Montag, 10. September 2018
Eine Liebesbeziehung ...
damals, 23:16h
... lebt auch davon, dass man sie schönredet, dass man Fehler im System verdrängt oder stillschweigend korrigiert, je nach Möglichkeit, und dass man das, was funktioniert, was beglückt, unentwegt feiert.
Das gilt natürlich auch umgekehrt, wie man derzeit auf dem Feld der Politik erleben kann: Wenn man Probleme nur jahrelang vehement genug herbeiredet, dann sind sie irgendwann auch da und werden bedrohlich. Man muss nur fest genug an sie glauben.
Das gilt natürlich auch umgekehrt, wie man derzeit auf dem Feld der Politik erleben kann: Wenn man Probleme nur jahrelang vehement genug herbeiredet, dann sind sie irgendwann auch da und werden bedrohlich. Man muss nur fest genug an sie glauben.
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Mittwoch, 18. Juli 2018
Die Basis muss stimmen oder „Einer muss den Job ja machen“
damals, 12:52h
In der Grundschule sollten wir einmal vom Beruf des Vaters erzählen und entsprechende Fotos mitbringen. Anschließend wurde diskutiert, welche Berufe wohl die wichtigsten sind. Natürlich sollte herauskommen, dass alle Berufe gleich wichtig sind. Aber die Lehrerin kam nicht gegen die Überzeugung der Klasse an, dass natürlich der Vater von Gabi als Feuerwehrmann den allerwichtigsten Beruf hat.
Ich hielt mich in der Diskussion peinlich berührt zurück, denn auch wenn mir nicht ganz klar war, was mein Vater als Kunsthistoriker denn nun genau macht, so merkte ich doch, dass es nicht sehr wichtig sein kann: Auf dem einen Foto saß er zwischen Papieren am Schreibtisch, auf dem anderen sah er zwei Leuten zu, die eine alte Tür reparierten.
Kindliche Einschätzungen, nun ja, aber sie prägen mich bis heute. Neulich erzählte eine Freundin von ihrer Arbeit im Krankenhaus, von einem bewegenden Erlebnis: Sie hatte einem Patienten mit Panikattacke die Hand gehalten, bis der zuständige Arzt kommen konnte, ihn beruhigt. „Können Sie nicht die Handschuhe ausziehen?“ war seine Antwort auf die Frage, ob der Körperkontakt okay wäre. Aber das durfte sie nicht. „Der ist schon ein Jahr im Krankenhaus, im Einzelzimmer, wegen der Keime. Die Schwestern meinen ja, der macht öfter Alarm, er manipuliert sie.“ Auf meine Frage, welche psychischen Komponenten dabei vielleicht eine Rolle spielen, dass es dem Menschen nach einem Jahr Krankenhaus immer noch nicht besser geht, meinte sie: „Natürlich, ja, da müsste ich einfach mal nachlesen. Da gibt es Forschungen dazu. Aber wann soll ich denn das noch machen?! Den Chefarzt interessiert das nicht. Für den ist sowas Quatsch.“ Wenn Sie diese Geschichte hören, haben Sie nicht auch den Eindruck, dass da im System irgendwie Prioritäten falsch gesetzt werden? (Sie hat intuitv gemacht, was anstand, weil sie zufällig grad da war, wegen andrer Sachen. Und ja, es haben auch schon Leute erforscht, was man grundsätzlich noch besser tun könnte. Aber das hat keine Relvanz für die Praxis.)
Ähnlich bei meiner Arbeit als Deutschlehrer für Flüchtlinge: Wie ich sicher schon öfter erwähnte habe, hasse ich diesen ganzen Sozialarbeiterscheiß, von der Suche nach Praktikums- oder gar Ausbildungsplätzen über die Gespräche zu Aufenthaltsfragen (Woher bekommt X. die Genehmigung, zur Klassenfahrt mitzukommen, wenn er Hamburg eigentlich nicht verlassen darf? Braucht Y. Auch eine Genehmigung, wenn im Ausweis „gewöhnlicher Aufenthalt in Hamburg“ steht? Wie bekomme ich Z. psychisch wieder stabilisiert, der gerade seinen Abschiebebescheid bekommen hat? Etc.) und zu Wohnungsfragen („Ich kann nachts nicht schlafen, die spielen die ganze Zeit Karten.“) bis hin zum massiven Eingreifen, wenn jemand austickt und grob beleidigt oder zuschlägt oder auch nur den Kopf auf den Tisch sinken lässt, weil er nicht geschlafen, weil er überhaupt aufgegeben oder weil er einfach nur keine Lust hat. Dann muss ich den Grund rauskriegen, ich muss, wie meine Freundin im Krankenhaus, den Blickkontakt suchen, ihn wieder in Beziehung und ins Leben zu bringen versuchen. Viel lieber würde ich mich auf Fachliche beschränken, nur Deutsch unterrichten. Ich liebe die deutsche Sprache, auch Rechtschreibung und Grammatik, und vermittle das auch liebend gern. Aber die Basis muss stimmen, sonst geht es nicht.
Ich erinnere mich noch an meine Zeiten in Alphabetisierungskursen, an meine Wut über diese Alphabetisierungsmode, als plötzlich überall dazu geforscht wurde, wie man das anstellen soll, unter dem Blickwinkel von „family literacy“ und hast du nicht gesehen. Anstatt es einfach zu tun. Es gab in unserer Winkelfirma eine 1-Euro-Jobberin, eine Sekretärin mit Akholneigung, die wir manchmal verbotenerweise in den Kursen einsetzten – natürlich konnte sie keine Grammatik vermitteln, das hat sie einmal probiert, es war die Katastrophe. Aber Alphabetisierung konnte sie, und zwar wunderbar. Die basalen Sachen sind manchmal einfach – aber natürlich anstrengend, deshalb fliehen die Mitarbeiter aus den Bereichen.
