Donnerstag, 14. März 2024
Scham und Schreiben
damals, 17:29h
Ich vergrab mich schon wieder in virtuelle Welten, im Moment ist meine täglich Begleiterin „Die Wunde“, ein Buch der russischen feministischen, lesbischen Autorin Oxana Wassjakina über den Tod ihrer Mutter (ein Tipp der FAZ übrigens) – nicht alles darin gefällt, aber vieles fesselt mich, und geschrieben ist es sowieso wunderbar …
Über die Probleme weiblichen literarischen Schreibens bemerkt sie: „In ‚Das Lachen der Medusa‘ bemerkt Hélène Cixous, wir würden immer nur ein bisschen, im Geheimen, schreiben. Und natürlich käme deswegen nicht Gutes heraus, und weil wir es heimlich tun und uns auch noch dafür bestrafen, dass wir die Sache nicht zu Ende bringen; weil wir so schreiben würden wie wir masturbieren, nicht, um immer weiter zu gehen, sondern gerade so viel, um die Anspannung zu lösen. Doch sobald die Entspannung einträte, würden wir uns schuldig fühlen, uns Vergebung und Vergessen wünschen, und dieses Gefühl vergraben bis zum nächsten Mal.“
Treffend bemerkt. Vielleicht kennen Sie es ja auch als Blogger, dieses Gefühl der Schuld, der Scham, ich jedenfalls kenne es: Wie oft musste ich gepostete statements nachträglich verbessern, ergänzen, inhaltlich zurücknehmen oder ganz löschen, insbesondere unter Alkohol geschriebene, wenn es ungefiltert, unkontrolliert, also eigentlich besonders ehrlich aus mir rausplatzt. Und deshalb schreib ich in der Regel auch kontrolliert, gehemmt, gerade nur so viel, wie ich eben schreiben muss, um die Anspannung der Schreiblust loszuwerden und wieder eine Weile ohne die hässlichen Schriftsteller- und „Ich bin wichtig“-Gelüste leben zu können. Und die Bloggerei ist da sogar besonders geeignet, denn sie erzieht zum hastigen, kurzen, erfolglosen Schreiben.
So sehr ich mich also in den Qualen der Frauen wiedererkenne, sind sie doch anders. Wassjakina schreibt weiter: „Immer, wenn ich schrieb, tat ich es zwischendurch, als sei das Schreiben etwas Unnötiges, Schäbiges und Sinnloses. Ich schrieb in der Metro, in der Pause zwischen der Arbeit und dem Essen, beim Essen. Ich wies dem Schreiben einen Platz zu, der zweitrangig war, damit seine Bedeutungslosigkeit nicht so offensichtlich wurde.“
Also: Die Scham und das Sich-selbst-Verbannen in die Bedeutungslosigkeit, das haben wir gemeinsam. Was aber anders ist: Wassjakina traut der Wichtigkeit ihrer Worte nicht, hält es nicht für wichtig, sich und ihre Wahrheit der Welt mitzuteilen, nimmt also ihre Diskriminierung als Frau selbst schon vorweg. Aber dass ihre Wahrheit Wahrheit ist, daran zweifelt sie nicht.
Ich als bildungsbürgerlich sozialisierter Mann erlebe es umgekehrt. Ich zweifle nicht daran, dass ich schreiben muss, dass es wichtig ist, dass ich schreibe, dass ich den genialischen Impuls habe zu schreiben, dass ich zu schreiben berufen bin und dass das zu mir gehört. Mein Schreiben ist nicht in Gefahr, in meinen Augen zweitrangig zu werden (ich bin ja ein Mann) – es ist in Gefahr unwahr zu sein. Ich kann gut schreiben, also kann ich gut belügen, andere wie mich selbst. Wenn ich schreibe, gerate ich unversehens in narzisstische Selbststilisierung – und muss befürchten, beim Tricksen ertappt zu werden (wie hier schon oft geschehen) – und nie das sagen zu können, was ich innersten Herzen ausdrücken will. Immer nur Prätentiöses oder scheinrationale Debatten. Das ist meine, die männliche Schreibscham, sie verhält sich spiegelbildlich zu der der russischen Feministin auf ihrer Reise durch Sibirien.
-
Auf der allerletzten Seite meines damals analog geführten Tagebuchs hab ich mich dazu schon mal geäußert, ich zitierte Wolfgang Hilbigs genialen Satz darüber: „Jetzt war er zum Schriftsteller erklärt worden, und plötzlich war ihm die Sprache, die er früher mitbewohnt hatte, zu einem Raum geworden, aus dem er ausgeschlossen war.“ („Ich“, S. 131)
Über die Probleme weiblichen literarischen Schreibens bemerkt sie: „In ‚Das Lachen der Medusa‘ bemerkt Hélène Cixous, wir würden immer nur ein bisschen, im Geheimen, schreiben. Und natürlich käme deswegen nicht Gutes heraus, und weil wir es heimlich tun und uns auch noch dafür bestrafen, dass wir die Sache nicht zu Ende bringen; weil wir so schreiben würden wie wir masturbieren, nicht, um immer weiter zu gehen, sondern gerade so viel, um die Anspannung zu lösen. Doch sobald die Entspannung einträte, würden wir uns schuldig fühlen, uns Vergebung und Vergessen wünschen, und dieses Gefühl vergraben bis zum nächsten Mal.“
Treffend bemerkt. Vielleicht kennen Sie es ja auch als Blogger, dieses Gefühl der Schuld, der Scham, ich jedenfalls kenne es: Wie oft musste ich gepostete statements nachträglich verbessern, ergänzen, inhaltlich zurücknehmen oder ganz löschen, insbesondere unter Alkohol geschriebene, wenn es ungefiltert, unkontrolliert, also eigentlich besonders ehrlich aus mir rausplatzt. Und deshalb schreib ich in der Regel auch kontrolliert, gehemmt, gerade nur so viel, wie ich eben schreiben muss, um die Anspannung der Schreiblust loszuwerden und wieder eine Weile ohne die hässlichen Schriftsteller- und „Ich bin wichtig“-Gelüste leben zu können. Und die Bloggerei ist da sogar besonders geeignet, denn sie erzieht zum hastigen, kurzen, erfolglosen Schreiben.
So sehr ich mich also in den Qualen der Frauen wiedererkenne, sind sie doch anders. Wassjakina schreibt weiter: „Immer, wenn ich schrieb, tat ich es zwischendurch, als sei das Schreiben etwas Unnötiges, Schäbiges und Sinnloses. Ich schrieb in der Metro, in der Pause zwischen der Arbeit und dem Essen, beim Essen. Ich wies dem Schreiben einen Platz zu, der zweitrangig war, damit seine Bedeutungslosigkeit nicht so offensichtlich wurde.“
Also: Die Scham und das Sich-selbst-Verbannen in die Bedeutungslosigkeit, das haben wir gemeinsam. Was aber anders ist: Wassjakina traut der Wichtigkeit ihrer Worte nicht, hält es nicht für wichtig, sich und ihre Wahrheit der Welt mitzuteilen, nimmt also ihre Diskriminierung als Frau selbst schon vorweg. Aber dass ihre Wahrheit Wahrheit ist, daran zweifelt sie nicht.
Ich als bildungsbürgerlich sozialisierter Mann erlebe es umgekehrt. Ich zweifle nicht daran, dass ich schreiben muss, dass es wichtig ist, dass ich schreibe, dass ich den genialischen Impuls habe zu schreiben, dass ich zu schreiben berufen bin und dass das zu mir gehört. Mein Schreiben ist nicht in Gefahr, in meinen Augen zweitrangig zu werden (ich bin ja ein Mann) – es ist in Gefahr unwahr zu sein. Ich kann gut schreiben, also kann ich gut belügen, andere wie mich selbst. Wenn ich schreibe, gerate ich unversehens in narzisstische Selbststilisierung – und muss befürchten, beim Tricksen ertappt zu werden (wie hier schon oft geschehen) – und nie das sagen zu können, was ich innersten Herzen ausdrücken will. Immer nur Prätentiöses oder scheinrationale Debatten. Das ist meine, die männliche Schreibscham, sie verhält sich spiegelbildlich zu der der russischen Feministin auf ihrer Reise durch Sibirien.
