Montag, 9. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 1
Lehrer an einer Privatschule, das wärs. Das hatte ich mir so ausgemalt als Student. Ich hatte mich aus der zusammenbrechenden DDR in das Paradies einer westdeutschen Uni gerettet, von da aus mit Schadenfreude dem Untergang meiner kleinlichen Spießerheimat zugesehen und mich währenddessen ausgiebig mit den herrlich nutzlosen Dingen beschäftigt, die man „Geisteswissenschaften“ nennt. Als es dann ans Geldverdienen ging, war ich voller Verachtung für Beamte und andere Träger einer staatsloyalen Gesinnung und beschloss, an eine Privatschule zu gehen, Da verdienst du dein Geld, sagte ich mir, indem du den feinen Kindern besondere Sachen beibringst – und die Begriffe „Max Frisch“ und „Inhaltsangabe“ kannst du getrost vergessen.
Weit gefehlt. Auch Privatschüler lernen das Übliche – und Schüchternheit als Waffe, das funktioniert nicht für einen Lehrer vor einer sechsten Klasse. Natürlich kann man punkten im Vorstellungsgespräch, vor der Direktorin einer Privatschule, die den zahlenden Eltern einen kultivierten und gebildeten Deutschlehrer präsentieren muss. Aber es genügt nicht, einen Job zu bekommen, man muss ihn auch ausfüllen. Und das konnte ich nicht.
Die ersten zehn Minuten in der sechsten Klasse gingen immer noch, es gab ja ein festgelegtes Ritual: „Guten Tag!“, setzen und die Hefte raus zur Hausaufgabenkontrolle. Dann begannen die Scharmützel. Ich nutzte mein Sanktionen-Arsenal, um die Klasse ruhig zu halten. Öfter gelang das auch, nur Unterricht fand nicht statt. Wer interessiert sich auch schon für Fabeln?
Da war es doch viel schöner bei den Kleinen, den Grundschülern, wo Detektive durch Geheimgänge schlichen und Rechtschreibfehler ausgiebig bekichert wurden. Die Kleinen liebten mich. Leider galt das nicht für ihre Eltern. Die wollten abprüfbare Lernfortschritte sehen, ein Diktat in der Woche war nicht genug. Dabei gab es Lernfortschritte: bei mir, dem Lehrer. Schon nach zwei Monaten brachte ich alle Schüler immer ordnungsgemäß nach unten zum Schulschluss, zu ihren wartenden Eltern, mit einer Hausaufgabe im Hausaufgabenheft, ohne vergessene Mützen und Schultaschen und alle Stühle auf dem Tisch.
Nach vier Monaten zog die Direktorin die Notbremse, wie sie es selbst formulierte im Entlassungsgespräch. Neben ihr nickte bedächtig der Vorsitzende des Schulvereins, ein kühler Mensch im feinen Anzug und Vater von einem der wilden Sechstklässler. Man beließ mir die Abiturklasse, deren Schülerrat sich für mich ausgesprochen hatte, und versah mich mit einer angemessenen Abfindung. Damit beginnt die Geschichte.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Eine neue Geschichte
Ich wollte doch aufschreiben, wie ich zu meinem Job gekommen bin, welchen komischen oder Irr-Weg ich beruflich genommen habe - sollte ein leichter, witziger Text mit politischem Weitblick werden. Aber wie es so ist, wenn man versucht, "gut" zu schreiben, es wird nur krampfig. Diesmal ist es der pure Hass-Text geworden.
Aber sei`s drum, ich stelle das jetzt einfach wieder stückchenweise auf meine Seite, soweit ich gekommen bin, und werde den lustigen Rest später spontan hinzufügen - oder auch nicht.
Viel Spaß mit der neuen Serie! ... und beachtet bitte, dass wie immer Ählichkeiten mit lebenden Firmen oder Figuren (einschließlich mir selber) reiner Zufall sind.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 15. Januar 2009
Meine scharfsinnige Analyse von Uwe Tellkamps "Der Turm", Teil 2
Im zweiten Teil des Buches nimmt das Tempo zu, die Länge der Sätze ab. Menos Lieblingsautorin Judith Schevola wird vom Schriftstellerverband geschasst, Christian kommt zur Armee. Die anderen Figuren machen weiter wie bisher, was angesichts der Umstände immer alberner wird.
