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Natürlich war das Abteil bis auf den letzten Platz belegt. Elke fühlte sich bedrängt, da nutzte ihr der reservierte Fensterplatz gar nichts. Die selbstgeschmierten Stullen um sie herum, diese fremden Privatgespräche direkt neben ihrem Ohr, die nervigen Kinderstimmen – als jemand die Schuhe auszog und sich zum Schlafen in eine Ecke drückte, floh sie in den Speisewagen. Gut schmeckte der Kaffee nicht, aber er wurde in einer Porzellantasse serviert, und er berechtigte sie, hier zu sitzen, an einem Tisch mit Tischtuch und ohne Gegenüber. Sie sah raus auf die Wiesen und Weiden ihrer Heimat. Es war schon gut, mal für einen Tag rauszukommen aus dem Trott.
Das halbe Jahr in Hamburg hatte sich im Nachhinein überhaupt als die Rettung herausgestellt. Die wesentlichen Leute, also die sie wirklich akzeptierte, hatte sie doch in den Wochen am Rothenbaum kennen gelernt. Vor allem Klara. Elke verstand selbst nicht, weshalb sie Klara so selten besucht hatte. Mangel an Zeit konnte es eigentlich nicht sein; sicher arbeitete sie viel, aber an den Wochenenden hing sie meistens allein zu Hause und setzte sich abends vor den Fernseher. Und wenn sie ehrlich war, fuhr sie auch jetzt nur zu Klaras Sommerparty, weil dort dieser Michael auftauchen sollte. Was hatte sie ihn umgarnt in ihrer Hamburger Zeit! Aber zu mehr als zu zwei, dreimal Kaffeetrinken war die Sache nie gediehen.
Jetzt freute sich Elke. Sie dachte an das fröhliche Sommerkleid, das sie extra gekauft hatte und das jetzt in ihrem blauen Rucksack auf seinen Einsatz wartete, zusammen mit einer Flasche Prosecco und einem kleinen Geschenk für Klara. Sogar Kondome hatte sie eingepackt, obwohl sie daran gar nicht dachte. Denn eigentlich, sagte sich Elke und musste schon wieder lächeln, denk ich nicht weiter als bis zu dem Moment, wo Klara die Tür öffnet. Die weltgewandte Freundin würde sie aufnehmen. Sie könnte ihr noch ein bisschen in der Küche helfen und dann ihr Bad benutzen, um sich schön zu machen und in das neue Kleid zu schlüpfen. Den Rest würde Klara besorgen. Es konnte nur gut werden.
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Die Eltern waren natürlich zu Hause, auch Cornelia, seine Schwester, obwohl sie doch eine eigene Wohnung hatte. Offenbar hatten sie gerade den Braten vom Tisch geräumt und wollten zum Nachtisch übergehen. Die drei wirbelten durcheinander, es war schön, sie so erfreut und überrascht zu sehen. ‚Haltet mich fest.’ dachte Johannes. Er hinderte die Mutter, die ihm eine Scheibe Fleisch aufwärmen wollte. Nur bei den anderen sitzen und zuhören, dazugehören. Der Superintendent hatte also seinen uralten Streit mit Pfarrer Schröder noch immer nicht beendet. Dieses Jahr ging es offenbar um die Reparatur des Turmdachs von St. Georg. Johannes ließ sich von der Mutter noch ein bisschen Sahne geben und rührte sie in sein Kompott. Er hätte gern mit ihr auch so ein Thema gehabt, wie jetzt Vater und Tochter, die sich gerade in Einzelheiten des innerkirchlichen Dienstgefechts von Wismar vertieften.