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Auf der allerletzten Seite meines damals analog geführten Tagebuchs hab ich mich dazu schon mal geäußert, ich zitierte Wolfgang Hilbigs genialen Satz darüber: „Jetzt war er zum Schriftsteller erklärt worden, und plötzlich war ihm die Sprache, die er früher mitbewohnt hatte, zu einem Raum geworden, aus dem er ausgeschlossen war.“ („Ich“, S. 131)
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Donnerstag, 22. Juni 2023
Erinnern Sie sich noch an Herrn Borowski und Frau Brandt?
damals, 12:20h
Ich hab sie eine Weile ganz gern gesehen im Kieler Tatort. Und als es später mit diesem bergab ging, glaubte ich lange, dass das mit dem Fortgang von Sibel Kekilli tun hat, dass der verklemmte alte weiße Mann (Axel Milberg als Borowski) von Folge zu Folge immer allwissender wird und seine junge Assistentin immer ahnungsloser. Mit der Präsenz von Kekilli wäre das nicht möglich gewesen, so dachte ich.
Tatsächlich verhält es sich wohl eher umgekehrt: Gestern geriet ich zufällig in die letzte Folge mit Kekilli als Frau Brandt - unerträglich, wie da Borowski zu 120 Prozent "Herz und Verstand" verkörpert, während Brandt so ahnungs- und empathielos umherstolpern muss, dass ich sie während der ganzen Sendung gar nicht als Kekilli erkannt habe. Es verwundert nicht, dass sie nach dieser Folge die Serie verlassen hat.
Es ist also nicht so, dass sich die Serie durch den Fortgang einer Schauspielerin anders, nach rechts entwickelt hat, sondern umgekehrt: die Serie entwickelte sich sowieso in diese Richtung, und die Schauspielerin zog nur die Konsequenzen.
Tatsächlich verhält es sich wohl eher umgekehrt: Gestern geriet ich zufällig in die letzte Folge mit Kekilli als Frau Brandt - unerträglich, wie da Borowski zu 120 Prozent "Herz und Verstand" verkörpert, während Brandt so ahnungs- und empathielos umherstolpern muss, dass ich sie während der ganzen Sendung gar nicht als Kekilli erkannt habe. Es verwundert nicht, dass sie nach dieser Folge die Serie verlassen hat.
Es ist also nicht so, dass sich die Serie durch den Fortgang einer Schauspielerin anders, nach rechts entwickelt hat, sondern umgekehrt: die Serie entwickelte sich sowieso in diese Richtung, und die Schauspielerin zog nur die Konsequenzen.
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Sonntag, 23. Mai 2021
Geschlechterverhältnisse im späten 20. Jahrhundert - jetzt das ostdeutsche Beispiel
damals, 01:42h
Das soll jetzt kein Ost-West-Vergleich werden, schon allein, weil das Ost-Beispiel fiktional ist, außerdem aus den 1980er Jahren, also 20 Jahre später. Da hat sich das männliche Dominanzverhalten schon sehr gewandelt, weg vom Familienpatriarchen, hin zum revolutionär-egoistischen Einzelkämpfer, wie er zum Beispiel in Joschka Fischer eine Idealverkörperung fand.
Aber hier gehts ja um den Osten. Also: Ich sah gestern "Was wäre wenn", ein Liebesdrama eines ostdeutschen Schriftstellers, der seinen eigenen Roman verdrehbucht hat - Regie führte der Produzent des ostophilen Christian Petzold. Die Geschichte ist folgende: Christiane Paul (hab sie selten so schön in Szene gesetzt gesehen) spielt eine Ärztin ostdeutschen Ursprungs, ihr neuer (westdeutscher) Liebhaber Ronald Zehrfeld schenkt ihr eine Reise nach Budapest, da er weiß, dass sie romantische Jugenderinnerungen an diese Stadt hat. Dort treffen sie fast sofort auf ihre große Jugendliebe, der sie sofort wieder verfällt, bis sie sich nach mancherlei Hin und Her und aus äußerst interessanten Gründen doch wieder für den aktuellen Freund entscheidet.
Was ist nun so verführerisch an dieser Jugendliebe? Das wird in wenigen Rückblenden weniger erlebbar gemacht als grob skizziert: Der Typ ist von vornherein Opposition (seine Mutter ist eine oppositionelle Malerin, sein Vater nach dem Westen verschwunden), er ist unnahbar, lässt sich von der in ihn vernarrten angepassten EOS-Schülerin zwar gern verführen, weiß sie aber auch auf Abstand zu halten. Er macht sein Ding. Da sie seine Sehnsucht nach Westdeutschland nicht teilt, plant er seine Flucht allein, gelangt mit Hilfe seines westdeutschen Halbbruders auf abenteuerliche Weise über die ungarisch-jugoslawische Grenze in die Freiheit - und verlangt dann von ihr, als sie mit genehmigter Westreise in Westberlin ist, dass sie spontan bleiben soll. Was sie nicht tut.
Kein Wunder, dass er Jahrzehnte später, in der Gegenwartshandlung, mehrere Kinder mit mehreren Frauen, aber keine Partnerin hat. Er ist der Draufgänger, der Einzelkämpfer. Aktuell hat er eine Affäre mit einer ungarischen Künstlerin, die das verhasste Orban-Regime nur zu gern verlassen würde, es hält sie nur ihr bodenständiger jugoslawischer Ehemann, der aus der ungarisch-serbischen Grenzregion stammt und seine Heimat nicht verlassen will.
Hier kommt nun Christiane Pauls aktueller Liebhaber ins Spiel: Er ist lieb und nett und bindungsscheu, hat es bisher in keiner Beziehung länger ausgehalten, ist aber immer offen und neugierig. Als sich herausstellt, dass Christiane Pauls Jugendliebe damals über den Heimatort des Jugoslawen floh, fahren alle zusammen dorthin. Bewegendes Déjàvu: der Grenzzaun. Diesmal ist die ungarische aber die privilegierte Seite - sie können rüber. Während die beiden Frauen das tun, wollen die Männer auf Teufel-komm-raus den Zaun überwinden, um vergangene Heldentaten zu simulieren - und tun das auch. Dadurch wird der weiche Zehrfeld zum harten Mann geadelt und Paul kann beruhigt mit ihm in eine gemeinsame Zukunft absegeln. Happy End.
Ist das nicht interessant? Zehrfeld verkörpert den neuen Mann, den kompromissfähigen, neugierig-netten, offenen Mann. Alles, was ihm fehlt, ist ein bisschen Abenteuergeruch. Aber niemand verlangt von ihm, wirklich welche zu bestehen, seine Existenz aufs Spiel zu setzen - er muss nur einstige Abenteuer anderer simulieren. Mit einem bundesdeutschen Pass in der Tasche illegal über die Grenze nach Serbien - ein wunderbares Bild dafür.
Und im Gegenzug (und darauf wollte ich eigentlich hinaus) darf dann der Egoist von einst (wir erinnern uns: der Mann, der das Land verließ, in dem seine Freundin wohnen bleiben wollte, und der sie dann unter Druck setzte, ihr doch nachzufolgen) als freiheitsliebender Revolutionär stilisiert werden.
Aber vielleicht ist die Welt einfach so: Wir lieben die Revolution, die gern autoritär sein darf, wenn sie nur vergangen oder weit genug weg ist, um uns nicht weh zu tun, denn wir lieben die Sicherheit, können sie aber nur ertragen, wenn wir sie uns ein bisschen gefährlich reden.