Denn die Armeegeschichte um Christian bringt auf den Punkt, wie schlimm alles ist. Kein Platz mehr für Lyrik. Die brutalen Quälereien im Zuge der berüchtigten EK-Bewegung veranlassen Christian stillzuhalten und sich später einer der brutalsten, aber auch souveränsten Figuren anzuschließen: dem Schwarzhändler Pfannkuchen. Endlich gelingt es Christian, in einer überbordenden Situation seine Wut herauszubrüllen. Die Folge ist Schwedt, der Militärknast. Sein Beschützer Pfannkuchen, der ihm beigesprungen ist, muss mit ihm gehen. Es ist ein grausiger Weg, der da beschrieben wird, und besonders grausig ist, dass es für Christian ein Weg in die Emanzipation ist.
Am Ende zerfällt die DDR und man kann nicht mal richtig froh sein. Höchstens erleichtert.
Und was fand ich an dem Buch nun so gut? Das, was der Literaturkritiker Denis Scheck so furchtbar daran fand: dass es „nach Schweiß“ stinkt. Tellkamps Buch ist das Gegenteil von Breloers diszipliniert kalkulierten Werken. Da hat sich einer sehr viel vorgenommen und ist in vielem davon gescheitert, in manchem nicht. Da spürt man in jeder Zeile, dass da ein Mensch um seine Sprache kämpft. Er probiert es mal mythisch-metaphorisch, mal sachlich berichtend, mal satirisch. Sowohl was den Handlungsfaden als auch was den Stil betrifft, setzt er immer wieder neu an, als hätte er den Eindruck, es wieder nicht auf den Punkt getroffen zu haben. Dadurch entsteht ein Buch, das schwer zu lesen, aber ungeheuer reich ist. Nichts ist so, wie es scheint. Die Bewertungen der Figuren werden wieder und wieder umgedreht. Immer, wenn man hundert Seiten gelesen hat, sieht dieselbe Welt wieder völlig anders aus.
Und wenn Ihr mich fragt: Auf den Punkt getroffen hat Tellkamp meistens da, wo er sich am wenigsten anstrengt - in der Beschreibung kleiner Alltagssituationen, die „in nuce“ das ganze Stimmungs- und Konfliktpotential der späten DDR offenbaren.
Vielfach hört man die Meinung, „Der Turm“ sei ein genüsslich zu lesendes Buch, das die Welt der Bildungsbürger nostalgisch heraufbeschwört. Oder gar ein Buch, das sich zur Aufgabe gemacht hätte, die nachträgliche Verklärung der politischen Verhältnisse in der DDR zu entlarven. Nichts ist falscher, nichts ist oberflächlicher als solche Meinungen. „Der Turm“ hat keine platten Botschaften, er ist auch nicht gut zu lesen, die Schätze in ihm, die muss man suchen. Er ist depressiv und schüchtern aufbegehrend, selbstgerecht und angepasst, ärgerlich platt und beeindruckend feinsinnig. Alles, was man will. Nehmt Euch die Zeit und sucht Euren Schatz aus diesem herrlichen Wildwuchs.

... link (3 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 14. Januar 2009
Meine scharfsinnige Analyse von Uwe Tellkamps "Der Turm", Teil 1
Empfehlen muss ich diesmal einen Bestseller. Denn er ist wirklich gut. Ich hätte das vorher auch nicht gedacht, schließlich hat Tellkamp mit einer Vorarbeit zu diesem Buch den Bachmannpreis gewonnen – und diese Vorarbeit war eher – naja, wie sagt man: aufgesetzt? künstlich? musterschülerhaft? – jedenfalls kein Lesespaß und unerträglich bildungshuberisch. Prompt hat es dieser kleine Text ("Der Schlaf in den Uhren") auch ins niedersächsische Zentralabitur geschafft. Ich fand das lustig, ich konnte mir richtig vorstellen, wie jetzt die Studienräte dasitzen und sich sagen: Ja, das ist noch richtig anspruchsvolle Literatur und die Kinder sollen ruhig mal ins Schwitzen kommen in der Klausur.
