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Dienstag, 10. März 2009
Wie besiegt man die Religion?
damals, 20:53h
Eine Kollegin schickte mir einen Link (inzwischen schon nicht mehr auf der Startseite bei „Aktuelles“: http://www.bmi.bund.de/cln_104/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2009/03/islamischer_Religionsunterricht.html?nn=303936): Es ging darum, wie Schäuble staatlichen Islamunterricht befürwortet. Ich blieb aber erst mal bei den Bildern der Startseite hängen: diesem grässlichen schwarzen Bundespolizeihubschrauber und darunter Schäubles verkniffenes Gesicht. Ja, klar, dachte ich mir – so denken die sicher:
Religion – das ist was für Weicheier, ebenso wie die grünen Uniformen für die Polizei. Schwarz müssen sie sein! Schwarz wie Batman oder unsere amerikanischen Kollegen. Und schwarz muss auch die Religionspädagogik sein. Denn Religiosität darfs nicht geben in der Religion. Das hat lange genug gedauert in Deutschland, bis wirs endlich geschafft haben: über hundert Jahre staatlicher Religionsunterricht, verbeamtete Religionslehrer, verbeamtete Pfarrer und Militärgeistliche. Aber jetzt ist es so weit: Kein Schwein geht mehr in die Kirche. Und das wäre doch gelacht, wenn wir das mit den Moslems nicht auch hinkriegen: Sie sollen ihn kriegen, ihren staatlichen Religionsunterricht, bis sie das Wort „Mohammed“ nicht mehr hören können!
Religion – das ist was für Weicheier, ebenso wie die grünen Uniformen für die Polizei. Schwarz müssen sie sein! Schwarz wie Batman oder unsere amerikanischen Kollegen. Und schwarz muss auch die Religionspädagogik sein. Denn Religiosität darfs nicht geben in der Religion. Das hat lange genug gedauert in Deutschland, bis wirs endlich geschafft haben: über hundert Jahre staatlicher Religionsunterricht, verbeamtete Religionslehrer, verbeamtete Pfarrer und Militärgeistliche. Aber jetzt ist es so weit: Kein Schwein geht mehr in die Kirche. Und das wäre doch gelacht, wenn wir das mit den Moslems nicht auch hinkriegen: Sie sollen ihn kriegen, ihren staatlichen Religionsunterricht, bis sie das Wort „Mohammed“ nicht mehr hören können!
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Sonntag, 8. März 2009
„Am Rand“ von Şebnem Işigüzel - Interpretation der Seiten 52/53
damals, 22:14h
Wenn es Sonntag ist und regnet und kein Termin weit und breit, das sind die besten Tage. Die Kleinfamilie schlurte bis zwölf im Schlafanzug zwischen Bett (Morgenkaffee, Bilderbücher, Zeitung) und Sofa (Fernsehen: „Sendung mit der Maus“) hin und her, dann bewegte ich mich als Erster langsam in Richtung Badezimmer. Unterwegs am Nachttisch konnte ich nicht widerstehen und klappte für fünf – sechs Minuten meinen Roman auf, las zwei Seiten – und war schon wieder begeistert ...
Mein Roman ist noch ein Geburtstagsgeschenk, vom Dezember. Ich hatte mir ein Buch gewünscht, meine Frau hatte nicht gewusst welches und vorgeschlagen, sich von der Auslage bei Christiansen in Ottensen inspirieren zu lassen. Es lief auf eine Hitliste von drei Titeln hinaus: den ersten kriegte ich von meiner Frau (und der war schon super), Nr. 2 finanzierte ich mit dem Büchergutschein von der Firma – den lese ich gerade: „Am Rand“ von Şebnem Işigüzel. Die Autorin, hat man den Eindruck, arbeitet mit allen erlaubten und verbotenen Tricks, die einem Schriftsteller so zur Verfügung stehen. Man mag das unseriös finden. Aber ich liebe das, von jeder Seite so richtig durchgeschüttelt zu werden.
Inhaltlich geht es (bis jetzt jedenfalls) um eine türkische Schachspielerin, die Diplomatentochter Leyla, die durch eine unglückliche Kombination persönlich-familiärer wie politischer Gewalttätigkeiten so ins Straucheln gerät, dass sich die Obdachlosigkeit als die immer noch erträglichere Daseinsform erweist: „Dabei war sie so weit bei sich, dass sie denken konnte, sie sei verrückt oder wahnsinnig geworden. Wie wir alle hatte sie ihre Angelegenheiten mit Gott noch nicht abgeschlossen.“ So beginnt die S. 52, die ich vorhin las – und da kann man ja wohl nur zustimmen.
Und dann geht es weiter: Reminiszenzen ihrer internationalen Schachkollegen werden zitiert, anlässlich ihres Verschwindens geäußert. Es läuft darauf hinaus, dass sie „universal und harmonisch“ gespielt hat, mit einer intuitiven Logik – also gerade nicht mit einer auf den Gegner fixierten, den Gegner überlistenden Strategie, sondern mit einer hingebungsvollen Strategie, die den Plan aus der Eigenlogik der Figuren entwickelt. Da denkt man natürlich sofort an die „Schachnovelle“ von Zweig, an den Kitsch der klassischen Moderne, wo der fies rationale Czentovic über den intuitiv spielerischen freien Geist Dr. B. triumphiert.
Und wie um noch eins draufzusetzen, wird dann Nabokov zitiert: „Laylas Trainer Pinkoschow erinnerte sie an das, was Nabokov über Tolstois anna Karenina gesagt hatte: >Es ist so, dass wir manchmal das Gefühl haben, Tolstois Romane hätten sich von selbst geschrieben, als seien sie von ihrem Material, ihrem Sujet verfasst worden.< Diese Definition passte zu Leyla ...“ Nabokov also, dieses Lieblingskind der Modernisten, definiert, was universal und ewig ist.
