Ada stellte den Computer ab, es hatte doch keinen Zweck. Gern wäre sie jetzt irgendwo draußen gewesen. Aber sie konnte ja niemanden unter die Augen, so wie sie jetzt aussah. Und vor allem wollte sie es nicht. Lieber zu Hause eine Flasche Wein aufmachen, ganz allein. Sie ging zu ihrem ganz persönlichen Reservoir in der Küche, nahm sich auch ein Glas und einen Korkenzieher mit und versuchte es sich auf dem winzigen Balkon bequem zu machen. Vielleicht könnte sie nachher weinen.
Natürlich war der Streit fällig gewesen. Die Freundinnen hatten ja schon zu lachen begonnen über den schmalen, blonden Schweiger, der da seit Wochen in ihrer Wohnung umhersaß, ohne einen Ton zu sagen. Man musste doch wissen, woran man war. Diese wortlose Harmonie war einfach nicht zu ertragen gewesen.
Am Anfang war er immer nur an den Wochenenden nach Berlin gekommen. Hatte irgendwann am Freitagabend vor ihrer Tür gestanden mit seinem Seefahrerrucksack und seiner Gitarre. Wie ein Täuferjüngling mit seinen langen lockigen Haaren, so still und so dringlich. Und war am Sonntag verschwunden, wie er gekommen war, mit Sack und Pack und einem verhuschten Gruß: „Ich muss los.“ Als aus den Wochenenden halbe Wochen und dann ganze wurden, war es ihr erst unheimlich. Die Wohnung war einfach zu klein, sie fühlte sich beobachtet. Beim Saubermachen oder wenn sie mit ihrer Mutter telefonierte. Und wenn Silvia und Nicole plötzlich in die Wohnung einbrachen und die halbe Nacht blieben, das war nicht halb so schön, wenn er nebenan schlief. Manchmal hätte sie ihn am liebsten rausgeschickt, aber musste sie nicht Angst haben, ihn dann für immer zu verlieren? Ada wusste, es liegt an der Wohnung. Ausflüge waren ihnen nie gelungen, eine Auto- oder Bahnfahrt war gleichbedeutend mit Streit. Selbst bei gemeinsam besuchten Partys lief es in der Regel darauf hinaus, dass er „dann schon mal nach Hause“ ging und ihr am nächsten Morgen ein Katerfrühstück ans Bett brachte. Johannes war ein wunderbarer Koch. Adas Küche war der Raum, wo er sich zuerst eingenistet hatte. Und es war der Raum, wo sie zum ersten Mal begriff, dass sie es liebte, ihn um sich zu haben. Er durfte sogar ans Weinregal.
Aber nun standen die bösen Worte im Raum. Hier mitten im Zimmer war es passiert, dass sein Mund aufging und diese hässlichen Sätze herausließ. Das war schon was andres als ihre üblichen Freiluftstreitereien. Als er im April in der Wuhlheide sich einfach in einen Seitenweg geschlagen hatte, statt ihr zu antworten, und eine Woche später aus Dresden anrief, da hatte sie ja ihre Wohnung gehabt solange, ihre Freundinnen, ihr Weinregal. Jetzt war es ernst. Denn es war ihre Wohnung, ihr Zimmer, in der jetzt alles nach seinen Aggressionen, nach seinen fixen Ideen roch. Was hatte sie mit seiner Erziehung zu tun, mit irgendwelchen lange vergangenen Konflikten in der mecklenburgischen Provinz. Wie ausgesperrt saß Ada auf dem Balkon. Sie sah runter auf den Kinderspielplatz, auf die S-Bahn im Hintergrund, sie war verlassen von aller Welt.
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Was aber das Schreiben betrifft: Nun, die Schublade ist noch voll genug, und wenn keine Zeit und kein Gehirnschmalz für neue Text da ist, werden erstmal die alten verbraten: Es folgt eine kleine Webnovela mit dem titel "Halt auf freier Strecke", die ich Ende der neunziger schrieb. Und wer würde das nicht gern: einfach auf freier Strecke anhalten und alles abbrechen?