Wie dem auch sei, auch im „Turm“ sind die Stellen die schlechtesten, wo Tellkamp beweist, was er alles weiß. Dass alte metallene Uhrenzifferblätter „gepunzt“ wurden. Welche Witze man sich 1983 in DDR erzählt hat. Wer zwischen 1930 und 1950 so alles den „Rosenkavalier“ dirigiert hat. Usw. Gähn.
Alles ist auf ein „Opus magnum“ hin angelegt. Der Autor malt ein breites Panorama des Dresden der achtziger Jahre. Im Mittelpunkt steht eine Medizinerfamilie, die halbwüchsigen Robert und Christian Hoffmann, ihre Eltern Anne und Richard (Krankenschwester und Handchirurg) sowie diverse Onkel, Tanten, Nichten und Neffen. Im Mittelpunkt steht die Figur Christian und deren noch pubertäre Sichtweise, was dazu führt, dass Christians Charakter (zumindest im ersten Teil des Buches) ziemlich blass bleibt, z. B. im Vergleich zu den breit ausgemalten Szenen aus dem Klinikleben des Vaters.
Die zweite Hauptfigur ist Christians Lieblingsonkel Meno, Lektor, ein introvertierter, fast schrulliger Beobachter und Schweiger, dessen lyrische Ergüsse oft kursiv in den Text gesetzt sind, versponnene Endlosmonologe zwischen Ironie und gewagter Metaphorik. Meno kennt auch Arbogast, der unschwer als Manfred von Ardenne zu erkennen ist und als solcher in keinem Dresden-Buch fehlen darf.
Ansonsten besteht Menos Arbeit vor allem darin, sich zu den Texten der von ihm betreuten kritischen Autoren möglichst nicht zu äußern, während Christian, abgeschoben ins Internat, die volle Wucht sozialistischer Erziehung zu erleiden hat und heimlich in Verena verliebt ist, weil die sich traut, dem Staatsbürgekundelehrer zu widersprechen. In Christian wiederum verliebt ist Reina, eine scheinbar naive, doch menschlich offene und faire Anhängerin des Sozialismus. Christian, angesteckt von der neurotischen Angst der Elterngeneration, fragt sich (und später seinen Onkel Meno), ob man eine solche Person möglicherweise zurücklieben dürfe. Der sagt erschrocken „nein“. Währenddessen hat sein Vater eine Geliebte und wird damit von der Stasi erpresst.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 3. Januar 2009
Das Jahrhundertbuch (Januar 04)
Folgender Text entstand in den letzten Tagen im Zug:
„Mein Jahrhundertbuch. 51 Liebeserklärungen.“ Wie kam dieses Buch auf den Hocker neben meinem Bett, in diesen Stapel von Schriften, die ich lesen wollte, aber nicht werde? Ich weiß nicht mehr, wer es mir mitgebracht hat – selbst würd ich mir so was ja nie kaufen – ein „ZEIT-Buch“ (!), „herausgegeben von Iris Radisch" (!), Studienratslektüre für Leute, die Literatur nicht selber lesen, sondern nur darüber informiert sein wollen. Bei mir im Zimmer kann man sich aus erster Hand informieren, was das wichtigste Buch des 20. Jahrhunderts sein soll – oder könnte es jedenfalls. Die Staubschichten auf den Bücherreihen zeigen, dass keiner diese Möglichkeit nutzt, ich nicht und ein anderer schon gar nicht. Hat mir deshalb einer dieses Buch geschenkt? Einer von denen, die sich damals über Iris Radisch und Sigrid Löffler im „Literarischen Quartett“ die Köpfe heiß redeten und sich wunderbar literarisch interessiert dabei vorkamen, obwohl sie ihre Freizeit mit jeweils 2-3 verzogenen Gören sowie in Sportklubs und vor CD- und DVD-Regalen verbringen, anstatt zu lesen, und die in mir, in ihrer Freundschaft zu mir immerhin den Beweis sehen, dass sie noch nicht ganz verblödet sind?
