolisch gefeiert. In diesem Alter hat man ja in aller Regel die Selbststilisierung des Ich so weit abgeschlossen und gefestigt, oft auch erwachsene Kinder, berufliche Erfolge und materiellen Besitz vorzuweisen, auf dass man sich nach dem Motto "mein Haus, meine Familie, mein Lebensstil" feiern lassen kann. (Ein Freund und Nachbar erzählte nicht ganz ohne Neid von einem Berliner Freund, der die Geburtstagsgesellschaft zu einer Spree-Dampferfahrt mit Übernachtung einladen konnte - er selbst brachte es nur zu einem Grillfest auf dem Hof der Genossenschaftswohnanlage, auf der er immerhin zwei Kinder vorweisen konnte, die beruflich erfolgreicher sind als er selbst ...)
Und ich, ich habe eine Frau, die ein halbes Jahr älter ist als ich, und die hatte die Idee, dass wir doch zusammen feiern könnten (die Mitte zwischen unseren Geburtstagen fällt in den Sommer und bietet sich zum Feiern an). Ich fand die Idee so schön, dass ich sonst keine Wünsch mehr verspürte zu meinem Geburtstag. Für uns wäre so ein Gartenfest in dem eben erwähnten Hof durchaus etwas Glanzvolles: Wir haben beide eine Vorliebe fürs Kleinbürgerliche und zumindest ich zelebriere diese Vorliebe auch gern, während meine Frau mit ihrer Unfähigkeit, sich selbst zu feiern und ein bisschen anzugeben - da ist es überhaupt schon etwas Tolles, wenn sie sagt: "Ja, ich möchte viele Leute einladen." Also besorgten wir uns zwei Bierzeltgarnituren und ein Partyzelt (denn natürlich war die Hamburger Wetterprognose durchwachsen), und dann luden wir ein ...
Dass es dann doch anders kam, da bin ich gar nicht sicher, ob das gut war, wahrscheinlich schon. Jedenfalls regnete es an dem besagten Tag, die Gartenparty musste ausfallen. Wir verschoben alles schnell auf abends in unsere kleine Wohnung, richteten das Schlafzimmer als zusätzlichen Patryraum ein. Den aus dem Berliner Raum anreisenden Verwandten konnten wir nicht mehr absagen, sie kriegten als Ersatzprogramm einen Ausflug auf den Michel. wo es aber auch zugig und kalt kalt war. Dafür wurde die Party richtig schön: zwanzig Leute auf 67 Quadratmetern, das wurde richtig schön eng und studentisch.
Als Geschenke hatten wir uns kleine Lobhudeleien gewünscht, von denen tatsächlich auch einige entzückende eintrudelten, und als Höhepunkt des Abends kamen Beamer und Leinwand zum Einsatz und ich zeigte je zehn Fotos aus der Vergangenheit der zu Feiernden.
Es wurde eine enge und kleine Feier, enger und kleiner, als sie eh schon geplant war. Ich kann Ihnen auch versichern, das wir zum Leben, zum Dasein mehr Talent haben als zum Feiern desselben. Dennoch: Ich denke gern daran zurück, der Abend passte zu uns, denn es war nicht nur eng und klein, sondern auch intim und intensiv. Und wer weiß, nächsten Sommer, vielleicht holen wir die Bierbankgarnitur wieder raus.