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Ich erinnerte mich aus diesem Anlass an meinen ersten Egoyan-Film – und sah ihn auch nochmal. Es war 1993 und ich war als Student in einem SouterrainZimmer in Westdeutschland gelandet, wo ich die Nächte hindurch die Cineasten-Programme der Öffentlich-Rechtlichen verfolgte und jeden Dienstagabend vor dem „Kleinen Fernsehspiel“ saß. Da kam er, dieser eigentlich unmögliche Film: der ohne eigentliche Handlung auskommt, in dem 14 Sprachen gesprochen werden (und nur das Englische ist untertitelt) und den zwölf wunderschöne Kalenderblätter als so genannte Stills strukturieren – Kalenderblätter mit Aufnahmen armenischer Kirchen, dazwischen erzählen wackelige Videoaufnahmen, in denen jemand willkürlich vor- und zurückspult, wie die Fotos entstanden, und zwölfmal sieht man als Kontrast den Fotografen ein Jahr später in seinem kalt und künstlich ausgeleuchtetem Wohnzimmer in Kanada vor dem Kalender sitzen und leiden.
Ich begriff vor diesem Film alles: Dass alles verloren hat, wer sein inneres Armenien verloren hat. Dass es aber keinen Zweck hat dorthin zurückzugehen. Denn es sieht zwar wunderschön aus, aber es ist so arm und autoritär wie eh und je. Und dennoch: Wer es verleugnet, der wird in der Eiseskälte der westlichen Welt erfrieren.
Die Helden des Films sind die Frauen. Zwölf Frauen. Sie sprechen armenisch, deutsch, türkisch, serbokroatisch usw. Sie tragen die Erinnerung an die Heimat mit einem Stolz durch den anglophonen Westen, der sie zu den eigentlichen Westlerinnen macht. „Was heißt, du betrachtest dich als Ägypterin?“ fragt der Fotograf eine der Frauen, die gar nicht in Ägypten geboren ist, nur einen Großvater von dort hat. Es heißt Stolz, Erinnerung. Nicht Regression. Nicht Ostalgie.
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Und so ging es weiter: Als ich mit 17 die Politik für mich entdeckte, war es dann „Vermisst“ von Costa-Gavras – und Sissy Spacek als blasser Hippie die schönste Frau der Welt. Die realen Begegnungen mit Frauen dann eher desaströs – aber es gab ja Gott sei Dank Michel Serrault, der sich von Lino Ventura einfach nicht unterkriegen lässt, und ich erklärte „Das Verhör“ zum Filmkunstwerk Nr. 1.
Gut zehn Jahre später, immer noch zappelnd in postpubertären Verstrickungen, rettete mich „Lost Highway“ aus der beamtenmiefigen Tristesse eines Staatlichen Studienseminars in der niedersächsischen Provinz, wo ich mich schon fast aufgegeben hatte: Wenn diese – Lynchs – Art der Weltsicht sogar hollywoodkompatibel ist, sagte ich mir, dann bin ich vielleicht doch nicht so verkehrt in dieser Welt.
So retten einen Filme, und so verwechselt man Qualität manchmal auch mit der persönlichen Gefühlslage. Ich hab sogar mal (unter dem akuten Eindruck einer Psychotherapie) zwei Jahre lang geglaubt, „Mulholland Drive“ wäre noch besser als „Lost Highway“. Natürlich ein Irrtum. Und seit „Brokeback Mountain“ ist ja auch „Das Hochzeitsbankett“ nicht der Weisheit letzter Schluss.
Ein Film aber, und das erstaunt mich fast, der bleibt: „Calendar“ von und mit Atom Egoyan aus dem Jahr 93. Ich hab ihn aus aktuellem Anlass wieder gesehen letzte Woche, von derselben schraddeligen alten Videokassette – und er ist noch immer großartig.