In meinen Augen ist Nabokov aber eher ein Schriftsteller, der seine persönliche Heimatlosig- und Verlorenheit unter technischer Raffinesse versteckt. Und so sieht es wohl auch Işigüzel. Denn die Schachspielerin, die dermaßen frei, unindividuell und „universal“ spielt – die verschwindet auch ganz leicht von der Bildfläche: „Nun gab es auch keine Schachspielerin namens Leyla mehr.“
So ist es. Das Gehasche nach Größe, Universalität, Ewigkeit – es ist aussichtslos, wenn es nicht vom Ich ausgeht. Das dacht ich, als ich vorhin zufrieden und glücklich unter der Dusche stand. Ich dachte auch an meinen Kollegen H., der mich letzte Woche fragte, ob ich mit meinem zweiten Staatsexamen es nicht doch noch einmal an einer Schule probieren wolle. „Das ist nicht mein Milieu.“ hab ich geantwortet. Er lachte und sagte: „Na, dann bleibst du bei uns, bei den Eck- und Randgruppen.“ Gerne. „Am Rand“ ist mein Buch.
Übrigens: Es ist auch ein Buch ohne Verlagswerbung am Ende. In der heutigen Zeit ein Adelsausweis.
Mein Roman ist noch ein Geburtstagsgeschenk, vom Dezember. Ich hatte mir ein Buch gewünscht, meine Frau hatte nicht gewusst welches und vorgeschlagen, sich von der Auslage bei Christiansen in Ottensen inspirieren zu lassen. Es lief auf eine Hitliste von drei Titeln hinaus: den ersten kriegte ich von meiner Frau (und der war schon super), Nr. 2 finanzierte ich mit dem Büchergutschein von der Firma – den lese ich gerade: „Am Rand“ von Şebnem Işigüzel. Die Autorin, hat man den Eindruck, arbeitet mit allen erlaubten und verbotenen Tricks, die einem Schriftsteller so zur Verfügung stehen. Man mag das unseriös finden. Aber ich liebe das, von jeder Seite so richtig durchgeschüttelt zu werden.
Inhaltlich geht es (bis jetzt jedenfalls) um eine türkische Schachspielerin, die Diplomatentochter Leyla, die durch eine unglückliche Kombination persönlich-familiärer wie politischer Gewalttätigkeiten so ins Straucheln gerät, dass sich die Obdachlosigkeit als die immer noch erträglichere Daseinsform erweist: „Dabei war sie so weit bei sich, dass sie denken konnte, sie sei verrückt oder wahnsinnig geworden. Wie wir alle hatte sie ihre Angelegenheiten mit Gott noch nicht abgeschlossen.“ So beginnt die S. 52, die ich vorhin las – und da kann man ja wohl nur zustimmen.
Und dann geht es weiter: Reminiszenzen ihrer internationalen Schachkollegen werden zitiert, anlässlich ihres Verschwindens geäußert. Es läuft darauf hinaus, dass sie „universal und harmonisch“ gespielt hat, mit einer intuitiven Logik – also gerade nicht mit einer auf den Gegner fixierten, den Gegner überlistenden Strategie, sondern mit einer hingebungsvollen Strategie, die den Plan aus der Eigenlogik der Figuren entwickelt. Da denkt man natürlich sofort an die „Schachnovelle“ von Zweig, an den Kitsch der klassischen Moderne, wo der fies rationale Czentovic über den intuitiv spielerischen freien Geist Dr. B. triumphiert.
Und wie um noch eins draufzusetzen, wird dann Nabokov zitiert: „Laylas Trainer Pinkoschow erinnerte sie an das, was Nabokov über Tolstois anna Karenina gesagt hatte: >Es ist so, dass wir manchmal das Gefühl haben, Tolstois Romane hätten sich von selbst geschrieben, als seien sie von ihrem Material, ihrem Sujet verfasst worden.< Diese Definition passte zu Leyla ...“ Nabokov also, dieses Lieblingskind der Modernisten, definiert, was universal und ewig ist.
In meinen Augen ist Nabokov aber eher ein Schriftsteller, der seine persönliche Heimatlosig- und Verlorenheit unter technischer Raffinesse versteckt. Und so sieht es wohl auch Işigüzel. Denn die Schachspielerin, die dermaßen frei, unindividuell und „universal“ spielt – die verschwindet auch ganz leicht von der Bildfläche: „Nun gab es auch keine Schachspielerin namens Leyla mehr.“
So ist es. Das Gehasche nach Größe, Universalität, Ewigkeit – es ist aussichtslos, wenn es nicht vom Ich ausgeht. Das dacht ich, als ich vorhin zufrieden und glücklich unter der Dusche stand. Ich dachte auch an meinen Kollegen H., der mich letzte Woche fragte, ob ich mit meinem zweiten Staatsexamen es nicht doch noch einmal an einer Schule probieren wolle. „Das ist nicht mein Milieu.“ hab ich geantwortet. Er lachte und sagte: „Na, dann bleibst du bei uns, bei den Eck- und Randgruppen.“ Gerne. „Am Rand“ ist mein Buch.
Übrigens: Es ist auch ein Buch ohne Verlagswerbung am Ende. In der heutigen Zeit ein Adelsausweis.
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Mittwoch, 25. Februar 2009
Zwischenruf im Hass
damals, 01:01h
Zuerst einmal vorausgeschickt, weil ich aus dem Bekanntenkreis angesprochen wurde: Nein, natürlich schreibe ich nicht über meine Firma. Ich schreibe wirklich über damals. Bei meiner jetzigen Firma sind wir zwar auch alle unterbezahlt, aber ein gutes Team. Und wir machen gute Arbeit. Und wenn etwas nicht klappt, und das passiert andauernd, dann liegt es fast immer daran, dass die Zeit nicht reicht (weil zu wenige Leute zu viel tun müssen) und jeder sich kreativ, spontan, ad hoc durch die Probleme des Tages wurstelt und die zeitaufwändige Absprache mit den anderen unterlässt, ja unterlassen muss, weil der Termin-, Zeit-, Finanzierungs-, kurz: der Systemdruck ihn dazu zwingt.
