Samstag, 28. November 2020
Trübe Tage
(Vorsicht: Das ist nur wieder eine Sammelrezension des in den letzten Monaten konsumierten Medienwusts - scrollen Sie einfach kurz durch, ob was für Sie Interessantes dabei ist.)

Es ist grad eine stressige Zeit. Dabei sind die Einschränkungen durch die Pandemie nur nur das i-Tüpfelchen. Aber davon will ich nicht reden, verkriech mich lieber in die Medien. Dabei hab ich nicht mal ein ordentliches Buch zur Hand! Das letzte vernünftige, das ich in den Fingern hatte - „Das letzte Jahr“ von Martin Groß – das hab ich nun auch schon seit ein paar Wochen ausgelesen. Immerhin hat es mir mit seiner stillen Größe so einige trübe Herbstabende vergoldet (um mit Th. Storm zu sprechen). Ich werd es sicher nochmal zur Hand nehmen, wenn ich besser drauf bin – kluge Bücher haben ein zweites Mal verdient.

Also lese ich, was sich sonst so an Büchern angesammelt hat. Aber es ist nichts: „In Plüschgewittern“, berühmtes Buch, fand ich neulich in einem Verschenke-Karton in unserer Straße - ein grässliches Buch, ich gab nach ca. einem Drittel auf: Es erinnert mich an das furchtbare „Faserland“; auch wenn es etwas schöner geschrieben ist, so geht mir doch diese nörgelige, männlich-egozentrische Ichlosigkeit mit ihrem Hass auf alles, was schön ist, ziemlich auf die Nerven.

Na, dann eben die zwei Heinrich-Steinfest-Romane, die meine Schwester bei mir entsorgt hat: „Kannst du damit was anfangen?“ Von Steinfest hab ich ja immerhin mit großem Spaß „Der Allesforscher“ und „Das grüne Rollo“ gelesen, also warum nicht? „Die Büglerin“ griff ich mir zuerst, weil so ein gebundenes Buch mit elegantem Schutzumschlag ja zum Zugreifen verleitet. Leider ein völlig hohles Buch, wenn auch sehr geistreich und elegant geschrieben (viele schöne Bonmots und sprachliche Einfälle) und mit einer ordentlichen und abwechslungsreichen Romanhandlung versehen, sodass ich es dann doch zuende gelesen habe. Aber insgesamt hat sich für mich daraus kein Sinn erschlossen, sodass ich es am Ende mit einem ziemlich flauen Gefühl zuklappte. Und dann das überdicke Taschenbuch „Das Leben und Sterben der Flugzeuge“, das war äußerst witzig, aber sinnloser Unfug (oder wie würden Sie das nennen, wenn ein Spatz! seinen Tag mit den Worten „Die Zeit verging, der Mittag drehte sich wie eine Schraube in den Nachmittag und machte ihn fest.“ beschreibt) – darüber schmunzelt man 30 Seiten lang, danach reichts einem.

Also Fernsehen: Aber da kommt ja rein gar nichts, wenn man den Ankündigungen von TVSp**** glauben darf, die kürzlich wieder mal die Anzahl ihrer Spielfilmkritiken reduziert hat, um sich dem Schrott-Niveau ihrer FS-Zeitungs-Konkurrentinnen anzupassen – ich glaube, ich habe seit Monaten keinen Film mehr gesehen, der nicht auf arte lief.

Zum Glück sorgt die nächste Generation für Innovationen: Mein Sohn finanziert von seinem Taschengeld ein Netflix-Abo, ich dachte erst, das ist nichts für mich (aus reiner Neugier hab ich mal eine Folge von „Braking Bad“ mitgeguckt, ich fand das völlig abstrus und auch nicht witzig – als mein Sohn versuchte, mir die Sache durch eine Einführung in die größere Handlungslogik schmackhaft zu machen, glaubte ich immerhin zu verstehen, dass das wohl wie so eine Art Schachspiel funktioniert, wo ja menschliche Beziehungslogik und psychologische Wahrscheinlichkeit ebenfalls keine Rolle spielen) – jetzt hab ich zum ersten Mal seit Lars von Triers „Geistern“ (und das war damals in den 90ern!) eine ganze Serienstaffel durchgehalten und mich durchaus amüsiert: „Das letzte Wort“ von und mit Thorsten Merten (den ich seit „Stilles Land“ ja mag und gerne sehe) und Anke Engelke. Das ist wirklich lustig.

