Sonntag, 15. April 2007
Armeezeit, Teil 1
Treffpunkt 11 Uhr, eine wirklich angenehme Uhrzeit. Ich konnte lang am Frühstückstisch sitzen, mein Vater war längst zur Arbeit, und gemächlich losbummeln. Ich wollte nicht, dass mich jemand von den Eltern hinbrachte. Ich fuhr allein mit der Straßenbahn. Für Anfang November war es warm. Die Sonne schien. Ich schwitzte, weil ich so viel zu schleppen hatte. Als ich ankam, sah ich schon von der Straßenbahnhaltestelle aus die Grüppchen drüben vor dem Stadioneingang. Familien mit Söhnen, demonstrativ knutschende Paare. Doch die meisten waren allein wie ich. Um 5 Minuten vor elf kam ein Uniformierter aus dem Eingang. Ihm folgten eine Handvoll andere, offenbar ihm untergebene Soldaten. Es kam Bewegung in die Grüppchen. Wie der Anlass es verlangt, wurde viel geweint von denen, die zurückbleiben würden. Um Punkt elf Uhr begann der Uniformierte mit dem Vorlesen der Namen. Die Aufgerufenen nahmen ihre Sachen und wurden von den Subalternen zu kleinen Gruppen formiert. Als auch ich in einer solchen Gruppe stand, wurde mir besser. Ich war kein Einsamer mehr, das Winken der Hinterbliebenen konnte auch mir gelten. Wir gingen durchs Tor, geführt von zweien der Uniformierten. Einer von ihnen ging voran, der andre umkreiste uns wie ein Hütehund. Damit begann die Reise.
Wir wurden ums Stadion geführt, über Sportplätze, an Sportlerunterkünften vorbei und dann hinten aus dem Stadiongelände heraus und kleine Straßen entlang. Straßen, die wir kannten, aber die uns nicht mehr erkannten. Wir waren weg. Auch in den Bahnhof gingen wir nicht wie normale Leute. Man führte uns über einen Betriebshof und dann durch eine winzige Seitentür hinein. Dennoch ließ es sich nicht vermeiden, die große Bahnhofstreppe zu benutzen, denn unser Zug stand an einem regulären Bahnsteig, der anders nicht erreichbar war. Aber die meisten Reisenden schauten höflich weg, als wir vorbeikamen. Nur an eine Frau erinnere ich mich, die mich ansah, gerade als wir durch die kleine Tür neben den Fahrkartenschaltern die Halle betraten. Sie sagte sogar etwas, irgendetwas Aufmunterndes, ich weiß es nicht mehr genau, wahrscheinlich „Viel Glück!"

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