Ich hätte auch nicht gedacht, dass es nach den Jahrzehnten noch einmal einen Lindenberg-Song geben würde, den ich richtig liebe: „Einer muss den Job ja machen“. Den Text hat übrigens Benjamin von Stuckrad-Barre geschrieben, von dem ich auch irgendwannmal ein Buch gelesen hab. Das Buch war treffend beobachtet und witzig geschrieben, aber auch völlig egal. Von daher hab ich von dem Mann als Schriftsteller keine allzu hohe Meinung. Sein Songtext aber ist genial. Vielleicht auch, weil er ihn zusammen mit anderen verfasst hat. Diese gemeinsame niedere Arbeit finde ich wichtig. Der Song macht mich glücklicher als mancher Roman, den ich im letzten Jahr so las.
Ich hielt mich in der Diskussion peinlich berührt zurück, denn auch wenn mir nicht ganz klar war, was mein Vater als Kunsthistoriker denn nun genau macht, so merkte ich doch, dass es nicht sehr wichtig sein kann: Auf dem einen Foto saß er zwischen Papieren am Schreibtisch, auf dem anderen sah er zwei Leuten zu, die eine alte Tür reparierten.
Kindliche Einschätzungen, nun ja, aber sie prägen mich bis heute. Neulich erzählte eine Freundin von ihrer Arbeit im Krankenhaus, von einem bewegenden Erlebnis: Sie hatte einem Patienten mit Panikattacke die Hand gehalten, bis der zuständige Arzt kommen konnte, ihn beruhigt. „Können Sie nicht die Handschuhe ausziehen?“ war seine Antwort auf die Frage, ob der Körperkontakt okay wäre. Aber das durfte sie nicht. „Der ist schon ein Jahr im Krankenhaus, im Einzelzimmer, wegen der Keime. Die Schwestern meinen ja, der macht öfter Alarm, er manipuliert sie.“ Auf meine Frage, welche psychischen Komponenten dabei vielleicht eine Rolle spielen, dass es dem Menschen nach einem Jahr Krankenhaus immer noch nicht besser geht, meinte sie: „Natürlich, ja, da müsste ich einfach mal nachlesen. Da gibt es Forschungen dazu. Aber wann soll ich denn das noch machen?! Den Chefarzt interessiert das nicht. Für den ist sowas Quatsch.“ Wenn Sie diese Geschichte hören, haben Sie nicht auch den Eindruck, dass da im System irgendwie Prioritäten falsch gesetzt werden? (Sie hat intuitv gemacht, was anstand, weil sie zufällig grad da war, wegen andrer Sachen. Und ja, es haben auch schon Leute erforscht, was man grundsätzlich noch besser tun könnte. Aber das hat keine Relvanz für die Praxis.)
Ähnlich bei meiner Arbeit als Deutschlehrer für Flüchtlinge: Wie ich sicher schon öfter erwähnte habe, hasse ich diesen ganzen Sozialarbeiterscheiß, von der Suche nach Praktikums- oder gar Ausbildungsplätzen über die Gespräche zu Aufenthaltsfragen (Woher bekommt X. die Genehmigung, zur Klassenfahrt mitzukommen, wenn er Hamburg eigentlich nicht verlassen darf? Braucht Y. Auch eine Genehmigung, wenn im Ausweis „gewöhnlicher Aufenthalt in Hamburg“ steht? Wie bekomme ich Z. psychisch wieder stabilisiert, der gerade seinen Abschiebebescheid bekommen hat? Etc.) und zu Wohnungsfragen („Ich kann nachts nicht schlafen, die spielen die ganze Zeit Karten.“) bis hin zum massiven Eingreifen, wenn jemand austickt und grob beleidigt oder zuschlägt oder auch nur den Kopf auf den Tisch sinken lässt, weil er nicht geschlafen, weil er überhaupt aufgegeben oder weil er einfach nur keine Lust hat. Dann muss ich den Grund rauskriegen, ich muss, wie meine Freundin im Krankenhaus, den Blickkontakt suchen, ihn wieder in Beziehung und ins Leben zu bringen versuchen. Viel lieber würde ich mich auf Fachliche beschränken, nur Deutsch unterrichten. Ich liebe die deutsche Sprache, auch Rechtschreibung und Grammatik, und vermittle das auch liebend gern. Aber die Basis muss stimmen, sonst geht es nicht.
Ich erinnere mich noch an meine Zeiten in Alphabetisierungskursen, an meine Wut über diese Alphabetisierungsmode, als plötzlich überall dazu geforscht wurde, wie man das anstellen soll, unter dem Blickwinkel von „family literacy“ und hast du nicht gesehen. Anstatt es einfach zu tun. Es gab in unserer Winkelfirma eine 1-Euro-Jobberin, eine Sekretärin mit Akholneigung, die wir manchmal verbotenerweise in den Kursen einsetzten – natürlich konnte sie keine Grammatik vermitteln, das hat sie einmal probiert, es war die Katastrophe. Aber Alphabetisierung konnte sie, und zwar wunderbar. Die basalen Sachen sind manchmal einfach – aber natürlich anstrengend, deshalb fliehen die Mitarbeiter aus den Bereichen.
Ich hätte auch nicht gedacht, dass es nach den Jahrzehnten noch einmal einen Lindenberg-Song geben würde, den ich richtig liebe: „Einer muss den Job ja machen“. Den Text hat übrigens Benjamin von Stuckrad-Barre geschrieben, von dem ich auch irgendwannmal ein Buch gelesen hab. Das Buch war treffend beobachtet und witzig geschrieben, aber auch völlig egal. Von daher hab ich von dem Mann als Schriftsteller keine allzu hohe Meinung. Sein Songtext aber ist genial. Vielleicht auch, weil er ihn zusammen mit anderen verfasst hat. Diese gemeinsame niedere Arbeit finde ich wichtig. Der Song macht mich glücklicher als mancher Roman, den ich im letzten Jahr so las.
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Freitag, 1. Juni 2018
Linker
damals, 01:11h
Bei Don Alphonso les ich ja grad in den Kommentaren, was noch viel furchtbarer ist als Menschen, die links sind: nämlich Linke mit religiöser Gesinnung.
Na ja, immerhin scheinen wir eine besondere Beziehung zu Internetphänomenen zu haben:

Na ja, immerhin scheinen wir eine besondere Beziehung zu Internetphänomenen zu haben:

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Freitag, 2. März 2018
Gut gemeint oder gut gemacht?
damals, 10:47h
Häufig hört man die witzig gemeinte Unterstellung, „gut gemeint“ sei das Gegenteil von „gut gemacht“. Ich finde das gar nicht lustig. Denn eine Unterstellung bleibt es ja dennoch, die Unterstellung nämlich, etwas gut Gemeintes tendiere grundsätzlich zum schlecht Gemachten oder sei es sogar immer. Was für ein Blödsinn! Das ist so falsch, dass noch nicht einmal das Gegenteil davon richtig ist – es gibt da einfach überhaupt keinen Zusammenhang.
Eins allerdings ist ziemlich sicher, wie meine langjährige Beobachtung zeigt: Wo immer man diesen Satz hört oder liest, geht es um die Denunziation guter Absichten.
… und meistens geht es den Denunzierern dabei gar nicht darum, böse Absichten zu legitimieren (wie mein moralisches Verschwörungstheoretikerhirn immer zuerst argwöhnt) – es geht um ein Lob der hohlen Professionalität, die einfach ungehindert abrattern will, ohne nach dem Warum und Wieso zu fragen.
Eins allerdings ist ziemlich sicher, wie meine langjährige Beobachtung zeigt: Wo immer man diesen Satz hört oder liest, geht es um die Denunziation guter Absichten.
… und meistens geht es den Denunzierern dabei gar nicht darum, böse Absichten zu legitimieren (wie mein moralisches Verschwörungstheoretikerhirn immer zuerst argwöhnt) – es geht um ein Lob der hohlen Professionalität, die einfach ungehindert abrattern will, ohne nach dem Warum und Wieso zu fragen.
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Dienstag, 13. Februar 2018
Abendbegegnung
damals, 00:37h
Der olle Kanzler im Scheinwerferlicht fror nicht weniger als ich.
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Dienstag, 9. Januar 2018
Den Daumen recken ... (Rechtschreibfehler des Tages)
damals, 23:19h

