Mittwoch, 2. November 2022
Zum Teufel mit der Berufsorientierung!
Heute einmal ein Zwischenruf aus meiner beruflichen Nische, dem Unterricht für zugewanderte Jugendliche. Gestern ging es um die B2-Prüfung, die Deutschkenntnisse auf mittlerem Sprachniveau nachweist. Die Prüfung, von der es früher hieß, sie befähige dazu, sich problemlos im deutschen Berufsalltag zu bewegen (jetzt in Zeiten des Fachkräftemangels sehen das aber viele Firmen nicht mehr so eng). Bei uns machen das in der Regel die Schüler, die einen MSA (entspricht dem früheren Realschulabschluss, umfasst aber nur die Kernfächer Deutsch, Mathe, Englisch, Sachkunde/Politik, Berufsorientierung) anstreben.

Und wie immer, wenn es um die B2-Prüfung geht, wird unter den Lehrern wieder das gleiche Thema diskutiert: die fehlende Allgemeinbildung. Die Prüflinge müssen zu einem vorgegebenen Thema miteinander diskutieren, um zu beweisen, dass sie dazu in der Lage sind. Von vielen dieser Themen haben sie aber keine Ahnung, die über einen Small Talk auf Sprachanfängerniveau hinausgeht.

Das muss man sich mal vorstellen! Wir vergeben Schulabschlüsse an Menschen, die nicht (oder nur ganz rudimentär) wissen, welche Tiere und Pflanzen es in Deutschland gibt, was das Wetter damit zu tun hat, wie Strom hergestellt wird oder die Lebensmittel, die sie essen, was eine Patientenverfügung ist usw. Neulich sagte ein Berufsschüler, also jemand, der schon eine Stufe weiter ist, in der Ausbildung: "Ach, es gibt in Deutschland noch Häuser mit Holzfußboden?"

Gut, sie können quadratische Gleichungen und ein bisschen Englisch; sie wissen, welche Sozialabgaben es gibt, wie man einen Ausbildungsplatz findet und wie man sich dem Chef gegenüber verhält - kurz: sie funktionieren. Aber sie wissen nichts von der Welt, in der sie leben. Zum Teufel mit der Berufsorientierung!

-

Nun, das Phänomen dürfte uns bekannt sein. Auch in der medialen Öffentlichkeit wird gern sprachlich geschickt diskutiert, z.B. über Corona, mit Quellen und Beispielen und Argumenten, wie mans in der Schule gelernt hat, nur am Hintergrundwissen, am Überblick über die Gesamtlage, da fehlt es häufig.

Ich halt mich ja (von meinen bewusst und ausdrücklich laienhaften Äußerungen zur Politik abgesehen) meist raus aus diesen virtuellen Diskussionen. Nur im Fall des NSU hab ich das mal länger und genauer verfolgt, und da hab ich mit der Zeit mitgekriegt, dass man die Betrüger oft geradezu an ihrer vor sich hergetragenen Sachlichkeit erkennen konnte: Die penibel Detailfakten auflistenden Klein-klein-Argumentierer führten in der Regel irgendetwas Unausgesprochenes im Schilde.

... link (3 Kommentare)   ... comment


Montag, 31. Oktober 2022
"Braucht auch Deutschland die Bombe?"
So weit ist es schon, dass eine seriöse Tageszeitung in Deutschland diese Frage in den Titel stellt. Und sie im Folgenden bejaht.

Also, jetzt mal im Ernst: Gut, wir wissen, dass Putin wild, wütend, rücksichtslos agiert. Wie ein in die Ecke gedrängter bissiger Hund. Wenn man vor so einem Hund wegläuft, kann man sicher sein, dass er einem ins Bein beißt. Auch wenn man nicht vor ihm wegläuft, könnte er das versuchen. Ein Atomschlag ist aber kein Biss ins Bein. Es wäre ein Akt des Wahnsinns, der Russland keinesfalls den Sieg im aktuellen Krieg bringen würde. Dennoch ist er Putin zuzutrauen. Sollte er aber wirklich so verrückt sein, wird ihn auch keine gegnerische Atombombe davon abhalten.

Ich kann nur warnen vor solchen Stärke-Phantasien. Zeitenwende, jawoll! Eine Atombombe, damit uns keiner mehr was kann. Als Nächstes dann die Todesstrafe, damit endlich mal Ordnung kommt in diese lasche Justiz. Und am Ende einen Kaiser oder Diktator, dann gehts uns wieder gut.