Aber er hatte kein solches Thema. Nach dem Essen musste Cornelia eilig los, sie hatte noch zu arbeiten, Papierkram zu erledigen drüben im Gemeindehaus und später den Kinderchor. Auch Johannes hielt es nicht in der Wohnung; er ging hoch, in die Bodenkammer, die in seiner Oberschulzeit und fast noch das ganze Studium sein geheimes Reich gewesen war. Seine Mutter fragte sich, was er da wohl zu kramen hatte, wo die Schränke vollgestopft waren mit alten Comics und nie wieder gelesenen Vorlesungsmitschriften und seine Rockmusikposter, die Schallplattensammlung und das längst leer stehende Aquarium immer weiter einstaubten. Sie hätte gern mehr über Berlin erfahren, aber Johannes erzählte ja nichts. Sie wusste nur, sie durfte ihn in seiner Bodenkammer nie stören.
Am späten Nachmittag kam er runter. Auf Antrag der Mutter wurde Tee getrunken. Da saßen die drei nun zusammen und waren verlegen. Johannes erzählte wohl dies und das, auch was er die nächsten Tage vorhätte. Aber irgendwie passte alles nicht zusammen. Auch Johannes’ Vater verstand gar nichts. Er kam sich alt vor, wenn er ihm zuhörte, und sein Sohn kam ihm noch älter vor. Mit Cornelia hatte er solche Probleme nicht. Johannes dagegen ... so formlos wie die Frisur, so verschwommen erschienen ihm die Pläne seines Sohnes. Fühlte er sich wirklich wohl damit? Man konnte es kaum glauben.
Johannes sagte aber „Ja“ und wirkte auf einmal ziemlich entschlossen, er sagte „Macht euch keine Sorgen!“ und „Bis nächste Woche! Passt auf meinen Seesack auf!“ und umarmte beide nacheinander so liebevoll, wie man es von ihm gar nicht kannte. So ließen sie ihn denn ziehen auf die nächste seiner windigen Unternehmungen. So war er halt.
Johannes ging also los, denselben Weg zurück durch die Stadt. Er kam wieder am Markt vorbei, dann auch an dem Gemeindehaus, in dem Cornelia jetzt über ihren Abrechnungen saß, immer weiter stadtauswärts, die endlose Gartenstraße entlang, wo die Bebauung schon spärlich wurde, und verschwand endlich zwischen den Kleingärten am Rande von Wismar.
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Natürlich war es erst nicht so romantisch gewesen. Mit Nicoles Freundin war sie gar nicht klargekommen, eine richtige Zicke, Medizinstudentin. Und die ganze Zeit Regen. Sie saßen fest in der Wohnung, so einer typischen Ost-Studentenbude. Dünne Wände, ein enges Treppenhaus, Klo im Keller. Elke, so hieß die Wohnungsbesitzerin, hatte mit den üblichen Mitteln versucht, die Ärmlichkeit der Räume zu kaschieren. Überall hingen Bauhaus- oder August-Macke-Poster, die Dielen bedeckten die unvermeidlichen vietnamesischen Bastmatten. Und mitten drin die spröde Elke, die einen Stolz an den Tag legte, für den kein Grund bestand. Fand jedenfalls Ada.
Samstag Abend fuhr Elke nach Wismar. Sie tat sehr geheimnisvoll, aber wahrscheinlich wollte sie nur der Situation entfliehen. Jedenfalls waren Ada und Nicole endlich allein, vielleicht konnte es doch noch Wochenende werden. Da es immer noch regnete, bestellten sie Pizza und inspizierten dann die Wohnung. Lasen sich gegenseitig aus den oberlehrerhaften Texten auf den Amiga-Jazz-Schallplatten vor, testeten das Ikea-Bett auf Quietschgeräusche in Sex-Nächten und die Dusche „Ahlbeck“ auf die Fähigkeit, eine konstante Temperatur zu halten. Nicole schlug vor, den mageren Kultur-Teil des Bücherschranks zu interpretieren. „Was sucht dieses Buch übers Scheunenviertel zwischen einem Bildband über New York und einem schick illustrierten Kamasutra?“ – „Die große weite Welt.“ antwortete Ada. „Tja: ‚Anämie hatse und blutarm isse auch.’“ – „Wie?“ – „Steht hier unter der Karikatur. Sag mal, soll das Elke sein?“ Natürlich sollte es Elke sein, aber die war ja Gott sei Dank weg, irgendwo draußen im Dauerregen der mecklenburgischen Novembernacht. Und Nicole und Ada, als sie genug getrunken hatten, schliefen einfach ein im Doppelbett, Arm in Arm und ausnahmsweise glücklich.
