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Montag, 27. April 2009
Die DDR - ein "Unrechtsstaat"?
damals, 23:06h
Zu diesem Thema diskutierten gestern bei Anne Will Experten: Wolfgang Schäuble (der damals die Aushebelung der Grundgesetz-Präambel ermöglichte mit seiner Idee, uns über den Paragraphen 23 beitreten zu lassen), Wolfgang Thierse (letzter Vorzeigeossi in der Bundespolitik), Hubertus Knabe (der große Stasi-Ankläger von der gleichnamigen Gedenkstätte) sowie Ulrich Maurer von den Linken (ohne erkennbaren Bezug zum Thema, außer dass er im Vorstand der Linken sitzt).
Wolfgang Thierse hatte als einziger Recht, war aber zu höflich, das auch direkt auszusprechen: Der Begriff „Unrechtsstaat“ verbietet sich aus Gründen des guten Geschmacks (nicht etwa, weil er falsch wäre). Denn er dient offensichtlich nicht dazu, historische Aufklärung zu befördern, sondern im Gegenteil dazu, ein endgültiges Klischeeurteil zu etablieren, aus dem dann interessierte Kreise politischen Mehrwert schlagen können.
Schäuble selber ist das beste Beispiel – 1990 hat er bewiesen, dass ihm nicht sonderlich an den Ostdeutschen gelegen ist: eine Wiedervereinigung, bei der vielleicht das Zusammenleben neu organisiert, gar die Verfassung neu verhandelt worden wäre, wie es das Grundgesetz vorsah – das Zugeständnis waren wir ihm nicht wert. Und jetzt bedauert er unser Leiden unter dem SED-Regime. Danke! Wenn er Unfreiheit so schrecklich findet, warum bemüht er sich dann seit Jahren, sie hier im Westen zu beschneiden?
Und Hubertus Knabe, der ihm ungewollt assistiert und die sachlichen Argumente liefert, hat mich traurig gemacht: ein verirrter Mensch. Besessen von seiner Aufgabe, einer wirklich wichtigen und noblen Aufgabe (nämlich die Täter von damals an den Pranger zu stellen), verliert er den Überblick und die Bodenhaftung. Etwa wenn er die doch einfach nur kommerzielle Ostalgie-Welle für eine Beleidigung der Opfer hält. Das ist doch nun wirklich übertrieben und humorlos. „Peinlich“ ist die Ostalgie, meinte Thierse – das trifft es viel eher.
Langsam hab ich keine Lust mehr, über DDR-Themen zu diskutieren ...
Wolfgang Thierse hatte als einziger Recht, war aber zu höflich, das auch direkt auszusprechen: Der Begriff „Unrechtsstaat“ verbietet sich aus Gründen des guten Geschmacks (nicht etwa, weil er falsch wäre). Denn er dient offensichtlich nicht dazu, historische Aufklärung zu befördern, sondern im Gegenteil dazu, ein endgültiges Klischeeurteil zu etablieren, aus dem dann interessierte Kreise politischen Mehrwert schlagen können.
Schäuble selber ist das beste Beispiel – 1990 hat er bewiesen, dass ihm nicht sonderlich an den Ostdeutschen gelegen ist: eine Wiedervereinigung, bei der vielleicht das Zusammenleben neu organisiert, gar die Verfassung neu verhandelt worden wäre, wie es das Grundgesetz vorsah – das Zugeständnis waren wir ihm nicht wert. Und jetzt bedauert er unser Leiden unter dem SED-Regime. Danke! Wenn er Unfreiheit so schrecklich findet, warum bemüht er sich dann seit Jahren, sie hier im Westen zu beschneiden?
Und Hubertus Knabe, der ihm ungewollt assistiert und die sachlichen Argumente liefert, hat mich traurig gemacht: ein verirrter Mensch. Besessen von seiner Aufgabe, einer wirklich wichtigen und noblen Aufgabe (nämlich die Täter von damals an den Pranger zu stellen), verliert er den Überblick und die Bodenhaftung. Etwa wenn er die doch einfach nur kommerzielle Ostalgie-Welle für eine Beleidigung der Opfer hält. Das ist doch nun wirklich übertrieben und humorlos. „Peinlich“ ist die Ostalgie, meinte Thierse – das trifft es viel eher.
Langsam hab ich keine Lust mehr, über DDR-Themen zu diskutieren ...
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Sonntag, 26. April 2009
Ich wage es und schreibe über die Finanzkrise
damals, 01:24h
Nennt mich naiv und kurzsichtig, aber ich sehe noch nicht, dass es uns in diesem Land irgendwie schlechter geht bisher. Aus meinem Bekanntenkreis jedenfalls haben nur Leute Geld verloren, die auch welches übrig hatten - und in irgendwelche Sachen geparkt, von denen sie keine Ahnung haben. Nun gut.
Interessant fand ich die Beobachtung eines Freundes, der meinte: Wirklich Angst haben die Leute, die in großen Firmen arbeiten, quasi die kleinen Leute aus großen Firmen.
Könnte es nicht sein, dass die Finanzkrise (jedenfalls für uns hier in Deutchland) nichts anderes ist als die nächste Stufe der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich? Ich meine: so wie bei Hartz IV. Da war ja die allgemeine Entrüstung auch nicht der Tatsache geschuldet, dass man mit Hartzt IV nun schlechter leben würde als vorher mit Sozialhilfe - sondern der Tatsache, dass nun Menschen in den Genuss der Sozialleistungen kamen, die sich meilenweit darüber erhaben dünkten.
Und jetzt: Was befürchten die Verängstigten? Doch nichts anderes als einen Status, in dem wir anderen (sich mit mehreren Jobs, freiberuflich, befristet usw. Durchhangelnden) selbstverständlich schon zehn Jahre leben. Oder?
Interessant fand ich die Beobachtung eines Freundes, der meinte: Wirklich Angst haben die Leute, die in großen Firmen arbeiten, quasi die kleinen Leute aus großen Firmen.
Könnte es nicht sein, dass die Finanzkrise (jedenfalls für uns hier in Deutchland) nichts anderes ist als die nächste Stufe der Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich? Ich meine: so wie bei Hartz IV. Da war ja die allgemeine Entrüstung auch nicht der Tatsache geschuldet, dass man mit Hartzt IV nun schlechter leben würde als vorher mit Sozialhilfe - sondern der Tatsache, dass nun Menschen in den Genuss der Sozialleistungen kamen, die sich meilenweit darüber erhaben dünkten.
Und jetzt: Was befürchten die Verängstigten? Doch nichts anderes als einen Status, in dem wir anderen (sich mit mehreren Jobs, freiberuflich, befristet usw. Durchhangelnden) selbstverständlich schon zehn Jahre leben. Oder?
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Lehrer zweiter Klasse, Teil 10: Methodisches
damals, 01:09h
So begann die Arbeit in meinem Bereich. Wollte man nun die Methode beschreiben, mit der ich Menschen das Alphabet beibrachte – da hatte mein Arbeitgeber in seinem Konzept immerhin eine Idee vorgebracht: dass es nämlich erlaubt und sinnvoll sei, deutsche und ausländische Analphabeten gemeinsam zu unterrichten (wobei der Begriff Analphabet sehr weit gefasst wurde: wer auf einer deutschen oder türkischen Schule immerhin die Mindestzeit mitgeschleift wurde, beherrscht in der Regel das lateinische Alphabet, in meinem Kurs landete er trotzdem). Natürlich fand das mein Arbeitgeber sinnvoll, weil es ökonomisch angebracht war und insofern auch der Arge in den Kram passte.