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Der erste Reflex, wenn man von dieser Tatsache hört, ist ja logisch: Aha, die Stasi wars! Nach Aktenlage, wie sie in den Medien nun ausgebreitet wird, ist die Sache aber komplizierter: Kurras arbeitete zum Tatzeitpunkt als Angehöriger einer Spezialtruppe, die in der Westberliner Polizei nach Stasispitzeln suchen sollte. Gleichzeitig arbeitete er selbst als Stasi-Spitzel. Am besagten Tag hatte er den Auftrag, als Zivilfahnder auffällige Studenten aus der Menge zu isolieren und zu verhaften. Nach der Tat zeigte sich die Stasi entsetzt und beendete die Zusammenarbeit. Gleichzeitig setzten seine anderen Dienstherren alles in Bewegung, um eine Verurteilung wegen Mordes zu verhindern: Zeugen wurden nicht zugelassen, Beweismittel verschwanden. Kurras wurde freigesprochen. Und auch seine jetzt aufgefundene Akte bei der Stasi erweist sich, zumindest für die Zeit nach dem 2. Juni 1967, als „ausgedünnt“.
Die Frage ist nun, welcher Geheimdienst diese Akte denn nun ausgedünnt hat und in wessen Auftrag Kurras geschossen hat: in ostdeutschem, in westdeutschem oder vielleicht doch in seinem eigenen. Die Wahrscheinlichkeit spricht meines Erachtens ja doch für den westdeutschen Geheimdienst. Aber es ist auch egal. Denn so oder so ist das Fazit eindeutig: Die größten Feinde der Demokratie sind die Spitzel – egal, ob sie nun Karl-Heinz Kurras, Peter Urbach, Erich Mielke oder Markus Wolf heißen, egal, ob sie im Auftrag handeln oder selber denken - eins ist so schlimm wie das andere.
(... und schöne Grüße an die Kollegen vom BMI, falls ich ihre Suchmaschinen aktiviert haben sollte ...)
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Astrid Laue also, die Kollegin (die in der hier auftretenden Form natürlich genau so verfremdet und Fiktion ist wie alles andere auch). Von der ich nach drei Tagen schon weiß, dass sie ihren Literatur-Prof. so distanziert angeschwärmt hat, dass ihr am Ende nichts als ein nutzloser Magister-Abschluss davon übrig blieb; dass sie das Erbe ihrer Eltern in eine kleine Eigentumswohnung investiert hat – in einer Stadt, in der es keinen Job gibt für sie, an der Uni schon gar nicht; die ihren Vater hasst für seine rechten Überzeugungen und weil er nicht ihr Vater ist (und ihre Mutter für den Seitensprung); die Herrn D. aus dem Kurs für einen „Faschisten“ hält, weil der ein Macho und Prolet ist und ihr das sehr bekannt vorkommt – und weil er ihr in der Frühstückspause das Handy vom Lehrertisch klaute, um sie zu ärgern. „Aber da kann man doch was tun, da kann man doch die Polizei rufen.“ sag ich, und sie antwortet: „Das haben wir auch getan.“ Die Polizei, fremdenfeindlich und unterbeschäftigt, wie das in der Provinz wohl so ist am Vormittag, fragte nur: „Wie viele Ausländer?“ und erschien zwanzig Mann hoch auf dem Gewerbehof, in dessen Hinterstübchen der Unterricht stattfand. Und natürlich lag dann das Handy plötzlich auf dem Aschenbecher der Raucherecke, als hätte es Astrid selber da vergessen. Nicht anders als in der Schule, damals in der achten Klasse.