Aber hier gehts ja um den Osten. Also: Ich sah gestern "Was wäre wenn", ein Liebesdrama eines ostdeutschen Schriftstellers, der seinen eigenen Roman verdrehbucht hat - Regie führte der Produzent des ostophilen Christian Petzold. Die Geschichte ist folgende: Christiane Paul (hab sie selten so schön in Szene gesetzt gesehen) spielt eine Ärztin ostdeutschen Ursprungs, ihr neuer (westdeutscher) Liebhaber Ronald Zehrfeld schenkt ihr eine Reise nach Budapest, da er weiß, dass sie romantische Jugenderinnerungen an diese Stadt hat. Dort treffen sie fast sofort auf ihre große Jugendliebe, der sie sofort wieder verfällt, bis sie sich nach mancherlei Hin und Her und aus äußerst interessanten Gründen doch wieder für den aktuellen Freund entscheidet.
Was ist nun so verführerisch an dieser Jugendliebe? Das wird in wenigen Rückblenden weniger erlebbar gemacht als grob skizziert: Der Typ ist von vornherein Opposition (seine Mutter ist eine oppositionelle Malerin, sein Vater nach dem Westen verschwunden), er ist unnahbar, lässt sich von der in ihn vernarrten angepassten EOS-Schülerin zwar gern verführen, weiß sie aber auch auf Abstand zu halten. Er macht sein Ding. Da sie seine Sehnsucht nach Westdeutschland nicht teilt, plant er seine Flucht allein, gelangt mit Hilfe seines westdeutschen Halbbruders auf abenteuerliche Weise über die ungarisch-jugoslawische Grenze in die Freiheit - und verlangt dann von ihr, als sie mit genehmigter Westreise in Westberlin ist, dass sie spontan bleiben soll. Was sie nicht tut.
Kein Wunder, dass er Jahrzehnte später, in der Gegenwartshandlung, mehrere Kinder mit mehreren Frauen, aber keine Partnerin hat. Er ist der Draufgänger, der Einzelkämpfer. Aktuell hat er eine Affäre mit einer ungarischen Künstlerin, die das verhasste Orban-Regime nur zu gern verlassen würde, es hält sie nur ihr bodenständiger jugoslawischer Ehemann, der aus der ungarisch-serbischen Grenzregion stammt und seine Heimat nicht verlassen will.
Hier kommt nun Christiane Pauls aktueller Liebhaber ins Spiel: Er ist lieb und nett und bindungsscheu, hat es bisher in keiner Beziehung länger ausgehalten, ist aber immer offen und neugierig. Als sich herausstellt, dass Christiane Pauls Jugendliebe damals über den Heimatort des Jugoslawen floh, fahren alle zusammen dorthin. Bewegendes Déjàvu: der Grenzzaun. Diesmal ist die ungarische aber die privilegierte Seite - sie können rüber. Während die beiden Frauen das tun, wollen die Männer auf Teufel-komm-raus den Zaun überwinden, um vergangene Heldentaten zu simulieren - und tun das auch. Dadurch wird der weiche Zehrfeld zum harten Mann geadelt und Paul kann beruhigt mit ihm in eine gemeinsame Zukunft absegeln. Happy End.
Ist das nicht interessant? Zehrfeld verkörpert den neuen Mann, den kompromissfähigen, neugierig-netten, offenen Mann. Alles, was ihm fehlt, ist ein bisschen Abenteuergeruch. Aber niemand verlangt von ihm, wirklich welche zu bestehen, seine Existenz aufs Spiel zu setzen - er muss nur einstige Abenteuer anderer simulieren. Mit einem bundesdeutschen Pass in der Tasche illegal über die Grenze nach Serbien - ein wunderbares Bild dafür.
Und im Gegenzug (und darauf wollte ich eigentlich hinaus) darf dann der Egoist von einst (wir erinnern uns: der Mann, der das Land verließ, in dem seine Freundin wohnen bleiben wollte, und der sie dann unter Druck setzte, ihr doch nachzufolgen) als freiheitsliebender Revolutionär stilisiert werden.
Aber vielleicht ist die Welt einfach so: Wir lieben die Revolution, die gern autoritär sein darf, wenn sie nur vergangen oder weit genug weg ist, um uns nicht weh zu tun, denn wir lieben die Sicherheit, können sie aber nur ertragen, wenn wir sie uns ein bisschen gefährlich reden.
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Geschlechterverhältnisse im späten 20. Jahrhundert - zuerst das westdeutsche Beispiel
damals, 21:57h
Was mal sich halt so reinzieht, wenn man so ziellos durch die Medien geistert und halt mitnimmt, was einem am Wegrand begegnet ...
Da las ich doch irgendwo, dass es ein Buch der Tochter von Filbinger gibt, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der vor Jahrzehnten über die Todesurteile gestolpert war, die er zu Nazizeiten ausgesprochen hatte. Das fand ich spannend. Denn so aus persönlicher Sicht erklären sich die Dinge ja oft am besten. Zum Fall ihres Vaters selbst brachte das Buch dann relativ wenig für mich Neues, nur, dass er tatsächlich kein überzeugter Nazi gewesen ist, nur ein soldatisch gesinnter rechtskonservativer Katholik. Also ein sogenannter Mitläufer, wobei schon erschreckend ist, wie weit Mitläuferschaft gehen kann: Wenn man gewillt ist, wirklich alles zu geben für eine ungebrochene Karriere, dann kann dies eben auch bedeuten, dass man andere Menschen zu Tode bringt, nur um selbst weiter unbehelligt auf dem Weg nach oben marschieren zu können. Mir unbegreiflich, wie man das mit einem christlichen Glauben vereinbaren kann - ... na ja, da ist er wohl nicht der einzige.
Interessanter war der Handlungsstrang um seine Tochter. Die Autorin, Susanna Filbinger-Riggert, nennt ihr (ehrliches, wenn auch reflexionsfreies) Buch ja auch eine "Vater-Tochter-Biografie". Also: Wie es sich für einen Karrieristen gehört, hatte Filbinger, der aus einfachen Verhältnissen stammt, auch karriereorientiert geheiratet, eine großbürgerliche Schlesierin, die aber durch den Krieg alles verlor. Nach der Hochzeit war es für sie trotz Studium natürlich nichts mit einer irgendwie gearteten eigenen Karriere. Beeindruckt hat mich die Szene, wie sie nach einer sehr schweren Schwangerschaft endlich den "Stammhalter" gebar, dann aber nicht an der pompös inszenierten Taufe teilnehmen durfte, sondern sich nur heimlich kurz im Bademantel reinschmuggelte. So wie es ihre Tochter darstellt, beschäftigte sie sich sich viel mit eingebildeten Krankheiten und damit, die Kinder zu kontrollieren und auszuspionieren, natürlich im Auftrag des Vaters. Dieser war dann der Mann für drakonische Strafen, "er kannte noch den Rohrstock" (ebenso wie der Mathelehrer in der Schule!) und verteilte Kopfnüsse, wenn die Tochter zu lernende geografische Begriffe nicht sofort perfekt runterrasseln konnte. Als sie trotzdem nicht spurte, wurde sie ins Internat geschickt - na, und die erste Liebe wurde selbstverständlich auch vereitelt.
Gut, man kennt solche Familiengeschichten, ich gebe aber zu bedenken: Das war nicht 1910 und unter Kaiser Wilhelm, das war in den 1960er Jahren in einem demokratischen Land (in dem die Prügelstrafe selbstverständlich verboten war)!
Der Vater hatte für die "Vater-Tochter" eine diplomatische Laufbahn vorgesehen, schleppte sie zu allen möglichen offiziellen Anlässen und sogar Auslandsreisen mit, oft als Vertretung der leidenden Ehefrau, sogar später noch, als die über 30-jährige Tochter schon längst eigene berufliche Pläne verfolgte. Denn diese orientierte sich eher an den Werten als an den Vorgaben ihres Vaters: Sie spürte genau, dass dessen Maxime "Tu alles für die Nähe zur Macht!" nicht mehr die feste Beamtenstelle bei Vater Staat, sondern das Mitmischen im internationalen Finanzwesen bedeutet. Zähneknirschend verhandelte der Vater dann mit ihrem Londoner Arbeitgeber und vermittelte ihr später auch die richtigen Kontakte in den USA - und sorgte für den Anwalt im Alimentekrieg mit dem Finanzhai, von dem sie nach einem One-Night-Stand ein Kind erwartete. Erotisch angezogen hatte sie an diesem, das berichtet sie ganz ehrlich, die Illoyalität und Verachtung allem Weiblichen gegenüber bei gleichzeitiger Perfektion im Beruflichen - halt das, was sie beim Vater gelernt hatte.