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Mittwoch, 20. Januar 2016
Zurückkehren, um zu ernten
Ich hab eine neue Arbeit (endlich Tariflohn - ich verspreche, nie wieder übers Geld zu nörgeln, jedenfalls vorerst) und einen neuen Arbeitsweg, der führt durchs Hamburg meiner Anfangszeit, eine richtige Sight-seeing-Tour: zuerst quer durchs verwinkelte Ottensen, das richtig hübsch ist, solange die Kreativarbeiter ("Wir schaffen 850 Kreativjobs in Altona und 47 Sozialwohnungen an der Behringstraße", garantiert mit 5% Dinkel) noch schlafen, an der Chistianskirche vorbei (in der ich bei einer sehr hippieesken Pfarrerin eine ziemlich unhippieeske Frau geheiratet habe), die klassizistische Palmaille entlang, wo Detlev von Liliencron wohnte, vorbei an Fischmarkt und St.-Pauli-Kirche und dann durch die Bernhard-Nocht-Straße (die Rückseite der Hafenstraße, wo ich damals mein erstes Punkkonzert erlebte) - heute Morgen glitzerte die Elbphilharmonie in der Ferne so wunderschön wie die Kräne von Blohm & Voss, hinter denen die Sonne aufging.
Es passte wirklich alles wunderbar zusammen, und ich fragte mich, ob dieses Gefühl des harmonischen Zusammenhangs nicht einfach nur der Sonne und guten Laune geschuldet ist. Wie war das damals, als ich - 1990 - ein Jahr lang hier in St. Pauli wohnte? Offiziell eingeschrieben für ein Studium des Lehramts für Gymnasien, hatte ich, glaub ich, alles andere im Kopf als das geradlinige Hinarbeiten auf ein späteres bürgerliches Lehrerdasein. Begeisterte mich eher für Foucault, Nietzsche und E.T.A. Hoffmann, und was ich an Realität mitkriegte, war, was man rund um den Hein-Köllisch-Platz so zu sehen bekam: die Penner, die Dealer und dazwischen die Studenten.
Wenn ich jetzt hier wieder durchfahre, inzwischen weit weg von diesem Milieu, hab ich doch irgendwie das Gefühl: Das passt zusammen. Oder um es mit Bernd Begemann zu sagen: "Ich bin der Typ, der immer zurückkehrt".

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Sonntag, 10. Januar 2016
Liegt die Heimat in der Vergangenheit?
Ich stehe am Wochenende selten so zeitig auf, dass ich im Deutschlandfunk noch „Denk ich an Deutschland ...“ höre, wo ein Prominenter über sein Heimatgefühl redet. Das letzte Mal war vor Monaten, da war Fatih Akin an der Reihe. Sehr angenehmer Mensch meiner Generation. Hat nichts Außergewöhnliches erzählt, aber es klang vernünftig, vertraut, schön. Heute Marion Brasch, auch sie aus meiner Generation, noch dazu sind ihre Migrationswurzeln nicht türkisch, sondern ostdeutsch – wie meine. Aber sie war mir fremd, sehr fremd. Deutschland – das war für sie offenbar nur ihre Familie. Ich hoffte, etwas über unsere gemeinsame Vergangenheit zu hören, dazu aber sagte sie in ihrer Gefangenheit nichts über die DDR, was über Banalstes hinausgegangen wäre. Traurig. Da bin ich nicht mehr zu Hause.
Ansonsten lese ich grade den Roman, den mir mein schwäbischer Schwager geschenkt hat, von Heinrich Steinfest, sehr süddeutsch, zudem mit nicht ganz wenig österreichischer Skurrilität. Entspricht jetzt nicht grad meiner Herkunftsmentalität, find ich aber amüsant und spannend. Heißt Heimat denn wirklich immer, in die müffelnde Vergangenheit hinabzutauchen?