Am Sonntag tröpfelte es nur noch. Sie beschlossen, zum Strand zu fahren. Es war noch niemand auf den Straßen und auch die S-Bahn ganz leer; die beiden Freundinnen stapften in Warnemünde an der alten Fahrt entlang, vorbei an geschlossenen Kneipen und Geschäften, besahen sich die Boote im trübe schwappenden Wasser, die regennassen Vertäuungen, die sie am Ufer hielten, und langweilten sich so wunderbar, als wären sie schon drei Wochen im Urlaub. Vor dem Schaufenster eines Schallplattenladens gabelte Nicole Johannes auf. Ein langhaariger junger Mann im Parka, nach dem Outfit hatte Ada den Eindruck, dass er schon zehn Jahre so hier herumstand.
Es war schon komisch, das sie sich auf Anhieb so gut verstanden. Vielleicht lag es daran, dass auch Johannes nichts zu tun hatte – er war zu Besuch bei seiner Schwester, die ein Praktikum in Warnemünde machte, irgendwas bei der evangelischen Gemeinde. Jedenfalls sagte er „Nein“, als ihn Nicole nach dem gemeinsamen Strandspaziergang fragte, ob er denn nicht nach Hause zu seiner Schwester müsste, und er blieb den ganzen Tag bei ihnen. Ada tat das wohl, und es tat ihr ein bisschen weh, wie rücksichtsvoll sich Nicole ihrem Wohlgefühl unterordnete. Als ob sie eine Genesende wäre! Dumme Nicole! Sie war so stark gewesen an diesem Abend, und als sie zum Schluss noch zu dritt einbrachen in die christliche Dachkammer von Johannes’ Schwester und die ganzen selbstgebackenen Kekse wegfutterten, da hatte sie doch schon längst kapiert, was mit ihr passiert war und was sie jetzt tun musste. Sie hatte sich noch nie für Männer ihres Alters interessiert, die keinerlei Ambitionen haben, aber den hier, den wollte sie haben. Also nahm sie den Kampf auf, es wurde viel gelacht und zum Schluss auch viel geküsst.
Nein, die Geschichte hatte wirklich nicht schlecht angefangen. Ada lächelte. Sie besah sich das Restchen Wein in der Flasche. „Ach, für nachher.“ Und ging wieder ins Zimmer. Inzwischen stand die Sonne niedrig, war schon hinter der gegenüberliegenden Häuserzeile verschwunden, die Wohnung lag im Schatten. Plötzlich war es ihr wieder gegenwärtig, der Dämmerabend, als sie ihn das erste Mal hier in ihre Wohnung gelockt hatte. Wie er dastand und sich verängstigt umsah, als ob er in jeder verschatteten Ecke ein Monster witterte. Ein flinkes Wald- und Wiesentier, mit aufgerissenen Augen, das ist er immer geblieben, ein Wiesel im Wohnzimmer. So eine Art kleines Zittern lief oft durch seinen Körper, ein hastiges, leises Atmen, das sie jedes Mal unvermeidlich erregte. Er musste wiederkommen. Ada stieß die Fenster auf und steckte den Kopf in den Abendhimmel, dann räumte sie seufzend das Geschirr in die Küche, goss sich ihr Restchen hinter die Binde und kuschelte sich ins Bett.