Kurz: Es ist ein Milieu, in dem Figuren wie Franz-Joseph Strauß und Kardinal Ratzinger die Strippen ziehen und eine seelisch gebrochene Vater-Tochter völlig reflexionsfrei von sich behaupten kann, sie habe sich alles aus eigener Kraft erarbeitet. Eine traurige Lektüre!
Da las ich doch irgendwo, dass es ein Buch der Tochter von Filbinger gibt, dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der vor Jahrzehnten über die Todesurteile gestolpert war, die er zu Nazizeiten ausgesprochen hatte. Das fand ich spannend. Denn so aus persönlicher Sicht erklären sich die Dinge ja oft am besten. Zum Fall ihres Vaters selbst brachte das Buch dann relativ wenig für mich Neues, nur, dass er tatsächlich kein überzeugter Nazi gewesen ist, nur ein soldatisch gesinnter rechtskonservativer Katholik. Also ein sogenannter Mitläufer, wobei schon erschreckend ist, wie weit Mitläuferschaft gehen kann: Wenn man gewillt ist, wirklich alles zu geben für eine ungebrochene Karriere, dann kann dies eben auch bedeuten, dass man andere Menschen zu Tode bringt, nur um selbst weiter unbehelligt auf dem Weg nach oben marschieren zu können. Mir unbegreiflich, wie man das mit einem christlichen Glauben vereinbaren kann - ... na ja, da ist er wohl nicht der einzige.
Interessanter war der Handlungsstrang um seine Tochter. Die Autorin, Susanna Filbinger-Riggert, nennt ihr (ehrliches, wenn auch reflexionsfreies) Buch ja auch eine "Vater-Tochter-Biografie". Also: Wie es sich für einen Karrieristen gehört, hatte Filbinger, der aus einfachen Verhältnissen stammt, auch karriereorientiert geheiratet, eine großbürgerliche Schlesierin, die aber durch den Krieg alles verlor. Nach der Hochzeit war es für sie trotz Studium natürlich nichts mit einer irgendwie gearteten eigenen Karriere. Beeindruckt hat mich die Szene, wie sie nach einer sehr schweren Schwangerschaft endlich den "Stammhalter" gebar, dann aber nicht an der pompös inszenierten Taufe teilnehmen durfte, sondern sich nur heimlich kurz im Bademantel reinschmuggelte. So wie es ihre Tochter darstellt, beschäftigte sie sich sich viel mit eingebildeten Krankheiten und damit, die Kinder zu kontrollieren und auszuspionieren, natürlich im Auftrag des Vaters. Dieser war dann der Mann für drakonische Strafen, "er kannte noch den Rohrstock" (ebenso wie der Mathelehrer in der Schule!) und verteilte Kopfnüsse, wenn die Tochter zu lernende geografische Begriffe nicht sofort perfekt runterrasseln konnte. Als sie trotzdem nicht spurte, wurde sie ins Internat geschickt - na, und die erste Liebe wurde selbstverständlich auch vereitelt.
Gut, man kennt solche Familiengeschichten, ich gebe aber zu bedenken: Das war nicht 1910 und unter Kaiser Wilhelm, das war in den 1960er Jahren in einem demokratischen Land (in dem die Prügelstrafe selbstverständlich verboten war)!
Der Vater hatte für die "Vater-Tochter" eine diplomatische Laufbahn vorgesehen, schleppte sie zu allen möglichen offiziellen Anlässen und sogar Auslandsreisen mit, oft als Vertretung der leidenden Ehefrau, sogar später noch, als die über 30-jährige Tochter schon längst eigene berufliche Pläne verfolgte. Denn diese orientierte sich eher an den Werten als an den Vorgaben ihres Vaters: Sie spürte genau, dass dessen Maxime "Tu alles für die Nähe zur Macht!" nicht mehr die feste Beamtenstelle bei Vater Staat, sondern das Mitmischen im internationalen Finanzwesen bedeutet. Zähneknirschend verhandelte der Vater dann mit ihrem Londoner Arbeitgeber und vermittelte ihr später auch die richtigen Kontakte in den USA - und sorgte für den Anwalt im Alimentekrieg mit dem Finanzhai, von dem sie nach einem One-Night-Stand ein Kind erwartete. Erotisch angezogen hatte sie an diesem, das berichtet sie ganz ehrlich, die Illoyalität und Verachtung allem Weiblichen gegenüber bei gleichzeitiger Perfektion im Beruflichen - halt das, was sie beim Vater gelernt hatte.
Kurz: Es ist ein Milieu, in dem Figuren wie Franz-Joseph Strauß und Kardinal Ratzinger die Strippen ziehen und eine seelisch gebrochene Vater-Tochter völlig reflexionsfrei von sich behaupten kann, sie habe sich alles aus eigener Kraft erarbeitet. Eine traurige Lektüre!
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Donnerstag, 10. September 2020
Oberflächliche Gedanken
damals, 12:20h
Als ich gestern im Radio hörte, dass die Zahl der ungewollt kinderlosen Paare deutlich angestiegen ist, dachte ich zuerst: Ah, es muss doch einen Gott geben – jemand, der erkennt, dass unser Lebensstil nicht gesund ist, und mal eine kleine Bremse einbaut. Dabei ist das Quatsch, denn dieser Lebensstil, der dazu führt, dass hier zu wenige Kinder geboren werden, der führt ja auch dazu, dass anderswo viel zu viele geboren werden. In der Summe gibt es keine Bremse für den Wahnsinn. Auch wenn das brennende Moria weit weg scheint und Timbuktu, das versandet und verislamistet, noch weiter - insgesamt ist es unser Planet. Und bis Gott die Notbremse zieht, da muss noch mehr passieren.
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Dienstag, 16. Juni 2020
Das Recht auf Privatheit
damals, 11:59h
Ich habe gestern Abend spontan einen Text in mein Blog getippt, der mir, obwohl ich völlig nüchtern war, dennoch zu privat geriet, sodass ich ihn heute Morgen wieder löschen musste.
Das ließ mich mal wieder über das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem nachdenken, dessen Schieflage unsere Gesellschaft ja seit Kafka ("Amtsentscheidungen sind scheu wie junge Mädchen.") zunehmend beschäftigt. Und prompt kam heute Morgen im Deutschlandfunk eine passende Meldung: Da will jemand juristisch erstreiten, dass seine persönlich empfundene Geschlechtsidentität auch genau so in den Pass eingetragen wird, auch wenn die von der Öffentlichkeit beauftragten Experten (Ärzte) das anders sehen. Was für ein Quatsch!
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es muss ein selbstverständliches Recht sein, eine andere Geschlechtsidentität zu leben, als im Pass steht. Und jeder hat das im alltäglichen Umgang anzuerkennen.
In meinem langjährigen Lieblingsfilm „Calendar“ gibt es diesen schönen Dialog:
Er: "Was heißt das, du betrachtest dich als Ägypterin?"
Sie: "Einer meiner Großväter war Ägypter. Und vielleicht fahre ich da mal hin."
Er: "Ja, jetzt, wo du es sagst: Die Art, wie du gehst, dein Gang, das ist irgendwie - ägyptisch."
So soll es sein.
Stellen Sie sich doch einfach mal vor (um nun wieder privat zu werden), in meinem Ausweis wäre die Anmerkung "Angsterkrankung" eingetragen und ich hätte als Nachteilsausgleich die behördliche Berechtigung, 5-6 Tage im Jahr spontan blau zu machen, weil ich nicht aus dem Bett komme. Das wär doch mehr peinlich, als es mir helfen würde.