Und ich bin nicht sauer, weil ich jetzt der Loser bin, der sich mit den Migranten und Hartz-IV-Empfängern rumschlagen muss. Ich bin sauer, dass meine Arbeit nicht anerkannt wird (und eine andere Anerkennung als die mit Geld kennt unsere Gesellschaft nun mal nicht). Erwachsenen Menschen das ABC beizubringen, ist schwer, aber wenn es gelingt, ist es etwas Wunderbares. Ich habe keine Lust, in die nächst höhere Sphäre aufzusteigen, die der Coaches, Maßnahmeleiter, Organisierer, der Akquirierer von Fördergeldern. Das Wort "systemische Therapie" ist für mich ein Widerspruch in sich und ein Personaldienstleister nichts anderes als ein Erfüllungsgehilfe der Geldgesellschaft. Irgendjemandem helfen tun diese Systeme nicht.
Mir wird mir einfach viel zu viel organisiert in dieser Gesellschaft. Da schieben die Geld hin und her oder Informationen hin und her, und es ist ganz wichtig, mit irgendwelchen Zinssätzen zu jonglieren oder Briefing und Profiling mit x-beliebig austauschbaren Dingen oder Personen zu betreiben. Aber einer muss doch auch die Arbeit tun!
Und wenn Frau X. aus dem Land Y. in Hamburg ein Straßenschild lesen kann, dann sollen meinetwegen irgendwelche Jobmanager ihr einen Putzjob vermitteln (den sie ohne sie auch finden würde) und irgendwelche Jugendämter ihre Kindergartenkosten prüfen und verwalten (da sie ja sonst ihren Putzjob nicht ausführen könnte) und meinetwegen 23 Bildungsträger sich um die 2.36 € pro Stunde (oder waren es 2,63?) für ihren Deutschunterricht prügeln in ausgefeilten Ausschreibungstexten – dann hab ich meinen Job getan, und diese ganze Sintflut von „Überbau“ (wie es damals gut marxistisch hieß), die soll mir gestohlen bleiben!
Und ich bin nicht sauer, weil ich jetzt der Loser bin, der sich mit den Migranten und Hartz-IV-Empfängern rumschlagen muss. Ich bin sauer, dass meine Arbeit nicht anerkannt wird (und eine andere Anerkennung als die mit Geld kennt unsere Gesellschaft nun mal nicht). Erwachsenen Menschen das ABC beizubringen, ist schwer, aber wenn es gelingt, ist es etwas Wunderbares. Ich habe keine Lust, in die nächst höhere Sphäre aufzusteigen, die der Coaches, Maßnahmeleiter, Organisierer, der Akquirierer von Fördergeldern. Das Wort "systemische Therapie" ist für mich ein Widerspruch in sich und ein Personaldienstleister nichts anderes als ein Erfüllungsgehilfe der Geldgesellschaft. Irgendjemandem helfen tun diese Systeme nicht.
Mir wird mir einfach viel zu viel organisiert in dieser Gesellschaft. Da schieben die Geld hin und her oder Informationen hin und her, und es ist ganz wichtig, mit irgendwelchen Zinssätzen zu jonglieren oder Briefing und Profiling mit x-beliebig austauschbaren Dingen oder Personen zu betreiben. Aber einer muss doch auch die Arbeit tun!
Und wenn Frau X. aus dem Land Y. in Hamburg ein Straßenschild lesen kann, dann sollen meinetwegen irgendwelche Jobmanager ihr einen Putzjob vermitteln (den sie ohne sie auch finden würde) und irgendwelche Jugendämter ihre Kindergartenkosten prüfen und verwalten (da sie ja sonst ihren Putzjob nicht ausführen könnte) und meinetwegen 23 Bildungsträger sich um die 2.36 € pro Stunde (oder waren es 2,63?) für ihren Deutschunterricht prügeln in ausgefeilten Ausschreibungstexten – dann hab ich meinen Job getan, und diese ganze Sintflut von „Überbau“ (wie es damals gut marxistisch hieß), die soll mir gestohlen bleiben!
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Donnerstag, 19. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 8
damals, 19:08h
Es war die letzte Novemberwoche. „Ende November, das Kalt und das Grau, sind meine Heimat im Weiß-nicht-genau.“ Das hatte ich mal gereimt, als ich mich, selbst kaum der Schule entronnen, in ein blasses Teenager-Mädchen und ihren düsteren Geburtstag verliebt hatte. Der Vorortzug jedenfalls war halb leer an meinem ersten Arbeitstag; schließlich pendeln die meisten Menschen ja in die Großstadt hinein, nicht aus ihr heraus. Nach zwanzig Minuten stieg ich an einem Kleinstadtbahnhof aus und in den Bus um. Dort standen geduckte
Häuschen einen ehemaligen Mühlbach entlang und alle paar Minuten stoppte vor dem Buswartehäuschen ein Auto, dessen Fahrer eine Ehefrau oder ein Schulkind entließ. So wuchs die wartende Menge und endlich kam der Bus, und er brauchte Ewigkeiten, bevor er nach Zwischenstopps an Berufsschule, Friedhof und Klinikum endlich das Gewerbegebiet am Ortsausgang erreichte, wo ich aussteigen musste.
Meine Firma hatte die Räume über einer Elektrofirma angemietet. Vor der Tür gab es einen Fahrradständer und einen Raucherplatz, zwei reservierte Parkplätze – für die Chefin und die Sekretärin – und jede Menge Ladeverkehr für die Handwerker im Erdgeschoss. Die Chefin (offenbar gibt es in dieser Branche keine Chefs, jedenfalls nicht auf den unteren Rängen) beaufsichtigte ein kleines Büro und neben den beiden Deutschkursen noch ein paar andere „Maßnahmen“ für Arbeitslose: die üblichen Bewerbungs- und Computertrainings sowie einen Kurs „Berufliche Orientierung“, wo auch wieder Bewerbungsmappen hergestellt wurden.
Häuschen einen ehemaligen Mühlbach entlang und alle paar Minuten stoppte vor dem Buswartehäuschen ein Auto, dessen Fahrer eine Ehefrau oder ein Schulkind entließ. So wuchs die wartende Menge und endlich kam der Bus, und er brauchte Ewigkeiten, bevor er nach Zwischenstopps an Berufsschule, Friedhof und Klinikum endlich das Gewerbegebiet am Ortsausgang erreichte, wo ich aussteigen musste.
