Sonntag, 24. Juni 2007
... auch, und übrigens ...
... muss ich noch erwähnen, dass ich (der doch durch einen Nachbarn auf die Bloggerei gekommen bin) nun meinerseits einen angesteckt habe: Ein Bekannter, den ich bisher und seit Jahren eigentlich nur als Wissenschafltler kenne (ein gemeinsamer Bekannter meinte mal: "Wenn du historisch aus dem Anfang des [20.] Jahrhunderts irgendeine Sache nicht weißt, mach dir nicht den Stress, lange Lexika zu wühlen -frag ...") - der fängt jetzt plötzlich an, aus seinem Privatleben zu erzählen, aus der nordeutschen Provinz, um nicht zu sagen, dem Dorfleben - verspricht interessant zu werden! Also gucken Sie nach:
http://haruwa.blogger.de/

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Wie soll es denn nun weiter gehen?
... tja, ich habe lange nicht geschrieben, und dem, der bisher mitgelesen hat, ist sicher auch klar, warum: den Bericht über die NVA-Zeit hatte ich schon fertig auf dem Computer (ein gutes Jahr hat es gedauert ihn zu schreiben). Jetzt komm ich nicht weiter, weil ich keine Zeit hab. Wirklich nicht! Wahrscheinlich muss ich dazu sagen, dass ich mich in beruflich „prekärer“ (wie die Medien so schön sagen) Situation befinde, d.h. dass meine Arbeit macht wohl Spaß macht, aber ich muss zwei (inhaltlich schöne) Jobs kombinieren, um finanziell einigermaßen über die Runden zu kommen – Arbeitszeit täglich ca. 8,5 Stunden (die Anreise nicht gerechnet), Freizeitausbeute pro Tag ca. 1 Stunde (die natürlich meiner Frau und meinem Sohn zugute kommen) ... heute Nacht ist sie zur Party in Berlin, und er – nachdem er wach wurde, als ich mir ein neues Bier holte in der Küche - schläft mittlerweile stolz auf Mamas Kissen ...
Mein Ursprungsplan war folgender: als Nr. 2 der damals-Reihe das Jahr 1989 in Briefen darzustellen und danach über den Studien- und Berufsalltag im Westen zu berichten. D.h. es geht darum, sich sehr vorsichtig an die Misere meiner derzeitigen Gegenwart heranzutasten. Aber soll ich das wirklich tun?
Wenn ich die bisherigen Reaktionen auf mein Schreiben (und das ist ja, wofür man’s tut) betrachte, so seid Ihr vor allem an spritzigen Anekdoten interessiert. Bestes Beispiel „derherold“, mit dem ich mich zugegebenermaßen auch gekabbelt hatte und der dann kritisierte, dass meine Geschichte keinen Knalleffekt-Schluss hatte à la „doch braver Unteroffizier geworden“ oder „vorzeigbare Oppositionskarriere“. Aber so ist eben das Leben. Oder aber „gk“, der auf meine Andeutung mit den besetzten Wohnungen einging – die doch nur gemeint war als kleiner Hinweis, dass das Leben (auch in Diktaturen) eben doch komplizierter ist, als man normalerweise denkt.
Jetzt hab ich drei Möglichkeiten:
1.) noch ein bisschen fett „damals“: Ich habe grade ein paar Seiten aus meiner Stasi-Akte gescannt und digitalisiert (und bisher nur 4teachers.de als Unterrichtsmaterial angeboten) – das könnte ich schön ins Netz stellen und ein bisschen dazu erzählen (damit auch ein paar aktuelle Texte mit dabei sind)
2.) näher an das, was mein Leben ist und schmerzt: Berichte über Lehrer- und Wissenschaftler-Kollegen, das spielt natürlich alles in den neunziger Jahren, hat aber sehr wohl mit jetzt zu tun. Vor allem müsste ich diese Texte aktuell schreiben, ich weiß sehr wohl, was ich schreiben will, aber die Texte gibt es eben noch nicht.
3.) oder ganz so, wie ich es geplant habe: Informationen über 1989. Die Grundlage wären Briefe an mich, auch einige Tagebuch-Texte aus dem Jahr 1989. Ich hab damals in meinem Tagebuch fast nichts über Politik geschrieben und mich hinterher darüber geärgert. Aber eigentlich war es klar: Die Politik hat in diesem Jahr so stark mein Leben bestimmt und über es bestimmt, dass es eben nicht möglich war, locker, frei, emotional darüber zu berichten. Deshalb hab ich später, in den Neunzigern, noch in Vor-Computer-Zeiten, ein Potpourri über 1989 aus Briefen an mich zusammengestellt, das – wie ich finde – ein interessantes Bild der Vorgänge gibt.
Natürlich ist dieser Text ein „fishing-for-compliments“, und ich wünsche mir, dass der eine oder andere von Euch /Ihnen mir sagt, was er hören möchte. Ansonsten plappere ich einfach weiter, wie ich denke ... wird schon klappen, irgendwie.