Und jetzt kräht selbst ein Säugling im Zimmer neben meinem, einer, der nichts weiß von Iris Radisch und der ZEIT, einer, der mich anlachen möchte oder schreien oder einfach umhersabbern und an seinen Zehen spielen – alles, nur nicht schlafen, und noch schlimmer, jetzt geh ich jeden Tag arbeiten, um Geld heranzuschaffen für die Frau, die ihn stillt und die mich zu umarmen versucht, wenn ich schon nichts mehr spüre, weil es so warm ist, so überheizt in dieser überfüllten Zwei-Zimmer-Wohnung und ich den Tag, den lieben langen Tag in Klassenzimmern verbracht habe und vergeblich den Lehrer gespielt, eine Figur also, die ich selber bedauert habe, als ich noch Schüler war und frei zu denken, was ich wollte.
Aber das wollte ich nicht sagen, ich wollte über „Das Jahrhundertbuch“ reden. Wollte mich lustig machen, wie erwartungsgemäß langweilig da alles daherkommt: wenn Jerofejew sich aus fadenscheinigen Gründen für Nabokows „Lolita“ begeistert – weil ihn der Verkaufserfolg offenbar mehr fasziniert als die guten Bücher, die Nabokow immerhin auch geschrieben hat. Wenn Salman Rushdie ganz den gelehrigen 3.-Weltler markiert, indem er den mainstreamigsten Klassiker aus der 1.-Welt-Literatur empfiehlt: „Ulysses“, den keiner von uns gelesen hat, es sei denn im Grundstudium oder an der Volkshochschule. Und wenn den mittleren Europäern nichts anderes einfällt als Kafka, Kafka und natürlich Hitler und Stalin.
Jetzt liegt dieses langweilige Buch auf meinem Nachttisch, auf dem Gerät, das mein Nachttisch sein soll oder hätte sein sollen. Denn wozu brauche ich einen Nachttisch, da ich abends nicht zum Lesen komme und morgens aus dem Bett spring, weil ichs eilig hab. Und die Brille leg ich lieber auf das Fensterbrett. Die Sachen auf den Fußboden, weil mich das an das Chaos von früher erinnert, als es noch ein fröhliches war. Meine Freundin liegt nebenan mit dem Kleinen und auch ich liege manchmal nebenan, meistens sogar um ehrlich zu sein, wenn mir nach Nähe ist, wenn ich lebendig bin. Und das Buch auf meinem Nachttisch verstaubt. Was sollte ich auch damit in einer Welt, in der es keine patriarchalischen Diktatoren gibt und auch keine Lolitas.
Mein Chef ist ein müder, alter Mann, weißhaarig, mit traurigen Augen und einer Vorliebe für kleine Witze und ironische Bemerkungen. Entscheidungen scheut er. Dass er mir gekündigt hat letzte Woche, das war überhaupt nicht er, das ist wie ein Blitzschlag durch ihn durchgegangen von irgendwoher – das hat nun mich getroffen, und er blickt sich verwundert um, wie er das Phänomen überlebt hat. Wie ich es überlebt habe, interessiert ihn so wenig wie die meisten Erscheinungen dieser Welt.
Und ich wittere eine Chance, wieder zu meinen Büchern zu kommen, in meine Bücherhöhle, in die Phantasiewelt des 20. Jahrhunderts: wo es um Macht geht und Katastrophen, um zerstörerische Triebe und Giganten, die ganze Völker morden, um die Größe des Untergangs. Ja, ich weiß, es gibt das alles. Aber es ist nur ein Bruchteil, es sind nur Buchtitel, es ist nicht das Ganze. Und ich, wenn ich das Buch des Jahrhunderts wählen sollte, ich nennte nicht den „Prozess“ und auch nicht „Das kleine Arschloch“ – sondern den „Roman eines Schicksallosen“. Oder Anna Seghers’ Roman über den Identitätslosen, der bleiben will, bleiben und leben.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mal wieder Resteverwertung
Auch wenn mein Publikum nicht sehr zahlreich ist, bemühe ich mich doch, es zu unterhalten. Natürlich auch, weil ich mich zu meinem Thema verbreiten will - das weniger und weniger die DDR ist und immer mehr ein Nachdenken über eine Haltung ist, die ich einzunehmen anstrebe und auch in den jeweils rezensierten Filmkunstwerken suche und nicht immer finde: Authentizität, Überwindung von Klischees oder so. Und da ich gerade anhand "Leben der Anderen" mit haruwa über das Klischee vom patriarchgalen Despoten uneins war, hier nun ein älterer Text aus meiner Schublade dazu, der halbwegs autobiografisch, teilweise aber auch nur daherphantasiert und -schwadroniert ist. Viel Spaß damit!

