Dienstag, 15. Mai 2007
Armeezeit, Teil 17
Auch Wache stand ich natürlich wieder oft, denn unser eigentliches Tagesgeschäft, der Umgang mit der Kanone, erforderte nicht viel Arbeit. Ich stand jetzt meistens am Munitionslager. Das war ein ungeliebter Posten, denn das Munitionslager lag - wegen der Explosionsgefahr - sehr weit weg, in der äußersten hintersten Ecke des Regiments. Das hieß, man musste sehr weit laufen um dort hinzukommen, und ebenso weit um wieder zurückzukommen, und das viermal in den 24 Stunden Wachdienst. Ich schätzte den Posten vier, hinten am Munilager. Denn hier kam nie eine Postenkontrolle. Die Offiziere waren viel zu faul, so weit zu laufen. Ich hatte oft ein Buch dabei, eigentlich fast immer. Ich erinnere mich, dass ich Sartre gelesen habe, ein Buch mit dem schönen Titel "Die Wörter". Ich weiß nichts mehr von dem, was in dem Buch stand. Aber ich weiß nur noch, wie schön es war darin zu lesen. Es war eine andere Welt, in der Tat, eine Welt von klugen Gedanken - und eine Welt der Wahrhaftigkeit, des Geistes. Was für mich eins war. Das Buch war zu groß, um es der Seitentasche der Uniformhose unterzubringen, wo die Wachposten üblicherweise das natürlich auch verbotene, so genannte "Faktenradio" einzustellen pflegten, das Radio eben, das einen "Fakt" darstellte - den Beweis einer unerlaubten Handlung. Mein Fakt war ein Buch. Ich versteckte es vor der Brust, unter der Jacke.

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Ich lese hier schon eine Weile mit und wollte Ihnen einfach mal Dankeschön sagen für die interessanten Einblicke.

Ich habe meinen Grundwehrdienst anno 1984 größtenteils als Wachsoldat in einem Raketenlager der Bundeswehr verbracht. Und ich kenne das auch sehr gut, den Zwiespalt, der mit dem Posten des UvD (oder stellvertretenden Wachhabenden) verbunden ist. All die kleinen und großen Wachvergehen. Die Vorgesetzten, die das alles mit Augenmaß regelten und jene karrieregeilen Paragraphenreiter und Vorschriftsfetischisten. Ich glaube, diese Grundmuster finden sich in jeder Armee der Welt, ganz gleich, welchen staatsideologischen Hintergrund die jeweilige Truppe hat.

Aber im Vergleich mit Ihren Berichten würde ich sagen, dass es beim Bund insgesamt etwas lässiger zuging, auch wenn wir im Raketenlager stets eine verschärfte Bedrohungssituation empfanden (auch im Hinblick auf terroristische Angriffe).

Bin jedenfalls gespannt auf Ihre Fortsetzung.

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Danke schön. Ich weiß ja nicht, wo Sie bei der Bundeswehr waren. Wir jedenfalls haben bei den Übungen immer gegen ein Panzergrenadierregiment aus Braunschweig gekämpft (und es natürlich immer besiegt). Ich hatte damals die Idee, ob man nicht mal (anstatt immer mit den Russen) mal ein Freundschaftstreffen mit diesem Regiment veranstalten sollte - damit man weiß, mit wem man's zu tun hat. Schön, dass dieses hiermit zustande kommt.

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Nix 1.000 Tage bei der Asche ?
Nix Unteroffizier-Karriere und auch KEIN Aufenthalt in Schwedt ? Ich bin gelangweilt ... ;)

Die Bundeswehr war ein müder Haufen, wobei die von *mark4711* angesprochenen Raketen-Tussis besonders bequem waren ...

Wir sollte froh sein, daß es nicht zum "Ernstfall" gekommen ist - ein Kumpel von mir, ehem. Polit-Offizier eines NVA-Regiments, war 11/89 bereit, durchzuladen und zu schießen ... :(

Wie fandest Du übrigens Leander Hausmanns *NVA* ?

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Ich habe nie behauptet,
dass die Bundeswehr oder speziell mein FlaRak-Regiment der dollste Kämpferhaufen der Welt war. Wobei: Schießgeile Rambos gab es wohl hüben wie drüben.

Für uns im Raketenlager sah die Planung im Ernstfall konkret so aus, dass wir davon ausgingen, mitsamt unseren alten Nike-Raketen in den ersten 30 Sekunden eines Konflikts mit dem Warschauer Pakt pulverisiert zu sein. Nicht mehr und nicht weniger. Die Glücklichen, die grad nicht auf Wache gewesen wären, hätten sich dann in den konventionellen Bodenverteidgungskampf einzuklinken gehabt.

Ansonsten sah das realistischere und alltägliche Bedrohungsszenario eher einen Terroranschlag auf das Depot vor. Oder Übergriffe von militanten Abrüstungsbefürwortern, was weiß ich. Entsprechend scharf war die Wache, weil man nie sicher sein konnte, ob den nächste Alarm eine Übung sein würde oder ob vielleicht doch... In dieser Lage bin ich auch mit meinen 100 Schuss auf der MG-Kette zum Sandsack-Unterstand vorgerückt mit dem Entschluss, nicht an Munition zu sparen, wenn's wirklich hart auf hart kommt.

Ehrlich gesagt habe ich (wie meine direkten Vorgesetzten auch) nicht wirklich geglaubt, je einem NVA-Kollegen im Gefecht gegenüberstehen zu müssen. Denn wie gesagt: Im Falle ernsthafter Kampfhandlungen hätten wir es eher mit einer russischen Rakete oder Spetsnats zu tun gehabt und vermutlich nicht lange genug überlebt, um noch DDR-Truppen zu sehen.

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Bin ich froh, dass wir heute darüber lachen können
Nix für ungut wenn ich mich als Frau hier einmische, aber ich muss das loswerden...

Ehrlich gesagt habe ich (wie meine direkten Vorgesetzten auch) nicht wirklich geglaubt, je einem NVA-Kollegen im Gefecht gegenüberstehen zu müssen.

Uns hat man in der Schule gesagt, dass wir uns keine Sorgen machen müssten, weil sofern die Truppen des Warschauer Paktes es jemals schaffen würden in die BRD einzufallen, dann würden die doch sowieso alle am Kamener Kreuz im Stau stecken bleiben ;-).
Kleiner Scherz am Rande! Ich wollte eigentlich nur sagen, dass dies ein ausgesprochen interessantes Blog ist. Mehr davon.

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