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Dienstag, 22. Mai 2007
Armeezeit, Teil 21
Entlassen wurden die Soldaten unserer Einheit Ende April. Ich und einige andere mussten bleiben - wir hatten wir mehrere Tage Knast nachzudienen. Der Tag, als die anderen gingen, wurde uns Nachdienern schwer. Besonders schwer wurde er für mich, denn ich trat an diesem Tag eine zweite Arreststrafe an, wegen „Beleidigung eines Vorgesetzten“. Nicht wegen des OvDs übrigens – ich hatte im Eifer der Auseinandersetzung einen Unterleutnant „Knalltüte“ genannt und damit Gelächter bei umstehenden Stabsoffizieren ausgelöst. Mit einigen Kameraden ging ich nach vorn zum Kasernentor - sie verließen die Kaserne, ich musste abbiegen ins Wachgebäude und mich zum Antritt meiner Strafe melden.
Besser wurde es nachmittags, die anderen waren weg - und ich ein Häftling. Ich stand mit dem Besen auf einer Regimentsstraße und fegte, bewacht von irgendeinem Wachsoldaten. Andere kamen vorbei, erkannten mich und riefen: "Karin, was machst du denn schon wieder im Knast?!" Ich zuckte mit den Achseln und lächelte. Ich war jemand, ich war berühmt. Karin, der Aufsässige.
Fünf Tage später gingen Ulli Ost und die anderen. Nur der Melker und ich mussten weitere drei Tage bleiben. Wir hatten rein gar nichts mehr zu tun. Unsere Betten hatten wir an die bereits eingetroffenen Neuankömmlinge abgegeben. Die Unteroffiziere – das waren ja nun unsere nächsten Angehörigen – waren mit den „Glatten“ unterwegs und brachten ihnen das Marschieren bei. Ich erinnere mich an einen Vormittag, an dem ich mitgezählt habe: Die AMIGA-Schallplatte mit den Hits von Joe Cocker lief 14mal hintereinander.
Meine letzte verbotene Handlung war das Einkaufen einer Flasche Sekt im Regiments-Laden. Ich war richtig enttäuscht, dass die Aktion keinerlei Probleme bereitete – der Verkäufer kannte mein Schicksal ebenso wie die Vorgesetzten, es interessierte einfach niemanden, ob ein Nachdiener an seinem vorletzten Tag noch verbotenerweise Alkohol erwirbt, eine Handlung, die sonst nur Offizieren erlaubt war. Dann war der Tag heran und ich ging mit Hoppi – so hieß der Melker - zum Kasernentor. Es lief alles nach Plan: Im Treppenhaus schüttelten wir Dutzende von Händen; als wir die Regimentsstraße hinunterliefen zum Tor, winkte man uns aus den Unterkünften nach. Kurz vorm Tor verstreuten wir Papierschnipsel – wie es irgendeine Soldatensitte verlangte, an deren Inhalt ich mich nicht mehr erinnere. Draußen wurden die Sektflaschen geöffnet. So ähnlich wie Silvester, wo man ja auch oft neben sich steht und das Ritual einfach durchzieht.
Ich zog mit Hoppi noch durch Berlin, wir trafen uns mit irgendeinem der pünktlich Entlassenen und markierten eine Fröhlichkeit, die wir nicht empfanden. Als ich tief in der Nacht betrunken bei meinem Elternhaus eintraf, das immer noch dastand, als wäre ich nie fortgewesen, und dachte, dass ich mein altes Leben nun fortsetzen würde, war mir, als hätte ich mit der Armeeentlassung das Leben verloren – das Leid, aber auch das Leben.
Und so war ich beinahe dankbar, dass die Armee mich nicht vergaß, sondern noch nachträglich mein Verhalten honorierte: Einen Monat nach meiner Entlassung fuhr Oberstleutnant Knaf persönlich nach Leipzig an die Universität, um die Rücknahme meiner Studienzulassung anzuordnen. Offenbar hielt er mich doch nicht für einen formbaren jungen Menschen. Oberstleutnant Knaf hat meinen Stolz respektiert. Und Schriftsteller bin ich nie geworden.