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Montag, 14. September 2015
Heimatverbundene Vampire
Sicher spielen da auch noch viele, viele andere Sachen mit rein, aber so hab ichs erlebt, in einer Deutlichkeit wie noch nie zuvor:
Gestern Party, ich kenn die Leute nicht gut, meine Frau war noch gar nicht dort. Aber wir werden sofort herzlich aufgenommen. Ein Einfamilienhaus am Deich, mit einem Anbau, der noch einmal so groß ist. Dahinter eine Wiese, saftig wucherndes Grün, am Rande Schafe, Kinder spielen Fußball, andere hopsen auf dem Trampolin. Am Ende das andere Haus (dort wohnt die Schwester), ein Fachwerkbauernhaus mit Reetdach aus dem 18. Jahrhundert, der Urgroßvater hat es gebaut. Dahinter Boote, Wasser. Ein Partyzelt ist aufgebaut auf der Wiese, viele Leute sind gekommen, Verwandtschaft, Freunde, Geschäftspartner, alle Generationen durcheinander. Ein Bild von Heimat. Natürlich in weltoffenem Sinne: Es singt nicht nur Hans Albers vom Band und live nicht nur der Shanty-Chor aus der Nachbarschaft - unter den Gratulanten am Mikrofon ist auch ein arabisch-orientalisch aussehender Mensch, unter den Gästen auch eine vollbusige Schwarze. Mir fällt auf, dass meine Frau, die ja hier ganz unbekannt ist, fast noch herzlicher angesprochen wird als ich. Die Gastgeberin aus dem vorderen Haus verwickelt sie gleich in ein Gespräch, später erläutert uns die Schwester die gesamten Familienvorgänge, will uns gar nicht wieder aus dem Gespräch lassen. Ich glaube, ich kenne den Grund: weil meine Frau noch stärker als ich eine verlorene Seele ist, das wittern sie, die erdverbundenen Sesshaften, unsereins saugen sie auf.
Sie saugen es und es wuchert. Die Gastgeberin im vorderen Haus hat eine kleine Ein-Frau-Firma (nicht ihre erste Firma), zu der allerdings einiger Kundenverkehr gehört, im Haus ist immer viel Betrieb. Ihre eigene Tochter, irgendwann aus der Welt zurückgekehrt mit ihrem Kind, bewohnt jetzt mit dem Kleinen ein Zimmer irgendwo mittendrin in dem Trubel. Der Sohn, kommunikativ, Single, hat den Anbau: Unten wohnt er selbst, oben hat er er seine Firma, die in den letzten Jahren stark gewachsen ist - fünf Mitarbeiter in dem einen Raum, man hat sich mithilfe einer modernen Website deutschlandweit etablieren können.
Wir waren drei Stunden da und es war spannend und hat Spaß gemacht. Aber als wir nach Hause fuhren, bekam ich Hunger. "Warum hast du denn eben nicht zugegriffen? - das herrliche Buffet!" meinte meine Frau zu Recht. Aber "eben" war ich eben im Stress gewesen, unter Strom, auf der Rückfahrt begann ich wieder zu mir zu kommen. Und dann gerieten wir noch in das Verkehrschaos rings um die Cruise-Days und irrten gemeinsam mit Dutzenden anderer Autos durch die Gässchen im Portugiesenviertel ... Zuhause wollte ich nicht mehr reden und griff mir (am Samstagabend!) meine Zeitung, um das NZZ-Feuilleton zu studieren.
Meine Frau hat es dann heute erwischt. Sie blieb im Bett, bis ihr die Quasseleien von mir und unserm Sohn zu sehr auf die Nerven gingen. Erst lange später merkte ich, dass sie sich im Wohnzimmer unbequem auf das Sofa gelegt hatte und sich über die Unordnung dort ärgerte. Ich hab sie ins Bett zurück geschickt und die Schlafzimmertür zugemacht. Sie war total ausgelaugt. "Nein, das war doch intensiv gestern." meinte sie auf meine besorgte Nachfrage. Tja, eben: intensiv. Für unsereins Heimatlosen ist anonyme Großstadt vielleicht eben doch gesünder.

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Samstag, 12. September 2015
Selbstportrait von letzter Woche
Die Einschläge kommen dichter. Am Donnerstag Telefonat mit meinem Bruder, der nun doch schon an die Dialyse muss (noch vor kurzem hieß es, das sei irgendwann in den nächsten paar Jahren zu erwarten). Freitag T. zum Abendbrot hier, der nicht gut aussieht und auch jede Menge Krankengeschichten zu erzählen hat. Samstag: Mitten in eine schöne Situation - Freunde holen das letzte unserer jungen Kätzchen, es soll künftig ein Einfamilienhaus mit Riesen-Garten als Revier bekommen - klingelt das Telefon: R. aus dem Nachbarhaus: ob ich morgen früh Zeit hätte, ihn ins Krankenhaus zu fahren, die Schmerzmittel würden jetzt gar nicht mehr helfen.
Vielleicht braucht es diesen Hintergrund für die Idylle: Am Samstagabend schlafen wir zu viert - Mann, Frau, Kind und Katze - auf dem Doppelbett ein, ich bin noch ein Weilchen wach, als die anderen schon schlafen, und lausche dem Regen vor dem Fenster und bin glücklich.