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Ada stellte den Computer ab, es hatte doch keinen Zweck. Gern wäre sie jetzt irgendwo draußen gewesen. Aber sie konnte ja niemanden unter die Augen, so wie sie jetzt aussah. Und vor allem wollte sie es nicht. Lieber zu Hause eine Flasche Wein aufmachen, ganz allein. Sie ging zu ihrem ganz persönlichen Reservoir in der Küche, nahm sich auch ein Glas und einen Korkenzieher mit und versuchte es sich auf dem winzigen Balkon bequem zu machen. Vielleicht könnte sie nachher weinen.
Natürlich war der Streit fällig gewesen. Die Freundinnen hatten ja schon zu lachen begonnen über den schmalen, blonden Schweiger, der da seit Wochen in ihrer Wohnung umhersaß, ohne einen Ton zu sagen. Man musste doch wissen, woran man war. Diese wortlose Harmonie war einfach nicht zu ertragen gewesen.
Am Anfang war er immer nur an den Wochenenden nach Berlin gekommen. Hatte irgendwann am Freitagabend vor ihrer Tür gestanden mit seinem Seefahrerrucksack und seiner Gitarre. Wie ein Täuferjüngling mit seinen langen lockigen Haaren, so still und so dringlich. Und war am Sonntag verschwunden, wie er gekommen war, mit Sack und Pack und einem verhuschten Gruß: „Ich muss los.“ Als aus den Wochenenden halbe Wochen und dann ganze wurden, war es ihr erst unheimlich. Die Wohnung war einfach zu klein, sie fühlte sich beobachtet. Beim Saubermachen oder wenn sie mit ihrer Mutter telefonierte. Und wenn Silvia und Nicole plötzlich in die Wohnung einbrachen und die halbe Nacht blieben, das war nicht halb so schön, wenn er nebenan schlief. Manchmal hätte sie ihn am liebsten rausgeschickt, aber musste sie nicht Angst haben, ihn dann für immer zu verlieren? Ada wusste, es liegt an der Wohnung. Ausflüge waren ihnen nie gelungen, eine Auto- oder Bahnfahrt war gleichbedeutend mit Streit. Selbst bei gemeinsam besuchten Partys lief es in der Regel darauf hinaus, dass er „dann schon mal nach Hause“ ging und ihr am nächsten Morgen ein Katerfrühstück ans Bett brachte. Johannes war ein wunderbarer Koch. Adas Küche war der Raum, wo er sich zuerst eingenistet hatte. Und es war der Raum, wo sie zum ersten Mal begriff, dass sie es liebte, ihn um sich zu haben. Er durfte sogar ans Weinregal.
Aber nun standen die bösen Worte im Raum. Hier mitten im Zimmer war es passiert, dass sein Mund aufging und diese hässlichen Sätze herausließ. Das war schon was andres als ihre üblichen Freiluftstreitereien. Als er im April in der Wuhlheide sich einfach in einen Seitenweg geschlagen hatte, statt ihr zu antworten, und eine Woche später aus Dresden anrief, da hatte sie ja ihre Wohnung gehabt solange, ihre Freundinnen, ihr Weinregal. Jetzt war es ernst. Denn es war ihre Wohnung, ihr Zimmer, in der jetzt alles nach seinen Aggressionen, nach seinen fixen Ideen roch. Was hatte sie mit seiner Erziehung zu tun, mit irgendwelchen lange vergangenen Konflikten in der mecklenburgischen Provinz. Wie ausgesperrt saß Ada auf dem Balkon. Sie sah runter auf den Kinderspielplatz, auf die S-Bahn im Hintergrund, sie war verlassen von aller Welt.
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Was aber das Schreiben betrifft: Nun, die Schublade ist noch voll genug, und wenn keine Zeit und kein Gehirnschmalz für neue Text da ist, werden erstmal die alten verbraten: Es folgt eine kleine Webnovela mit dem titel "Halt auf freier Strecke", die ich Ende der neunziger schrieb. Und wer würde das nicht gern: einfach auf freier Strecke anhalten und alles abbrechen?