ENDE

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Dienstag, 22. Mai 2007
Armeezeit, Teil 20
Und wann war dieser Wintertag, an dem ich wie so oft abends im Trainingsanzug über den Regimentsplatz huschte zur Telefonzelle, aber es wurde nichts aus dem Nach-Hause-Telefonieren? Irgendein Diensthabender gabelte mich auf und hinderte mich am Betreten der Telefonzelle: Es sei vom OvD (dem diensthabenden Offizier im Regimentsstab) ausdrücklich verboten worden, anders als in kompletter Dienstuniform die Gebäude zu verlassen oder zur Telefonzelle zu gehen. Ich glaubte ihm nicht, wollte ihm nicht glauben. Jeder ging jeden Abend im Trainingsanzug über die Regimentsstraße. Und an einem stockdunklen Winterabend konnte das doch wohl kaum irgendjemanden belästigen. Aber ich kam einfach nicht vorbei an diesem übereifrigen Feldwebel. Umzukehren und auf eine günstige Gelegenheit zu warten, verbot mir mein Stolz. Und die geforderte Dienstuniform anzuziehen war ganz unmöglich – ich hätte mich zum Gespött der ganzen Kompanie gemacht. Also lief ich in meiner Wut so, wie ich war, direkt in die Höhle des Löwen, zum OvD. Mit seinen eigenen Worten wollte ich es hören, ob ein erwachsener Mann so eine blödsinnige Anordnung treffen konnte. Aber er glotzte mich nur entgeistert an, offenbar sprachlos angesichts der Vermessenheit, dass so ein Wurm von Soldaten im Trainingsanzug vor ihn hinzutreten wagt. Als er sich gefasst hatte, sagte er nichts als „Weg!“ Und mir blieb nichts als einen unschuldigen UvD anzuschreien daheim auf unserm Flur und dann wütend meine Sachen durcheinander zu werfen.

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Sonntag, 20. Mai 2007
Armeezeit, Teil 19
Nicht sehr viel später wurde ich zwanzig Jahre alt. Es war ein ganz normaler Dezembertag. Kurz, kalt, dunkel, ereignislos. In meinem Tagebuch, das ich heimlich zettelchenweise nach Hause schickte, steht: "Zwar herrschte mein Lieblingswetter: unfreundlicher Wind mit Regen und Schnee, der auf der Haut schmolz." Weiter steht verzeichnet, dass ich mit einem Kameraden (im Zivilleben Melker und Heavy-Metal-Fan) und zwei leeren Sturmgepäck-Rucksäcken in den Postenbereich 1 lief - dorthin, wo ich zum ersten Mal diese Übergabemethode kennen gelernt hatte - aber irgendetwas lief schief; die vereinbarte Alkoholsendung traf nicht ein, und wir beide kehrten unter dem Gelächter der Zurückgebliebenen mit leerem Sturmgepäck in die Unterkunft zurück. Natürlich kam es so, dass später dennoch verschiedene Flaschen Schnaps auftauchten, dass ich betrunken am UvD-Tisch Shakespeare-Sonette vorlas, dass ich aus dem Fenster kotzte. Und dass ich am nächsten Morgen kein Bargeld mehr hatte.