Übrigens fahren die Getreideschiffe wieder, weil verhandelt wurde, und sie fahren auch, wenn Russland, unzuverlässig wie eh und je, einen Rückzieher macht. Natürlich spielt die Kriegssituation eine Rolle, ohne den Widerstand der Ukrainer hätte es auch die Verhandlungen um die Getreidetransporte nicht gegeben. Aber eins ist ohne das andere nichts wert: Die Ukraine muss sich verteidigen (können), und sie muss eine Weg finden, diplomatisch wieder aus dem Schlamassel rauszukommen (auch wenn sie ihn nicht angerichtet hat). Und wenn Putin nicht verhandeln will, dann muss er dazu gebracht werden. Vor allem natürlich militärisch. Aber nicht nur.

Aber vor allem: Lasst uns hier nicht das Klima vergiften! Schlimm genug die Hetze gegen Demokratie und Vernunft in den sozialen Medien (bei der Putin sicher kräftig mitwirkt). Das Niveau müssen wir nicht auch noch in der FAZ haben!

... link (2 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 25. Oktober 2022
Der Industrietaucher - Christian Petzold und seine "Undine" neulich im Fernsehen
Ach, dieser Christian Petzold - so klug und so spröde, so voller Sehnsucht nach der Romantik und doch gefangen in zeitgenössisch rationalistischer Ideologie! Da lässt er Undine, die Nixe, als moderne junge Frau, freiberufliche Führerin durch Ideen und Modelle Berliner Stadtgestaltung, auftreten. Sie wird von ihrem Freund verlassen und findet sofort einen neuen, den Industrietaucher Christoph. Der wird dann aber von ihrem Vater, einem dicken Wels aus den Tiefen eines westdeutschen Stausees, bedroht und beinahe zu Tode gebracht - nur indem Undine ihren alten Lover ertränkt, kann sie ihren neuen retten. Sie selbst aber muss zurück ins Wasser. Christoph bindet sich nach ihrem Verschwinden an eine neue Frau. Nur einmal ist er versucht, der immer noch geliebten Undine ins Wasser zu folgen, schreckt aber im letzten Moment zurück und bleibt doch in der banalen Realität.

Das stimmt doch alles hinten und vorne nicht, sagte ich mir, als ich das Geschehen betrachtete. Im Nachhinein jedoch, mit Nachdenken, ergab es auf andere Weise doch auch wieder Sinn, für mich jedenfalls.

Na ja, vielleicht bin ich auch falsch reingerutscht in den Film: diese Anfangsszene, in der Undine ihrem Freund in theaterhaft künstlicher Rede androht, dass sie ihn töten wird, falls er sie verlässt - das erlebte ich keineswegs als romantisches Motiv, nur als überzogene Reaktion einer Dramaqueen. Zu bestätigen schien sich das, als sie sich keine fünf Minuten später leidenschaftlich in den Nächsten verliebte. Die dann folgenden Liebesszenen mit Christoph hab ich dann nur noch als kitschig wahrgenommen: Meine Güte - wenn zwei Menschen sich lieben, wie viel Auf und Ab, wie viel Kreuz und Quer gibt es da, wie interessant und überraschend kann das sein! Aber hier nur die immerselbe Liebesleidenschaft.

Erst mit dem Beinahe-Tod von Christoph wurde der Film für mich wieder interessant. Undines Telefonat mit dem bereits hirntoten Christoph, die Errettung Christophs durch Ertränken des Ex-Lovers - da hat sich mir zwar die Logik nicht so recht erschlossen, aber spannend war es schon. Und wie Undine dann geht und Christoph ihr beinahe, aber dann doch nicht folgt, das war richtig bewegend. Da hab ich richtig mitgebangt und gehofft, dass er es wagt zu gehen, wie einst Anselmus im "Goldenen Topf". Aber Industrietaucher bleibt eben Industrietaucher und wird nimmermehr ein Wassermann. Wie wahrscheinlich auch Petzold selber.

Denn das gewisse Etwas, das den romantischen Motiven des Films so sehr fehlte (diese albernen Unterwasserszenen!), dieses leicht Schräge, die Wirklichkeit Transzendierende, Poetische - das hatte der Film durchaus, nur eben ganz woanders: da, wo Undines gelehrte Monologe über Stadtgestaltung einfach viel zu lange weiterlaufen und die Handlung beiseite drängen. Da war wirklich drängendes Interesse, Herzblut spürbar. Noch gesteigert dadurch, dass Christoph abends auf dem Sofa, anstatt mit ihr zu knutschen, lieber das Referat über das Berliner Stadtschloss hören will - und es auch kriegt.