Außerdem meinte mein Therapeut, die Angsterkrankung wäre überstanden und auskuriert. Mag sein. Aber es hilft mir, mich weiter ein bisschen behindert zu fühlen und ab und an mal in mich hineinzuweinen. Was geht das die Öfentlichkeit an?
Das ließ mich mal wieder über das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem nachdenken, dessen Schieflage unsere Gesellschaft ja seit Kafka ("Amtsentscheidungen sind scheu wie junge Mädchen.") zunehmend beschäftigt. Und prompt kam heute Morgen im Deutschlandfunk eine passende Meldung: Da will jemand juristisch erstreiten, dass seine persönlich empfundene Geschlechtsidentität auch genau so in den Pass eingetragen wird, auch wenn die von der Öffentlichkeit beauftragten Experten (Ärzte) das anders sehen. Was für ein Quatsch!
Umgekehrt wird ein Schuh draus: Es muss ein selbstverständliches Recht sein, eine andere Geschlechtsidentität zu leben, als im Pass steht. Und jeder hat das im alltäglichen Umgang anzuerkennen.
In meinem langjährigen Lieblingsfilm „Calendar“ gibt es diesen schönen Dialog:
Er: "Was heißt das, du betrachtest dich als Ägypterin?"
Sie: "Einer meiner Großväter war Ägypter. Und vielleicht fahre ich da mal hin."
Er: "Ja, jetzt, wo du es sagst: Die Art, wie du gehst, dein Gang, das ist irgendwie - ägyptisch."
So soll es sein.
Stellen Sie sich doch einfach mal vor (um nun wieder privat zu werden), in meinem Ausweis wäre die Anmerkung "Angsterkrankung" eingetragen und ich hätte als Nachteilsausgleich die behördliche Berechtigung, 5-6 Tage im Jahr spontan blau zu machen, weil ich nicht aus dem Bett komme. Das wär doch mehr peinlich, als es mir helfen würde.
Außerdem meinte mein Therapeut, die Angsterkrankung wäre überstanden und auskuriert. Mag sein. Aber es hilft mir, mich weiter ein bisschen behindert zu fühlen und ab und an mal in mich hineinzuweinen. Was geht das die Öfentlichkeit an?
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Montag, 23. März 2020
Manchmal ist es sinnvoll, einen Film mit 25 Jahren Verspätung zu sehen …
damals, 03:15h
… denn damals, Anfang der Neunziger, hätte ich das so klar wahrscheinlich nicht kapiert.
Jetzt brachte 3sat „Weiblich, ledig, jung, sucht ...“ um 23.15 Uhr, und da ich dank Coronona-Krise und Wochenende eher zu viel als zu wenig geschlafen hatte, dachte ich, das kann ich mir mal erlauben, nachdem ich ihn Jahrzehnte lang verpasst habe.
Am Anfang dachte ich noch, das liegt halt an dem inzwischen veralteten Mode- und Schönheitsideal, dass die Hauptdarstellerin und Identifikationsfigur Bridget Fonda viel weniger sexy wirkte als ihr zeitlos femininer Gegenpart Jennifer Jason Leigh als Verkörperung des Bösen.
Aber dann wird es sehr bald klar, dass das einen Sinn hat: Die Hauptfigur ist eine androgyne flotte attraktive Karrierefrau, die die Zähne zusammenbeißt und sich in der Männerwelt behauptet, ihr Lover ein laxes, liebes Weichei, das sich auf den Privilegien des Männlichseins ausruht. Herzenswärme findet sie nicht bei ihm, sondern bei ihrem schwulen Nachbarn. Ihr Arbeitgeber ist ein sexistisches A*loch, das ihre Freiberuflichkeit für sexuelle Ausbeutung zu missbrauchen versucht. So weit, so realistisch.
Der eigentliche Thriller-Plot stellt dieser Figur nun eine neue Mitbewohnerin zur Seite, die ganz offensichtlich ihre verdrängte Weiblichkeit verkörpert: Indem diese spielerisch-flirtend im Nebenbei den Lover um den Finger wickelt, demonstriert sie dessen Wankelmütigkeit; indem sie knallhart den Arbeitgeber bedroht, verweist sie dessen Herrschaftsallüren in die Schranken.
Dann passiert, was passieren muss: die bedrohliche Weiblichkeit wird gefährlich, wird zum Monster. Zuerst schlägt sie den schwulen Freund k.o., dann verführt (eine völlig unglaubhafte Szene, so verführbar ist selbst der schwächste Mann nicht) und tötet sie den Lover und bedroht die gefesselte Hauptfigur mit dem Tod. Der sexistische Arbeitgeber kommt zu Hilfe, ist aber zu schwach und wird erschlagen. Endlich erwacht der schwule Freund und greift ein – das Blatt beginnt sich zu wenden. Die Hauptfigur küsst das Monster und stoppt es dadurch, endlich kann sie die mörderische Weiblichkeit im Heizungskeller zur Strecke bringen.
Ach, es ist traurig, wie Hollywood die Ideologien prägt, die sich bis heute als progressiv und unabhängig gebärden: Identifikationsfigur ist die Geschäftsfrau die ihre Weiblichkeit verleugnet, ihr natürlicher Verbündeter der schwule Mann. Heteromänner sind im Bett willkommen, aber als Partner ahnungslos und unbrauchbar, Macho-Chefs immerhin etwas verlässlicher, in der Not aber auch zu schwach. Der Hauptfeind der emanzipierten Frau sind die Ansprüche ihrer verdrängten Weiblichkeit, die in Notwehr erschlagen gehören.
Wollen wir („wir“ darf ich sagen, da Drehbuch wie Regie männlichen Hirnen entsprungen sind) diese Ideologie nicht langsam hinter uns lassen?
Jetzt brachte 3sat „Weiblich, ledig, jung, sucht ...“ um 23.15 Uhr, und da ich dank Coronona-Krise und Wochenende eher zu viel als zu wenig geschlafen hatte, dachte ich, das kann ich mir mal erlauben, nachdem ich ihn Jahrzehnte lang verpasst habe.
Am Anfang dachte ich noch, das liegt halt an dem inzwischen veralteten Mode- und Schönheitsideal, dass die Hauptdarstellerin und Identifikationsfigur Bridget Fonda viel weniger sexy wirkte als ihr zeitlos femininer Gegenpart Jennifer Jason Leigh als Verkörperung des Bösen.
Aber dann wird es sehr bald klar, dass das einen Sinn hat: Die Hauptfigur ist eine androgyne flotte attraktive Karrierefrau, die die Zähne zusammenbeißt und sich in der Männerwelt behauptet, ihr Lover ein laxes, liebes Weichei, das sich auf den Privilegien des Männlichseins ausruht. Herzenswärme findet sie nicht bei ihm, sondern bei ihrem schwulen Nachbarn. Ihr Arbeitgeber ist ein sexistisches A*loch, das ihre Freiberuflichkeit für sexuelle Ausbeutung zu missbrauchen versucht. So weit, so realistisch.
Der eigentliche Thriller-Plot stellt dieser Figur nun eine neue Mitbewohnerin zur Seite, die ganz offensichtlich ihre verdrängte Weiblichkeit verkörpert: Indem diese spielerisch-flirtend im Nebenbei den Lover um den Finger wickelt, demonstriert sie dessen Wankelmütigkeit; indem sie knallhart den Arbeitgeber bedroht, verweist sie dessen Herrschaftsallüren in die Schranken.
Dann passiert, was passieren muss: die bedrohliche Weiblichkeit wird gefährlich, wird zum Monster. Zuerst schlägt sie den schwulen Freund k.o., dann verführt (eine völlig unglaubhafte Szene, so verführbar ist selbst der schwächste Mann nicht) und tötet sie den Lover und bedroht die gefesselte Hauptfigur mit dem Tod. Der sexistische Arbeitgeber kommt zu Hilfe, ist aber zu schwach und wird erschlagen. Endlich erwacht der schwule Freund und greift ein – das Blatt beginnt sich zu wenden. Die Hauptfigur küsst das Monster und stoppt es dadurch, endlich kann sie die mörderische Weiblichkeit im Heizungskeller zur Strecke bringen.