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Mittwoch, 16. Mai 2007
Armeezeit, Teil 18
Nach einem dieser Wachdienste kehrte ich in die Einheit zurück und fand meine Kameraden in großer Aufgeregtheit vor. Es hatte in der vergangenen Nacht ein so genanntes "Vorkommnis" gegeben. Genaugenommen eigentlich gar kein Vorkommnis, sondern nur mal wieder eine aufgebauschte Phantasie übereifriger Vorgesetzter, dokumentiert in pflichtschuldigst übertriebenen Berichten. In Wirklichkeit war nichts anderes passiert, als was immer passiert: Man hatte sich betrunken. Dummerweise aber hatte an diesem Abend ein einfacher Soldat namens Nover den Posten des UvD innegehabt. Nover war mit uns zusammen eingezogen worden, jetzt sah er seine Chance, von einem vertretungsweisen zu einem richtigen Unteroffizier zu werden in den Augen der Vorgesetzten. So wurden aus den übermütigen und besoffenen Worten der Soldaten staatsfeindliche Äußerungen, und Unteroffizier Fisch, der ich weiß nicht welche Dienstfunktion gerade innehatte, Fisch, der fiese, schleimige Unteroffizier bestätigte Novers Berichte und damit hatten wir den Skandal. Ich sah mich berufen, diese Witzfiguren der Lächerlichkeit preisgegeben, die sie verdient hatten. Ich ging zu Knaf und sagte die Wahrheit. Der hörte zu und schwieg. Ob er mir Glauben schenkte, war nicht zu erkennen.
Die Bestrafung der Angeklagten jedenfalls ließ auf sich warten, offenbar musste man erst mal überlegen „dort oben“. Erst später, sehr viel später, als Gras über die Sache gewachsen war, bekam jeder der Delinquenten unschöne, aber angemessene drei Tage Arrest. Ich fühlte mich in meiner Wichtigkeit bestätigt. Ich war nicht mehr bei Nover, Rolf-Hans Müller und den anderen Abiturienten, ich stand endlich auf der richtigen Seite, und ich glaubte erfolgreich zu sein.

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Dienstag, 15. Mai 2007
Armeezeit, Teil 17
Auch Wache stand ich natürlich wieder oft, denn unser eigentliches Tagesgeschäft, der Umgang mit der Kanone, erforderte nicht viel Arbeit. Ich stand jetzt meistens am Munitionslager. Das war ein ungeliebter Posten, denn das Munitionslager lag - wegen der Explosionsgefahr - sehr weit weg, in der äußersten hintersten Ecke des Regiments. Das hieß, man musste sehr weit laufen um dort hinzukommen, und ebenso weit um wieder zurückzukommen, und das viermal in den 24 Stunden Wachdienst. Ich schätzte den Posten vier, hinten am Munilager. Denn hier kam nie eine Postenkontrolle. Die Offiziere waren viel zu faul, so weit zu laufen. Ich hatte oft ein Buch dabei, eigentlich fast immer. Ich erinnere mich, dass ich Sartre gelesen habe, ein Buch mit dem schönen Titel "Die Wörter". Ich weiß nichts mehr von dem, was in dem Buch stand. Aber ich weiß nur noch, wie schön es war darin zu lesen. Es war eine andere Welt, in der Tat, eine Welt von klugen Gedanken - und eine Welt der Wahrhaftigkeit, des Geistes. Was für mich eins war. Das Buch war zu groß, um es der Seitentasche der Uniformhose unterzubringen, wo die Wachposten üblicherweise das natürlich auch verbotene, so genannte "Faktenradio" einzustellen pflegten, das Radio eben, das einen "Fakt" darstellte - den Beweis einer unerlaubten Handlung. Mein Fakt war ein Buch. Ich versteckte es vor der Brust, unter der Jacke.