Und das, obwohl sich Undine gar nicht für das Stadtschloss interessiert, sie hat das Referat nur widerwillig für eine kranke Kollegin übernommen! (Sie ist ja auch eine Nixe, was soll ihr das Stadtschloss?) Richtig klar wurde mir das, als sich im 2. Teil des Films nochmal so ein Stadtgestaltungsmonolog breitmachte, der der professionellen Kollegin. Der war scharf, klar, befasste sich mit Bedeutung des Bodenpreises für das Stadtbild und verwies damit Undines Reden über Stadtschloss oder realsozialistische Bauten in den Bereich des weniger relevanten Kulturgelabers.

Vielleicht liegt es daran, dass es meines Erachtens so richtig romantisch nur werden kann, wo die brennende Sehnsucht besteht, zu den Punkten vorzudringen, an denen es wehtut. Ob ein Mann bereit ist, sich auf Gedeih und Verderb an eine Frau zu binden oder ob er nicht doch lieber mit einer anderen abzieht - das war im 18. Jahrhundert so eine brennende Frage für eine Frau - heute in den Zeiten des schwindenden Patriarchats eben nicht mehr. Und berührt, mich jedenfalls, nicht. Solche eifersüchtigen Wels-Väter aber, die ihre Töchter aus dem Hintergrund überwachen, so dass diese es nur zu einem prekären Job im Berliner Kulturbetrieb bringen, die gibt es durchaus noch. Da wird es spannend. Denn es gibt Teilbereiche der Gesellschaft, in denen das patriarchale System noch funktioniert und das Zusammenleben in einer längst viel moderneren Gesellschaft stört: wo Männer mit Bodenpreisen spekulieren und hre Töchter nicht mitspielen, sondern lieber über Kulturfragen palavern lassen, wo Männer dafür sorgen, dass über die Frage des Bodenpreises geschwiegen (es ist kein Zufall, dass in Petzolds Film eine professionell agierende Frau die Frage anspricht) und lieber über einen oberflächlichen Mietendeckel oder gar die mühsam gefüllte Kopie eines Stadtschlosses diskutiert wird.

Sie sehen, da steckt richtig viel drin in dem Film. Auch wenn es Christian Petzold wieder nicht gelungen ist, richtig abzutauchen in die Poesie. Vielleicht gelingt ihm das ja mit seinem nächsten Film, der soll fast fertig sein.

... link (2 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 13. Oktober 2022
Wagenknecht in Architektur
Ich bin mal wieder in Potsdam gewesen. Da stritten ja die Stadtgestalter seit Jahrzehnten, ob das potthässliche und funktionslos gewordene "Rechenzentrum" in der Innenstadt stehen bleiben oder an derselben Stelle die Garnisonkirche wiederaufgebaut werden soll, um die hässlichere Seite Preußens und den "Tag von Potsdam" in ehrendem Gedenken zu halten.

Nun, wie es im Moment aussieht, scheint sich beides zu verbinden - hinten bleibt der realsozialistische Betonkasten (der sich vorübergehend eine neue Funktion als "Kreativhaus" gesucht hat), vorne drangeklatscht wird derzeit der Neubau des Garnisonkirchenturms (dessen Funktion sich in seiner Symbolkraft erschöpft).

Mich erinnert diese Kombination an die Methode "Wagenknecht": die Basis realsozialistische Gefühllosigkeit und vorne dran ein knalliges rechtes Symbol.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 20. September 2022
Wie Christian Lindner die Korruption im öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekämpfen will
Eben höre ich in den Nachrichten, dass Christian Lindner den öffentlich-rechtlichen Rundfunk reformieren will, indem der Rundfunkbeitrag "gedeckelt", also (in den heutigen Zeiten des Wertverlusts von Geld) allmählich reduziert wird. Er nennt Beispiele von Verschwendung, um dies zu begründen.

Das ist der alte neoliberale Denkfehler: Man glaubt, dass Kostendruck einen Anreiz schafft, die Dinge vernünftiger zu organiseren. Das funktioniert aber nur in den seltenen Fällen, in denen größere Effizienz auch zu sinnvolleren Ergebnissen führt.