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Ich erinnerte mich aus diesem Anlass an meinen ersten Egoyan-Film – und sah ihn auch nochmal. Es war 1993 und ich war als Student in einem SouterrainZimmer in Westdeutschland gelandet, wo ich die Nächte hindurch die Cineasten-Programme der Öffentlich-Rechtlichen verfolgte und jeden Dienstagabend vor dem „Kleinen Fernsehspiel“ saß. Da kam er, dieser eigentlich unmögliche Film: der ohne eigentliche Handlung auskommt, in dem 14 Sprachen gesprochen werden (und nur das Englische ist untertitelt) und den zwölf wunderschöne Kalenderblätter als so genannte Stills strukturieren – Kalenderblätter mit Aufnahmen armenischer Kirchen, dazwischen erzählen wackelige Videoaufnahmen, in denen jemand willkürlich vor- und zurückspult, wie die Fotos entstanden, und zwölfmal sieht man als Kontrast den Fotografen ein Jahr später in seinem kalt und künstlich ausgeleuchtetem Wohnzimmer in Kanada vor dem Kalender sitzen und leiden.
Ich begriff vor diesem Film alles: Dass alles verloren hat, wer sein inneres Armenien verloren hat. Dass es aber keinen Zweck hat dorthin zurückzugehen. Denn es sieht zwar wunderschön aus, aber es ist so arm und autoritär wie eh und je. Und dennoch: Wer es verleugnet, der wird in der Eiseskälte der westlichen Welt erfrieren.
Die Helden des Films sind die Frauen. Zwölf Frauen. Sie sprechen armenisch, deutsch, türkisch, serbokroatisch usw. Sie tragen die Erinnerung an die Heimat mit einem Stolz durch den anglophonen Westen, der sie zu den eigentlichen Westlerinnen macht. „Was heißt, du betrachtest dich als Ägypterin?“ fragt der Fotograf eine der Frauen, die gar nicht in Ägypten geboren ist, nur einen Großvater von dort hat. Es heißt Stolz, Erinnerung. Nicht Regression. Nicht Ostalgie.
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Und so ging es weiter: Als ich mit 17 die Politik für mich entdeckte, war es dann „Vermisst“ von Costa-Gavras – und Sissy Spacek als blasser Hippie die schönste Frau der Welt. Die realen Begegnungen mit Frauen dann eher desaströs – aber es gab ja Gott sei Dank Michel Serrault, der sich von Lino Ventura einfach nicht unterkriegen lässt, und ich erklärte „Das Verhör“ zum Filmkunstwerk Nr. 1.
Gut zehn Jahre später, immer noch zappelnd in postpubertären Verstrickungen, rettete mich „Lost Highway“ aus der beamtenmiefigen Tristesse eines Staatlichen Studienseminars in der niedersächsischen Provinz, wo ich mich schon fast aufgegeben hatte: Wenn diese – Lynchs – Art der Weltsicht sogar hollywoodkompatibel ist, sagte ich mir, dann bin ich vielleicht doch nicht so verkehrt in dieser Welt.
So retten einen Filme, und so verwechselt man Qualität manchmal auch mit der persönlichen Gefühlslage. Ich hab sogar mal (unter dem akuten Eindruck einer Psychotherapie) zwei Jahre lang geglaubt, „Mulholland Drive“ wäre noch besser als „Lost Highway“. Natürlich ein Irrtum. Und seit „Brokeback Mountain“ ist ja auch „Das Hochzeitsbankett“ nicht der Weisheit letzter Schluss.
Ein Film aber, und das erstaunt mich fast, der bleibt: „Calendar“ von und mit Atom Egoyan aus dem Jahr 93. Ich hab ihn aus aktuellem Anlass wieder gesehen letzte Woche, von derselben schraddeligen alten Videokassette – und er ist noch immer großartig.