Aber so ist das: Jeder entwirft sein Konzept aus seinen Bedürfnissen heraus. Und manchmal kann das ja sogar passen: Jedenfalls fand ich das pädagogisch gar nicht abwegig, dass in meinem Kurs die deutschen ehemaligen Sonderschüler auch mal als klug dastehen konnten, weil ihnen nämlich der deutsche Alltagsgrundwortschatz durchaus vertraut war. Da konnten sie die Ausländer belehren, und diese konterten, indem sie häufig die Regeln der deutschen Grammatik schneller begriffen. Ein schönes Geben und Nehmen.
Und da fühlte ich mich wieder bestätigt: Ich war ganz unten, und ganz unten funktionierte es. Schon im Fortgeschrittenen-Kurs nebenan war das anders: Der iranische Ingenieur, der russische Jugendliche mit Knasterfahrung und der deutsche Sonderschüler mit acht Klassen hatten sich herzlich wenig zu sagen.
Ich fühlte mich auch bestätigt, weil hier die üblichen methodischen Tricks versagten und meine Klientel mit ihrem Chaos scheinbar meine gehassten pädagogischen Lehrer ins Unrecht setzte.
Der besagte Landarbeiter (ein „echter“ Analphabet übrigens) war von meinem Vorvorgänger (bezeichnenderweise wechselten hier die Lehrer schneller als die Schüler) bewegt worden, die Buchstaben aus Knete zu formen, um sie sich sinnlich erfahrbar zu machen. Natürlich ohne Erfolg. Ich war sehr erheitert, dass dieser beschränkte, sehr gutwillige Fünfzigjährige hier also offenbar ein paar Wochen Knetfigürchen gebastelt hatte, und versuchte es nun meinerseits mit der Ganzwortmethode, an die ich mich noch aus dem Studium flüchtig erinnerte, weil sie einst irgendwelche ideologischen Flügelkämpfe in der Grundschulpädagogik ausgelöst hatte: Ich ließ den Mann Memory-Kärtchen auswendig lernen – auf der einen Seite das Bild, auf der anderen Seite das Wort. Und brachte ihn tatsächlich dazu, dass er nach zwei - drei Wochen viele der Wörter als sogenanntes Wortbild und sogar einige Anfangsbuchstaben sicher erkennen konnte.
Nur bei dem „Arzt“-Bildchen gab es Probleme – weil er immer wieder vergaß, dass der „Dokter“ ja „Arzt“ zu nennen sei und folglich mit „A“ beginne. Allerdings helfen ja auch die Anfangsbuchstaben noch nicht weit: Woher seine Lebensgefährtin kommt – Peru oder Portugal – das brachte er immer wieder durcheinander. Insofern hatte meine Chefin – der die deutsche Sprache piepegal war – letztendlich Recht: Sie sprach von „sozialer Stabilisation“ und meinte damit, dass ein Mensch, der jeden Tag einer Beschäftigung nachgeht (und seien es Knetfiguren), anstatt zu Hause rumzuhängen, signifikant weniger säuft.
... nun, sollte hier ein Grundschul- oder DaF-Pädagoge mitgelesen haben, wird er vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen über so viel unprofessioneller Stümperei. Aber genau das will ich erklären: Stümperei ist das nicht – es ist Dilettantismus! Und zwar im edelsten Sinne, so wie ihn Alfred Lichtwark verstand (http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Lichtwark): Ich hatte keine Ahnung von irgendwas – ich hatte nur eine Erfahrung. Als Kind einer elitären Schicht (deren Privilegien ich nicht mochte und die es auch nicht mehr gibt) war ich als Jugendlicher in die Fänge der NVA geraten, wie ich hier schon berichtet habe – und da haben mich die Prolls gerettet, die Heavy-Metal-Fans – und es war damals schon so, dass meine Bildung und ihr Chaos eine ganz gute Mischung ergaben. Das ist ein rückwärtsgewandter, ein konservativer Ansatz. Aber er funktioniert. Liebe Pädagogen, glaubt es mir: Ich habe Menschen etwas beigebracht! Als letzte Woche N., mein Sorgenkind aus dem derzeitigen Kurs (aus Afrika, nie zur Schule gegangen, kann nach einem Jahr langsam kurze Sätze entziffern, und zu mehr wird sies nicht bringen) stolz erzählte, dass sie beim Hausmeister war, und er hat verstanden, dass die kleine Lampe im Flur kaputt ist, da hat sich ihr Stolz ganz und gar auf mich übertragen.
Aber so ist das: Jeder entwirft sein Konzept aus seinen Bedürfnissen heraus. Und manchmal kann das ja sogar passen: Jedenfalls fand ich das pädagogisch gar nicht abwegig, dass in meinem Kurs die deutschen ehemaligen Sonderschüler auch mal als klug dastehen konnten, weil ihnen nämlich der deutsche Alltagsgrundwortschatz durchaus vertraut war. Da konnten sie die Ausländer belehren, und diese konterten, indem sie häufig die Regeln der deutschen Grammatik schneller begriffen. Ein schönes Geben und Nehmen.
Und da fühlte ich mich wieder bestätigt: Ich war ganz unten, und ganz unten funktionierte es. Schon im Fortgeschrittenen-Kurs nebenan war das anders: Der iranische Ingenieur, der russische Jugendliche mit Knasterfahrung und der deutsche Sonderschüler mit acht Klassen hatten sich herzlich wenig zu sagen.
Ich fühlte mich auch bestätigt, weil hier die üblichen methodischen Tricks versagten und meine Klientel mit ihrem Chaos scheinbar meine gehassten pädagogischen Lehrer ins Unrecht setzte.
Der besagte Landarbeiter (ein „echter“ Analphabet übrigens) war von meinem Vorvorgänger (bezeichnenderweise wechselten hier die Lehrer schneller als die Schüler) bewegt worden, die Buchstaben aus Knete zu formen, um sie sich sinnlich erfahrbar zu machen. Natürlich ohne Erfolg. Ich war sehr erheitert, dass dieser beschränkte, sehr gutwillige Fünfzigjährige hier also offenbar ein paar Wochen Knetfigürchen gebastelt hatte, und versuchte es nun meinerseits mit der Ganzwortmethode, an die ich mich noch aus dem Studium flüchtig erinnerte, weil sie einst irgendwelche ideologischen Flügelkämpfe in der Grundschulpädagogik ausgelöst hatte: Ich ließ den Mann Memory-Kärtchen auswendig lernen – auf der einen Seite das Bild, auf der anderen Seite das Wort. Und brachte ihn tatsächlich dazu, dass er nach zwei - drei Wochen viele der Wörter als sogenanntes Wortbild und sogar einige Anfangsbuchstaben sicher erkennen konnte.
Nur bei dem „Arzt“-Bildchen gab es Probleme – weil er immer wieder vergaß, dass der „Dokter“ ja „Arzt“ zu nennen sei und folglich mit „A“ beginne. Allerdings helfen ja auch die Anfangsbuchstaben noch nicht weit: Woher seine Lebensgefährtin kommt – Peru oder Portugal – das brachte er immer wieder durcheinander. Insofern hatte meine Chefin – der die deutsche Sprache piepegal war – letztendlich Recht: Sie sprach von „sozialer Stabilisation“ und meinte damit, dass ein Mensch, der jeden Tag einer Beschäftigung nachgeht (und seien es Knetfiguren), anstatt zu Hause rumzuhängen, signifikant weniger säuft.