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 23. Dezember 2008
Ein Pamphlet für das Genie
Meine Verbindung zur Welt ist, dass ich manchmal in N3 die Talk Show gucke. Am Freitag kam Heinrich Breloer, um seinen neuen Film zu promoten: „Die Buddenbrooks“, wie Ihr sicher alle wisst. Da war ich doch ziemlich neugierig, den Mann mal zu Gesicht zu bekommen, den ich so überhaupt nicht abkann. Warum so aggressiv? Werdet ihr fragen. Na, wegen „Todesspiel“ von 1997, einem Dokudrama über Hanns Martin Schleyer und die RAF-Terroristen. Ist das Genre des Dokudramas ja eh schon fragwürdig (da Dokudramen Geschehnisse sehr stark interpretieren, diese Distanz zur Wahrheit aber oft nicht entsprechend reflektieren), so war „Todesspiel“ wohl eher Drama als Doku: Wer Schleyer oder die RAF vorher nicht kannte, wusste nach dem Gucken des Films auch nicht mehr, war aber sicher spannend und effektvoll unterhalten. Ich guckte damals mal in den Regalen der Bremer Uni-Bibliothek nach, was die zum Thema Breloer sagten – und traf auf ein Buch von ihm (und Ko-Autor Königstein) über einen lokalhistorischen Fall aus Hamburg – und auch da dasselbe: Verhinderung von historischem Verständnis durch die Anhäufung von historischen Fakten. Und „Die Manns“ war die höchste Verfeinerung dieser Methode: historische Fakten, leicht konsumierbar angemixt mit ausreichend bürgerlichem Leben (für die Zuschauer zum Sich-selber-Wiederfinden), aber auch genügend Homosexualität und Revolte (damit es spannend wird) – und natürlich ausreichend Genie und Kultur, damit wir nicht den Eindruck haben, platten mainstream zu gucken.
Wie dem auch sei – ich war verblüfft, Herrn Breloer selber nett zu finden. Er ist halt ein Kaufmann: ist richtig stolz darauf, mit welcher Disziplin und welchem wirklich professionellen Verhalten er sich in dem ihm neuen, noch etwas fremden Metier des Spielfilm-Regisseurs behauptet – dass er im Gegensatz zu anderen, vielleicht „künstlerischeren“, aber ökonomisch nachlässigeren Regisseuren eben nie „eine Million in den Sand“ setzt, auch nicht bei widrigen Umständen. Begeistert sich an den technischen Finessen, mit denen er es hingekriegt hat, seine Schauspieler in Lübeck ins Buddenbrookhaus gehen zu lassen und dann fast ohne Schnitt in der Diele ebendieses Hauses stehen zu lassen, obwohl es diese Diele seit den Bomben auf Lübeck im 2. Weltkrieg nicht mehr gibt und sie aufwändig im Kölner Studio nachgebaut wurde. Und begeistert sich vor allem für das ökonomische Geschick Thomas Manns, mit dem er seine „Buddenbrooks“ ungekürzt an den Verleger gebracht hat, wohl wissend, dass sie so – als konservative Familiensaga – den größten Erlös versprechen.