Meine Firma hatte die Räume über einer Elektrofirma angemietet. Vor der Tür gab es einen Fahrradständer und einen Raucherplatz, zwei reservierte Parkplätze – für die Chefin und die Sekretärin – und jede Menge Ladeverkehr für die Handwerker im Erdgeschoss. Die Chefin (offenbar gibt es in dieser Branche keine Chefs, jedenfalls nicht auf den unteren Rängen) beaufsichtigte ein kleines Büro und neben den beiden Deutschkursen noch ein paar andere „Maßnahmen“ für Arbeitslose: die üblichen Bewerbungs- und Computertrainings sowie einen Kurs „Berufliche Orientierung“, wo auch wieder Bewerbungsmappen hergestellt wurden.
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Mittwoch, 18. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 7
damals, 20:18h
Was blieb, war ein finanzielles Loch. Frau Meyer hatte ein Einsehen und lud mir auf mein Betteln hin Vertretungsstunden auf bis zum Abwinken. Abzüglich der Steuer blieb dennoch nichts übrig. Außerdem hatte ich mir mit meiner Familie in diesem Sommer einen echten Urlaub geleistet, richtig mit Autozug und Ferienwohnung in Bayern. Wir kamen aus den Schulden nicht mehr raus.
Ende November wurden die Vertretungsstunden rarer und weitere Kürzungen standen ins Haus. Die Firma hatte eine Anschlussausschreibung nicht gewonnen – die Konkurrenzfirma mit noch schäbigeren Räumen und noch niedrigeren Honoraren hatte uns unterboten. Frau Meyer hatte Schwierigkeiten, die Stunden halbwegs gerecht unter den Honorardozenten aufzuteilen. Eines Abends rief sie mich überraschend an und bestellte mich für den folgenden, einen Freitagabend, ins Büro: ein Jobangebot. Wir trafen uns zu dritt in ihrem Büro, es war um sechs, schon dunkel, ich hatte das Büro bei Lampenlicht noch nicht erlebt. Der Dritte war aus der Führungsebene, von der Mutterfirma, und beaufsichtigte eine kleine Schwester-GmbH vor den Toren der Stadt. Dort gab es nur zwei Deutschkurse und zwei Lehrer, einer davon war überraschend ausgefallen. Arbeitsbeginn am Montag. Frau Meyer war das Angebot ein bisschen peinlich: „Ja, aber wissen Sie, Sie kennen die Situation, und da haben Sie immerhin erst mal einen Monat gesichert ...“ Das fand ich auch und akzeptierte einen auf vier Wochen befristeten Arbeitsvertrag auf dem Gehaltsniveau einer Supermarktverkäuferin.
Am Wochenende war ich mit Frau und Kind ein paar Stunden bei Freunden auf dem Land, genauer gesagt, bei Freunden, die mit dem zweiten Kind rausgezogen waren, in das berühmte Häuschen im Grünen. Ich nutzte die Gelegenheit und bat meine Frau, nach dem Kaffeetrinken nicht gleich nach Hause zu fahren, sondern eine Autobahnabfahrt weiter in Richtung Provinz. Ich wollte meine neue Arbeitsstelle wenigstens einmal gesehen haben. Aber da war nichts zu sehen. Da war nur ein gesichtsloses Gewerbegebiet an der Autobahn, mit einer Shell-Tankstelle und dem Bürohaus von einer dieser windigen Mobiltelefongesellschaften, daneben Großhandelslager und Kleingewerbe, sogar Einfamilienhäuser, und mittendrin ein Schild, das auf einen Hinterhof zeigte und den Namen der Schule trug.
Ende November wurden die Vertretungsstunden rarer und weitere Kürzungen standen ins Haus. Die Firma hatte eine Anschlussausschreibung nicht gewonnen – die Konkurrenzfirma mit noch schäbigeren Räumen und noch niedrigeren Honoraren hatte uns unterboten. Frau Meyer hatte Schwierigkeiten, die Stunden halbwegs gerecht unter den Honorardozenten aufzuteilen. Eines Abends rief sie mich überraschend an und bestellte mich für den folgenden, einen Freitagabend, ins Büro: ein Jobangebot. Wir trafen uns zu dritt in ihrem Büro, es war um sechs, schon dunkel, ich hatte das Büro bei Lampenlicht noch nicht erlebt. Der Dritte war aus der Führungsebene, von der Mutterfirma, und beaufsichtigte eine kleine Schwester-GmbH vor den Toren der Stadt. Dort gab es nur zwei Deutschkurse und zwei Lehrer, einer davon war überraschend ausgefallen. Arbeitsbeginn am Montag. Frau Meyer war das Angebot ein bisschen peinlich: „Ja, aber wissen Sie, Sie kennen die Situation, und da haben Sie immerhin erst mal einen Monat gesichert ...“ Das fand ich auch und akzeptierte einen auf vier Wochen befristeten Arbeitsvertrag auf dem Gehaltsniveau einer Supermarktverkäuferin.
Am Wochenende war ich mit Frau und Kind ein paar Stunden bei Freunden auf dem Land, genauer gesagt, bei Freunden, die mit dem zweiten Kind rausgezogen waren, in das berühmte Häuschen im Grünen. Ich nutzte die Gelegenheit und bat meine Frau, nach dem Kaffeetrinken nicht gleich nach Hause zu fahren, sondern eine Autobahnabfahrt weiter in Richtung Provinz. Ich wollte meine neue Arbeitsstelle wenigstens einmal gesehen haben. Aber da war nichts zu sehen. Da war nur ein gesichtsloses Gewerbegebiet an der Autobahn, mit einer Shell-Tankstelle und dem Bürohaus von einer dieser windigen Mobiltelefongesellschaften, daneben Großhandelslager und Kleingewerbe, sogar Einfamilienhäuser, und mittendrin ein Schild, das auf einen Hinterhof zeigte und den Namen der Schule trug.
