Freitag, 19. Juni 2009
Halt auf freier Strecke, Teil 6
Johannes blieben noch zwei bis drei Minuten, bis der Zug nach Hamburg hier vorbeikommen müsste. Er widerstand der Versuchung, Hamburger Erinnerungen nachzuhängen, die jetzt aufblitzten, diese Hochhausparty, wo ihn das Geburtstagskind geküsst hatte, das so breites Hamburgisch sprach. Er ging noch einmal seine Liste durch: Eltern und Schwester waren mit einer Legende versehen, die sie für mindestens drei bis vier Tage in Sicherheit wiegen würde. Und sonst wusste ja keiner, dass er überhaupt in Wismar gewesen war. Ada würde sich erst in einer Woche Sorgen machen. Wichtiger war allerdings, dass ihn hinterher keiner erkennen könnte. Ausweis oder Schlüssel hatte er nicht dabei. Auch sonst nichts Persönliches. Die Arbeitssachen, die er trug, stammten noch aus Praktikumszeiten, also noch von vor der Wende, aus Demmin, er hatte sie jahrelang nicht getragen und kannte eigentlich keinen mehr, der ihn darin gesehen hatte. Es konnte nichts schief gehen. Trotzdem war ihm mulmig, als die Gleise zu vibrieren begannen. Johannes hockte direkt am Bahndamm, die Hände seitlich am Schotterbett. Die Lokomotive kam näher, raste direkt auf ihn zu. Johannes spannte die Muskeln an, dann sprang er nach oben. Für einen Moment glaubte er das erschrockene Gesicht des Zugführers zu sehen, dann gab es einen Lichtblitz.

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