Mittwoch, 9. Mai 2007
Armeezeit, Teil 14
Ich fuhr ins eine D-Zug-Station entfernte Berlin. Das Zugklo diente der Verwandlung. Wie wunderbar ist es, mit dem Zug in eine Großstadt einzufahren! Alles vermehrt sich: die Zahl der Gleise, die Zahl der Häuser, ihre Größe ... Die ersten S-Bahnstationen fliegen vorbei. Man blickt auf Ampelkreuzungen, Straßenbahnen, erleuchtete Wohnzimmerfenster. Friedrichstraße stieg ich aus und ging zu Fuß weiter. Im Palast der Republik gab es einen jiddischen Liederabend, aber zwei Leute vor mir waren die Karten ausverkauft. Ich ging ins Café im gegenüberliegenden Palasthotel, einen Nobelschuppen, den ich früher verachtet hatte. Aber ein Soldat darf nicht wählerisch sein. Die Zeit drängte, und Großstadt blieb immer noch Großstadt. Und ich wurde aufgenommen. Ich kam ins Gespräch mit den am Tisch Sitzenden, man unterhielt sich hochtrabend über das alte Berlin und Rahel Varnhagen. Und zum Schluss erließ mir die Kellnerin 1, 50 Mark meiner Rechnung, da sie auf Grund der generösen sonstigen Gäste nur mit Scheinen hantierte und auf Summen unter 10 Mark nicht herausgeben konnte.
Um Mitternacht kam ich in die Kaserne zurück, zu meiner Verblüffung waren alle noch wach, auch viele Offiziere anwesend. Bis vor wenigen Minuten hatten noch alle an der Vorbereitung einer der bevorstehenden Inspektionen gearbeitet. Zu spät begriff ich, dass die restriktive Ausgangsregelung durch meinen Kompaniechef nicht demütigend gemeint gewesen war, sondern weil man meine Arbeitskraft gebraucht hatte.

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