Gestern Abend hab ich dann zum Wochenende mal „Netflix Arthouse“ gegoogelt und tatsächliche einige Angebote bekommen. Ich entschied mich für "Atlantique“, einen in Cannes prämierten Film aus dem Senegal: Der war von Beginn an schön langsam und emotional intensiv, danach noch mit einer etwas seltsamen typisch westafrikanischen Geistergeschichte. Das war schonmal was.

Und heute morgen les ich auf taz.de von einer türkischen Netflix-Serie, die interessant klang: „Bir Baskadir – Acht Menschen in Istanbul“. Ich sah mir gleich die erste Folge an und war gleich zu Tränen gerührt. Das traf meinen Nerv, ich werd gleich die nächste Folge gucken. Denn die Welt da draußen, so schön sie optisch ist,

beginnt schon wieder im Dunkel zu versinken.

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Samstag, 7. November 2020
Phantomschmerz
Ich steh heute Morgen auf, taper ich in die Küche und mache das Radio an, um beim Kaffeekochen ein bisschen was Interessantes aus der weiten Welt zu hören. Aber ich hör nur „Pensylvania“ und Auszählung“ und schalte gleich wieder aus. Seit Tagen geht das nun so, einfach grässlich!

Nicht, dass ich nicht auch wissen wollte, wer der nächste US-Präsident wird – aber doch nicht tagelang von morgens bis abends! Nachdem ich seit Monaten genauestens über Kandidatenkür und Vorwahlen informiert wurde. Ist das nicht ein bisschen unverhältnismäßig? Wie das Kaninchen starren sie immer noch auf den Besatzer von vor Jahrzehnten, da sind die Putin-Versteher ja Waisenkinder dagegen.

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Freitag, 6. November 2020
Bonmot des Tages - aus dem Erfahrungshorizont meiner Schüler
Derzeit ist ja Lüften angesagt. Als ich während der Stunde die Fenster zu Vorplatz/Straße aufriss, kam mir entsetzlicher Fäkal-Gestank entgegen. Spontan rief ich: "Von wo stinkts denn hier so?" Ebenso spontane Antwort eines Schülers: "Wahrscheinlich kiffen die wieder."

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Samstag, 31. Oktober 2020
Fliegen heißt Landen
So heißt es bei den Piloten, wenn sie über die Fähigkeit reden, ein Flugzeug sicher zu führen. Das hab ich jedenfalls mal gehört. Auf jeden Fall aber trifft das auch auf Menschen zu, denen es vergönnt ist, ihr Leben einigermaßen regulär zuendezuführen.

Meine neunzigjährige, inzwischen demente Schwiegermutter, die ich sehr mag und die das mit dem Lebensende bisher recht gut hinbekommen hat, ist jetzt ins Krankenhaus gekommen, da sie nicht mehr aus dem Bett kam und auch fast nichts mehr aß. Und dort, im Krankenhaus, hat man dann festgestellt, dass das natürlich eine romantische Illusion war, unsere Beobachtung ihres langsamen, wohlgeordneten Dahinschwindens, das keine Medikamente und keinen Arzt benötigt, sondern dass da schon konkrete Krankheiten vorhanden sind, die man auch behandeln muss (auch wenn diese nicht die Ursache des Dahinschwindens sind, sondern dieses nur begleiten). Jetzt herrscht bei den Kindern natürlich Angst: das Schreckbild eines Sterbens im Krankenhaus, denn es ist sehr die Frage, ob ihr geschwächter Körper mit den aktuellen Herausforderungen klarkommt.

Anderseits, das sage ich mir als erst in zweiter Linie beteiligter Angehöriger: Es gehört zum Lebensende, dass der Raum, das Lebensumfeld, in dem man sich bewegt, immer kleiner wird. Und sie hat ja in den letzten Monaten auch ihre kleine Wohnung nicht mehr aktiv bespielen können. Wenn man krank im Bett liegt, ist ein Tod im unter ärztlicher Aufsicht im sauberen Krankenhausbett vielleicht wirklich angemessener als alleine in der Wohnung. Zumal die Angehörigen da wie dort nicht per se da sind, sondern zu Besuch kommen müssen.

Und wieder andererseits: Vielleicht kommt sie ja doch wieder auf die Beine und kann noch für eine (vielleicht sogar längere) Zeit mit ihrer Katze in ihrer Wohnung umhergehen. Denn das wissen wir alle aus eigener Erfahrung: dass jeder Tag, den wir auf dieser Erde leben dürfen, eine Kostbarkeit ist.