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Montag, 16. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 6
damals, 17:05h
Zwei Monate später war Abitur. Ich hatte mit einer Gymnasiallehrerin aus den Elbvororten zu kooperieren, um die Anerkennung der deutschen Schulbehörde abzusichern. Eine echte Gymnasiallehrerin: links, burschikos, bürgerlich. Als Zweitgutachterin bestand ihre Aufgabe darin, den elitären Privatschülern ein bisschen auf den Zahn zu fühlen und ihre Leistungen mit den Normen des Hamburger Abiturstandards abzugleichen. Ich nahm das leider sehr persönlich. Halbwegs schon rausgeworfen und nur für den Abiturkurs noch geduldet, hatte ich an meiner Privatschule die Stellung eines Exoten inne. „Ja, du und deine Abiturklasse, ihr passt schon zusammen.“ sagte meine Deutschkollegin immer, ein bisschen mitleidig. Und so war es. Weil es den Schülern gefiel, ließ man mich machen. Ein Curriculum gab es nicht. Wir lasen monatelang die „Buddenbrooks“ (den Roman hatten die Schüler freiwillig ausgewählt) und analysierten dann die schöne Verfilmung aus den fünfziger Jahren. Mein Zugeständnis an den vermeintlichen Oberstufen-Kanon, das Thema „Kommunikationstheorie“, versuchte ich der Banalität zu entreißen, indem ich Gesten von Emmanuelle Beart in einem Claude-Sautet-Film und sophistische Sprüche von Sven Regener aus „Neue Vahr Süd“ analysieren ließ.
Aber schöne Unterrichtstunden sind das eine, Abitur ist etwas anderes. Schon einige von den Klausuren hatte die Zweitgutachterin auseinandergepflückt. In den Kommentaren sang sie das Hohe Lied vom Transfer. Gepflegtes Schreiben – und was beispielsweise S., die Tochter eines Spiegelredakteurs, schrieb, das war nicht mehr nur gepflegt, das war göttlich – tat da nichts zur Sache. Die mündliche Prüfung begann mit K., einem Mädchen aus der polnischen Nomenklatura. Sie kam gut durch. Ihr osteuropäisch-schnoddriger Stil, der sie an meiner feinen Privatschule zu manchem Strafgespräch ins Büro der Direktorin gebracht hatte, wurde von der deutschen Lehrerin als kämpferisch belobigt, während die stille, kluge C., Tochter einer deutschen Entwicklungshelferin und ihres schwarzen Mannes, vor ihr gar keine Chance hatte. Zu brav. Dasselbe Verdikt fiel über ihre Mitschüler herein. Verwundert sah mich der Prüfungsvorsitzende an, als die Noten dann festgelegt wurden. Aber ich rettete meine Schüler nicht. Ich sagte gar nichts. Es war wie vor der sechsten Klasse – totale Lähmung.
Am Ende waren alle sauer: die Schüler, die Direktorin, und ich auch. Ich sehe noch die weiße Stretchlimousine vor mir, die I.s Vater zur Abiturfeier vor der Schule hatte auffahren lassen, und sehe mich selber, wie ich versuche, mich hinter dem Auto zum Ausgang zu schleichen. Natürlich auch das erfolglos.
Aber schöne Unterrichtstunden sind das eine, Abitur ist etwas anderes. Schon einige von den Klausuren hatte die Zweitgutachterin auseinandergepflückt. In den Kommentaren sang sie das Hohe Lied vom Transfer. Gepflegtes Schreiben – und was beispielsweise S., die Tochter eines Spiegelredakteurs, schrieb, das war nicht mehr nur gepflegt, das war göttlich – tat da nichts zur Sache. Die mündliche Prüfung begann mit K., einem Mädchen aus der polnischen Nomenklatura. Sie kam gut durch. Ihr osteuropäisch-schnoddriger Stil, der sie an meiner feinen Privatschule zu manchem Strafgespräch ins Büro der Direktorin gebracht hatte, wurde von der deutschen Lehrerin als kämpferisch belobigt, während die stille, kluge C., Tochter einer deutschen Entwicklungshelferin und ihres schwarzen Mannes, vor ihr gar keine Chance hatte. Zu brav. Dasselbe Verdikt fiel über ihre Mitschüler herein. Verwundert sah mich der Prüfungsvorsitzende an, als die Noten dann festgelegt wurden. Aber ich rettete meine Schüler nicht. Ich sagte gar nichts. Es war wie vor der sechsten Klasse – totale Lähmung.
Am Ende waren alle sauer: die Schüler, die Direktorin, und ich auch. Ich sehe noch die weiße Stretchlimousine vor mir, die I.s Vater zur Abiturfeier vor der Schule hatte auffahren lassen, und sehe mich selber, wie ich versuche, mich hinter dem Auto zum Ausgang zu schleichen. Natürlich auch das erfolglos.
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Sonntag, 15. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 5
damals, 21:15h
Wie entspannend, aber auch langweilig war dagegen der Kurs mit den Fortgeschrittenen. Wir übten wochenlang Relativsätze, lösten grammatische Kreuzworträtsel, und sahen – nachmittags in den Unterrichtsstunden acht und neun, wenn ich den Sozialpädagogen vertrat - deutsche Komödien: „Keiner liebt mich“, „Echte Kerle“, ..., die ich aus meiner privaten Videosammlung von Zuhause mitbrachte. Am besten kam das bei den Polinnen an (ein Pole ist mir bisher nicht untergekommen), die ja unserer Kultur recht nahe stehen.
Ein Höhepunkt für alle war der Ausflug in die Holstenbrauerei, den der Sozialpädagoge organisiert hatte. Für mich, weil es lehrreich war. Wir bekamen eine Führung, der Führer war ein alter Mann, wohl ein ungelittener Mitarbeiter, den man halt noch die Besucher führen ließ, weil er ansonsten nicht mehr in den Betrieb passte. Ein Bierliebhaber von altem Schrot und Korn. Besonders im Ohr ist mir noch sein Lästern über die Unart, Bier zu kühlen: „Ein Bier, das bei Zimmertemperatur nicht schmeckt, sollte man überhaupt nicht trinken.“ ... es ist klar, dass dieser Mann bei Holsten nicht am rechten Ort war. Ich freute mich, einen Tag mal nicht der Vorturner zu sein, sondern auch mal mittrotten und konsumieren zu können. Auch die Teilnehmer waren gut gelaunt, weil sie einen Tag nichts tun mussten. Es gab für jeden zwei Gläser Bier und ein paar Salzbrezeln – man witzelte und machte Gruppenfotos. Eine grobe Gemütlichkeit, ich fühlte mich am rechten Ort.
