Sonntag, 10. Januar 2016
Liegt die Heimat in der Vergangenheit?
Ich stehe am Wochenende selten so zeitig auf, dass ich im Deutschlandfunk noch „Denk ich an Deutschland ...“ höre, wo ein Prominenter über sein Heimatgefühl redet. Das letzte Mal war vor Monaten, da war Fatih Akin an der Reihe. Sehr angenehmer Mensch meiner Generation. Hat nichts Außergewöhnliches erzählt, aber es klang vernünftig, vertraut, schön. Heute Marion Brasch, auch sie aus meiner Generation, noch dazu sind ihre Migrationswurzeln nicht türkisch, sondern ostdeutsch – wie meine. Aber sie war mir fremd, sehr fremd. Deutschland – das war für sie offenbar nur ihre Familie. Ich hoffte, etwas über unsere gemeinsame Vergangenheit zu hören, dazu aber sagte sie in ihrer Gefangenheit nichts über die DDR, was über Banalstes hinausgegangen wäre. Traurig. Da bin ich nicht mehr zu Hause.
Ansonsten lese ich grade den Roman, den mir mein schwäbischer Schwager geschenkt hat, von Heinrich Steinfest, sehr süddeutsch, zudem mit nicht ganz wenig österreichischer Skurrilität. Entspricht jetzt nicht grad meiner Herkunftsmentalität, find ich aber amüsant und spannend. Heißt Heimat denn wirklich immer, in die müffelnde Vergangenheit hinabzutauchen?

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Heißt Heimat denn wirklich immer, in die müffelnde Vergangenheit hinabzutauchen

Gute Frage. Science Fiction spielt ja meistens eben nicht in der Hemat, sondern ganz woanders - und utopische Literatur per definitionem sogar an Nicht-Orten. ;-)

Habe mich bei der Lektüre/Renzension von "Auerhaus" gefragt, was mehr Nähe herstellt, die Zeitgenossenschaft mit den Protagonisten und dem Autor oder die geographische Nähe zum Setting? Das ist Fall meiner Heimat 250 Kilometer weit weg, und noch dazu spielt der Roman auf dem Land. Dennoch schien mir Stadtkind vieles sehr vertraut, und ich denke, das verbindende Element ist die Erfahrung einer Jugend in Westdeutschland vor der Wiedervereinigung, Musterungsbescheide und die Frage, ob man nach dem Abi nach West-Berlin gehen soll, um sich vorm Wehr- oder Ersatzdienst zu drücken. So gesehen würde ich wahrscheinlich auch mit "Neue Vahr Süd" viel anfangen können, auch wenn das in Bremen spielt, da wäre das Gemeinsame mit meinen eher süddeutschen Erfahrungen womöglich gewichtiger als das, was mich regional und landsmannschaftlich von der Welt in Sven Regeners Roman trennt.

Und doch: Ohne unsere dortige Vergangenheit (ob müffelnd oder nicht) wäre die Heimat nicht unsere Heimat.

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Generationsgemeinschaft und Stadtkind zu sein, spielt sicher eine große Rolle, mehr als Ländergrenzen - jedenfalls hat mich "Neue Vahr Süd" sofort gefangen genommen, obwohl es auf der westdeutschen Seite spielt (aber wer weiß, vielleicht ist mir als Norddeutschem einfach auch Regeners lakonischer Sophismus besonders nah), während ich auf "Auerhaus" nach Ihrer Rezension wenig Lust hatte - wegen der regionalen Fremdheit. Vielleicht spielen die regionalen Unterschiede auch eher im Vorurteil eine Rolle, als wenn man einen Text wirklich liest, einem Menschen wirklich zuhört.
Bei Marion Brasch war es übrigens so, dass ich mich sehr wohl in ihr wiedererkannt habe, nur dass mir dieser Teil von mir nicht mehr so gefällt ... Man hat ja zum Glück die Wahlmöglichkeit zwischen den vielen Teilidentitäten, um sich ein genehmes Ich zurechtzubasteln ...

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Interessant, dass Sie das sagen. Ich habe mich beim Verfassen der "Auerhaus"-Rezension tatsächlich gefragt, ob das was für Sie wäre, und ich hätte eher nicht drauf gewettet. Bei "Neue Vahr Süd" (das ich selber nur in Auszügen gelesen habe) aber auch nicht unbedingt. Ich müsste mal meine vorige Lebensgefährtin, die vom Rand der Alb herstammt, wo auch "Aushaus" spielt, fragen, ob sie da starken Regionalbezug verspürt. Für mich hätte der Roman mit ganz wenigen Änderungen auch problemlos in Rheinland-Pfalz, Hessen oder noch weiter nördlich spielen können, das Lokalkolorit ist sehr zurückhaltend aufgetragen, finde ich.

Mit den Teilidentitäten haben Sie übrigens sehr recht. Mit zunehmendem Alter wird es immer leichter, nicht so glorreiche Teilbereiche der eigenen Geschichte in den Hintergrund zu drängen und die anderen Aspekte stärker zu plakatieren...

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Jetzt bin ich neugierig geworden: "Auerhaus" wird demnächst gelesen.

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