... nun, sollte hier ein Grundschul- oder DaF-Pädagoge mitgelesen haben, wird er vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen über so viel unprofessioneller Stümperei. Aber genau das will ich erklären: Stümperei ist das nicht – es ist Dilettantismus! Und zwar im edelsten Sinne, so wie ihn Alfred Lichtwark verstand (http://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Lichtwark): Ich hatte keine Ahnung von irgendwas – ich hatte nur eine Erfahrung. Als Kind einer elitären Schicht (deren Privilegien ich nicht mochte und die es auch nicht mehr gibt) war ich als Jugendlicher in die Fänge der NVA geraten, wie ich hier schon berichtet habe – und da haben mich die Prolls gerettet, die Heavy-Metal-Fans – und es war damals schon so, dass meine Bildung und ihr Chaos eine ganz gute Mischung ergaben. Das ist ein rückwärtsgewandter, ein konservativer Ansatz. Aber er funktioniert. Liebe Pädagogen, glaubt es mir: Ich habe Menschen etwas beigebracht! Als letzte Woche N., mein Sorgenkind aus dem derzeitigen Kurs (aus Afrika, nie zur Schule gegangen, kann nach einem Jahr langsam kurze Sätze entziffern, und zu mehr wird sies nicht bringen) stolz erzählte, dass sie beim Hausmeister war, und er hat verstanden, dass die kleine Lampe im Flur kaputt ist, da hat sich ihr Stolz ganz und gar auf mich übertragen.
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Dienstag, 21. April 2009
damals, 23:10h
Ist das furchtbar - jetzt hab ich nun heute gar keine Zeit!
Deshalb ganz kurz:
1. ist der Zeitnehmer zu nennen, da er meine Initialzündung war: http://zeitnehmer.blogger.de/
Er wohnt bei mir in der Nachbarschaft, als unsere Wohnungsgenossenschaft einen Leseabend für Hobbyliteraten veranstaltete, trat er auf, ebenso wie ich. Von ihm hab ich den Hinweis auf blogger.de bekommen und es ihm nachgetan. Habe auch lange mit Freude seine Texte verfolgt, wobei mich die literarischen meist weniger beeindruckten als seine kurzen und klugen Kommentare zum eigenen Leben, insbesondere mit Kindern. Inzwischen schreibt er leider kaum noch. Vermutlich arbeitet er zu viel (als ob das ein Grund wäre! - das tu ich auch). Jedenfalls lauf ich jeden Morgen unter seinem Fenster vorbei, wenn ich meinen Sohn zum Kindergarten bringe - und wie schön es da aussieht, das könnt ihr auch auf seiner Seite sehen.
2. Wondergirl: http://wgirl.blogger.de/
Da les ich immer schon mit. Wondergirl studiert irgendwas Geisteswissenschaftliches, hat eine stressige Familie und schreibt ständig in ihrem Blog. Insofern nichts Ungewöhnliches. Da sie aber offenbar charakterlich wie auch was das Schreibtalent betrifft, etwas aus der Reihe fällt – liest sich das großartig. Manchmal etwas banal, manchmal interessiert mich das Jugendzeugs nicht, meistens aber: göttlich.
3. Göttlich ist auch „tief unten“, der Fotograf aus dem Ruhrgebiet: http://suentese.blogger.de/ Ich glaube, ich habe wenig Verständnis für seine techniklastige Kunstauffassung. Aber seine Fotos! Der fotografiert einfach dokumentarisch Straßenecken, Bahnübergänge, Hausfassaden – mit einem Minimalismus, dass es einem ans Herz geht. Und wenn er dann die Homepage von seinem Bäcker verlinkt, dann könnte man fast glauben, im Ruhrgebiet wär die Welt noch in Ordnung.
4. ist meine neue Entdeckung: http://mad.blogger.de/ Kann ich noch nicht viel drüber sagen, außer dass er äußerst sympathisch und klug schreibt, außerdem weckt er Heimatgefühle nach Bremen, wo ich zehn Jahre gelebt hat. Seine Texte sind – von den bisher erwähnten - am ehesten literarisch zu nennen: Man schmökert sie weg.
5. Lady Woodstock: http://atwoodstocks.blogger.de/ Sie schreibt über Filme – von daher schon muss ich mich manchmal auf ihrer Seite äußern. Und zwar schreibt sie äußerst erfrischend, nur leider find ich die Filme oft uninteressant. Sehr interessant dagegen, wenn sie über ihr Wessidasein im Osten des Landes schreibt – ein Höhepunkt und einer meiner Lieblingstexte überhaupt: ihre Schilderung eines Vorstellungsgesprächs (sie der Wessi-Chef –die andere eine junge Frau aus Straußberg): man lacht und weint gleichzeitig.
6. alle die anderen, die ihr wahrscheinlich auch alle lest.
· Frau Klugscheißer, die Stewardess mit ihren erbarmungslos tristen Hotelfensterausblicken aus aller Welt, die leider nur noch selten schreibt: http://smartass.blogger.de/
· Die dunkle Seite, die überall kommentiert und wahrscheinlich der Normalste von uns allen ist: http://mark793.blogger.de/
· unser aller Chef Don Alphonso find ich auch sehr nett: http://rebellmarkt.blogger.de/
· natürlich auch immer dabei: das hermetische Café: http://kid37.blogger.de/
· sowie dessen intellektuelle Variante: Jean Stubenzweig: http://stubenzweig.blogger.de/
· undsoweiterundsofort
... und jetzt hab ich meine Frau mit dem Planungsabend aber genug warten lassen ...
Deshalb ganz kurz:
1. ist der Zeitnehmer zu nennen, da er meine Initialzündung war: http://zeitnehmer.blogger.de/
Er wohnt bei mir in der Nachbarschaft, als unsere Wohnungsgenossenschaft einen Leseabend für Hobbyliteraten veranstaltete, trat er auf, ebenso wie ich. Von ihm hab ich den Hinweis auf blogger.de bekommen und es ihm nachgetan. Habe auch lange mit Freude seine Texte verfolgt, wobei mich die literarischen meist weniger beeindruckten als seine kurzen und klugen Kommentare zum eigenen Leben, insbesondere mit Kindern. Inzwischen schreibt er leider kaum noch. Vermutlich arbeitet er zu viel (als ob das ein Grund wäre! - das tu ich auch). Jedenfalls lauf ich jeden Morgen unter seinem Fenster vorbei, wenn ich meinen Sohn zum Kindergarten bringe - und wie schön es da aussieht, das könnt ihr auch auf seiner Seite sehen.
2. Wondergirl: http://wgirl.blogger.de/
Da les ich immer schon mit. Wondergirl studiert irgendwas Geisteswissenschaftliches, hat eine stressige Familie und schreibt ständig in ihrem Blog. Insofern nichts Ungewöhnliches. Da sie aber offenbar charakterlich wie auch was das Schreibtalent betrifft, etwas aus der Reihe fällt – liest sich das großartig. Manchmal etwas banal, manchmal interessiert mich das Jugendzeugs nicht, meistens aber: göttlich.
3. Göttlich ist auch „tief unten“, der Fotograf aus dem Ruhrgebiet: http://suentese.blogger.de/ Ich glaube, ich habe wenig Verständnis für seine techniklastige Kunstauffassung. Aber seine Fotos! Der fotografiert einfach dokumentarisch Straßenecken, Bahnübergänge, Hausfassaden – mit einem Minimalismus, dass es einem ans Herz geht. Und wenn er dann die Homepage von seinem Bäcker verlinkt, dann könnte man fast glauben, im Ruhrgebiet wär die Welt noch in Ordnung.
4. ist meine neue Entdeckung: http://mad.blogger.de/ Kann ich noch nicht viel drüber sagen, außer dass er äußerst sympathisch und klug schreibt, außerdem weckt er Heimatgefühle nach Bremen, wo ich zehn Jahre gelebt hat. Seine Texte sind – von den bisher erwähnten - am ehesten literarisch zu nennen: Man schmökert sie weg.