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Montag, 27. November 2017
Psychosomatisches Erlebnis
damals, 15:57h
Heute Morgen musste ich einen Schüler im Praktikum besuchen, Abschlussgespräch, und radelte die Luruper Hauptstraße runter. Auf einmal fiel mir etwas ein, etwas Scheußliches, Widerliches, das irgendwie mit meinem Traum von dieser Nacht (an den ich mich nicht erinnern kann) zu tun hatte und mit dieser Straße – oder einer ähnlichen Straße, mehr in Richtung Eppendorf. Und zwar kein wirkliches Erlebnis, sondern etwas Geistiges: ein Traum, eine Gedanke, eine Entscheidung oder so. Ich versuchte mich zu erinnern, da überkam es mich: Mir wurde schlecht, ich musste anhalten und würgte und hustete, Tränen traten mir in die Augen – und nach einer halben Minute war es vorbei, und ich stand da, desorientiert und mit einem Gefühl der Enttäuschung, da ich mich doch nicht übergeben hatte und das namenlose Schlechte somit nicht los war. Zehn Minuten später vor dem Schüler wusste ich das Datum nicht, auch nicht, wann nun der letzte Praktikumstag ist (Zahlen verschwinden aus meinem Gehirn immer zuerst, wenn es mit dem Vergessen losgeht). Ich habe einigermaßen rumgestottert, entschuldigte mich wahrheitsgemäß damit, eben Stress gehabt zu haben.
Dies nur als Notiz, da mir so etwas noch nie passiert ist – und man ja im Alltag meist geneigt ist, psychischen Prozessen die konkrete körperliche Relevanz abzusprechen. Ich jedenfalls will mich bemühen, dieses Erlebnis in mir zu behalten und das Schlechte, wenn ich es mit dem Bewusstsein nicht zu fassen kriege, irgendwie anders zu bannen.
Dies nur als Notiz, da mir so etwas noch nie passiert ist – und man ja im Alltag meist geneigt ist, psychischen Prozessen die konkrete körperliche Relevanz abzusprechen. Ich jedenfalls will mich bemühen, dieses Erlebnis in mir zu behalten und das Schlechte, wenn ich es mit dem Bewusstsein nicht zu fassen kriege, irgendwie anders zu bannen.
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Montag, 31. Juli 2017
Verwunschen
damals, 14:03h
Mal wieder zu Gast bei den alten Eltern, ich durfte eine vorsichtige Bereinigung des Kellers in Angriff nehmen, und so brachte ich die dreißig nutzlosesten der leeren Einmachgläser zum Glascontainer, ich war auch ermächtigt, die längst alt gewordenen selbstgemachten Apfelsaftflaschen zu entleeren und – obwohl die Zusage meinem Vater sichtlich schwer fiel - den alten, kaputten Röhrenfernseher zum Recyclinghof zu bringen.
Der schönste Lohn für diese Arbeit, das waren die seltsamen Artefakte, die ich dabei nebenbei zutage förderte und auf ihrem letzten Gang begleitete:

Nun ja, optisch interessant verschimmelte Kompottgläser (Johannisbeeren 1981, angebrannt)
und die eine oder andere Saftflasche, in der verdächtige Nebelwolken ziehen, die gibt es in anderen alten Kellern sicher auch, aber eine halbleere Waschpaste EVP 1,60 M und ein Tomatensaft „Havelland“ mit dem Ablaufdatum Juni 1973, das ist doch schon was.