Meines Erachtens sind die von Lindner genannten Beispiele für Verschwendung (mehrfache Berichterstattung über dasselbe Ereignis durch verschiedene Sendeanstalten, zu hohe Intendantengehälter) nur ein Nebenprodukt von Pfründesicherung und Korruption. Erhöht man den finanziellen Druck, werden Sendeanstalten oder einzelnen Personen ihre Privilegien nur umso verbissener verteidigen, die Korruption wird zu-, nicht abnehmen.

Ein sinnvoller Reformvorschlag ist das nicht.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 31. August 2022
Letzte Woche in den Nachrichten
Letzte Woche habe ich mal wieder Tagesschau geguckt. Da war zu hören, dass der Typ, der den Mord an Walter Lübcke organisiert und wahrscheinlich auch dessen Ausführung überwacht hat, wiederum und nun endgültig freigesprochen wird. In der nächsten Meldung erfuhr ich dann, was der Bundespräsident währenddessen gemacht hat: nämlich eine Blume niedergelegt in Rostock-Lichtenhagen. So sehen wir verschiedene Gewalten der Bundesrepublik vereint im effektiven Kampf gegen den Rechtsradikalismus.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 15. August 2022
Zurück aus dem Urlaub
Alle paar Monate guck ich mal nach, ob der groß angekündigte Prozess gegen die übrigen NSU-Mitglieder (mit welchem Hinweis man diese Verdächtigen aus dem ersten Prozess herausgehalten hatte) nun endlich begonnen hat, aber die Suchmaschinen zeigen wie immer und seit Jahren fast wörtlich gleichlautende Meldungen:


Ansonsten kann man nicht sagen, dass sich nichts verändert: vor zehn Jahren war ich im Urlaub in Griechenland und schwor, nie wieder in ein Land zu fahren, in dem es im Sommer so heiß ist. Aber diesmal war ich in Sachsen, und es war nicht besser, die Hubschrauber flogen den ganzen Tag


Immerhin komme ich mit dem Wortschatz ostdeutscher Kreuzworträtsel gut klar - ich kenne noch das "Nicki"


und nach langem Nachdenken fällt mir auch ein, dass mit "nicht ausführbarer Plan" die "Utopie" gemeint sein könnte.


Und letzteres veranlasst mich zu diesem Post: Wer glaubt, eine Utopie sei ein konkreter Plan, der 1 zu 1 in die Wirklichkeit umgesetzt werden kann und soll, der kann natürlich sämtliche politischen Richtungen, die ihr Handeln mit politischen Vorstellungen von der Gesellschaft begründen, für gefährlich halten.

... link (1 Kommentar)   ... comment


Sonntag, 24. Juli 2022
Von der Fehlbarkeit des Papstes
Als der Papst Franziskus sein Amt antrat, war ich wie viele begeistert von dessen sympathischer Ausstrahlung und der offenkundigen Reformwilligkeit. Ich bin zwar kein Christ, aber als Europäer ist mir doch die christliche Kultur nahe, und wenn es da positive Entwicklungen gibt, freut mich das. Natürlich gab es ein wütendes Aufheulen unter den konservativen Katholiken, und der Ratzinger wollte auch nicht raus aus seinem Gehäuse da im Vatikan, als wollte er trotz Rücktritt lieber mal noch kontrollieren, ob der der Neue da keinen Unfug macht. Ich dachte aber: Das macht er schon, der Franziskus, der stößt jetzt Veränderungen an.

In letzter Zeit jedoch werden die Proteste der Papst-Gegner leiser und vor allem: Von Franziskus selbst kommen deutliche Zeichen sturer Reformunwilligkeit. Zuletzt vor kurzem, als der Vatikan verlauten ließ, dass dem Synodalen Weg in Deutschland untersagt ist, irgendwelche strukturell relevanten Vorschläge zu machen. (Das kam jetzt zwar nicht vom Papst persönlich, aber von der Behörde, der er vorsteht, die seine Position vertritt.) Von jemandem, der außerhalb der katholischen Kirche steht, ist das kaum fassbar: Die Verlautbarungen des Synodalen Wegs kommen so ängstlich, so devot daher, immer bemüht, keinen Bischof in seiner Macht auch nur ansatzweise in Frage zu stellen, vom Papst ganz zu schweigen. Schwer zu glauben, dass schon diese leisen Regungen demokratischer Willensbildung eine Abmahnung des obersten Dienstherren hervorrufen.