5. Lady Woodstock: http://atwoodstocks.blogger.de/ Sie schreibt über Filme – von daher schon muss ich mich manchmal auf ihrer Seite äußern. Und zwar schreibt sie äußerst erfrischend, nur leider find ich die Filme oft uninteressant. Sehr interessant dagegen, wenn sie über ihr Wessidasein im Osten des Landes schreibt – ein Höhepunkt und einer meiner Lieblingstexte überhaupt: ihre Schilderung eines Vorstellungsgesprächs (sie der Wessi-Chef –die andere eine junge Frau aus Straußberg): man lacht und weint gleichzeitig.
6. alle die anderen, die ihr wahrscheinlich auch alle lest.
· Frau Klugscheißer, die Stewardess mit ihren erbarmungslos tristen Hotelfensterausblicken aus aller Welt, die leider nur noch selten schreibt: http://smartass.blogger.de/
· Die dunkle Seite, die überall kommentiert und wahrscheinlich der Normalste von uns allen ist: http://mark793.blogger.de/
· unser aller Chef Don Alphonso find ich auch sehr nett: http://rebellmarkt.blogger.de/
· natürlich auch immer dabei: das hermetische Café: http://kid37.blogger.de/
· sowie dessen intellektuelle Variante: Jean Stubenzweig: http://stubenzweig.blogger.de/
· undsoweiterundsofort
... und jetzt hab ich meine Frau mit dem Planungsabend aber genug warten lassen ...
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Sonntag, 19. April 2009
Was haltet Ihr davon?
damals, 23:59h
Unter http://stylespion.de/ein-fuer-blogs/3889/ ruft da jemand dazu auf, dass möglichst viele Leute am Dienstag gleichzeitig ihre Lieblingsblogs vorstellen. Wollt ich eigentlich mitmachen (da ich biher zu doof war, mir eine Blogroll zu installieren).
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Mal wieder die NZZ
damals, 19:17h
(VORSICHT: METATEXT - ERST VERSTÄNDLICH NACH LEKTÜRE DES ANGEGEBENEN LINKS)
Wenn ich diesen Text hier einstelle, ohne meinen Obertitel „Damals bei den Analphabeten“ zu ändern, ist das natürlich meiner Hoffnung zu verdanken, dass ich die titelgebende Serie in absehbarer Zeit fortführe. Aber vielleicht ist auch ein bisschen Spott dabei.
Denn ich möchte über die Zeitungen schreiben, die dieser Tage alle eine Biografie über Fritz Bauer, den Initiator des Auschwitz-Prozesses, ankündigen. Und doch ist meine Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung, mal wieder die, die die schönste Rezension geliefert hat:
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/buchrezensionen/pflicht_zum_ungehorsam_1.2380698.html
Mit welcher Noblesse, welcher Klarheit und Zurückhaltung hier den üblichen Geschichtsklischees entgegen gearbeitet wird: Es beginnt schon gleich mit der Feststellung, dass Fritz Bauer ein guter Ankläger war, weil er kein typischer Ankläger war – ihm ging’s um Aufklärung, nicht um die Jagd an sich.
Besonders gefallen hat mir der vorsichtige Hinweis darauf, wie gefährlich es ist, Fritz Bauer als Helden zu stilisieren, der an einem irgendwie konservativen oder antisemitischen Umfeld oder Zeitgeist gescheitert sei. Natürlich ist da was Wahres dran. Aber die Ungenauigkeit solcher Vorstellungen deckt die Täter und macht tatsächliche Strukturen unsichtbar. „Die Mörder haben Namen und Adresse!“ sagte einst Brecht. Und der Wahrheit näher kommt nur, wer fair und konkret ist - wie dieser wunderschöne Text.
...
Sehr wohltuend so etwas - in einer Gesellschaft, in der sich – um mal zwei populäre Beispiele zu nennen - ein Albert Speer (dank Joachim Fest) bis in den „Untergang“ als irrender Idealist verkaufen kann, während Gustav Gründgens ganz selbstverständlich als Mephisto gilt (dank Klaus Mann, der nun wirklich irrender Idealist war) ... oder in einer Gesellschaft, in der zur Zeit gerne davon gefaselt wird, dass die 1968 an allem Schuld ist; 1968, das ja wohl mit Fritz Bauer und Willy Brandt anfängt (und nicht mit der RAF); 1968, das ja wohl nicht auf den Haaren von Rainer Langhans und Brüsten von Uschi Obermeier basiert, sondern auf den Ideen von Rudi Dutschke ... aber ich komme vom Thema ab und mache daher lieber Schluss für heute.
Wenn ich diesen Text hier einstelle, ohne meinen Obertitel „Damals bei den Analphabeten“ zu ändern, ist das natürlich meiner Hoffnung zu verdanken, dass ich die titelgebende Serie in absehbarer Zeit fortführe. Aber vielleicht ist auch ein bisschen Spott dabei.
Denn ich möchte über die Zeitungen schreiben, die dieser Tage alle eine Biografie über Fritz Bauer, den Initiator des Auschwitz-Prozesses, ankündigen. Und doch ist meine Zeitung, die Neue Zürcher Zeitung, mal wieder die, die die schönste Rezension geliefert hat:
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/buchrezensionen/pflicht_zum_ungehorsam_1.2380698.html
Mit welcher Noblesse, welcher Klarheit und Zurückhaltung hier den üblichen Geschichtsklischees entgegen gearbeitet wird: Es beginnt schon gleich mit der Feststellung, dass Fritz Bauer ein guter Ankläger war, weil er kein typischer Ankläger war – ihm ging’s um Aufklärung, nicht um die Jagd an sich.
Besonders gefallen hat mir der vorsichtige Hinweis darauf, wie gefährlich es ist, Fritz Bauer als Helden zu stilisieren, der an einem irgendwie konservativen oder antisemitischen Umfeld oder Zeitgeist gescheitert sei. Natürlich ist da was Wahres dran. Aber die Ungenauigkeit solcher Vorstellungen deckt die Täter und macht tatsächliche Strukturen unsichtbar. „Die Mörder haben Namen und Adresse!“ sagte einst Brecht. Und der Wahrheit näher kommt nur, wer fair und konkret ist - wie dieser wunderschöne Text.
...
Sehr wohltuend so etwas - in einer Gesellschaft, in der sich – um mal zwei populäre Beispiele zu nennen - ein Albert Speer (dank Joachim Fest) bis in den „Untergang“ als irrender Idealist verkaufen kann, während Gustav Gründgens ganz selbstverständlich als Mephisto gilt (dank Klaus Mann, der nun wirklich irrender Idealist war) ... oder in einer Gesellschaft, in der zur Zeit gerne davon gefaselt wird, dass die 1968 an allem Schuld ist; 1968, das ja wohl mit Fritz Bauer und Willy Brandt anfängt (und nicht mit der RAF); 1968, das ja wohl nicht auf den Haaren von Rainer Langhans und Brüsten von Uschi Obermeier basiert, sondern auf den Ideen von Rudi Dutschke ... aber ich komme vom Thema ab und mache daher lieber Schluss für heute.
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Dienstag, 24. März 2009
Hans Erich Nossack: "Der Untergang" (1943)
damals, 01:18h
Der Ton macht die Musik nicht und „Le style c'est l`homme“ – das stimmt auch nicht. Was ich da nämlich auf dem Bücherflohmarkt unserer Gemeinde fand und mit nach Hause trug (neben Christa Wolfs „Leibhaftig“, Jurek Beckers „Jakob der Lügner“ und einem Schulbuch über die Hamburger Sturmflut von 1962), das klang, als ich anfing, es zu lesen, so verstaubt und ultrakonservativ wie Ernst von Salomon, der dort auch auf jedem der Wühltische umherlag. Aber war es nicht.