Am selben Abend war ich mit meiner Abiturklasse im Kino. Wir untersuchten ja gerade Zeitungsrezensionen und sahen uns einen aktuellen Hollywoodfilm an, um später die zugehörigen Rezensionen der deutschen Feuilletons zu vergleichen. Einen Moment lang war ich irritiert. Die zarten, feinen Mädchen hatten sich alle geschminkt, hantierten mit ihren ipods und wirkten mit ihren klugen, distanzierten Sätzen wie aus einer anderen Welt. Und der einzige Junge war das Tüpfelchen auf dem I – er kam im feinen langen Mantel und beschwieg das Geschwätz der Mädchen auf vornehmste Weise. Dann saß man zusammen im prolligen UFA-Palast am Gänsemarkt und kritisierte mit aller Arroganz der Jugend die Techniken des Kino-Mainstreams.
Ein Höhepunkt für alle war der Ausflug in die Holstenbrauerei, den der Sozialpädagoge organisiert hatte. Für mich, weil es lehrreich war. Wir bekamen eine Führung, der Führer war ein alter Mann, wohl ein ungelittener Mitarbeiter, den man halt noch die Besucher führen ließ, weil er ansonsten nicht mehr in den Betrieb passte. Ein Bierliebhaber von altem Schrot und Korn. Besonders im Ohr ist mir noch sein Lästern über die Unart, Bier zu kühlen: „Ein Bier, das bei Zimmertemperatur nicht schmeckt, sollte man überhaupt nicht trinken.“ ... es ist klar, dass dieser Mann bei Holsten nicht am rechten Ort war. Ich freute mich, einen Tag mal nicht der Vorturner zu sein, sondern auch mal mittrotten und konsumieren zu können. Auch die Teilnehmer waren gut gelaunt, weil sie einen Tag nichts tun mussten. Es gab für jeden zwei Gläser Bier und ein paar Salzbrezeln – man witzelte und machte Gruppenfotos. Eine grobe Gemütlichkeit, ich fühlte mich am rechten Ort.
Am selben Abend war ich mit meiner Abiturklasse im Kino. Wir untersuchten ja gerade Zeitungsrezensionen und sahen uns einen aktuellen Hollywoodfilm an, um später die zugehörigen Rezensionen der deutschen Feuilletons zu vergleichen. Einen Moment lang war ich irritiert. Die zarten, feinen Mädchen hatten sich alle geschminkt, hantierten mit ihren ipods und wirkten mit ihren klugen, distanzierten Sätzen wie aus einer anderen Welt. Und der einzige Junge war das Tüpfelchen auf dem I – er kam im feinen langen Mantel und beschwieg das Geschwätz der Mädchen auf vornehmste Weise. Dann saß man zusammen im prolligen UFA-Palast am Gänsemarkt und kritisierte mit aller Arroganz der Jugend die Techniken des Kino-Mainstreams.
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Donnerstag, 12. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 4
damals, 21:18h
Vielleicht war es auch nur, dass es hier keine Disziplinprobleme gab, jedenfalls keine nennenswerten. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine kleine Gruppe russischer Männer, die in der ersten Doppelstunde enttäuscht feststellte, dass auch beim Vertretungslehrer Unterricht stattfindet, und in der Frühstückspause verschwand. Einer davon machte den Fehler, nach der Mittagspause wieder zu erscheinen – mit Alkoholfahne. Er versuchte sich in die Behauptung zu flüchten, er würde kein Wort Deutsch verstehen. Da ich aber sein Russisch verstand und deutsch darauf antworten konnte, ergab er sich in sein Schicksal und mimte für den Rest den Tages den immerhin passiv anwesenden Schüler – was genug war. Anwesenheit reichte aus, um das Arbeitsamt zufrieden zu stellen. Die anderen waren dann eben halt „nicht anwesend“ und flogen ein paar Tage später raus, was noch nicht mal ich verkünden musste, sondern der zuständige Lehrer. Alles sehr einfach.
Etwas komplizierter war’s in dem Alphabetisierungskurs, den mir Frau Meyer als „schwierig“ angekündigt hatte und den ich für eine ganze Urlaubsvertretung übernahm. Hier wurde jeden Morgen darüber erbittert darüber diskutiert, ob und wie weit die Heizung einzuschalten sei (es war inzwischen März, aber immer noch kalt). Der Auslöser für das Problem war offenbar – und trug den Namen Grace. Grace war Afrikanerin, Ende Dreißig, verhärmt und kommunikationsunfähig. Jeden Morgen betrat sie den Klassenraum, setzte sich wortlos in eine Ecke und schraubte die nächstgelegene Heizung so hoch wie möglich. Auf jegliche Ansprache reagierte sie unwirsch, auf das Thema „Heizung“ aber grundsätzlich mit Wutanfällen. Klar, dass das die stolzen Türken und Araber nicht auf sich sitzen lassen konnten. Und so wurde eben jeden Morgen erst mal rumgeschrien. Meine Aufgabe war es, als Deutscher, als Lehrer, niemandem Recht zu geben und niemandem Unrecht. Damit allein ließen sich die Gemüter meist schnell besänftigen, und es gab Tage, an denen sich sogar Grace am Unterricht beteiligte.
Überhaupt war Stolz für die meisten ein größeres Problem als mangelnde Sprachfähigkeiten. Es gab da im selben Kurs ein Ehepaar aus Griechenland, das sein Arbeitsleben in deutschen Fabriken verbracht hatte, zuletzt in der Schokoladenproduktion. Die Kinder waren inzwischen groß, die beiden alt und in Deutschland gibt es kaum noch Stellen für Ungelernte. So kam das Arbeitsamt auf die irrige Annahme, die Arbeitslosigkeit der beiden könne mit ihren Sprachproblemen zusammenhängen. Aber wie dem auch sei, die beiden waren da und bemühten sich redlich, das deutsche Alphabet zu erlernen. Dass aber sie binnen kurzem die Buchstaben schreiben konnte, ertrug er nicht – und erfand unendlich viele Ausreden. Oder stellte sich selbst scherzhaft als Lehrer vor die Klasse in der Pause. All das führte natürlich dazu, dass er noch weiter hinter seiner emsig weiterlernenden Frau zurückblieb ... ein Teufelskreis. Nur als Clown schaffte es Kostas, noch ein Mann zu bleiben.