Nicht anders als in der Schule auch die Team-Sitzungen, in denen Astrid Laue dann besonderes Interesse an den pädagogischen Einschätzungen der Teilnehmer für die Arge (Hartz-IV-Behörde) zeigte, während Herr Y. (Single, Porschefahrer und Leiter einer kleinen Werkstatt, in der alte Stühle aus den umliegenden Firmen von 1-€-Jobbern für den Schuldienst in Afghanistan aufgemöbelt wurden) mit Vorliebe viertelstundenlang über Arbeitsschutzvorschriften referierte und wie das Unfallbericht-Buch am Verbandskasten korrekt zu führen sei.
Und zwischendurch ich, wie alle anderen auch ein am Höheren Gescheiterter, der sich einfach immer nur stumm wunderte, wo er hier gelandet ist ...
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Wolfgang Thierse hatte als einziger Recht, war aber zu höflich, das auch direkt auszusprechen: Der Begriff „Unrechtsstaat“ verbietet sich aus Gründen des guten Geschmacks (nicht etwa, weil er falsch wäre). Denn er dient offensichtlich nicht dazu, historische Aufklärung zu befördern, sondern im Gegenteil dazu, ein endgültiges Klischeeurteil zu etablieren, aus dem dann interessierte Kreise politischen Mehrwert schlagen können.
Schäuble selber ist das beste Beispiel – 1990 hat er bewiesen, dass ihm nicht sonderlich an den Ostdeutschen gelegen ist: eine Wiedervereinigung, bei der vielleicht das Zusammenleben neu organisiert, gar die Verfassung neu verhandelt worden wäre, wie es das Grundgesetz vorsah – das Zugeständnis waren wir ihm nicht wert. Und jetzt bedauert er unser Leiden unter dem SED-Regime. Danke! Wenn er Unfreiheit so schrecklich findet, warum bemüht er sich dann seit Jahren, sie hier im Westen zu beschneiden?
Und Hubertus Knabe, der ihm ungewollt assistiert und die sachlichen Argumente liefert, hat mich traurig gemacht: ein verirrter Mensch. Besessen von seiner Aufgabe, einer wirklich wichtigen und noblen Aufgabe (nämlich die Täter von damals an den Pranger zu stellen), verliert er den Überblick und die Bodenhaftung. Etwa wenn er die doch einfach nur kommerzielle Ostalgie-Welle für eine Beleidigung der Opfer hält. Das ist doch nun wirklich übertrieben und humorlos. „Peinlich“ ist die Ostalgie, meinte Thierse – das trifft es viel eher.
Langsam hab ich keine Lust mehr, über DDR-Themen zu diskutieren ...
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Interessant fand ich die Beobachtung eines Freundes, der meinte: Wirklich Angst haben die Leute, die in großen Firmen arbeiten, quasi die kleinen Leute aus großen Firmen.
Könnte es nicht sein, dass die Finanzkrise (jedenfalls für uns hier in Deutchland) nichts anderes ist als die nächste Stufe der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich? Ich meine: so wie bei Hartz IV. Da war ja die allgemeine Entrüstung auch nicht der Tatsache geschuldet, dass man mit Hartzt IV nun schlechter leben würde als vorher mit Sozialhilfe - sondern der Tatsache, dass nun Menschen in den Genuss der Sozialleistungen kamen, die sich meilenweit darüber erhaben dünkten.
Und jetzt: Was befürchten die Verängstigten? Doch nichts anderes als einen Status, in dem wir anderen (sich mit mehreren Jobs, freiberuflich, befristet usw. Durchhangelnden) selbstverständlich schon zehn Jahre leben. Oder?
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Aber so ist das: Jeder entwirft sein Konzept aus seinen Bedürfnissen heraus. Und manchmal kann das ja sogar passen: Jedenfalls fand ich das pädagogisch gar nicht abwegig, dass in meinem Kurs die deutschen ehemaligen Sonderschüler auch mal als klug dastehen konnten, weil ihnen nämlich der deutsche Alltagsgrundwortschatz durchaus vertraut war. Da konnten sie die Ausländer belehren, und diese konterten, indem sie häufig die Regeln der deutschen Grammatik schneller begriffen. Ein schönes Geben und Nehmen.