Ach, es ist traurig, wie Hollywood die Ideologien prägt, die sich bis heute als progressiv und unabhängig gebärden: Identifikationsfigur ist die Geschäftsfrau die ihre Weiblichkeit verleugnet, ihr natürlicher Verbündeter der schwule Mann. Heteromänner sind im Bett willkommen, aber als Partner ahnungslos und unbrauchbar, Macho-Chefs immerhin etwas verlässlicher, in der Not aber auch zu schwach. Der Hauptfeind der emanzipierten Frau sind die Ansprüche ihrer verdrängten Weiblichkeit, die in Notwehr erschlagen gehören.
Wollen wir („wir“ darf ich sagen, da Drehbuch wie Regie männlichen Hirnen entsprungen sind) diese Ideologie nicht langsam hinter uns lassen?
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Samstag, 7. März 2020
Schattenseiten von individueller Freiheit und Frauenemanzipation und wie man sie aufhellen kann
damals, 14:51h
Dieser Tage sollte man erwarten, dass in Blogs Stellungnahmen zu aktuellen Problemen auftauchen – Gott sei Dank entbindet mich der Titel des meinigen von solchen Pflichten. Denn für so was bin ich zu langsam, immer noch fällt es mir schwer, nicht ständig mit den Fingern ins eigene Gesicht zu fahren (wie oft hab ich mir schon Herpes eingefangen auf diese Weise!). Grad vorgestern wurde mir das wieder bewusst, als ich bei einer solchen Geste leichten Desinfektionsgeruch verspürte – offenbar war irgendjemand in der Innenstadt, wo ich herkam, vernünftiger gewesen.
Und was die aktuelle Flüchtlingsproblematik anbetrifft, bin ich auch noch nicht sicher, was und wie ich denken soll. Ist es nun peinlich oder in pragmatischem Sinne als „immerhin“ zu bewerten, dass es eine gezielte Provokation durch Erdogan braucht, um das schon länger andauernde Flüchtlingselend auf den griechischen Inseln ins allgemeine Bewusstsein zu rufen? Und soll man jetzt froh sein, dass einige Politiker einiger EU-Staaten wenigstens über eventuelle kleinliche Linderungen verhandeln, nachdem Großzügigkeit seit Jahren in immer weitere Ferne rückt? Ich weiß nicht …
Deshalb rede ich lieber über damals, und zwar lese ich gerade darüber, ob und wie vor hundert Jahren Revolution und Diktatur die Familienverhältnisse in Europa beeinflusst haben. Auch was damals darüber gedacht wurde. Mir fällt auf, dass die Progressiven damals (in Russland, in Spanien, …) Ideen entwickelten, die erst lange Zeit später, nämlich heute, allgemeine Wirklichkeit werden: dass Kinderkriegen immer eine bewusste Entscheidung der Eltern sein soll und Familienplanung und Abtreibung normale Instrumente zu dieser Entscheidung, dass die freie Wahl des Sexualpartners ein hoher Wert ist, dem gegenüber die Idee einer lebenslang monogamen Liebespartnerschaft im Zweifelsfall zurückzustehen hat, dass Kinder frühzeitig auch außerhalb der Kernfamilie erzogen werden sollten , …
Besonders interessant sind dabei (wie bei jeglichen Ideen) die Schattenseiten der gewünschten Entwicklungen. Der Autor Paul Ginsborg nennt hier z. B. das Problem des Liebeskummers, mit dem damalige Revolutionäre ziemlich naiv umgingen, sofern sie es überhaupt bemerkten. Nun, ich finde das grundsätzlich gar nicht so schlimm: Wo es mehr Glück (durch sexuelle Freiheit) gibt, gibt es natürlich auch mehr Unglück, alles in der Welt hat seinen Preis. Solche Selbstverständlichkeit zu ignorieren gibt nur reaktionären Spinnern wie Houellebeque (ich hoffe, ich schätze ihn mit dieser Formulierung richtig ein, ich kann mich nicht überwinden ihn direkt zu lesen) Raum für ihre Misanthropien. (Problematisch bleibt natürlich der notwendige Ausgleich zwischen denen mit mehr und denen mit weniger Glück. Aber dazu später mehr.)
Noch bedenkenswerter finde ich den zweiten Aspekt: Es findet sich da – ich lese grade über die spanischen Anarchisten - eine Vorliebe für „Eugenik und bewusste Familienplanung mit der Absicht, … gesunden und schönen Nachwuchs hervorzubringen“, so eine Resolution von 1936. Auch wenn damit natürlich in erster Linie Verhütung und Abtreibung gemeint sind, tun solche Formulierungen schon weh. Wir Nachgeborenen denken da natürlich an Hitlers Rasse-Experimente. Aber ich denke auch an heutige Gepflogenheiten wie den Trisomie21-Test.
Auch sonst ist an der heutigen Freiheit manches fragwürdig: die späte Mutter- und Vaterschaft zum Beispiel. Kenn ich aus eigener Erfahrung. Wieso soll eine Mutter rechtzeitig dem Ruf ihres Körpers folgen und schwanger werden, wenn die Lebensverhältnisse für ein Kind noch gar nicht passen? Weshalb soll sie auf ihren Teil des Kuchens (ich rede hier nicht von „Karriere“, sondern von ganz normaler Berufslaufbahn, ohne deren zumindest zeitweise Unterbrechung mit entsprechenden Nachteilen es nunmal nicht geht) verzichten für das Kind?
Also macht man es dann so wie meine Kollegin, die einen Monat nach ihrer Verbeamtung schwanger wurde und drei Tage nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit in die nächste ging. Ich frag mich nur, ob die arme Frau mit dem Kalender in der Hand Sex hatte.
Und ich denke an den ganzen anderen Wahnsinn: sich Kinder zu organisieren über Leihmutterschaft oder (etwas weniger schlimm) sich gleich ein fertiges Kind zu besorgen aus einem Dritte-Welt-Land. Usw.
Und hier ist der große Unterschied zu den Ideen von vor hundert Jahren: Wenn man damals von der Familie wegwollte, dann in eine Gemeinschaft Gleichgesinnter. Und die Idee, ein Kind in die Kollektivbetreuung zu geben, verband sich mit der Erwartung, dass es ihm dort vielleicht sogar besser geht. Die Idee der Familienplanung meinte die Freiheit der Frau, ob sie sich der existenziell heftigen Erfahrung des Gebärens aussetzen will oder vielleicht auf eine ganz andere, kinderlose Weise ein sinnvolles Leben in der Gemeinschaft führen – und nicht: ob man sich ein Kind finanziell leisten kann …
... ich merke schon, ich gerate in nicht beweisbare Idealisierung alter Zeiten. Dennoch fällt mir auf, dass die einst progressiven Ideen heute mit einem großen Egoismus gelebt werden, der nicht nur persönlich hässlich ist (Sie kennen alle diese Eltern, die Ihr Kind als zielgerichtet zu führendes Projekt ihres persönlichen Ehrgeizes managen) und den Ideen ihren ursprünglichen Freiheitsimpuls raubt, sondern der vor allem schwach macht. Wer nur privat für sein Ego vor sich hinmurkelt, wird die sozialen Errungenschaften, die seine Vorfahren solidarisch erzwungen haben, nicht halten können.
Dafür müssen viele zusammenhalten und sind die jeweils Stärkeren den weniger Starken verpflichtet: Eltern den Kindern (auch wenn sie unterschiedliche Vorstellungen vom Leben haben), glücklich Liebende den Unglücklichen, erfolgreiche Facharbeiter den Arbeitsmigranten (aus dem östlichen Deutschland, dem östlichen Europa, Afghanistan oder dem nördlichen Afrika).