Etwas komplizierter war’s in dem Alphabetisierungskurs, den mir Frau Meyer als „schwierig“ angekündigt hatte und den ich für eine ganze Urlaubsvertretung übernahm. Hier wurde jeden Morgen darüber erbittert darüber diskutiert, ob und wie weit die Heizung einzuschalten sei (es war inzwischen März, aber immer noch kalt). Der Auslöser für das Problem war offenbar – und trug den Namen Grace. Grace war Afrikanerin, Ende Dreißig, verhärmt und kommunikationsunfähig. Jeden Morgen betrat sie den Klassenraum, setzte sich wortlos in eine Ecke und schraubte die nächstgelegene Heizung so hoch wie möglich. Auf jegliche Ansprache reagierte sie unwirsch, auf das Thema „Heizung“ aber grundsätzlich mit Wutanfällen. Klar, dass das die stolzen Türken und Araber nicht auf sich sitzen lassen konnten. Und so wurde eben jeden Morgen erst mal rumgeschrien. Meine Aufgabe war es, als Deutscher, als Lehrer, niemandem Recht zu geben und niemandem Unrecht. Damit allein ließen sich die Gemüter meist schnell besänftigen, und es gab Tage, an denen sich sogar Grace am Unterricht beteiligte.
Überhaupt war Stolz für die meisten ein größeres Problem als mangelnde Sprachfähigkeiten. Es gab da im selben Kurs ein Ehepaar aus Griechenland, das sein Arbeitsleben in deutschen Fabriken verbracht hatte, zuletzt in der Schokoladenproduktion. Die Kinder waren inzwischen groß, die beiden alt und in Deutschland gibt es kaum noch Stellen für Ungelernte. So kam das Arbeitsamt auf die irrige Annahme, die Arbeitslosigkeit der beiden könne mit ihren Sprachproblemen zusammenhängen. Aber wie dem auch sei, die beiden waren da und bemühten sich redlich, das deutsche Alphabet zu erlernen. Dass aber sie binnen kurzem die Buchstaben schreiben konnte, ertrug er nicht – und erfand unendlich viele Ausreden. Oder stellte sich selbst scherzhaft als Lehrer vor die Klasse in der Pause. All das führte natürlich dazu, dass er noch weiter hinter seiner emsig weiterlernenden Frau zurückblieb ... ein Teufelskreis. Nur als Clown schaffte es Kostas, noch ein Mann zu bleiben.
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Mittwoch, 11. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 3
damals, 23:22h
Und so passierte es öfter, dass sie morgens um 8 Uhr anrief, weil irgendein Dozent nicht erschienen war, und ich ab neun Uhr acht Stunden Deutschunterricht aus dem Stegreif gab.
Der Unterricht fand statt auf zwei Etagen in einem ansonsten leeren Bürohochhaus. Jeden Morgen kurz vor neun belebte sich plötzlich der Hof, standen Raucher vor der Tür, waren die Fahrstühle überfüllt Ich unterschied sie zuerst nach Gruppen: die liebevollen, aber neurotischen Afrikaner; die groben, herzlichen Türken; die phlegmatischen, depressiven russischen Männer mit ihren kalten, fleißigen Frauen – und die kultivierten, manchmal arroganten, meist still verzweifelten Menschen aus dem östlichen Arabien.
Natürlich war das zunächst ein gutes Arbeiten. Jeder echte Lehrer wird mir das bestätigen: Vertretungsstunden sind einfach. Man ist für nichts verantwortlich, muss nur irgendwie die Zeit füllen – und wenn man den Leuten tatsächlich noch was Interessantes beibringen kann, wird man für einen tollen Pädagogen gehalten.
Nach der Niederlage an der Privatschule war mir diese Erfahrung sehr willkommen. Die Tatsache, dass mir Arbeitslosengeld zugestanden hätte, dass ich hätte zu Hause bleiben können, bis ich eine vernünftige Arbeit gefunden hätte, übersah ich geflissentlich. Ich stürzte mich in den Lohndumping-Bereich mit dem Gefühl, endlich etwas wert zu sein. So wie diese aus Profitgründen schnell zusammengezimmerte GmbH vorgab, eine Bildungseinrichtung zu sein, so wie diese überwiegend orientierungs- und chancenlosen Maßnahmeteilnehmer so taten, als gingen sie einer geregelten Tätigkeit nach, so gab ich eben den routinierten Lehrer.
Der Unterricht fand statt auf zwei Etagen in einem ansonsten leeren Bürohochhaus. Jeden Morgen kurz vor neun belebte sich plötzlich der Hof, standen Raucher vor der Tür, waren die Fahrstühle überfüllt Ich unterschied sie zuerst nach Gruppen: die liebevollen, aber neurotischen Afrikaner; die groben, herzlichen Türken; die phlegmatischen, depressiven russischen Männer mit ihren kalten, fleißigen Frauen – und die kultivierten, manchmal arroganten, meist still verzweifelten Menschen aus dem östlichen Arabien.
Natürlich war das zunächst ein gutes Arbeiten. Jeder echte Lehrer wird mir das bestätigen: Vertretungsstunden sind einfach. Man ist für nichts verantwortlich, muss nur irgendwie die Zeit füllen – und wenn man den Leuten tatsächlich noch was Interessantes beibringen kann, wird man für einen tollen Pädagogen gehalten.
Nach der Niederlage an der Privatschule war mir diese Erfahrung sehr willkommen. Die Tatsache, dass mir Arbeitslosengeld zugestanden hätte, dass ich hätte zu Hause bleiben können, bis ich eine vernünftige Arbeit gefunden hätte, übersah ich geflissentlich. Ich stürzte mich in den Lohndumping-Bereich mit dem Gefühl, endlich etwas wert zu sein. So wie diese aus Profitgründen schnell zusammengezimmerte GmbH vorgab, eine Bildungseinrichtung zu sein, so wie diese überwiegend orientierungs- und chancenlosen Maßnahmeteilnehmer so taten, als gingen sie einer geregelten Tätigkeit nach, so gab ich eben den routinierten Lehrer.