Und da fühlte ich mich wieder bestätigt: Ich war ganz unten, und ganz unten funktionierte es. Schon im Fortgeschrittenen-Kurs nebenan war das anders: Der iranische Ingenieur, der russische Jugendliche mit Knasterfahrung und der deutsche Sonderschüler mit acht Klassen hatten sich herzlich wenig zu sagen.
Ich fühlte mich auch bestätigt, weil hier die üblichen methodischen Tricks versagten und meine Klientel mit ihrem Chaos scheinbar meine gehassten pädagogischen Lehrer ins Unrecht setzte.
Der besagte Landarbeiter (ein „echter“ Analphabet übrigens) war von meinem Vorvorgänger (bezeichnenderweise wechselten hier die Lehrer schneller als die Schüler) bewegt worden, die Buchstaben aus Knete zu formen, um sie sich sinnlich erfahrbar zu machen. Natürlich ohne Erfolg. Ich war sehr erheitert, dass dieser beschränkte, sehr gutwillige Fünfzigjährige hier also offenbar ein paar Wochen Knetfigürchen gebastelt hatte, und versuchte es nun meinerseits mit der Ganzwortmethode, an die ich mich noch aus dem Studium flüchtig erinnerte, weil sie einst irgendwelche ideologischen Flügelkämpfe in der Grundschulpädagogik ausgelöst hatte: Ich ließ den Mann Memory-Kärtchen auswendig lernen – auf der einen Seite das Bild, auf der anderen Seite das Wort. Und brachte ihn tatsächlich dazu, dass er nach zwei - drei Wochen viele der Wörter als sogenanntes Wortbild und sogar einige Anfangsbuchstaben sicher erkennen konnte.
Nur bei dem „Arzt“-Bildchen gab es Probleme – weil er immer wieder vergaß, dass der „Dokter“ ja „Arzt“ zu nennen sei und folglich mit „A“ beginne. Allerdings helfen ja auch die Anfangsbuchstaben noch nicht weit: Woher seine Lebensgefährtin kommt – Peru oder Portugal – das brachte er immer wieder durcheinander. Insofern hatte meine Chefin – der die deutsche Sprache piepegal war – letztendlich Recht: Sie sprach von „sozialer Stabilisation“ und meinte damit, dass ein Mensch, der jeden Tag einer Beschäftigung nachgeht (und seien es Knetfiguren), anstatt zu Hause rumzuhängen, signifikant weniger säuft.
... nun, sollte hier ein Grundschul- oder DaF-Pädagoge mitgelesen haben, wird er vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen über so viel unprofessioneller Stümperei. Aber genau das will ich erklären: Stümperei ist das nicht – es ist Dilettantismus! Und zwar im edelsten Sinne, so wie ihn Alfred Lichtwark verstand (http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Lichtwark): Ich hatte keine Ahnung von irgendwas – ich hatte nur eine Erfahrung. Als Kind einer elitären Schicht (deren Privilegien ich nicht mochte und die es auch nicht mehr gibt) war ich als Jugendlicher in die Fänge der NVA geraten, wie ich hier schon berichtet habe – und da haben mich die Prolls gerettet, die Heavy-Metal-Fans – und es war damals schon so, dass meine Bildung und ihr Chaos eine ganz gute Mischung ergaben. Das ist ein rückwärtsgewandter, ein konservativer Ansatz. Aber er funktioniert. Liebe Pädagogen, glaubt es mir: Ich habe Menschen etwas beigebracht! Als letzte Woche N., mein Sorgenkind aus dem derzeitigen Kurs (aus Afrika, nie zur Schule gegangen, kann nach einem Jahr langsam kurze Sätze entziffern, und zu mehr wird sies nicht bringen) stolz erzählte, dass sie beim Hausmeister war, und er hat verstanden, dass die kleine Lampe im Flur kaputt ist, da hat sich ihr Stolz ganz und gar auf mich übertragen.