Recht hat er. Und sicher ist es nicht verkehrt, mit solcher Haltung an seine Arbeit heranzugehen. Nur ist das nicht meine Welt. An den „Buddenbrooks“ mag ich nicht die historische Präzision um der Präzision willen. Ich mag nicht den Kaufmann Thomas Buddenbrook und seine sentimentalen Gefühle. Ich mag die kleine Novelle, die dem Buddenbrook-Projekt tatsächlich zugrunde liegt: die Geschichte um den zarten Hanno (der unter seinem autoritären Vater Thomas leidet) und seinen Freund Kai Graf Mölln, den stillen Revolutionär und Adeligen des Herzens.
Wenn Thomas Buddenbrook seine Spekulationsgewinne in einer Missernte verliert, kann ich nur schadenfroh lächeln. Und wenn alle ins Kino laufen, die „Buddenbrooks“ ansehen, dann bleib ich zu Hause.
Eine gute Freundin nannte ihren Sohn Hanno. Kai wäre noch besser gewesen. Kai Graf Mölln „mit den staubigen Händen“ und seinem Gutshof, der ein Hühnerhof war. Das Edle ist nicht präzise und perfekt. Und daher meist auch nicht ökonomisch erfolgreich. Perfektion ist Mittelmaß.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 15. Dezember 2008
Ein orientalischer Kalauer
Hitler rühmte sich, die Juden mit offenem Wesir bekämpft zu haben.

(hab ich mir nicht ausgedacht, hat wirklich ein Schüler geschrieben)

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 5. Dezember 2008
Hat er nicht Recht?
Wir erleben so viel, so hastig und so weihelos-undeutlich. Wir sind kein zuversichtliches Geschlecht, aber wir betasten viel zu viele Dinge; wir reden auch zu laut, zu schnell und von zu vielem; wir sind zur Anmut nicht gesund genug und allzu arm an innerer Musik.

Das schrieb mein Lieblingslyriker Hugo von Hofmannsthal 1892. Und es stimmt immer noch, für uns Blogger sowieso.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 30. November 2008
1. Advent
Im Arbeitszimmer meiner Eltern standen (und stehen) zwei identische Schreibtische aus der Möbelfabrik Hellerau, mit deren Namen und Formenkanon sie Erinnerungen an die Aufbruchzeit der klassischen Moderne verbanden. Der von meiner Mutter immer relativ aufgeräumt, der von meinem Vater ständig überfüllt. Das war weiter kein Problem, denn er arbeitete im Büro, wo seine Sekretärin den Schreibtisch aufräumte. Auch wenn er sonntags was zu schreiben hatte, fuhr er ins Büro.
Ein Problem gab es nur, wenn mein Vater Geburtstag feierte (meine Mutter begann mit Geburtstagsfeiern erst, als die Kinder aus dem Haus warten und sie sich freier fühlte) und die Wohnung aufgeräumt aussehen musste. Er nahm dann meist einen großen Karton, warf den ganzen Schreibtischinhalt rein, schrieb das Datum drauf und ab in den Keller. Wenn die Kiste dann Wochen oder Monate später wieder geöffnet wurde, war das meiste verjährt und konnte getrost weggeworfen werden.

Wie man sieht, habe ich die väterlichen Wertvorstellungen verinnerlicht. Nur dass ich keine Sekretärin habe und in diesem Wust wirklich arbeite. Immerhin hab ich es heute geschafft, mal die Notizen und Kopien aus der Zeit meiner Dissertation wegzuwerfen, die ich sowieso nie wieder lese, vermutlich nicht mal mehr verstehen würde. Ein seltsames Gefühl, die aus elterlichem Ehrgeiz entstandenen Träume vom Wissenschaftler-Leben als zwei Kartons Altpapier im Treppenhaus stehen zu sehen: befreiend, aber auch traurig. Angekommen in der Ärmlichkeit des realen Lebens.
Aus einer der Kisten fiel beim Aufräumen ein kleines Figürchen mit Doktorhut, noch von der Party nach der Verteidigung – das hat sich gleich mein Sohn geschnappt, um es seiner Playmobil-Familie einzuverleiben. Und ich seh ihm dabei zu und konstruier mir aus der harmlosen Handlung ein Familien-Happy-End, das gar nicht stimmt, denn natürlich hätte auch mein Sohn lieber einen Direktor
zum Vater („Stimmt es, du bist der Chef!“ fragte er mich mit leuchtenden Augen, als er mitangehört hatte, wie ich von der Koordinierung dreier kleiner Alphabetisierungskurse erzählte).