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Dienstag, 10. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 2
damals, 19:16h
Es dauerte nicht lange, dass auf meine zahl- und wahllosen Bewerbungen eine Antwort kam. Es ging um eine Stelle als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache. Am Telefon war ein Mann mit einer lockeren, fröhlichen Stimme, der sich als Mitarbeiter einer Personalvermittlungsfirma vorstellte und mir sagte, dass sie jemanden wie mich für Ihren Kunden brauchten. „Es gibt 22 € pro Stunde!“ wiederholte er mehrfach begeistert. Nur auf Nachfragen sagte er, worum es eigentlich inhaltlich geht: Deutschunterricht für arbeitslose Ausländer. Weiter gehende Informationen über seinen Kunden schien er nicht zu haben oder geben zu wollen.
Ich fand, dass das nun kein Stundenpreis war, um in Begeisterung auszubrechen, aber immerhin. DaF (Deutsch als Fremdsprache) hatte ich oft genug unterrichtet, und Berührungsängste mit Unterschichten oder anderen irgendwie abweichenden Kulturen hatte ich auch nicht.
Zum Vorstellungsgespräch waren wir vier Bewerber. Wir saßen zu beiden Seiten eines Tisches, ans Kopfende setzte sich Frau Meyer, unsere potentielle Chefin, und stellte, wie das so üblich ist, zunächst ihre Firma vor: Diese bestand in erster Linie aus ihr selber, einer quirligen, massigen Vierzigerin mit hennaroten Haaren und nie still stehendem Mundwerk. Für ein großes Mutterunternehmen, für das sie nur Verachtung hatte und zu dem, wie sich herausstellte, auch die ominöse Personalvermittlungsagentur gehörte, die uns angeworben hatte – für dieses Unternehmen führte sie also die Geschäfte dieser kleinen, scheinbar nicht auf längere Lebensdauer angelegten GmbH – zusammen mit einer befristet angestellten Sekretärin, zwei von der Mutterfirma ausgeborgten Lehrkräften und einer Unmenge von Honorardozenten. Die Mutterfirma hatte die Ausschreibung irgendeiner Arbeitsamtsmaßnahme für arbeitslose Ausländer gewonnen und dafür die Firma ins Leben gerufen. Also war die Firma eigentlich gar keine Firma: Aufträge und Weisungen kamen vom Mutterunternehmen, die Arbeitsverträge schrieb die Personalagentur aus, ... – nur die Arbeit selbst machte Frau Meyer mit ihren Dozenten.
Und die hatte gut schimpfen, und das tat sie auch: eine geschlagene Stunde lang, während der wir Bewerber irgendwann zwischendurch je zwei Minuten bekamen, uns ebenfalls vorzustellen. „Ja, ich würde Sie schon nehmen“, sagte sie auf unsere bemühten Ausführungen, „aber 22 Euro gibt’s natürlich nur für Freiberufler. Wenn Sie unbedingt wollen, kann ich Sie natürlich auch fest einstellen, für drei Monate und halb so viel Stundenlohn. Also, ich würd es Ihnen nicht raten ...“ Und dann zog sie weiter her über ihre Arbeit- und Auftraggeber.
Tatsächlich gelang es ihr, zwei der Bewerber abzuschrecken. Ich selber war zwar enttäuscht, ließ mich aber als Springer für Notfälle vormerken - die Firma lag keine 15 Fahrradminuten von meinem Zuhause entfernt, und irgendwie hatte mich Frau Meyers quietschlebendiger Sarkasmus auch mitgerissen.
Ich fand, dass das nun kein Stundenpreis war, um in Begeisterung auszubrechen, aber immerhin. DaF (Deutsch als Fremdsprache) hatte ich oft genug unterrichtet, und Berührungsängste mit Unterschichten oder anderen irgendwie abweichenden Kulturen hatte ich auch nicht.
Zum Vorstellungsgespräch waren wir vier Bewerber. Wir saßen zu beiden Seiten eines Tisches, ans Kopfende setzte sich Frau Meyer, unsere potentielle Chefin, und stellte, wie das so üblich ist, zunächst ihre Firma vor: Diese bestand in erster Linie aus ihr selber, einer quirligen, massigen Vierzigerin mit hennaroten Haaren und nie still stehendem Mundwerk. Für ein großes Mutterunternehmen, für das sie nur Verachtung hatte und zu dem, wie sich herausstellte, auch die ominöse Personalvermittlungsagentur gehörte, die uns angeworben hatte – für dieses Unternehmen führte sie also die Geschäfte dieser kleinen, scheinbar nicht auf längere Lebensdauer angelegten GmbH – zusammen mit einer befristet angestellten Sekretärin, zwei von der Mutterfirma ausgeborgten Lehrkräften und einer Unmenge von Honorardozenten. Die Mutterfirma hatte die Ausschreibung irgendeiner Arbeitsamtsmaßnahme für arbeitslose Ausländer gewonnen und dafür die Firma ins Leben gerufen. Also war die Firma eigentlich gar keine Firma: Aufträge und Weisungen kamen vom Mutterunternehmen, die Arbeitsverträge schrieb die Personalagentur aus, ... – nur die Arbeit selbst machte Frau Meyer mit ihren Dozenten.
Und die hatte gut schimpfen, und das tat sie auch: eine geschlagene Stunde lang, während der wir Bewerber irgendwann zwischendurch je zwei Minuten bekamen, uns ebenfalls vorzustellen. „Ja, ich würde Sie schon nehmen“, sagte sie auf unsere bemühten Ausführungen, „aber 22 Euro gibt’s natürlich nur für Freiberufler. Wenn Sie unbedingt wollen, kann ich Sie natürlich auch fest einstellen, für drei Monate und halb so viel Stundenlohn. Also, ich würd es Ihnen nicht raten ...“ Und dann zog sie weiter her über ihre Arbeit- und Auftraggeber.
Tatsächlich gelang es ihr, zwei der Bewerber abzuschrecken. Ich selber war zwar enttäuscht, ließ mich aber als Springer für Notfälle vormerken - die Firma lag keine 15 Fahrradminuten von meinem Zuhause entfernt, und irgendwie hatte mich Frau Meyers quietschlebendiger Sarkasmus auch mitgerissen.
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