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Deshalb ganz kurz:
1. ist der Zeitnehmer zu nennen, da er meine Initialzündung war: http://zeitnehmer.blogger.de/
Er wohnt bei mir in der Nachbarschaft, als unsere Wohnungsgenossenschaft einen Leseabend für Hobbyliteraten veranstaltete, trat er auf, ebenso wie ich. Von ihm hab ich den Hinweis auf blogger.de bekommen und es ihm nachgetan. Habe auch lange mit Freude seine Texte verfolgt, wobei mich die literarischen meist weniger beeindruckten als seine kurzen und klugen Kommentare zum eigenen Leben, insbesondere mit Kindern. Inzwischen schreibt er leider kaum noch. Vermutlich arbeitet er zu viel (als ob das ein Grund wäre! - das tu ich auch). Jedenfalls lauf ich jeden Morgen unter seinem Fenster vorbei, wenn ich meinen Sohn zum Kindergarten bringe - und wie schön es da aussieht, das könnt ihr auch auf seiner Seite sehen.
2. Wondergirl: http://wgirl.blogger.de/
Da les ich immer schon mit. Wondergirl studiert irgendwas Geisteswissenschaftliches, hat eine stressige Familie und schreibt ständig in ihrem Blog. Insofern nichts Ungewöhnliches. Da sie aber offenbar charakterlich wie auch was das Schreibtalent betrifft, etwas aus der Reihe fällt – liest sich das großartig. Manchmal etwas banal, manchmal interessiert mich das Jugendzeugs nicht, meistens aber: göttlich.
3. Göttlich ist auch „tief unten“, der Fotograf aus dem Ruhrgebiet: http://suentese.blogger.de/ Ich glaube, ich habe wenig Verständnis für seine techniklastige Kunstauffassung. Aber seine Fotos! Der fotografiert einfach dokumentarisch Straßenecken, Bahnübergänge, Hausfassaden – mit einem Minimalismus, dass es einem ans Herz geht. Und wenn er dann die Homepage von seinem Bäcker verlinkt, dann könnte man fast glauben, im Ruhrgebiet wär die Welt noch in Ordnung.
4. ist meine neue Entdeckung: http://mad.blogger.de/ Kann ich noch nicht viel drüber sagen, außer dass er äußerst sympathisch und klug schreibt, außerdem weckt er Heimatgefühle nach Bremen, wo ich zehn Jahre gelebt hat. Seine Texte sind – von den bisher erwähnten - am ehesten literarisch zu nennen: Man schmökert sie weg.
5. Lady Woodstock: http://atwoodstocks.blogger.de/ Sie schreibt über Filme – von daher schon muss ich mich manchmal auf ihrer Seite äußern. Und zwar schreibt sie äußerst erfrischend, nur leider find ich die Filme oft uninteressant. Sehr interessant dagegen, wenn sie über ihr Wessidasein im Osten des Landes schreibt – ein Höhepunkt und einer meiner Lieblingstexte überhaupt: ihre Schilderung eines Vorstellungsgesprächs (sie der Wessi-Chef –die andere eine junge Frau aus Straußberg): man lacht und weint gleichzeitig.
6. alle die anderen, die ihr wahrscheinlich auch alle lest.
· Frau Klugscheißer, die Stewardess mit ihren erbarmungslos tristen Hotelfensterausblicken aus aller Welt, die leider nur noch selten schreibt: http://smartass.blogger.de/
· Die dunkle Seite, die überall kommentiert und wahrscheinlich der Normalste von uns allen ist: http://mark793.blogger.de/
· unser aller Chef Don Alphonso find ich auch sehr nett: http://rebellmarkt.blogger.de/
· natürlich auch immer dabei: das hermetische Café: http://kid37.blogger.de/
· sowie dessen intellektuelle Variante: Jean Stubenzweig: http://stubenzweig.blogger.de/
· undsoweiterundsofort
... und jetzt hab ich meine Frau mit dem Planungsabend aber genug warten lassen ...