Sondern ein spannender autobiografischer Bericht von mitreißender Authentizität. Nossacks Frau hatte ein Häuschen, wohl eher eine Hütte, gemietet für vierzehn Tage, in der Heide südlich Hamburgs, und der Autor selber war ihr gefolgt. Drei Tage später fielen die Bomben, ein paar Tage und Nächte lang, Nossack sah sie am Nachthimmel heranfliegen und erfuhr kurze Zeit später, als die ersten Flüchtlinge den Ort erreichten, dass auch sein Haus nicht mehr stehen würde. Nach einigem Zögern entschließt sich das Ehepaar Nossack, nach Hamburg zu fahren. Sie besichtigen die Reste des Büros (Nossack hatte die kleine Importfirma seines Vaters geleitet) sowie ihre Straße, wo ihr Haus tatsächlich nicht mehr vorhanden ist – und auch der im Nachbarkeller verwahrte Koffer bereits gestohlen.
So weit die Handlung des Textes. Was den Stil betrifft, hatte ich anfangs wie gesagt meine Schwierigkeiten: Vom „Auftrag“, etwas zu schreiben, wurde da geredet, vom Schicksal geraunt und viel mystisch um die Sachen herumgeredet, wie man das in den dreißiger/vierziger Jahren eben so machte. Denn der Text ist Ende 1943 entstanden, ein halbes Jahr nach den Ereignissen. Ja, aber so ist das eben, das wurde mir schnell klar: Wer in seiner Zeit lebt und lebendig ist, der redet auch im Stil seiner Zeit, wenn er nicht völlig abgedreht ist. Und was mich beeindruckte: dass dieser Autor, der stilistisch ganz zeitbefangen ist (nenn es Nazistil, nenn es prä-existenzialistisch, nenn es Mystizismus – ganz egal), politisch so frei ist, wie man es nur sein kann, wenn man sich seiner Zeit nicht verweigert. (Und er war Kommunist, wie ich später bei Wikipedia nachlas, er hätte das Recht gehabt, politisch rumzumotzen.)
Aber er tut es nicht. Wer zum Beispiel an diesem Krieg Schuld ist, macht er nicht zum Thema. Ideologie ist nicht seine Sache. Er sieht die Bomber, er sieht das Unrecht und er benennt es. Und die Wenigen, die neben ihm stehen und abgeschossene Bomber bejubeln, für die hat er nur kopfschüttelnde Verachtung. Morden ist Unrecht, so oder so.
Insofern hat er mit seinem Schicksalraunen ja sogar auch Recht: Ein solcher Krieg bedeutet den Untergang der Zivilisation. Wir viel später Geborenen wissen ganz selbstverständlich, dass in diesen Jahren die Moderne untergegangen ist – und dass seitdem die August-Macke-Bilder nur noch als Kitsch-Objekte möglich sind und „Berlin Alexanderplatz“ keinen Menschen mehr aufregt. Aber er sah es schon im Moment des Geschehens.
Ergreifend an dieser Geschichte ist auch, dass Nossack diesen Untergang als Befreiung erlebt. Da gehört schon einige Größe dazu: Ein verbotener, erfolgloser Schriftsteller, dem der schriftliche Ertrag von Jahren, Jahrzehnten soeben verbrannt ist: der fühlt sich befreit. Und der fühlt, wie die Ordnungsmacht, die diktatorische Ordnungsmacht, nach dem ersten Schock schon wieder zu dirigieren versucht: die Flüchtlingsmassen kanalisiert, die zerbombten Stadtteile absperrt – und er beschließt, mit Hilfe seiner heimatliebenden Frau, nicht Flüchtling zu werden, sich nicht aufzugeben, sondern zurückzukehren in die zerstörte Stadt, die sein Zuhause ist.
So möchte man leben. Ist mir ein Vorbild.
Sondern ein spannender autobiografischer Bericht von mitreißender Authentizität. Nossacks Frau hatte ein Häuschen, wohl eher eine Hütte, gemietet für vierzehn Tage, in der Heide südlich Hamburgs, und der Autor selber war ihr gefolgt. Drei Tage später fielen die Bomben, ein paar Tage und Nächte lang, Nossack sah sie am Nachthimmel heranfliegen und erfuhr kurze Zeit später, als die ersten Flüchtlinge den Ort erreichten, dass auch sein Haus nicht mehr stehen würde. Nach einigem Zögern entschließt sich das Ehepaar Nossack, nach Hamburg zu fahren. Sie besichtigen die Reste des Büros (Nossack hatte die kleine Importfirma seines Vaters geleitet) sowie ihre Straße, wo ihr Haus tatsächlich nicht mehr vorhanden ist – und auch der im Nachbarkeller verwahrte Koffer bereits gestohlen.
So weit die Handlung des Textes. Was den Stil betrifft, hatte ich anfangs wie gesagt meine Schwierigkeiten: Vom „Auftrag“, etwas zu schreiben, wurde da geredet, vom Schicksal geraunt und viel mystisch um die Sachen herumgeredet, wie man das in den dreißiger/vierziger Jahren eben so machte. Denn der Text ist Ende 1943 entstanden, ein halbes Jahr nach den Ereignissen. Ja, aber so ist das eben, das wurde mir schnell klar: Wer in seiner Zeit lebt und lebendig ist, der redet auch im Stil seiner Zeit, wenn er nicht völlig abgedreht ist. Und was mich beeindruckte: dass dieser Autor, der stilistisch ganz zeitbefangen ist (nenn es Nazistil, nenn es prä-existenzialistisch, nenn es Mystizismus – ganz egal), politisch so frei ist, wie man es nur sein kann, wenn man sich seiner Zeit nicht verweigert. (Und er war Kommunist, wie ich später bei Wikipedia nachlas, er hätte das Recht gehabt, politisch rumzumotzen.)
Aber er tut es nicht. Wer zum Beispiel an diesem Krieg Schuld ist, macht er nicht zum Thema. Ideologie ist nicht seine Sache. Er sieht die Bomber, er sieht das Unrecht und er benennt es. Und die Wenigen, die neben ihm stehen und abgeschossene Bomber bejubeln, für die hat er nur kopfschüttelnde Verachtung. Morden ist Unrecht, so oder so.
Insofern hat er mit seinem Schicksalraunen ja sogar auch Recht: Ein solcher Krieg bedeutet den Untergang der Zivilisation. Wir viel später Geborenen wissen ganz selbstverständlich, dass in diesen Jahren die Moderne untergegangen ist – und dass seitdem die August-Macke-Bilder nur noch als Kitsch-Objekte möglich sind und „Berlin Alexanderplatz“ keinen Menschen mehr aufregt. Aber er sah es schon im Moment des Geschehens.
Ergreifend an dieser Geschichte ist auch, dass Nossack diesen Untergang als Befreiung erlebt. Da gehört schon einige Größe dazu: Ein verbotener, erfolgloser Schriftsteller, dem der schriftliche Ertrag von Jahren, Jahrzehnten soeben verbrannt ist: der fühlt sich befreit. Und der fühlt, wie die Ordnungsmacht, die diktatorische Ordnungsmacht, nach dem ersten Schock schon wieder zu dirigieren versucht: die Flüchtlingsmassen kanalisiert, die zerbombten Stadtteile absperrt – und er beschließt, mit Hilfe seiner heimatliebenden Frau, nicht Flüchtling zu werden, sich nicht aufzugeben, sondern zurückzukehren in die zerstörte Stadt, die sein Zuhause ist.
So möchte man leben. Ist mir ein Vorbild.