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Donnerstag, 20. August 2015
Zugegeben: Es wird schlimmer
Stresemannstraße, Feierabendverkehr: Vor mir auf dem Radweg kugelt ein beleibter Mann über den Boden, offenbar sturzbetrunken. Erste Überlegung: Muss man helfen? Aber da sehe ich: Er hat zwei Begleiter, die sich bemühen, ihn an den Straßenrand zu ziehen, beide mit langen grauen Haaren und zerschlissener Kleidung, klassische Penner. Eine junge Frau in Sportkleidung und mit so einem digitalen Sportarmband tritt hinzu und versucht, dem Betrunkenen auf die Beine zu helfen. Darauf der Penner: „Das musst du nicht probieren. Das hab ich heut schon 80mal probiert. Doch, das muss ich sagen. Der packts nicht – so’ne Memme, ’n Jude!“

Vor zehn Jahren hätte so ein Penner das Wort „Jude“ nicht in seinem Sprachschatz gehabt, geschweige denn in dieser Wortbedeutung

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Montag, 13. April 2015
Aktuelle Nörgelei: Georg Elser allerorten
Am Donnerstag hatte ich frei, d.h. ich musste schon am Mittwochabend nichts mehr vorbereitend arbeiten und konnte mich gemütlich vor den Fernseher hocken und einen der vielen auf der Festplatte wartenden Filme wegglotzen. Als ich fertig war, geriet ich ins Fernsehprogramm (irgendein Drittes) und in eine Kultursendung und natürlich – Georg Elser. Was jeweils im Schwange ist, wird ja dann in allen Sendungen hoch und runter durchgenudelt.
Jedenfalls erklärte uns der Off-Kommentar, Elser sei ein „unpolitischer Pazifist“ gewesen. Passend dazu sah man den Elser-Darsteller heimatfilmmäßig durch ein Dorf wandern. Dann kam der Regisseur, Oliver Hirschbiegel (der, der den unsäglichen „Untergang“ verzapft hat und noch vorher „Das Experiment“), und erklärte, Elser sei als Widerstandskämpfer so wichtig gewesen wie Stauffenberg, eigentlich noch wichtiger, eigentlich „der einzige Widerstandskämpfer“.
Was sagt man dazu? Zuerst fiel mir dazu ein alter russisch-realsozialistischer Spruch ein: Da heben sie ihn auf einen Sockel, so hoch, dass man bloß noch seinen Arsch sehen kann. Dann dachte ich: Ja, vielleicht ist es wie beim „Untergang“, der Hitler aus Sicht seines Gefolges dämonisiert. Wenn Hitler der Böse an sich ist, dann hat er nichts mit uns zu tun. Dann können wir gar nichts dafür, das war halt Schicksal. Und wenn Georg Elser der über allen schwebende Held ist, wenn er der einzige Mensch in ganz Deutschland war, dem dieser Hitler ein Graus war, dann sind wir auch unschuldig. Es wäre ja übermenschlich (so übermenschlich wie Elser) gewesen, irgendwie seinen Verstand zu benutzen. Wir sind halt schwach und verführbar, wir Menschen.
Man könnte natürlich auch verschwörungstheoretisch denken: Dass die ganze Heiligenverehrung dazu dient zu vertuschen, dass Elser Kommunist war – ja, schlimmer noch, dass er als Kommunist nicht auf Moskauer Befehl, sondern aus eigenem Ethos handelte. Dass es vielleicht noch andere Menschen wie ihn gab in Deutschland.
Wahrscheinlicher ist aber, dass man sich so viel Gedanken gar nicht gemacht hat. Es braucht halt neuen Stoff: Hitler ist abgefrühstückt, Stauffenberg auch, die „Weiße Rose“ sowieso, jetzt ist eben Elser dran. Hauptsache Heimatfilm, Hauptsache Dreißiger-Jahre-Look.