Habe ich mich also in Franziskus getäuscht? Dazu muss man natürlich den Menschen selber hören: Ich las dieses Interview des Papstes zum Thema, und mir wurde klar: Nein, der Mann ist nett, er ist auch grundsätzlich offen für Neuerungen, nur hat er im Moment gänzlich andere Probleme - die er auch deutlich ansprach: Ein nennenswerter, offensichtlich einflussreicher Teil des katholischen Establishments will zurück ins 19. Jahrhundert, erkennt die Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils nicht an. Und der Papst ist nicht in der Lage, die zu stoppen! Er kann nichtmal den seit 70 Jahren bestehenden Status Quo sichern (übrigens auch dank der Zersetzungsarbeit seiner Vorgänger Wojtyla und Ratzinger), da ist an Neuerungen natürlich gar nicht zu denken.

Und hier ist der Punkt, wo Franziskus meiner Meinung nach falsch handelt: Er will den Laden zusammenhalten, das Schlimmste verhindern. Sehr ehrenhaft, aber meines Erachtens vergebliche Liebesmüh. Er erinnert mich an Intellektuelle im Realsozialismus, wie zum Beispiel Christa Wolf. Auch die wusste irgendwann genau, dass das Projekt nicht zu retten ist, dem sie sich verschrieben hatte und dem sie ihren Status verdankte. In einem ZEIT-Interview von 2005 sagte sie, dass in ihrer Kritik einen Schritt weiterzugehen bedeutet hätte, dass sie das Land verlassen muss, und das wollte sie nicht. In dieser Situation sehe ich auch Franziskus. Und wenn ich mal träumen darf: Was wäre das für ein Zeichen, wenn der Mann sich mal ehrlich machen würde und sagen: Ich schaffe es nicht, ich verlasse diese Kirche!

... link (9 Kommentare)   ... comment


Samstag, 9. Juli 2022
Politische Kannegießerei mit dem Besuch aus Sachsen-Anhalt
Wir sprechen übers Baden. "Wir fahrn dann immer an den M.er See," (ein verfüllter Tagebau), "das ist nur doof mit den Parkplätzen - und die ganze andere Seite, das ist alles Naturschutzgebiet - also, die spinnen, die Grünen. Weißt du, hier aufm Balkon, wie viele Vögel es da früher gab und Schmetterlinge, und jetzt: nur noch Tauben und Elstern, und einen Schmetterling siehst du auch so gut wie nie. Also, früher, bei dem Dreck" (gemeint ist das "Chemiedreieck Halle-Bitterfeld") "da haben sich die Viecher wohler gefühlt. Überhaupt der Habeck! Jetzt will er die Atomkraftwerke nicht weiterlaufen lassen, jetzt, wo alles teurer wird." - "Na ja", sag ich, "mit dem Weiterlaufenlassen ist das so eine Sache. Es ist ja nicht so, dass man die Atomkraftwerke einfach ein Jahr später abschaltet und nichts weiter tun muss. Die brauchen schon neue Brennstäbe, wenn du die weiter betreiben willst. Und dann gibt es wieder neuen Atommüll." - "Ja, das mit dem Atommüll und mit dem Endlager, das versteh ich sowieso nicht. Ich meine, unten bei der Wismut, da haben sie die alten Stollen - das waren riesige Stollen - einfach mit Bauschutt verfüllt. Hätte man da nicht den Müll reintun können? Kommt doch eh nicht drauf an." - "Weiß nicht, obs da nicht drauf ankommt. Da möchte ich erstmal ne Krebsstatistik sehen." - "Ja, klar, die haben sehr gut verdient bei der Wismut. Aber alt geworden sind die alle nicht."