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 28. November 2008
Mal wieder ein Kalauer aus meinen Korrekturen ...
Die Beerdigung seiner Tante Frieda ist der nächste Einschnitt sowie ein Auffahrunfall.
-
Ist das nicht schön?

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 25. November 2008
Aus dem Nähkästchen geplaudert ...
In der Politik sind immer die Details interessant. Ich hatte dienstlich einen Text zu lesen über die Ökonomisierung des sozialen Bereichs. War inhaltlich aber mau: Als Fazit kam nur heraus, dass jetzt im sozialen Bereich gespart wird, was zu Einbußen bei der Qualität der geleisteten Arbeit führt. Wer hätte das gedacht?!
Aber es gab ein interessantes Detail: Irgendwo am Rande wurde bemerkt, dass Sozialarbeiter ja zu allem Überdruss auch noch zusätzlichen Stress dadurch hätten, dass ihre Klienten einen „Karrieresprung“ gemacht hätten – „von Bedürftigen zu Kunden“ – wobei zu bedenken sei, dass diese aufgrund psychischer Einschränkungen ja auch nicht immer souverän reagierten.
Das kann man wohl sagen! Letzte Woche haben sich zwei erwachsene Frauen vor der Tür unserer Schule geprügelt; heute hatte ich eine Aussprache mit Herrn L., der nicht mehr zum Kurs kommen will, weil Frau M. sagt, dass er stinkt. Der reinste Kindergarten!
Aber wie dem auch sei: Das sind meine Kunden und ich bin kein Erzieher. Muss nur mit dafür sorgen, dass alles so weit möglich reibungslos läuft. Wenn mir jetzt jemand kommt und will das alte patriarchale System zurück, wo er schön von oben behütet und beschützt wird (z. B. mit ausreichend Gehalt), auf dass er auch nach unten schön behüten und beschützen kann und dabei ungeheuer wichtig sein – das macht mich aggressiv.
Ich finde die Entwicklung gut, bei der Bedürftige endlich auch als Erwachsene akzeptiert werden, so gestresst und neurotisch sie auch immer sein mögen. Ich hab auch keinen erzieherischen Impetus, meine Teilnehmer zu besseren Menschen machen zu wollen. Ich verkaufe eine Dienstleistung und fertig.
Diese Idee ist das Erfischende und Schöne an dem System, das allgemein mit dem Namen „Agenda 2010“ assoziiert wird. Es herrscht wirklich ein anderer Geist in den Einwanderer-Sprachkursen („Integrationssprachkurse“), die 2005 erfunden wurden - vergleicht man sie mit den herkömmlichen Arbeitslosen-Sprachkursen für Migranten („Maßnahmen“, wie sie entlarvenderweise heißen): Interesse, Orientierung an der Sache bei den Sprachkursen – Kontrolle, Dumpfheit bei den Maßnahmen.
Dass der Staat für die neuen, frischen Kurse lächerlich geringe Summen zahlt und dass deshalb jede Sprachschule möglichst viele der alten, tendenziell sinnlosen, aber besser bezahlten Arbeitsamts- und Arge-Maßnahmen an Land ziehen muss, das ist eine andere Sache.
Das ist wohl normal, dass bei Reformen immer gleich mit versucht wird, gewohnheitsmäßige Privilegien der jeweils Wehrlosesten abzuschaffen. Wer aber jetzt „Weg von der Agenda 2010 und zurück zu den guten, alten patriarchalen Strukturen!“ fordert, der vergisst, dass er vielleicht diese Strukturen, nie aber die Privilegien zurück bekommen wird.
Zum Papa-Kohl-Sozialstaat führt kein Weg zurück, Gott sei Dank! Was wir dadurch an Freiheit gewinnen, sollten wir festhalten; was wir dadurch an Lebensstandard verlieren, müssen wir wieder einklagen. Wenn mir bloß einer sagen könnte, wie!

... link (0 Kommentare)   ... comment


<