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Samstag, 14. Februar 2015
Back to Banalität
Als letzten Herbst das leidige Weihnachten nahte, glaubte ich eine gute Idee zu haben: Ich legte eine Bücherliste an und ließ mich daraus beschenken. Fühlte sich im ersten Augenblick gut an. Ich hatte zu Jahresbeginn einen Stapel Bücher da liegen und stöberte nach, mit welchem ich beginne.
Sprachlich am schönsten war „Wolkenfern“ von Joanna Bator. Das nahm ich mir zuerst vor und legte mich genüsslich rein in die ihre poetisch funkelnden Boshaftigkeiten. Erst nach hundert Seiten dämmerte mir, dass da so eine lesbisch wirkende Ideologie dahintersteckt, die den Männern als solchen die Alleinschuld für alles und insbesondere die Irrungen der deutschen Geschichte vor 1945 zuschiebt. Das schmälerte meine Begeisterung dann doch und bald blieb ich stecken.
Das nächste Buch auf dem Stapel war „Das Ende der Arbeiterklasse“ (herrlicher Titel) von Aurélie Filippetti. Ich hatte irgendwann beim Autofahren im Deutschlandfunk daraus vorlesen gehört und wusste, dass es wunderbar pathetisch ist. Beim Lesen ging mir das aber schnell auf die Nerven. Das leicht Überzogenene an dem Pathos mochte ich zwar. Aber leider war es gar nicht so überzogen und leicht schon gar nicht, eher von marxistisch-machohafter Schwerfälligkeit: überall geschichtliche Katastrophen und finstere kapitalistische Mächte, nirgends Lebendigkeit, stattdessen Terror, Kampf und vorzugsweise bittere Niederlagen.
Nee, dann doch lieber das nächste probieren: „Pfaueninsel“ von Thomas Hettche. Das klappte ich aber am schnellsten wieder zu, maßlos enttäuscht darüber, dass es sich bei diesem historischen Roman, der im 19. Jahrhundert auf der Pfaueninsel spielt, tatsächlich um einen gepflegten historischen Roman aus dem Milieu des preußischen Königshofes handelt. Wie hatte ich auch auf die Idee kommen können, nur weil die Pfaueninsel ein wunderschöner Ort ist, dass ich in einem Buch über die Pfaueninsel von dem üblichen Historienkram verschont bleibe?!
Zum Glück kam dann mein Freund T. mit dem neuen Sven Regener daher, den er grad ausgelesen hat, und der ist wirklich schön. Regener nörgelt ebenso umher wie Joanna Bator, wesentlich banaler sogar, aber eben unbekümmert alltäglich und sehr nah dran an dem Leben, das wir nunmal alle leben. Da fühlt man sich zu Hause bei sich selbst (wenn z. B. der Nutzen von Esoterik, den ich meinen Freunden auch hier so oft vergeblich zu erklären suche, in anderthalb Sätzen auf den Punkt gebracht wird).
Schön auch die Beobachtung, wie die Karl Schmidts und Frank Lehmanns vor 1989 in Schwarz-Weiß, wie die Helden in einem Schwarz-Weiß-Film, gelebt haben. Kann ich nur bestätigen. War auf der Ost-Seite auch so. Nicht umsonst schmunzeln T. und ich gern über die Gleichartigkeit von „Sonnenallee“ und „Herr Lehmann“, wobei ich die natürlich „Sonnenallee“ etwas erheiternder finde, er als Wessi „Herr Lehmann“. Also jedenfalls jetzt, was die Filme betrifft (dass der Roman „Herr Lehmann“ besser ist als „Am anderen Ende der Sonnenallee“, das dürfte klar sein).
Also: diese schwarz-weißen 80er. Was Ost und West dabei unterscheidet, ist, dass es bei uns (bei mir jedenfalls) deprimäßiger zuging. Dass man sich mit dem echten Konflikten ausweichenden Jugend-Schluri-Leben nicht als Held fühlte, sondern so albern, wie man war. Auch bei uns wurde diese furchtbare schlumheimerische Installationskunst à la Eimer auf Stuhl fabriziert, wurden diese affig poesielosen Gedichte im Sascha-Anderson-Stil verfasst. Nur fand ich das damals schon blöd, während hier Fluxus immer noch in Ehren ist.
Einfach arbeiten gehen ist doch da das mindeste, was man besser machen kann, für mich jedenfalls fühlt sich das so an. Und ich habe den Eindruck, Karl Schmidt sieht das ähnlich.

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