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Der erste Reflex, wenn man von dieser Tatsache hört, ist ja logisch: Aha, die Stasi wars! Nach Aktenlage, wie sie in den Medien nun ausgebreitet wird, ist die Sache aber komplizierter: Kurras arbeitete zum Tatzeitpunkt als Angehöriger einer Spezialtruppe, die in der Westberliner Polizei nach Stasispitzeln suchen sollte. Gleichzeitig arbeitete er selbst als Stasi-Spitzel. Am besagten Tag hatte er den Auftrag, als Zivilfahnder auffällige Studenten aus der Menge zu isolieren und zu verhaften. Nach der Tat zeigte sich die Stasi entsetzt und beendete die Zusammenarbeit. Gleichzeitig setzten seine anderen Dienstherren alles in Bewegung, um eine Verurteilung wegen Mordes zu verhindern: Zeugen wurden nicht zugelassen, Beweismittel verschwanden. Kurras wurde freigesprochen. Und auch seine jetzt aufgefundene Akte bei der Stasi erweist sich, zumindest für die Zeit nach dem 2. Juni 1967, als „ausgedünnt“.
Die Frage ist nun, welcher Geheimdienst diese Akte denn nun ausgedünnt hat und in wessen Auftrag Kurras geschossen hat: in ostdeutschem, in westdeutschem oder vielleicht doch in seinem eigenen. Die Wahrscheinlichkeit spricht meines Erachtens ja doch für den westdeutschen Geheimdienst. Aber es ist auch egal. Denn so oder so ist das Fazit eindeutig: Die größten Feinde der Demokratie sind die Spitzel – egal, ob sie nun Karl-Heinz Kurras, Peter Urbach, Erich Mielke oder Markus Wolf heißen, egal, ob sie im Auftrag handeln oder selber denken - eins ist so schlimm wie das andere.
(... und schöne Grüße an die Kollegen vom BMI, falls ich ihre Suchmaschinen aktiviert haben sollte ...)
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Astrid Laue also, die Kollegin (die in der hier auftretenden Form natürlich genau so verfremdet und Fiktion ist wie alles andere auch). Von der ich nach drei Tagen schon weiß, dass sie ihren Literatur-Prof. so distanziert angeschwärmt hat, dass ihr am Ende nichts als ein nutzloser Magister-Abschluss davon übrig blieb; dass sie das Erbe ihrer Eltern in eine kleine Eigentumswohnung investiert hat – in einer Stadt, in der es keinen Job gibt für sie, an der Uni schon gar nicht; die ihren Vater hasst für seine rechten Überzeugungen und weil er nicht ihr Vater ist (und ihre Mutter für den Seitensprung); die Herrn D. aus dem Kurs für einen „Faschisten“ hält, weil der ein Macho und Prolet ist und ihr das sehr bekannt vorkommt – und weil er ihr in der Frühstückspause das Handy vom Lehrertisch klaute, um sie zu ärgern. „Aber da kann man doch was tun, da kann man doch die Polizei rufen.“ sag ich, und sie antwortet: „Das haben wir auch getan.“ Die Polizei, fremdenfeindlich und unterbeschäftigt, wie das in der Provinz wohl so ist am Vormittag, fragte nur: „Wie viele Ausländer?“ und erschien zwanzig Mann hoch auf dem Gewerbehof, in dessen Hinterstübchen der Unterricht stattfand. Und natürlich lag dann das Handy plötzlich auf dem Aschenbecher der Raucherecke, als hätte es Astrid selber da vergessen. Nicht anders als in der Schule, damals in der achten Klasse.
Nicht anders als in der Schule auch die Team-Sitzungen, in denen Astrid Laue dann besonderes Interesse an den pädagogischen Einschätzungen der Teilnehmer für die Arge (Hartz-IV-Behörde) zeigte, während Herr Y. (Single, Porschefahrer und Leiter einer kleinen Werkstatt, in der alte Stühle aus den umliegenden Firmen von 1-€-Jobbern für den Schuldienst in Afghanistan aufgemöbelt wurden) mit Vorliebe viertelstundenlang über Arbeitsschutzvorschriften referierte und wie das Unfallbericht-Buch am Verbandskasten korrekt zu führen sei.