Und insofern sind wir dem aus dem Elend in Afghanistan Entflohenen, der jetzt in Griechenland oder gar noch auf der anderen Seite des Zauns festsitzt, mehr verpflichtet als dem Arbeitgebervertreter, der jetzt nach Corona-Hilfen schreit (denn der kommt auch ohne uns klar).
Und was die aktuelle Flüchtlingsproblematik anbetrifft, bin ich auch noch nicht sicher, was und wie ich denken soll. Ist es nun peinlich oder in pragmatischem Sinne als „immerhin“ zu bewerten, dass es eine gezielte Provokation durch Erdogan braucht, um das schon länger andauernde Flüchtlingselend auf den griechischen Inseln ins allgemeine Bewusstsein zu rufen? Und soll man jetzt froh sein, dass einige Politiker einiger EU-Staaten wenigstens über eventuelle kleinliche Linderungen verhandeln, nachdem Großzügigkeit seit Jahren in immer weitere Ferne rückt? Ich weiß nicht …
Deshalb rede ich lieber über damals, und zwar lese ich gerade darüber, ob und wie vor hundert Jahren Revolution und Diktatur die Familienverhältnisse in Europa beeinflusst haben. Auch was damals darüber gedacht wurde. Mir fällt auf, dass die Progressiven damals (in Russland, in Spanien, …) Ideen entwickelten, die erst lange Zeit später, nämlich heute, allgemeine Wirklichkeit werden: dass Kinderkriegen immer eine bewusste Entscheidung der Eltern sein soll und Familienplanung und Abtreibung normale Instrumente zu dieser Entscheidung, dass die freie Wahl des Sexualpartners ein hoher Wert ist, dem gegenüber die Idee einer lebenslang monogamen Liebespartnerschaft im Zweifelsfall zurückzustehen hat, dass Kinder frühzeitig auch außerhalb der Kernfamilie erzogen werden sollten , …
Besonders interessant sind dabei (wie bei jeglichen Ideen) die Schattenseiten der gewünschten Entwicklungen. Der Autor Paul Ginsborg nennt hier z. B. das Problem des Liebeskummers, mit dem damalige Revolutionäre ziemlich naiv umgingen, sofern sie es überhaupt bemerkten. Nun, ich finde das grundsätzlich gar nicht so schlimm: Wo es mehr Glück (durch sexuelle Freiheit) gibt, gibt es natürlich auch mehr Unglück, alles in der Welt hat seinen Preis. Solche Selbstverständlichkeit zu ignorieren gibt nur reaktionären Spinnern wie Houellebeque (ich hoffe, ich schätze ihn mit dieser Formulierung richtig ein, ich kann mich nicht überwinden ihn direkt zu lesen) Raum für ihre Misanthropien. (Problematisch bleibt natürlich der notwendige Ausgleich zwischen denen mit mehr und denen mit weniger Glück. Aber dazu später mehr.)
Noch bedenkenswerter finde ich den zweiten Aspekt: Es findet sich da – ich lese grade über die spanischen Anarchisten - eine Vorliebe für „Eugenik und bewusste Familienplanung mit der Absicht, … gesunden und schönen Nachwuchs hervorzubringen“, so eine Resolution von 1936. Auch wenn damit natürlich in erster Linie Verhütung und Abtreibung gemeint sind, tun solche Formulierungen schon weh. Wir Nachgeborenen denken da natürlich an Hitlers Rasse-Experimente. Aber ich denke auch an heutige Gepflogenheiten wie den Trisomie21-Test.
Auch sonst ist an der heutigen Freiheit manches fragwürdig: die späte Mutter- und Vaterschaft zum Beispiel. Kenn ich aus eigener Erfahrung. Wieso soll eine Mutter rechtzeitig dem Ruf ihres Körpers folgen und schwanger werden, wenn die Lebensverhältnisse für ein Kind noch gar nicht passen? Weshalb soll sie auf ihren Teil des Kuchens (ich rede hier nicht von „Karriere“, sondern von ganz normaler Berufslaufbahn, ohne deren zumindest zeitweise Unterbrechung mit entsprechenden Nachteilen es nunmal nicht geht) verzichten für das Kind?
Also macht man es dann so wie meine Kollegin, die einen Monat nach ihrer Verbeamtung schwanger wurde und drei Tage nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit in die nächste ging. Ich frag mich nur, ob die arme Frau mit dem Kalender in der Hand Sex hatte.
Und ich denke an den ganzen anderen Wahnsinn: sich Kinder zu organisieren über Leihmutterschaft oder (etwas weniger schlimm) sich gleich ein fertiges Kind zu besorgen aus einem Dritte-Welt-Land. Usw.
Und hier ist der große Unterschied zu den Ideen von vor hundert Jahren: Wenn man damals von der Familie wegwollte, dann in eine Gemeinschaft Gleichgesinnter. Und die Idee, ein Kind in die Kollektivbetreuung zu geben, verband sich mit der Erwartung, dass es ihm dort vielleicht sogar besser geht. Die Idee der Familienplanung meinte die Freiheit der Frau, ob sie sich der existenziell heftigen Erfahrung des Gebärens aussetzen will oder vielleicht auf eine ganz andere, kinderlose Weise ein sinnvolles Leben in der Gemeinschaft führen – und nicht: ob man sich ein Kind finanziell leisten kann …
... ich merke schon, ich gerate in nicht beweisbare Idealisierung alter Zeiten. Dennoch fällt mir auf, dass die einst progressiven Ideen heute mit einem großen Egoismus gelebt werden, der nicht nur persönlich hässlich ist (Sie kennen alle diese Eltern, die Ihr Kind als zielgerichtet zu führendes Projekt ihres persönlichen Ehrgeizes managen) und den Ideen ihren ursprünglichen Freiheitsimpuls raubt, sondern der vor allem schwach macht. Wer nur privat für sein Ego vor sich hinmurkelt, wird die sozialen Errungenschaften, die seine Vorfahren solidarisch erzwungen haben, nicht halten können.
Dafür müssen viele zusammenhalten und sind die jeweils Stärkeren den weniger Starken verpflichtet: Eltern den Kindern (auch wenn sie unterschiedliche Vorstellungen vom Leben haben), glücklich Liebende den Unglücklichen, erfolgreiche Facharbeiter den Arbeitsmigranten (aus dem östlichen Deutschland, dem östlichen Europa, Afghanistan oder dem nördlichen Afrika).
Und insofern sind wir dem aus dem Elend in Afghanistan Entflohenen, der jetzt in Griechenland oder gar noch auf der anderen Seite des Zauns festsitzt, mehr verpflichtet als dem Arbeitgebervertreter, der jetzt nach Corona-Hilfen schreit (denn der kommt auch ohne uns klar).
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Sonntag, 8. September 2019
Blick zurück: Wie sehr sich doch das Geschlechter-Verhältnis zum Positiven verändert hat!
damals, 19:28h
Es ist schon komisch: Seitdem wir in einer neuen, größeren Wohnung leben, scheint plötzlich alles zu funktionieren. Was hatte ich Probleme, den Fernseher mit dem Internet zu verbinden! Mit Wlan, das ging gar nicht (obwohl der Router im selben, winzigen Wohnzimmer stand), ich musste bei Bedarf eine Strippe durch den Raum zum Router ziehen, um den Empfang von youtube und netflix (sowie unseres bevorzugten anderen streaming-Dienstes) zu ermöglichen. Jetzt im neuen Wohnzimmer geht das auf einmal.