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Wenn ich diesen Text hier einstelle, ohne meinen Obertitel „Damals bei den Analphabeten“ zu ändern, ist das natürlich meiner Hoffnung zu verdanken, dass ich die titelgebende Serie in absehbarer Zeit fortführe. Aber vielleicht ist auch ein bisschen Spott dabei.
Denn ich möchte über die Zeitungen schreiben, die dieser Tage alle eine Biografie über Fritz Bauer, den Initiator des Auschwitz-Prozesses, ankündigen. Und doch ist meine Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung, mal wieder die, die die schönste Rezension geliefert hat:
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/buchrezensionen/pflicht_zum_ungehorsam_1.2380698.html
Mit welcher Noblesse, welcher Klarheit und Zurückhaltung hier den üblichen Geschichtsklischees entgegen gearbeitet wird: Es beginnt schon gleich mit der Feststellung, dass Fritz Bauer ein guter Ankläger war, weil er kein typischer Ankläger war – ihm ging’s um Aufklärung, nicht um die Jagd an sich.
Besonders gefallen hat mir der vorsichtige Hinweis darauf, wie gefährlich es ist, Fritz Bauer als Helden zu stilisieren, der an einem irgendwie konservativen oder antisemitischen Umfeld oder Zeitgeist gescheitert sei. Natürlich ist da was Wahres dran. Aber die Ungenauigkeit solcher Vorstellungen deckt die Täter und macht tatsächliche Strukturen unsichtbar. „Die Mörder haben Namen und Adresse!“ sagte einst Brecht. Und der Wahrheit näher kommt nur, wer fair und konkret ist - wie dieser wunderschöne Text.
...
Sehr wohltuend so etwas - in einer Gesellschaft, in der sich – um mal zwei populäre Beispiele zu nennen - ein Albert Speer (dank Joachim Fest) bis in den „Untergang“ als irrender Idealist verkaufen kann, während Gustav Gründgens ganz selbstverständlich als Mephisto gilt (dank Klaus Mann, der nun wirklich irrender Idealist war) ... oder in einer Gesellschaft, in der zur Zeit gerne davon gefaselt wird, dass die 1968 an allem Schuld ist; 1968, das ja wohl mit Fritz Bauer und Willy Brandt anfängt (und nicht mit der RAF); 1968, das ja wohl nicht auf den Haaren von Rainer Langhans und Brüsten von Uschi Obermeier basiert, sondern auf den Ideen von Rudi Dutschke ... aber ich komme vom Thema ab und mache daher lieber Schluss für heute.
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Sondern ein spannender autobiografischer Bericht von mitreißender Authentizität. Nossacks Frau hatte ein Häuschen, wohl eher eine Hütte, gemietet für vierzehn Tage, in der Heide südlich Hamburgs, und der Autor selber war ihr gefolgt. Drei Tage später fielen die Bomben, ein paar Tage und Nächte lang, Nossack sah sie am Nachthimmel heranfliegen und erfuhr kurze Zeit später, als die ersten Flüchtlinge den Ort erreichten, dass auch sein Haus nicht mehr stehen würde. Nach einigem Zögern entschließt sich das Ehepaar Nossack, nach Hamburg zu fahren. Sie besichtigen die Reste des Büros (Nossack hatte die kleine Importfirma seines Vaters geleitet) sowie ihre Straße, wo ihr Haus tatsächlich nicht mehr vorhanden ist – und auch der im Nachbarkeller verwahrte Koffer bereits gestohlen.