Worauf wir Gott sei Dank wieder auf persönliche Themenfelder zurück wechseln. Aber zum Schluss meint er: "Also, eins wollte ich dich noch fragen: Gibts denn bei euch in Hamburg auch schon Proteste gegen die Regierung?" - "Nein. Zu welchem Thema denn?" - "Also, bei uns gibt es jetzt immer so Autokorsos mit russischen Fahnen. Gegen die Waffenlieferungen, die sie mit unseren Steuergeldern bezahlen." - "Aber verteidigen müssen die sich ja auch irgendwie in der Ukraine." - "Ja, aber wenn man das so liest, mit dem Asov-Regiment und den ganzen Nazis da ?" Ich werd langsam ärgerlich: "Wenn einer zu Boden geschlagen wird, fragst du den erstmal nach seinem Führungszeugnis? Nein, du hilfst ihm. Also ich als ein Linker" (ich weiß, das auch er sich als links begreift) "bin auf der Seite der Angegriffenen, der Unterdrückten." - "Sicher, aber damals, bei den Falklandinseln. Oder beim Irakkrieg: Da hat auch niemand demonstriert." - "Also, hier in Hamburg schon, und nicht zu knapp." erwidere ich - und erst nach dem Gespräch fällt mir ein, was ich zur Bekräftigung hätte sagen können: Dass, als der Irakkrieg anfing, hier nicht grade Autokorsos mit US-Fahnen zu beobachten waren. (Nur die allergrößten Kälber ... usw.)

Aber eine Einigkeit stellt sich dann doch noch her: Als ich, meinem Ärger Luft zu machen, auf die inszenierten "Volksrepubliken"-Rebellen im Donbass zu sprechen komme. "Ja", sagt er, "das ist doch wie damals mit den angeblichen Massenvernichtungswaffen im Irak." - "Ja, genau so". Mit Propaganda-Lug-und-Trug sind wir Ossis vertraut. Das leuchtet uns sofort ein.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 30. Juni 2022
Zum aktuellen Skandal im Wasserglas
"Antisemitismus bei der documenta" - da haben Sie bestimmt auch schon davon gehört. Ich hatte heute eine Stunde Zeit mal nachzugoogeln, was da eigentlich passiert ist. Also: Schon vor ein paar Monaten war ein Kasseler Aktionsbündnis, das den Antideutschen nahesteht, mit dem Warnruf "Antisemitismus" an die Öffentlichkeit getreten. Besonders schlimm fanden sie, dass eine palästinensische Künstlergruppe mit dezidiert politischer Kunst vertreten ist, jedoch keine israelischen Künstler.

Und das ist richtig, jedoch per se erstmal kein Antisemitismus. Sodass sich in der Öffentlichkeit die Meinung durchsetzte, man möge die Eröffnung abwarten und sich die Werke dann genau angucken. Aber natürlich rumorte die Diskussion weiter und zur Eröffnung durch den Bundespräsidenten Steinmeier positionierte sich dieser vorsichtshalber gegen Antisemitismus, ohne konkrete Werke zu nennen.

Vielleicht muss man dazu wissen, wie die Ausstellung konzipiert ist: Sie wird von einem indonesischen Künstlerkollektiv kuratiert. Man will so eine Sicht auf die Welt ermöglichen, die nicht aus der ersten Welt stammt. Da kann man natürlich keine Ausgewogenheit erwarten - Ausgewogenheit war ja auch nie das Markenzeichen der documenta, wenn man an deren Gründung und ihre Rolle im Kalten Krieg zurück oder später an die Fluxus-Angriffe auf den tradierten Kunstmarkt denkt. Nun also mal Unausgewogenheit aus Dritter-Welt-Sicht, warum nicht. Allerdings verwundert da auch nicht, dass israelkritische Kunst prominent vertreten ist.

Aber das war ja auch nicht das Thema, sondern der Antisemitismus. Und der ließ sich (soweit ich mich über veröffentlichte Meinung ganz verschiedener Art informieren konnte, gesehen hab ich die Ausstellung nicht) bei den palästinensischen Künstlern nicht unbedingt finden. Allerdings woanders: Im Rahmen der documenta wird ein Propaganda-Video einer japanischen Terroristen-Gruppe aus den 70er Jahren gezeigt, die auch einen üblen Anschlag mit vielen Toten auf den Flughafen von Tel Aviv verübt hat. Hübsch versteckt als angebliche Filmforschung unter dem allerdings verräterischen Titel "Subversive Film". Wie wahr.

Und jetzt kommt das Überraschende: Eine Kiste mit Kunstwerken aus Indonesien kommt verspätet an, und aus dieser einen Kiste muss speziell ein Bild nochmal restauratorisch überarbeitet werden, sodass keiner der Kuratoren die Zeit findet, sich das Bild nochmal anzugucken, und so kommt es, dass eine Woche nach Eröffnung den Kameras der Welt eine klassische antisemitische Hasskarikatur gezeigt werden kann. Also, wenn das nicht subversiv ist!

... link (0 Kommentare)   ... comment


<