Und dann fand ich sogar die Lieblingssüßigkeiten meiner Kindertage „Zuckerrübensirup aus Zörbig“ und „Warenje“, die supersüße Beerenkonfitüre aus dem „Magazin“, dem russischen Laden hinterm Kasernentor, wo wir auch unsere Streichhölzer zu kaufen pflegten, die der Konsum uns Kindern verweigerte!

Und als I-Tüpfelchen fanden wir heute Morgen eine Fledermaus, die friedlich in der Gardine an der Haustür schlief. Verwunschenes Potsdam!

Verwunschen sind übrigens auch die Eltern, die ihre Wohnung fast nur noch zum Einkaufen verlassen und von der äußeren Welt nur wahrnehmen, was ihnen die FAZ ins Haus meldet (und was sie durch die Bank schrecklich finden). Sie sind darüber hinaus auch auf das „ND“ abonniert, aus alter Treue, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie es lesen – ganz im Gegensatz zur TV Spielfilm, die sie eifrig durchforsten. Sie haben auch einen Festplattenrecorder und nehmen fleißig auf, allerdings grundsätzlich nur Filme, die vor 1950 erschienen sind, also vor der Zeit, in der sie als erwachsene Wesen in die Welt gingen.
Und in der Tat: Befrag sie zu politischen Ereignissen oder ästhetischen Entwicklungen von 1910 oder 1930 – du wirst von ihnen noch immer glasklare, kluge und lebendig engagierte Äußerungen hören, als sei all das gestern geschehen. Man sagt von manchen alten Leuten, sie gingen im Alter in ihre Kindheit zurück – meine Eltern tun mehr als das.
Der schönste Lohn für diese Arbeit, das waren die seltsamen Artefakte, die ich dabei nebenbei zutage förderte und auf ihrem letzten Gang begleitete:

Nun ja, optisch interessant verschimmelte Kompottgläser (Johannisbeeren 1981, angebrannt)


Und dann fand ich sogar die Lieblingssüßigkeiten meiner Kindertage „Zuckerrübensirup aus Zörbig“ und „Warenje“, die supersüße Beerenkonfitüre aus dem „Magazin“, dem russischen Laden hinterm Kasernentor, wo wir auch unsere Streichhölzer zu kaufen pflegten, die der Konsum uns Kindern verweigerte!

Und als I-Tüpfelchen fanden wir heute Morgen eine Fledermaus, die friedlich in der Gardine an der Haustür schlief. Verwunschenes Potsdam!

Verwunschen sind übrigens auch die Eltern, die ihre Wohnung fast nur noch zum Einkaufen verlassen und von der äußeren Welt nur wahrnehmen, was ihnen die FAZ ins Haus meldet (und was sie durch die Bank schrecklich finden). Sie sind darüber hinaus auch auf das „ND“ abonniert, aus alter Treue, aber ich habe nicht den Eindruck, dass sie es lesen – ganz im Gegensatz zur TV Spielfilm, die sie eifrig durchforsten. Sie haben auch einen Festplattenrecorder und nehmen fleißig auf, allerdings grundsätzlich nur Filme, die vor 1950 erschienen sind, also vor der Zeit, in der sie als erwachsene Wesen in die Welt gingen.
Und in der Tat: Befrag sie zu politischen Ereignissen oder ästhetischen Entwicklungen von 1910 oder 1930 – du wirst von ihnen noch immer glasklare, kluge und lebendig engagierte Äußerungen hören, als sei all das gestern geschehen. Man sagt von manchen alten Leuten, sie gingen im Alter in ihre Kindheit zurück – meine Eltern tun mehr als das.
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Montag, 1. Mai 2017
Manchmal ist es auch schön ...
damals, 20:16h
... wie man zugucken kann, wie sich das grammatische Verständnis entwickelt, additiv aus aufgeschnappten Floskeln: In der betreffenden Klasse hatte der Lernplan den Schülern noch nicht zugemutet, Vergangenheitsformen zu lernen. Aber natürlich hatten sie's tausendmal aufgeschnappt.