Natürlich sieht alles noch pottenhässlich aus: das Sofa viel zu klein für den großen Raum, der Fernseher steht provisorisch in einem leeren weißen Billy-Regal und scheppert mit Billig-Ton, da er sich, wo er steht, nicht an die Anlage anschließen lässt. Aber ansonsten:
Gestern Abend musste ich nur das WLAN-Passwort eingeben und schon konnte ich mir die ersten beiden Folgen von „When they see us“ (auf die Serie war ich schon lange neugierig) in aller Seelenruhe reinziehen. Und heute zum Bügeln stellte ich fest, dass mit 1 -2 Steckerverbindungen auch der Plattenspieler problemlos über die Anlage lief. Ich kramte ein paar Scheiben raus und …
… damit komme ich zu meinem eigentlichen Thema: Ich hörte electra, zum ersten Mal seit zehn oder zwanzig Jahren. „Einmal ich, einmal du ...“, den Song mochte ich zu DDR-Zeiten sehr. Jetzt, beim Wiedeerhören, befremdete mich das Lied doch sehr: diese Mischung aus Uralt-Patriarchalismus (selbstverständlich näht die Freundin ihrem Freund die fehlenden Knöpfe ans Hemd) und männlicher Weicheierei (die hohen Kastratenstimmen) -irgendwie schrill und daneben. Ja, sicher, das mag auch dem Spießertum des Texters Kurt Demmler geschuldet sein (verwiesen sei auf die vergleichsweise freie, emanzipatorische Rolle der Frau bei „Paul und Paula“ von Plenzdorf, der allerdings auch ein widerständigerer Charakter war als Demmler), aber dennoch ….
Andererseits: Im Westen sah es nicht besser aus. Neulich sah ich mal wieder „Der amerikanische Freund“ - dabei begeisterte mich der Blick auf Hamburg, meine jetzige Heimatstadt, Ecken, die ich täglich sehe, wie sie sich verändert haben, wie sie damals aussahen, und dann auch noch in solch exquisiter Kameraarbeit. Was darin allerdings an story und insbesondere an Mann-Frau-Interaktion zu sehen war, da schweigen wir mal lieber drüber - kein Ruhmesblatt für Wim Wenders.
Allerdings muss man sagen, dass der Westen in der Lage war, vorwärts zu gehen, auch den machismo der 68er (wie er sich in Wenders` Film manifestiert) hinter sich zu lassen. Im Osten hat electra noch bis 2015 existiert, und was mir youtube zum Thema zuerst anbietet, ist eine unerträglich verschlagerte Version von „Einmal ich, einmal, du ….“. Irgendwie kann man verstehen, dass die Kinder der electra-Fans dann dumpfe Nazis wurden.
Mal als Vergleich: Wie elegant liest sich das bei meinem derzeitigen Lieblingsautor Gert Loschütz! Ein Erzählstrang in „Ein schönes Paar“, den ich besonders mag, handelt von der Ex-Freundin des Ich-Erzählers. Er hatte (wie im electra-Song) gehofft, die ständig Männerwechselnde von ihrer Manie befreien können, derjenige zu sein, welcher … – und es auf seine Weise geschafft: In seinen Armen begriff sie, dass sie lesbisch ist. Und blieb im Weiteren (nun mit weiterhin wechselnden, allerdings weiblichen Sexualpartnern) seine zuverlässige, treue Freundin. Was für eine schöne Idee!
Natürlich sieht alles noch pottenhässlich aus: das Sofa viel zu klein für den großen Raum, der Fernseher steht provisorisch in einem leeren weißen Billy-Regal und scheppert mit Billig-Ton, da er sich, wo er steht, nicht an die Anlage anschließen lässt. Aber ansonsten:
Gestern Abend musste ich nur das WLAN-Passwort eingeben und schon konnte ich mir die ersten beiden Folgen von „When they see us“ (auf die Serie war ich schon lange neugierig) in aller Seelenruhe reinziehen. Und heute zum Bügeln stellte ich fest, dass mit 1 -2 Steckerverbindungen auch der Plattenspieler problemlos über die Anlage lief. Ich kramte ein paar Scheiben raus und …
… damit komme ich zu meinem eigentlichen Thema: Ich hörte electra, zum ersten Mal seit zehn oder zwanzig Jahren. „Einmal ich, einmal du ...“, den Song mochte ich zu DDR-Zeiten sehr. Jetzt, beim Wiedeerhören, befremdete mich das Lied doch sehr: diese Mischung aus Uralt-Patriarchalismus (selbstverständlich näht die Freundin ihrem Freund die fehlenden Knöpfe ans Hemd) und männlicher Weicheierei (die hohen Kastratenstimmen) -irgendwie schrill und daneben. Ja, sicher, das mag auch dem Spießertum des Texters Kurt Demmler geschuldet sein (verwiesen sei auf die vergleichsweise freie, emanzipatorische Rolle der Frau bei „Paul und Paula“ von Plenzdorf, der allerdings auch ein widerständigerer Charakter war als Demmler), aber dennoch ….
Andererseits: Im Westen sah es nicht besser aus. Neulich sah ich mal wieder „Der amerikanische Freund“ - dabei begeisterte mich der Blick auf Hamburg, meine jetzige Heimatstadt, Ecken, die ich täglich sehe, wie sie sich verändert haben, wie sie damals aussahen, und dann auch noch in solch exquisiter Kameraarbeit. Was darin allerdings an story und insbesondere an Mann-Frau-Interaktion zu sehen war, da schweigen wir mal lieber drüber - kein Ruhmesblatt für Wim Wenders.
Allerdings muss man sagen, dass der Westen in der Lage war, vorwärts zu gehen, auch den machismo der 68er (wie er sich in Wenders` Film manifestiert) hinter sich zu lassen. Im Osten hat electra noch bis 2015 existiert, und was mir youtube zum Thema zuerst anbietet, ist eine unerträglich verschlagerte Version von „Einmal ich, einmal, du ….“. Irgendwie kann man verstehen, dass die Kinder der electra-Fans dann dumpfe Nazis wurden.
Mal als Vergleich: Wie elegant liest sich das bei meinem derzeitigen Lieblingsautor Gert Loschütz! Ein Erzählstrang in „Ein schönes Paar“, den ich besonders mag, handelt von der Ex-Freundin des Ich-Erzählers. Er hatte (wie im electra-Song) gehofft, die ständig Männerwechselnde von ihrer Manie befreien können, derjenige zu sein, welcher … – und es auf seine Weise geschafft: In seinen Armen begriff sie, dass sie lesbisch ist. Und blieb im Weiteren (nun mit weiterhin wechselnden, allerdings weiblichen Sexualpartnern) seine zuverlässige, treue Freundin. Was für eine schöne Idee!
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Mittwoch, 3. April 2019
Best Practise
damals, 16:16h
Ich kannte den Begriff gar nicht, musste erst bei Wikipedia nachgucken, um zu erfahren, dass er aus der angloamerikanischen Betriebswirtschaft stammt und so viel wie “Erfolgsrezept“ bedeutet.
Und jetzt flattert mir die Einladung zu einer Informationsveranstaltung „Vielfalt leben“ herein. Es ging da irgendwie um geschlechtlche Vielfalt und ich dachte im ersten Moment: Warum nicht?
Aber dann sah ich, dass die Veranstaltung nur aus den „Best-Practise“-Referaten dreier Marketing-Beauftragter besteht. Da werden also die betriebswirtschaftlichen Erfolgsrezepte folgender Firmen zum Besten gegeben: Facebook, Barclaycard Hamburg, Uni Hamburg. Bin ich jetzt voreingenommen, wenn ich die Vielfalt lieber woanders lebe?
(Geschlechtliche Vielfalt schätze ich außerordentlich, allerdings vor allem da, wo sie mit geistiger Vielfalt einhergeht.)
Und jetzt flattert mir die Einladung zu einer Informationsveranstaltung „Vielfalt leben“ herein. Es ging da irgendwie um geschlechtlche Vielfalt und ich dachte im ersten Moment: Warum nicht?
Aber dann sah ich, dass die Veranstaltung nur aus den „Best-Practise“-Referaten dreier Marketing-Beauftragter besteht. Da werden also die betriebswirtschaftlichen Erfolgsrezepte folgender Firmen zum Besten gegeben: Facebook, Barclaycard Hamburg, Uni Hamburg. Bin ich jetzt voreingenommen, wenn ich die Vielfalt lieber woanders lebe?
(Geschlechtliche Vielfalt schätze ich außerordentlich, allerdings vor allem da, wo sie mit geistiger Vielfalt einhergeht.)
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