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Mittwoch, 11. März 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 9
damals, 01:23h
Aber am ersten Tag interessierte mich das noch wenig, was da so an Firma vorhanden war. Nur am Rande nahm ich die Chefin wahr und fand sie sympathisch. Wichtiger war schon die Begegnung mit meiner neuen Kollegin, die mich ja einweisen musste. In ihren Sätzen zitterte noch die Aufregung über die letzten Tage nach. Offenbar hatte es Knatsch gegeben, hatten sich Teilnehmer beim Arbeitsamt über meine Vorgängerin beschwert – und prompt war diese entlassen worden. Ob die Vorwürfe berechtigt waren, das schien mir eher unwahrscheinlich: ihre schlechte Aussprache, ihr russischer Akzent und die deutsche Grammatik würde sie auch nicht beherrschen – diese Vorwürfe klangen mir eher nach Rassismus (an meiner feinen Privatschule war eine Deutschrussin mit exakt denselben Argumenten von Schülern und Eltern angegriffen und von der Schulleitung überstürzt entlassen worden), auch meine neue Kollegin, Astrid Laue hieß sie, deutete so etwas an: die Macht der Arge (Hartz-IV-Behörde), die Renitenz der Teilnehmer, und das Wichtigste wäre, jetzt wieder Ruhe reinzukriegen, und vor allem solle ich mich vor Herrn D. in Acht nehmen, das wäre ein richtiger Faschist (was immer darunter zu verstehen ist).
Ach so, was inhaltlich zu tun war, darüber erfuhr ich wenig, eigentlich gar nichts. Das erwartete mich, als ich im Unterricht war. Aber es war nicht schlecht, was mich da erwartete. Eine bunte Truppe – vom strohblonden, rotnasigen norddeutschen Landarbeiter mit Alkoholneigung über einen Schwarzen mit Rastazöpfen und ca. 20 Wörtern Deutsch und die unvermeidlichen arbeitslosen Türken mittleren Alters bis hin zum arabischstämmigen Hauptschüler, der den Abschluss nicht geschafft hat – da wurde halt alles, was nicht ordentlich lesen und schreiben konnte in den Dörfern im Umkreis, zusammengekehrt und auf die Schulbank gesetzt. Nun gut, wir saßen zusammen und machten das beste draus. Ich erfuhr hier zum ersten Mal, wie schwer es ist, das kleine b und das kleine d auseinander zu halten und dass es noch viel schwerer ist, Kreuzchen in einer Tabelle richtig anzuordnen. Also malten wir Kreuzchen und Bs und Ds, auch Herr D. war eifrig dabei (nur reichte seine Energie immer nur für drei bis vier Tage, dann schwänzte er wieder) – es war wie bei den Grundschülern (auch die Witze waren oft wie bei den Grundschülern), eigentlich schöner, weil kein „Och, sind die niedlich!“ die Relationen verschob ...
Ach so, was inhaltlich zu tun war, darüber erfuhr ich wenig, eigentlich gar nichts. Das erwartete mich, als ich im Unterricht war. Aber es war nicht schlecht, was mich da erwartete. Eine bunte Truppe – vom strohblonden, rotnasigen norddeutschen Landarbeiter mit Alkoholneigung über einen Schwarzen mit Rastazöpfen und ca. 20 Wörtern Deutsch und die unvermeidlichen arbeitslosen Türken mittleren Alters bis hin zum arabischstämmigen Hauptschüler, der den Abschluss nicht geschafft hat – da wurde halt alles, was nicht ordentlich lesen und schreiben konnte in den Dörfern im Umkreis, zusammengekehrt und auf die Schulbank gesetzt. Nun gut, wir saßen zusammen und machten das beste draus. Ich erfuhr hier zum ersten Mal, wie schwer es ist, das kleine b und das kleine d auseinander zu halten und dass es noch viel schwerer ist, Kreuzchen in einer Tabelle richtig anzuordnen. Also malten wir Kreuzchen und Bs und Ds, auch Herr D. war eifrig dabei (nur reichte seine Energie immer nur für drei bis vier Tage, dann schwänzte er wieder) – es war wie bei den Grundschülern (auch die Witze waren oft wie bei den Grundschülern), eigentlich schöner, weil kein „Och, sind die niedlich!“ die Relationen verschob ...
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Dienstag, 10. März 2009
Wie besiegt man die Religion?
damals, 20:53h
Eine Kollegin schickte mir einen Link (inzwischen schon nicht mehr auf der Startseite bei „Aktuelles“: http://www.bmi.bund.de/cln_104/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2009/03/islamischer_Religionsunterricht.html?nn=303936): Es ging darum, wie Schäuble staatlichen Islamunterricht befürwortet. Ich blieb aber erst mal bei den Bildern der Startseite hängen: diesem grässlichen schwarzen Bundespolizeihubschrauber und darunter Schäubles verkniffenes Gesicht. Ja, klar, dachte ich mir – so denken die sicher:
Religion – das ist was für Weicheier, ebenso wie die grünen Uniformen für die Polizei. Schwarz müssen sie sein! Schwarz wie Batman oder unsere amerikanischen Kollegen. Und schwarz muss auch die Religionspädagogik sein. Denn Religiosität darfs nicht geben in der Religion. Das hat lange genug gedauert in Deutschland, bis wirs endlich geschafft haben: über hundert Jahre staatlicher Religionsunterricht, verbeamtete Religionslehrer, verbeamtete Pfarrer und Militärgeistliche. Aber jetzt ist es so weit: Kein Schwein geht mehr in die Kirche. Und das wäre doch gelacht, wenn wir das mit den Moslems nicht auch hinkriegen: Sie sollen ihn kriegen, ihren staatlichen Religionsunterricht, bis sie das Wort „Mohammed“ nicht mehr hören können!
Religion – das ist was für Weicheier, ebenso wie die grünen Uniformen für die Polizei. Schwarz müssen sie sein! Schwarz wie Batman oder unsere amerikanischen Kollegen. Und schwarz muss auch die Religionspädagogik sein. Denn Religiosität darfs nicht geben in der Religion. Das hat lange genug gedauert in Deutschland, bis wirs endlich geschafft haben: über hundert Jahre staatlicher Religionsunterricht, verbeamtete Religionslehrer, verbeamtete Pfarrer und Militärgeistliche. Aber jetzt ist es so weit: Kein Schwein geht mehr in die Kirche. Und das wäre doch gelacht, wenn wir das mit den Moslems nicht auch hinkriegen: Sie sollen ihn kriegen, ihren staatlichen Religionsunterricht, bis sie das Wort „Mohammed“ nicht mehr hören können!
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Sonntag, 8. März 2009
„Am Rand“ von Şebnem Işigüzel - Interpretation der Seiten 52/53
damals, 22:14h
Wenn es Sonntag ist und regnet und kein Termin weit und breit, das sind die besten Tage. Die Kleinfamilie schlurte bis zwölf im Schlafanzug zwischen Bett (Morgenkaffee, Bilderbücher, Zeitung) und Sofa (Fernsehen: „Sendung mit der Maus“) hin und her, dann bewegte ich mich als Erster langsam in Richtung Badezimmer. Unterwegs am Nachttisch konnte ich nicht widerstehen und klappte für fünf – sechs Minuten meinen Roman auf, las zwei Seiten – und war schon wieder begeistert ...
Mein Roman ist noch ein Geburtstagsgeschenk, vom Dezember. Ich hatte mir ein Buch gewünscht, meine Frau hatte nicht gewusst welches und vorgeschlagen, sich von der Auslage bei Christiansen in Ottensen inspirieren zu lassen. Es lief auf eine Hitliste von drei Titeln hinaus: den ersten kriegte ich von meiner Frau (und der war schon super), Nr. 2 finanzierte ich mit dem Büchergutschein von der Firma – den lese ich gerade: „Am Rand“ von Şebnem Işigüzel. Die Autorin, hat man den Eindruck, arbeitet mit allen erlaubten und verbotenen Tricks, die einem Schriftsteller so zur Verfügung stehen. Man mag das unseriös finden. Aber ich liebe das, von jeder Seite so richtig durchgeschüttelt zu werden.