Oder mit anderen Worten gesagt, nämlich denen von Arno Geigers ebenfalls dementen Vater (in dessen wunderbarem Buch „Der alte König in seinem Exil“): Auf die Ansage eines Heim-Mitbewohners, dass oben bei Gott noch Wohnungen frei wären, meinte der: „Nein, ich möchte noch ein bisschen hier die Straße auf und ab wandern.“ Ja, das wollen wir doch alle. Und das Flugzeug dennoch irgendwie ohne Bruchlandung auf die Erde zu bringen, das ist gar nicht so einfach.

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Dienstag, 27. Oktober 2020
Auch ich trauere
Wer mir fehlen wird, das ist mark793. In seinem letzten Beitrag spottete er noch über die weißen, alten Männer wie ihn, auf wie schmalen Reifen sie dahin rollen. Und ein paar Tage später war er tot. Ich hatte wirklich Tränen in den Augen, als ich die Nachricht seiner Frau las. Ich hatte nämlich Minuten vorher am Küchentisch meiner Frau erzählt von den nachrufartigen Kommentaren unter seinem Alte-Männer-Post, die mich ängstigten. Das sagte sie: „Du stehst jetzt auf, machst den Computer an und fragst nach!“ Das machte ich und das las ichs.

Ich frage mich auch manchmal, was wohl aus den anderen „alten Männern“ geworden ist, die – wohl aus Altersgründen? - eines Tages kommentarlos aufgehört haben, aus Stubenzweig und dem hinkenden Boten. Wie es denen wohl geht und ob die noch leben.

Aber mit mark, das war nochmal anders. Erstens mal war er ja noch gar nicht so alt, sondern erst so wie ich. So dass schon von daher, auch was die Familiensituation betrifft, eine Nähe da war, ich ihn immer instinktiv sofort verstand und nachfühlen konnte, auch wenn er oft anderer Meinung war. Und dann natürlich seine Bedeutung für blogger.de insgesamt! Da fragt man sich, wie das ohne ohne ihn einigermaßen sinnvoll weitergehen soll in den Kommentarspalten. Ich wüsste keinen, der die Kompetenz und das Engagement hätte, so wie mark793 für Niveau und Bodenhaftung zu sorgen.

Wie gesagt: Er wird fehlen!

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Donnerstag, 10. September 2020
Oberflächliche Gedanken
Als ich gestern im Radio hörte, dass die Zahl der ungewollt kinderlosen Paare deutlich angestiegen ist, dachte ich zuerst: Ah, es muss doch einen Gott geben – jemand, der erkennt, dass unser Lebensstil nicht gesund ist, und mal eine kleine Bremse einbaut. Dabei ist das Quatsch, denn dieser Lebensstil, der dazu führt, dass hier zu wenige Kinder geboren werden, der führt ja auch dazu, dass anderswo viel zu viele geboren werden. In der Summe gibt es keine Bremse für den Wahnsinn. Auch wenn das brennende Moria weit weg scheint und Timbuktu, das versandet und verislamistet, noch weiter - insgesamt ist es unser Planet. Und bis Gott die Notbremse zieht, da muss noch mehr passieren.

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Sonntag, 9. August 2020
Arnold Vaatz: Die DDR-Keule schlägt zurück
Sie haben sicher davon gelesen: Arnold Vaatz aus dem Vorstand der CDU hat sich jetzt bei „Tichys Einblick“ darüber beschwert, dass viel zu häufig die Nazikeule geschwungen wird, wenn man den lästigen Lärm skurriler Protestler nicht mehr ignorieren kann. Das mag was dran sein.

Das Schwingen der DDR-Keule in allen möglichen oder unmöglichen Situationen scheint er dagegen gut zu finden – zumindest glaubt er im Verhalten der Polizei bei der Corona-Demo in Berlin ein typisches DDR-Polizei-Verhalten erkannt zu haben. Da staunt man, wie sehr sich bei einem, der es besser wissen müsste, doch die Erinnerung verzerrt.

Das heißt, vielleicht ist es ja gar nicht die Erinnerung, die bei Vaatz verzerrt ist, sondern die aktuelle Wahrnehmung. Bei der berühmt-berüchtigten Chemnitzer Demo 2018 konnte Vaatz jedenfalls überhaupt nur einen Menschen erkennen, der den Hitlergruß gezeigt hat, und der, so verrät er uns, sei ein linker Provokateur gewesen.