Und zwischendurch ich, wie alle anderen auch ein am Höheren Gescheiterter, der sich einfach immer nur stumm wunderte, wo er hier gelandet ist ...
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Wolfgang Thierse hatte als einziger Recht, war aber zu höflich, das auch direkt auszusprechen: Der Begriff „Unrechtsstaat“ verbietet sich aus Gründen des guten Geschmacks (nicht etwa, weil er falsch wäre). Denn er dient offensichtlich nicht dazu, historische Aufklärung zu befördern, sondern im Gegenteil dazu, ein endgültiges Klischeeurteil zu etablieren, aus dem dann interessierte Kreise politischen Mehrwert schlagen können.
Schäuble selber ist das beste Beispiel – 1990 hat er bewiesen, dass ihm nicht sonderlich an den Ostdeutschen gelegen ist: eine Wiedervereinigung, bei der vielleicht das Zusammenleben neu organisiert, gar die Verfassung neu verhandelt worden wäre, wie es das Grundgesetz vorsah – das Zugeständnis waren wir ihm nicht wert. Und jetzt bedauert er unser Leiden unter dem SED-Regime. Danke! Wenn er Unfreiheit so schrecklich findet, warum bemüht er sich dann seit Jahren, sie hier im Westen zu beschneiden?
Und Hubertus Knabe, der ihm ungewollt assistiert und die sachlichen Argumente liefert, hat mich traurig gemacht: ein verirrter Mensch. Besessen von seiner Aufgabe, einer wirklich wichtigen und noblen Aufgabe (nämlich die Täter von damals an den Pranger zu stellen), verliert er den Überblick und die Bodenhaftung. Etwa wenn er die doch einfach nur kommerzielle Ostalgie-Welle für eine Beleidigung der Opfer hält. Das ist doch nun wirklich übertrieben und humorlos. „Peinlich“ ist die Ostalgie, meinte Thierse – das trifft es viel eher.
Langsam hab ich keine Lust mehr, über DDR-Themen zu diskutieren ...
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Interessant fand ich die Beobachtung eines Freundes, der meinte: Wirklich Angst haben die Leute, die in großen Firmen arbeiten, quasi die kleinen Leute aus großen Firmen.
Könnte es nicht sein, dass die Finanzkrise (jedenfalls für uns hier in Deutchland) nichts anderes ist als die nächste Stufe der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich? Ich meine: so wie bei Hartz IV. Da war ja die allgemeine Entrüstung auch nicht der Tatsache geschuldet, dass man mit Hartzt IV nun schlechter leben würde als vorher mit Sozialhilfe - sondern der Tatsache, dass nun Menschen in den Genuss der Sozialleistungen kamen, die sich meilenweit darüber erhaben dünkten.
Und jetzt: Was befürchten die Verängstigten? Doch nichts anderes als einen Status, in dem wir anderen (sich mit mehreren Jobs, freiberuflich, befristet usw. Durchhangelnden) selbstverständlich schon zehn Jahre leben. Oder?
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Aber so ist das: Jeder entwirft sein Konzept aus seinen Bedürfnissen heraus. Und manchmal kann das ja sogar passen: Jedenfalls fand ich das pädagogisch gar nicht abwegig, dass in meinem Kurs die deutschen ehemaligen Sonderschüler auch mal als klug dastehen konnten, weil ihnen nämlich der deutsche Alltagsgrundwortschatz durchaus vertraut war. Da konnten sie die Ausländer belehren, und diese konterten, indem sie häufig die Regeln der deutschen Grammatik schneller begriffen. Ein schönes Geben und Nehmen.