Inhaltlich geht es (bis jetzt jedenfalls) um eine türkische Schachspielerin, die Diplomatentochter Leyla, die durch eine unglückliche Kombination persönlich-familiärer wie politischer Gewalttätigkeiten so ins Straucheln gerät, dass sich die Obdachlosigkeit als die immer noch erträglichere Daseinsform erweist: „Dabei war sie so weit bei sich, dass sie denken konnte, sie sei verrückt oder wahnsinnig geworden. Wie wir alle hatte sie ihre Angelegenheiten mit Gott noch nicht abgeschlossen.“ So beginnt die S. 52, die ich vorhin las – und da kann man ja wohl nur zustimmen.
Und dann geht es weiter: Reminiszenzen ihrer internationalen Schachkollegen werden zitiert, anlässlich ihres Verschwindens geäußert. Es läuft darauf hinaus, dass sie „universal und harmonisch“ gespielt hat, mit einer intuitiven Logik – also gerade nicht mit einer auf den Gegner fixierten, den Gegner überlistenden Strategie, sondern mit einer hingebungsvollen Strategie, die den Plan aus der Eigenlogik der Figuren entwickelt. Da denkt man natürlich sofort an die „Schachnovelle“ von Zweig, an den Kitsch der klassischen Moderne, wo der fies rationale Czentovic über den intuitiv spielerischen freien Geist Dr. B. triumphiert.
Und wie um noch eins draufzusetzen, wird dann Nabokov zitiert: „Laylas Trainer Pinkoschow erinnerte sie an das, was Nabokov über Tolstois anna Karenina gesagt hatte: >Es ist so, dass wir manchmal das Gefühl haben, Tolstois Romane hätten sich von selbst geschrieben, als seien sie von ihrem Material, ihrem Sujet verfasst worden.< Diese Definition passte zu Leyla ...“ Nabokov also, dieses Lieblingskind der Modernisten, definiert, was universal und ewig ist.
In meinen Augen ist Nabokov aber eher ein Schriftsteller, der seine persönliche Heimatlosig- und Verlorenheit unter technischer Raffinesse versteckt. Und so sieht es wohl auch Işigüzel. Denn die Schachspielerin, die dermaßen frei, unindividuell und „universal“ spielt – die verschwindet auch ganz leicht von der Bildfläche: „Nun gab es auch keine Schachspielerin namens Leyla mehr.“
So ist es. Das Gehasche nach Größe, Universalität, Ewigkeit – es ist aussichtslos, wenn es nicht vom Ich ausgeht. Das dacht ich, als ich vorhin zufrieden und glücklich unter der Dusche stand. Ich dachte auch an meinen Kollegen H., der mich letzte Woche fragte, ob ich mit meinem zweiten Staatsexamen es nicht doch noch einmal an einer Schule probieren wolle. „Das ist nicht mein Milieu.“ hab ich geantwortet. Er lachte und sagte: „Na, dann bleibst du bei uns, bei den Eck- und Randgruppen.“ Gerne. „Am Rand“ ist mein Buch.
Übrigens: Es ist auch ein Buch ohne Verlagswerbung am Ende. In der heutigen Zeit ein Adelsausweis.
Mein Roman ist noch ein Geburtstagsgeschenk, vom Dezember. Ich hatte mir ein Buch gewünscht, meine Frau hatte nicht gewusst welches und vorgeschlagen, sich von der Auslage bei Christiansen in Ottensen inspirieren zu lassen. Es lief auf eine Hitliste von drei Titeln hinaus: den ersten kriegte ich von meiner Frau (und der war schon super), Nr. 2 finanzierte ich mit dem Büchergutschein von der Firma – den lese ich gerade: „Am Rand“ von Şebnem Işigüzel. Die Autorin, hat man den Eindruck, arbeitet mit allen erlaubten und verbotenen Tricks, die einem Schriftsteller so zur Verfügung stehen. Man mag das unseriös finden. Aber ich liebe das, von jeder Seite so richtig durchgeschüttelt zu werden.
Inhaltlich geht es (bis jetzt jedenfalls) um eine türkische Schachspielerin, die Diplomatentochter Leyla, die durch eine unglückliche Kombination persönlich-familiärer wie politischer Gewalttätigkeiten so ins Straucheln gerät, dass sich die Obdachlosigkeit als die immer noch erträglichere Daseinsform erweist: „Dabei war sie so weit bei sich, dass sie denken konnte, sie sei verrückt oder wahnsinnig geworden. Wie wir alle hatte sie ihre Angelegenheiten mit Gott noch nicht abgeschlossen.“ So beginnt die S. 52, die ich vorhin las – und da kann man ja wohl nur zustimmen.
Und dann geht es weiter: Reminiszenzen ihrer internationalen Schachkollegen werden zitiert, anlässlich ihres Verschwindens geäußert. Es läuft darauf hinaus, dass sie „universal und harmonisch“ gespielt hat, mit einer intuitiven Logik – also gerade nicht mit einer auf den Gegner fixierten, den Gegner überlistenden Strategie, sondern mit einer hingebungsvollen Strategie, die den Plan aus der Eigenlogik der Figuren entwickelt. Da denkt man natürlich sofort an die „Schachnovelle“ von Zweig, an den Kitsch der klassischen Moderne, wo der fies rationale Czentovic über den intuitiv spielerischen freien Geist Dr. B. triumphiert.
Und wie um noch eins draufzusetzen, wird dann Nabokov zitiert: „Laylas Trainer Pinkoschow erinnerte sie an das, was Nabokov über Tolstois anna Karenina gesagt hatte: >Es ist so, dass wir manchmal das Gefühl haben, Tolstois Romane hätten sich von selbst geschrieben, als seien sie von ihrem Material, ihrem Sujet verfasst worden.< Diese Definition passte zu Leyla ...“ Nabokov also, dieses Lieblingskind der Modernisten, definiert, was universal und ewig ist.
In meinen Augen ist Nabokov aber eher ein Schriftsteller, der seine persönliche Heimatlosig- und Verlorenheit unter technischer Raffinesse versteckt. Und so sieht es wohl auch Işigüzel. Denn die Schachspielerin, die dermaßen frei, unindividuell und „universal“ spielt – die verschwindet auch ganz leicht von der Bildfläche: „Nun gab es auch keine Schachspielerin namens Leyla mehr.“
So ist es. Das Gehasche nach Größe, Universalität, Ewigkeit – es ist aussichtslos, wenn es nicht vom Ich ausgeht. Das dacht ich, als ich vorhin zufrieden und glücklich unter der Dusche stand. Ich dachte auch an meinen Kollegen H., der mich letzte Woche fragte, ob ich mit meinem zweiten Staatsexamen es nicht doch noch einmal an einer Schule probieren wolle. „Das ist nicht mein Milieu.“ hab ich geantwortet. Er lachte und sagte: „Na, dann bleibst du bei uns, bei den Eck- und Randgruppen.“ Gerne. „Am Rand“ ist mein Buch.
Übrigens: Es ist auch ein Buch ohne Verlagswerbung am Ende. In der heutigen Zeit ein Adelsausweis.