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Montag, 10. April 2017
Heute mal eine Gastrokritik: Auf dem Energiebunker
damals, 01:08h
Auf seinen „Energiebunker“ ist Hamburg stolz – das ist ein riesiger alter Luftschutzbunker, der vor einigen Jahren aufwändig renoviert wurde und jetzt eine große Solaranlage mit Wärmespeicher beherbergt, nebst Aussichtsplattform und Café. Das haben wir heut besichtigt, genossen auch eine sehr informative Führung und den herrlichen Ausblick auf Hamburg von der sonnigen Terrasse. So umgestaltet lässt man sich Weltkriegserinnerung gern gefallen.
Nur das Café war einigermaßen daneben. Schon sein grün-schickimickiges Outfit mit den entsprechenden überteuerten Preisen nervte etwas. Dann auch noch: Stromausfall! Auf dem Energiebunker! Das setzte nicht nur die Kaffeemaschine außer Kraft, auch die Kellner: Da diese nicht in der Lage waren, die jeweilige Zeche mit Papier und Stift oder gar im Kopf auszurechnen, blieben auch Saft und Kuchen unverkauft und das Ganze wurde geschlossen.
Nach unserer Führung dann war der Schaden wohl behoben. Meine Frau verlangte eine Limo. „Möchten Sie Himbeerlimonade?“ fragte die junge Frau an der Theke. Meine Frau: „In Ordnung - ich nehme Himbeerlimonade.“ –„Die haben wir nämlich nicht.“ Sie hielt ihr einen Zettel unter die Nase. „Was hier draufsteht, das haben wir alles nicht.“ –„Ach. Und was ...“ – Die Frau kramte noch einmal und brachte einen weiteren Zettel zum Vorschein. „Sie müssen hier aussuchen.“ Auf dieser Karte fanden sich Maracuja- und Zitronenlimonade. „Ich nehme Maracuja.“ – „Die haben wir auch nicht.“
Na ja. Meine Frau nahm dann Zitronenlimonade und ich Kaffee, der aus einer Thermoskanne gezapft wurde und auch so schmeckte: grundsolide und ein bisschen billig. Also nicht wie sein Preis. Dafür war er „wasserneutral“, wie uns ein großes Plakat belehrte. Und wenigstens der Kuchen war so lecker, wie er teuer war.
Nur das Café war einigermaßen daneben. Schon sein grün-schickimickiges Outfit mit den entsprechenden überteuerten Preisen nervte etwas. Dann auch noch: Stromausfall! Auf dem Energiebunker! Das setzte nicht nur die Kaffeemaschine außer Kraft, auch die Kellner: Da diese nicht in der Lage waren, die jeweilige Zeche mit Papier und Stift oder gar im Kopf auszurechnen, blieben auch Saft und Kuchen unverkauft und das Ganze wurde geschlossen.
Nach unserer Führung dann war der Schaden wohl behoben. Meine Frau verlangte eine Limo. „Möchten Sie Himbeerlimonade?“ fragte die junge Frau an der Theke. Meine Frau: „In Ordnung - ich nehme Himbeerlimonade.“ –„Die haben wir nämlich nicht.“ Sie hielt ihr einen Zettel unter die Nase. „Was hier draufsteht, das haben wir alles nicht.“ –„Ach. Und was ...“ – Die Frau kramte noch einmal und brachte einen weiteren Zettel zum Vorschein. „Sie müssen hier aussuchen.“ Auf dieser Karte fanden sich Maracuja- und Zitronenlimonade. „Ich nehme Maracuja.“ – „Die haben wir auch nicht.“
Na ja. Meine Frau nahm dann Zitronenlimonade und ich Kaffee, der aus einer Thermoskanne gezapft wurde und auch so schmeckte: grundsolide und ein bisschen billig. Also nicht wie sein Preis. Dafür war er „wasserneutral“, wie uns ein großes Plakat belehrte. Und wenigstens der Kuchen war so lecker, wie er teuer war.
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