So weit die Handlung des Textes. Was den Stil betrifft, hatte ich anfangs wie gesagt meine Schwierigkeiten: Vom „Auftrag“, etwas zu schreiben, wurde da geredet, vom Schicksal geraunt und viel mystisch um die Sachen herumgeredet, wie man das in den dreißiger/vierziger Jahren eben so machte. Denn der Text ist Ende 1943 entstanden, ein halbes Jahr nach den Ereignissen. Ja, aber so ist das eben, das wurde mir schnell klar: Wer in seiner Zeit lebt und lebendig ist, der redet auch im Stil seiner Zeit, wenn er nicht völlig abgedreht ist. Und was mich beeindruckte: dass dieser Autor, der stilistisch ganz zeitbefangen ist (nenn es Nazistil, nenn es prä-existenzialistisch, nenn es Mystizismus – ganz egal), politisch so frei ist, wie man es nur sein kann, wenn man sich seiner Zeit nicht verweigert. (Und er war Kommunist, wie ich später bei Wikipedia nachlas, er hätte das Recht gehabt, politisch rumzumotzen.)
Aber er tut es nicht. Wer zum Beispiel an diesem Krieg Schuld ist, macht er nicht zum Thema. Ideologie ist nicht seine Sache. Er sieht die Bomber, er sieht das Unrecht und er benennt es. Und die Wenigen, die neben ihm stehen und abgeschossene Bomber bejubeln, für die hat er nur kopfschüttelnde Verachtung. Morden ist Unrecht, so oder so.
Insofern hat er mit seinem Schicksalraunen ja sogar auch Recht: Ein solcher Krieg bedeutet den Untergang der Zivilisation. Wir viel später Geborenen wissen ganz selbstverständlich, dass in diesen Jahren die Moderne untergegangen ist – und dass seitdem die August-Macke-Bilder nur noch als Kitsch-Objekte möglich sind und „Berlin Alexanderplatz“ keinen Menschen mehr aufregt. Aber er sah es schon im Moment des Geschehens.
Ergreifend an dieser Geschichte ist auch, dass Nossack diesen Untergang als Befreiung erlebt. Da gehört schon einige Größe dazu: Ein verbotener, erfolgloser Schriftsteller, dem der schriftliche Ertrag von Jahren, Jahrzehnten soeben verbrannt ist: der fühlt sich befreit. Und der fühlt, wie die Ordnungsmacht, die diktatorische Ordnungsmacht, nach dem ersten Schock schon wieder zu dirigieren versucht: die Flüchtlingsmassen kanalisiert, die zerbombten Stadtteile absperrt – und er beschließt, mit Hilfe seiner heimatliebenden Frau, nicht Flüchtling zu werden, sich nicht aufzugeben, sondern zurückzukehren in die zerstörte Stadt, die sein Zuhause ist.
So möchte man leben. Ist mir ein Vorbild.
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Ach so, was inhaltlich zu tun war, darüber erfuhr ich wenig, eigentlich gar nichts. Das erwartete mich, als ich im Unterricht war. Aber es war nicht schlecht, was mich da erwartete. Eine bunte Truppe – vom strohblonden, rotnasigen norddeutschen Landarbeiter mit Alkoholneigung über einen Schwarzen mit Rastazöpfen und ca. 20 Wörtern Deutsch und die unvermeidlichen arbeitslosen Türken mittleren Alters bis hin zum arabischstämmigen Hauptschüler, der den Abschluss nicht geschafft hat – da wurde halt alles, was nicht ordentlich lesen und schreiben konnte in den Dörfern im Umkreis, zusammengekehrt und auf die Schulbank gesetzt. Nun gut, wir saßen zusammen und machten das beste draus. Ich erfuhr hier zum ersten Mal, wie schwer es ist, das kleine b und das kleine d auseinander zu halten und dass es noch viel schwerer ist, Kreuzchen in einer Tabelle richtig anzuordnen. Also malten wir Kreuzchen und Bs und Ds, auch Herr D. war eifrig dabei (nur reichte seine Energie immer nur für drei bis vier Tage, dann schwänzte er wieder) – es war wie bei den Grundschülern (auch die Witze waren oft wie bei den Grundschülern), eigentlich schöner, weil kein „Och, sind die niedlich!“ die Relationen verschob ...
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