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Sonntag, 13. Mai 2007
Armeezeit, Teil 16
Nur sah es zunächst nicht danach aus. Der Alltag war wieder da, das dritte Diensthalbjahr begann; es begann mit Kommandierungen, manche gingen - oder durften - weg, in schönere Bereiche: zum Stab, in die Feuerwache oder zur Küche. Die Zimmerbesatzungen wurden neu zusammengestellt. Es war auf einmal recht still bei uns oben. Gelegenheiten, durch besondere Leistungen aufzufallen, waren nicht in Sicht.
Eigentlich gab es gar nichts zu tun. Ich versah jetzt oft einen Dienst, den in den ersten Monaten nur Streber innegehabt hatten: Ich stand GUvD, das heißt "Gehilfe des Unteroffiziers vom Dienst". Für einen Neuling ein einfacher Dienst – man hatte nicht viel zu tun außer ein paar Eintragungen in ein Buch zu machen und ab und an einen Botengang – war es für alt Eingesessene wie mich eher etwas demütigend, nächtelang so dazusitzen an einem kleinen Schreibtisch und nicht schlafen zu dürfen (oder nur heimlich schlafen zu dürfen) und entsprechend die folgenden Tage im Tran zu erleben. Nun gut, es war nicht schlimm, schlimm wie der Beginn der Armeezeit - es war nur doof, lähmend, Resignation.
Meistens stand ich mit einem Unteroffizier, der neu in unsere Einheit gekommen war. Rolf Hans Müller wurde er genannt, obwohl er eigentlich Ralf ließ. Ein diskriminierender Spitzname eben, wie ihn viele trugen – ich hieß z. B. Karin. Rolf Hans Müller war ein junger Mensch wie ich, Abiturient, schmal gebaut, mit Nickelbrille, er gab sich moralisch und intelligent und war bar aller Lebenskenntnis. Auch er wirkte verunsichert. Er wurde sogar noch viel mehr ausgelacht als ich. Aber wo ich gerade mal von Situation zu Situation versuchte, meinen Stolz zu bewahren, schien er fest entschlossen, sich mit den nun einmal gegebenen Tatsachen zu arrangieren. An einem dieser Dienst-Tage bzw. -nächte - natürlich war es so, dass er als Unteroffizier, als UVD, die Tagschicht hatte, während ich nachts wach zu bleiben hatte - an einem dieser Tage warf er mir vor, ich hätte "zwischen mir und der Realität ein Weiteres geschaffen". Das war in der Tat so. Damals fühlte ich mich sehr getroffen, denn er hatte natürlich Recht. Warum lief ich denn immer wieder zu Knaf in den Regimentsstab – der mich doch offensichtlich hinhielt, immer meinte, meine Texte wären literarisch gut, aber zu negativ, um veröffentlicht zu werden? Warum holte ich mir immer wieder mit schnellen Witzen und kleinen Ungehorsamkeiten die vorübergehende Bewunderung der Kameraden – die dann am Wochenende in den Kurzurlaub fuhren, während meiner wieder abgelehnt wurde? Insgeheim bewunderte ich Ralf Müller. Ich wusste, ich konnte nicht so sein wie er, der sich den Realitäten nicht verschloss, sondern still und wie selbstverständlich seine Arbeit tat – so idiotisch sie auch immer sein mochte. Erst später erfuhr ich, dass auch er kleine Texte über den Armeealltag schrieb – für die Geheimdienstoffiziere, die an ihn herangetreten waren. Seine Texte waren nicht weniger fiktiv als meine, aber er nannte darin konkrete Namen und gab ihnen die Überschrift „Informationsbericht“.

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Freitag, 11. Mai 2007
Armeezeit, Teil 15
Eine Woche später trat ich meine Strafe an: drei Tage Arrest. Es gab zu diesem Zweck einige Zellen im Wachgebäude. Ich wurde zusammen mit Ulli Ost eingeliefert. Ulli war ein Schlachter aus dem Potsdamer Schlachthof, er war sehr froh mit mir, mit dem Intellektuellen, zusammen eingesperrt zu werden. Für ihn hieß das, dass er doch kein schlechter Mensch sein konnte, da offenbar auch gebildete Menschen eingesperrt wurden - für mich das Umgekehrte: Ich war froh nicht allein zu sein, jemand dabei zu haben, ich fühlte mich zugehörig zur Masse der kleinen Leute, zum normalen Leben. Es gab fünf Zellen im Wachgebäude, zwei davon waren nun also belegt. Tagsüber wurden wir aus unseren Zellen geholt und für mussten irgendwelche kleinen Arbeiten verrichten, Rasenflächen säubern, Unkraut zupfen oder Ähnliches. Aber meistens war es langweilig, wie immer bei der Armee. Wir saßen mit den Wachsoldaten im Bereitschaftsraum herum und machten gar nichts, lasen Zeitung, guckten in die Luft. Abends wurde jeder in seine Zelle gesperrt. Schlimm war das nicht. Schlimm war, dass man nachdienen musste. Jeder Tag in der Zelle konnte nach Ablauf der Dienstzeit hinten dran gehängt werden, d. h. die wirkliche Strafe war, dass man länger dabei bleiben musste. Es gab nur eine Hoffnung: Man musste belobigt werden. Jemand, der schon eingesessen hatte, bekam als nächste „Belobigung“, wenn er denn eine bekam, die "Streichung einer Strafe". Das war mein nächstes Ziel. Ich wollte mich jetzt wirklich korrekt verhalten und bald die ersehnte Belobigung bekommen.