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Mittwoch, 25. Februar 2009
Zwischenruf im Hass
damals, 01:01h
Zuerst einmal vorausgeschickt, weil ich aus dem Bekanntenkreis angesprochen wurde: Nein, natürlich schreibe ich nicht über meine Firma. Ich schreibe wirklich über damals. Bei meiner jetzigen Firma sind wir zwar auch alle unterbezahlt, aber ein gutes Team. Und wir machen gute Arbeit. Und wenn etwas nicht klappt, und das passiert andauernd, dann liegt es fast immer daran, dass die Zeit nicht reicht (weil zu wenige Leute zu viel tun müssen) und jeder sich kreativ, spontan, ad hoc durch die Probleme des Tages wurstelt und die zeitaufwändige Absprache mit den anderen unterlässt, ja unterlassen muss, weil der Termin-, Zeit-, Finanzierungs-, kurz: der Systemdruck ihn dazu zwingt.
Und ich bin nicht sauer, weil ich jetzt der Loser bin, der sich mit den Migranten und Hartz-IV-Empfängern rumschlagen muss. Ich bin sauer, dass meine Arbeit nicht anerkannt wird (und eine andere Anerkennung als die mit Geld kennt unsere Gesellschaft nun mal nicht). Erwachsenen Menschen das ABC beizubringen, ist schwer, aber wenn es gelingt, ist es etwas Wunderbares. Ich habe keine Lust, in die nächst höhere Sphäre aufzusteigen, die der Coaches, Maßnahmeleiter, Organisierer, der Akquirierer von Fördergeldern. Das Wort "systemische Therapie" ist für mich ein Widerspruch in sich und ein Personaldienstleister nichts anderes als ein Erfüllungsgehilfe der Geldgesellschaft. Irgendjemandem helfen tun diese Systeme nicht.
Mir wird mir einfach viel zu viel organisiert in dieser Gesellschaft. Da schieben die Geld hin und her oder Informationen hin und her, und es ist ganz wichtig, mit irgendwelchen Zinssätzen zu jonglieren oder Briefing und Profiling mit x-beliebig austauschbaren Dingen oder Personen zu betreiben. Aber einer muss doch auch die Arbeit tun!
Und wenn Frau X. aus dem Land Y. in Hamburg ein Straßenschild lesen kann, dann sollen meinetwegen irgendwelche Jobmanager ihr einen Putzjob vermitteln (den sie ohne sie auch finden würde) und irgendwelche Jugendämter ihre Kindergartenkosten prüfen und verwalten (da sie ja sonst ihren Putzjob nicht ausführen könnte) und meinetwegen 23 Bildungsträger sich um die 2.36 € pro Stunde (oder waren es 2,63?) für ihren Deutschunterricht prügeln in ausgefeilten Ausschreibungstexten – dann hab ich meinen Job getan, und diese ganze Sintflut von „Überbau“ (wie es damals gut marxistisch hieß), die soll mir gestohlen bleiben!
Und ich bin nicht sauer, weil ich jetzt der Loser bin, der sich mit den Migranten und Hartz-IV-Empfängern rumschlagen muss. Ich bin sauer, dass meine Arbeit nicht anerkannt wird (und eine andere Anerkennung als die mit Geld kennt unsere Gesellschaft nun mal nicht). Erwachsenen Menschen das ABC beizubringen, ist schwer, aber wenn es gelingt, ist es etwas Wunderbares. Ich habe keine Lust, in die nächst höhere Sphäre aufzusteigen, die der Coaches, Maßnahmeleiter, Organisierer, der Akquirierer von Fördergeldern. Das Wort "systemische Therapie" ist für mich ein Widerspruch in sich und ein Personaldienstleister nichts anderes als ein Erfüllungsgehilfe der Geldgesellschaft. Irgendjemandem helfen tun diese Systeme nicht.
Mir wird mir einfach viel zu viel organisiert in dieser Gesellschaft. Da schieben die Geld hin und her oder Informationen hin und her, und es ist ganz wichtig, mit irgendwelchen Zinssätzen zu jonglieren oder Briefing und Profiling mit x-beliebig austauschbaren Dingen oder Personen zu betreiben. Aber einer muss doch auch die Arbeit tun!
Und wenn Frau X. aus dem Land Y. in Hamburg ein Straßenschild lesen kann, dann sollen meinetwegen irgendwelche Jobmanager ihr einen Putzjob vermitteln (den sie ohne sie auch finden würde) und irgendwelche Jugendämter ihre Kindergartenkosten prüfen und verwalten (da sie ja sonst ihren Putzjob nicht ausführen könnte) und meinetwegen 23 Bildungsträger sich um die 2.36 € pro Stunde (oder waren es 2,63?) für ihren Deutschunterricht prügeln in ausgefeilten Ausschreibungstexten – dann hab ich meinen Job getan, und diese ganze Sintflut von „Überbau“ (wie es damals gut marxistisch hieß), die soll mir gestohlen bleiben!
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Donnerstag, 19. Februar 2009
Lehrer zweiter Klasse, Teil 8
damals, 19:08h
Es war die letzte Novemberwoche. „Ende November, das Kalt und das Grau, sind meine Heimat im Weiß-nicht-genau.“ Das hatte ich mal gereimt, als ich mich, selbst kaum der Schule entronnen, in ein blasses Teenager-Mädchen und ihren düsteren Geburtstag verliebt hatte. Der Vorortzug jedenfalls war halb leer an meinem ersten Arbeitstag; schließlich pendeln die meisten Menschen ja in die Großstadt hinein, nicht aus ihr heraus. Nach zwanzig Minuten stieg ich an einem Kleinstadtbahnhof aus und in den Bus um. Dort standen geduckte
Häuschen einen ehemaligen Mühlbach entlang und alle paar Minuten stoppte vor dem Buswartehäuschen ein Auto, dessen Fahrer eine Ehefrau oder ein Schulkind entließ. So wuchs die wartende Menge und endlich kam der Bus, und er brauchte Ewigkeiten, bevor er nach Zwischenstopps an Berufsschule, Friedhof und Klinikum endlich das Gewerbegebiet am Ortsausgang erreichte, wo ich aussteigen musste.
Meine Firma hatte die Räume über einer Elektrofirma angemietet. Vor der Tür gab es einen Fahrradständer und einen Raucherplatz, zwei reservierte Parkplätze – für die Chefin und die Sekretärin – und jede Menge Ladeverkehr für die Handwerker im Erdgeschoss. Die Chefin (offenbar gibt es in dieser Branche keine Chefs, jedenfalls nicht auf den unteren Rängen) beaufsichtigte ein kleines Büro und neben den beiden Deutschkursen noch ein paar andere „Maßnahmen“ für Arbeitslose: die üblichen Bewerbungs- und Computertrainings sowie einen Kurs „Berufliche Orientierung“, wo auch wieder Bewerbungsmappen hergestellt wurden.
Häuschen einen ehemaligen Mühlbach entlang und alle paar Minuten stoppte vor dem Buswartehäuschen ein Auto, dessen Fahrer eine Ehefrau oder ein Schulkind entließ. So wuchs die wartende Menge und endlich kam der Bus, und er brauchte Ewigkeiten, bevor er nach Zwischenstopps an Berufsschule, Friedhof und Klinikum endlich das Gewerbegebiet am Ortsausgang erreichte, wo ich aussteigen musste.
Meine Firma hatte die Räume über einer Elektrofirma angemietet. Vor der Tür gab es einen Fahrradständer und einen Raucherplatz, zwei reservierte Parkplätze – für die Chefin und die Sekretärin – und jede Menge Ladeverkehr für die Handwerker im Erdgeschoss. Die Chefin (offenbar gibt es in dieser Branche keine Chefs, jedenfalls nicht auf den unteren Rängen) beaufsichtigte ein kleines Büro und neben den beiden Deutschkursen noch ein paar andere „Maßnahmen“ für Arbeitslose: die üblichen Bewerbungs- und Computertrainings sowie einen Kurs „Berufliche Orientierung“, wo auch wieder Bewerbungsmappen hergestellt wurden.
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