Also, dazu fällt mir nichts mehr ein, als nun meinerseits mit der DDR-Keule zu kommen: Denn das kenne ich aus dem Neuen Deutschland von einst noch sehr gut: Wenn die Tatsachen nicht mehr zu leugnen waren, dann mussten es immer geheime Kräfte des politischen Gegners gewesen sein, die das organisiert und und finanziert haben, um die schöne Inszenierung zu verunglimpfen.

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Montag, 3. August 2020
Augenblicksemotion
Eben beim Kochen nebenher Deutschlandfunk: Gespräch mit einem Fotografen, Jahrgang 1977: Der hat in den USA gelebt und sich für "Pop" interessiert, was bedeutet, Portraits von Popmusikern mit Zitaten von diedrich Diederischen oder Heinz Bude zu kombinieren, er hat die einstigen Machtzentren in Bonn fotografiert, erstaunt über und fasziniert von dem verblüffend Kleinstädtischen dieser Macht, von einer Zeit, in der er lieber gelebt hätte.

Mir fremd mir das alles ist: die USA, Bude und Diederichsen, das alte Bonn! Ich bin so froh und dankbar, in der "Berliner Republik" zu leben, die von so vielen Wessis und Ossis emotional (aus unterschiedlichen Perspektiven) abgelehnt wird. Bin ich schon wieder in der Minderheit?

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Dienstag, 16. Juni 2020
Das Recht auf Privatheit
Ich habe gestern Abend spontan einen Text in mein Blog getippt, der mir, obwohl ich völlig nüchtern war, dennoch zu privat geriet, sodass ich ihn heute Morgen wieder löschen musste.

Das ließ mich mal wieder über das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem nachdenken, dessen Schieflage unsere Gesellschaft ja seit Kafka ("Amtsentscheidungen sind scheu wie junge Mädchen.") zunehmend beschäftigt. Und prompt kam heute Morgen im Deutschlandfunk eine passende Meldung: Da will jemand juristisch erstreiten, dass seine persönlich empfundene Geschlechtsidentität auch genau so in den Pass eingetragen wird, auch wenn die von der Öffentlichkeit beauftragten Experten (Ärzte) das anders sehen. Was für ein Quatsch!

Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es muss ein selbstverständliches Recht sein, eine andere Geschlechtsidentität zu leben, als im Pass steht. Und jeder hat das im alltäglichen Umgang anzuerkennen.

In meinem langjährigen LieblingsfilmCalendar“ gibt es diesen schönen Dialog:
Er: "Was heißt das, du betrachtest dich als Ägypterin?"
Sie: "Einer meiner Großväter war Ägypter. Und vielleicht fahre ich da mal hin."
Er: "Ja, jetzt, wo du es sagst: Die Art, wie du gehst, dein Gang, das ist irgendwie - ägyptisch."
So soll es sein.

Stellen Sie sich doch einfach mal vor (um nun wieder privat zu werden), in meinem Ausweis wäre die Anmerkung "Angsterkrankung" eingetragen und ich hätte als Nachteilsausgleich die behördliche Berechtigung, 5-6 Tage im Jahr spontan blau zu machen, weil ich nicht aus dem Bett komme. Das wär doch mehr peinlich, als es mir helfen würde.

Außerdem meinte mein Therapeut, die Angsterkrankung wäre überstanden und auskuriert. Mag sein. Aber es hilft mir, mich weiter ein bisschen behindert zu fühlen und ab und an mal in mich hineinzuweinen. Was geht das die Öfentlichkeit an?

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Freitag, 12. Juni 2020
Speichel trinken?
Kurz vor dem Zensurenschluss ist für mich als Lehrer natürlich zeitlich alles sehr eng und wenig Zeit zum Bloggen, stattdessen viel zu korrigieren – und coronabedingt liegt mir diesmal besonders viel digital vor. Daher kann ich Ihnen heute anstatt tiefsinniger Gedanken zwei besonders schöne Zitate aus dem thematisch weit gefächerten Schatz der in meinem Unterricht entstandenen Texte präsentieren.

Erstens die Interpretation einer Szene aus dem Roman „Herr Lehmann“ (Sven Regener, der sich in einem Interview mal missmutig über die Aussicht geäußert hat, seine Romane könnten zum Opfer schulischer Interpretationsübungen werden, hätte an diesem Versuch hier vermutlich dennoch seine Freude):


Zweitens ein Ausschnitt aus der Zusammenfassung einer Diskussion im Politikunterricht:


Wie wahr.

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