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Mittwoch, 9. Mai 2007
Armeezeit, Teil 14
Ich fuhr ins eine D-Zug-Station entfernte Berlin. Das Zugklo diente der Verwandlung. Wie wunderbar ist es, mit dem Zug in eine Großstadt einzufahren! Alles vermehrt sich: die Zahl der Gleise, die Zahl der Häuser, ihre Größe ... Die ersten S-Bahnstationen fliegen vorbei. Man blickt auf Ampelkreuzungen, Straßenbahnen, erleuchtete Wohnzimmerfenster. Friedrichstraße stieg ich aus und ging zu Fuß weiter. Im Palast der Republik gab es einen jiddischen Liederabend, aber zwei Leute vor mir waren die Karten ausverkauft. Ich ging ins Café im gegenüberliegenden Palasthotel, einen Nobelschuppen, den ich früher verachtet hatte. Aber ein Soldat darf nicht wählerisch sein. Die Zeit drängte, und Großstadt blieb immer noch Großstadt. Und ich wurde aufgenommen. Ich kam ins Gespräch mit den am Tisch Sitzenden, man unterhielt sich hochtrabend über das alte Berlin und Rahel Varnhagen. Und zum Schluss erließ mir die Kellnerin 1, 50 Mark meiner Rechnung, da sie auf Grund der generösen sonstigen Gäste nur mit Scheinen hantierte und auf Summen unter 10 Mark nicht herausgeben konnte.
Um Mitternacht kam ich in die Kaserne zurück, zu meiner Verblüffung waren alle noch wach, auch viele Offiziere anwesend. Bis vor wenigen Minuten hatten noch alle an der Vorbereitung einer der bevorstehenden Inspektionen gearbeitet. Zu spät begriff ich, dass die restriktive Ausgangsregelung durch meinen Kompaniechef nicht demütigend gemeint gewesen war, sondern weil man meine Arbeitskraft gebraucht hatte.

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Sonntag, 6. Mai 2007
Armeezeit, Teil 13
In den folgenden Wochen war es mit der Ruhe vorbei. Ein neuer Regimentschef trat seinen Dienst an, und da neue Besen bekanntlich gut kehren, wurde überall kräftig aufgeräumt. Munitionsvorräte, deren Menge seit Jahren von Wachwechsel zu Wachwechsel nur abgehakt worden waren, mussten nun tatsächlich nachgezählt werden. Die weißen Streifen auf den Regimentsstraßen und dem Appellplatz wurden endlich erneuert. Eine Fülle neuer Dienstvorschriften trat in Kraft. Oft wurde noch nach Dienstschluss geputzt und aufgeräumt, die Offiziere mussten Überstunden machen, für uns gab es kaum noch Ausgang.
Als es mir zwei Wochen lang nicht gelungen war, die Erlaubnis zum abendlichen Verlassen der Kaserne zu erlangen, verfiel ich auf einen Trick: Ich musste doch irgendwann mal neue Einlagen für meine Schuhe bekommen, wegen meiner kaputten Füße. Warum nicht jetzt? Und zum Anpassen musste ich in die Stadt. Daran war nicht zu deuten. Medizinische Gründe zogen immer. Aber der Kompaniechef ließ sich nicht austricksen. Er gab mir Ausgang von Dienstschluss bis sieben Uhr abends anstatt wie üblich bis Mitternacht. Ich kochte innerlich, ich dachte nicht im Traum daran, die Demütigung zu akzeptieren. Ich beschloss, so lange wegzubleiben, wie mir zustand; ich tat sogar noch ein Übriges und nahm meine Zivilsachen mit, ein an sicherer Stelle verstecktes T-Shirt und eine Hose, die es mir erlaubten, draußen durch einen Sachenwechsel meinen Soldatenstatus abzulegen und von Militärstreifen unangefochten den eng begrenzten Ausgangsbereich zu überschreiten.

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