Und da fühlte ich mich wieder bestätigt: Ich war ganz unten, und ganz unten funktionierte es. Schon im Fortgeschrittenen-Kurs nebenan war das anders: Der iranische Ingenieur, der russische Jugendliche mit Knasterfahrung und der deutsche Sonderschüler mit acht Klassen hatten sich herzlich wenig zu sagen.
Ich fühlte mich auch bestätigt, weil hier die üblichen methodischen Tricks versagten und meine Klientel mit ihrem Chaos scheinbar meine gehassten pädagogischen Lehrer ins Unrecht setzte.
Der besagte Landarbeiter (ein „echter“ Analphabet übrigens) war von meinem Vorvorgänger (bezeichnenderweise wechselten hier die Lehrer schneller als die Schüler) bewegt worden, die Buchstaben aus Knete zu formen, um sie sich sinnlich erfahrbar zu machen. Natürlich ohne Erfolg. Ich war sehr erheitert, dass dieser beschränkte, sehr gutwillige Fünfzigjährige hier also offenbar ein paar Wochen Knetfigürchen gebastelt hatte, und versuchte es nun meinerseits mit der Ganzwortmethode, an die ich mich noch aus dem Studium flüchtig erinnerte, weil sie einst irgendwelche ideologischen Flügelkämpfe in der Grundschulpädagogik ausgelöst hatte: Ich ließ den Mann Memory-Kärtchen auswendig lernen – auf der einen Seite das Bild, auf der anderen Seite das Wort. Und brachte ihn tatsächlich dazu, dass er nach zwei - drei Wochen viele der Wörter als sogenanntes Wortbild und sogar einige Anfangsbuchstaben sicher erkennen konnte.
Nur bei dem „Arzt“-Bildchen gab es Probleme – weil er immer wieder vergaß, dass der „Dokter“ ja „Arzt“ zu nennen sei und folglich mit „A“ beginne. Allerdings helfen ja auch die Anfangsbuchstaben noch nicht weit: Woher seine Lebensgefährtin kommt – Peru oder Portugal – das brachte er immer wieder durcheinander. Insofern hatte meine Chefin – der die deutsche Sprache piepegal war – letztendlich Recht: Sie sprach von „sozialer Stabilisation“ und meinte damit, dass ein Mensch, der jeden Tag einer Beschäftigung nachgeht (und seien es Knetfiguren), anstatt zu Hause rumzuhängen, signifikant weniger säuft.
... nun, sollte hier ein Grundschul- oder DaF-Pädagoge mitgelesen haben, wird er vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen über so viel unprofessioneller Stümperei. Aber genau das will ich erklären: Stümperei ist das nicht – es ist Dilettantismus! Und zwar im edelsten Sinne, so wie ihn Alfred Lichtwark verstand (http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Lichtwark): Ich hatte keine Ahnung von irgendwas – ich hatte nur eine Erfahrung. Als Kind einer elitären Schicht (deren Privilegien ich nicht mochte und die es auch nicht mehr gibt) war ich als Jugendlicher in die Fänge der NVA geraten, wie ich hier schon berichtet habe – und da haben mich die Prolls gerettet, die Heavy-Metal-Fans – und es war damals schon so, dass meine Bildung und ihr Chaos eine ganz gute Mischung ergaben. Das ist ein rückwärtsgewandter, ein konservativer Ansatz. Aber er funktioniert. Liebe Pädagogen, glaubt es mir: Ich habe Menschen etwas beigebracht! Als letzte Woche N., mein Sorgenkind aus dem derzeitigen Kurs (aus Afrika, nie zur Schule gegangen, kann nach einem Jahr langsam kurze Sätze entziffern, und zu mehr wird sies nicht bringen) stolz erzählte, dass sie beim Hausmeister war, und er hat verstanden, dass die kleine Lampe im Flur kaputt ist, da hat sich ihr Stolz ganz und gar auf mich übertragen.
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