Sonntag, 8. Oktober 2017
Gedanken über ein Foto (das ich aus Datenschutzgründen hier nicht zeigen kann)
damals, 14:13h
Es ist ein Foto von einer Lesung. J. schreibt nämlich Gedichte, drei Bände hat sie schon veröffentlicht, ohne nennenswerten kommerziellen Erfolg. Neulich trat sie mal wieder in einer kleinen Berliner Buchhandlung auf. Ein Musiker spielte Rockklassiker, und J. las.
Auf dem Foto sieht sie auf den ersten Blick unsympathisch aus, so eine richtige Berliner Szene-Zicke. Macht das der strubbelige, blondierte Kurzhaarschnitt, der gouvernantenhafte Blick von oben herab oder die harte, steife Haltung?
Als ich mich mit meinen Fragen so weit vorgetastet habe, ändert sich mein Blick. Die Haltung ist nämlich schon besonders: so kerzengerade, diszipliniert, die strenge schwarze Kleidung betont das noch. Wie anstrengend muss das sein! Sie hält ihr Buch vor sich, sie hält es fest, aber der Wald von Post-its, der aus den Seiten lugt wie die vorwitzigen Haarspitzen, die auf ihrem Kopf den strengen Schnitt ad absurdum führen, sie zeigen, dass hier gar nichts fest ist. Sie hält es nur mühsam aufrecht.
In ihrem Gesicht erkenne ich zuerst die lange, schmale Nase wieder, die damals, in ihrer Jugend, als ihr Markenzeichen galt – Verehrer begeisterten sich für ihr griechisches Profil. Jetzt wirkt die Nase immer noch edel, aber schmaler und sehr fein. J. wurde beim Rezitieren fotografiert, der Mund ist halb geöffnet, die Lippen, beim Artikulieren ertappt, wirken unsicher, fast zitterig, und die Augen, unter hohen, rund gezogenen Augenbrauen und schweren blauen Augenlidern blicken verachtungsvoll auf den Fotografen: Was wisst ihr schon von meinem Elend?
Natürlich wissen wir es nicht, wir ahnen nur, was du verschweigst, und reagieren mit instinktiver Ablehnung. Würdest du doch nur mal den falschen Stolz, dieses blöde Haltungbewahren ablegen! Es wäre sicher alles halb so schlimm, und du könnest wieder geistreich und lebendig sein wie früher. Denn das geht auch mit Elend.
Auf dem Foto sieht sie auf den ersten Blick unsympathisch aus, so eine richtige Berliner Szene-Zicke. Macht das der strubbelige, blondierte Kurzhaarschnitt, der gouvernantenhafte Blick von oben herab oder die harte, steife Haltung?
Als ich mich mit meinen Fragen so weit vorgetastet habe, ändert sich mein Blick. Die Haltung ist nämlich schon besonders: so kerzengerade, diszipliniert, die strenge schwarze Kleidung betont das noch. Wie anstrengend muss das sein! Sie hält ihr Buch vor sich, sie hält es fest, aber der Wald von Post-its, der aus den Seiten lugt wie die vorwitzigen Haarspitzen, die auf ihrem Kopf den strengen Schnitt ad absurdum führen, sie zeigen, dass hier gar nichts fest ist. Sie hält es nur mühsam aufrecht.
In ihrem Gesicht erkenne ich zuerst die lange, schmale Nase wieder, die damals, in ihrer Jugend, als ihr Markenzeichen galt – Verehrer begeisterten sich für ihr griechisches Profil. Jetzt wirkt die Nase immer noch edel, aber schmaler und sehr fein. J. wurde beim Rezitieren fotografiert, der Mund ist halb geöffnet, die Lippen, beim Artikulieren ertappt, wirken unsicher, fast zitterig, und die Augen, unter hohen, rund gezogenen Augenbrauen und schweren blauen Augenlidern blicken verachtungsvoll auf den Fotografen: Was wisst ihr schon von meinem Elend?
Natürlich wissen wir es nicht, wir ahnen nur, was du verschweigst, und reagieren mit instinktiver Ablehnung. Würdest du doch nur mal den falschen Stolz, dieses blöde Haltungbewahren ablegen! Es wäre sicher alles halb so schlimm, und du könnest wieder geistreich und lebendig sein wie früher. Denn das geht auch mit Elend.
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Montag, 31. Juli 2017
Literatur von gestern: Maguerite Duras, Christa Wolf
damals, 12:48h
Geistig an einem Nullpunkt, an dem ich noch nicht weiß, ob, wann und welche Interessen sich vielleicht einmal ergeben werden, muss ich doch irgendwas lesen, so zur Unterhaltung, und da dachte ich: Ich greif mir einfach irgendeinen Klassiker aus dem Bücherregal meiner Eltern, den ich damals verpasst habe.
Meine Wahl fiel eher zufällig auf „Der Liebhaber“ von Maguerite Duras. Was für ein Fehlgriff! Aus dem Buch glotzten mich die ganzen schrecklichen 80er Jahre an: dieses kunstvolle, wortreiche Herumreden um den heißen Brei. Erinnerte mich an Christa Wolf. Diese tiefe Resignation, die ängstlich vermeidet, auch nur irgendetwas zu erzählen, was wirklich ist. Stattdessen seitenlanges Abschweifen in zeittypische essayistische Gefilde (bei Wolf „Feminismus“, bei Duras „Begehren“).
Aber vielleicht tu ich Maguerite Duras auch Unrecht: Während ich mich vor Jahrzehnten fleißig durchkämpfte durch „Kassandra“, hab ich „Der Liebhaber“ nach dreißig Seiten einfach weggelegt.
... und bin damit wahrscheinlich auch ganz ein Kind meiner Zeit, die sich ja ebenso ängstlich an „Fakten“ klammert, wie verlogen sie auch immer sein mögen.
Meine Wahl fiel eher zufällig auf „Der Liebhaber“ von Maguerite Duras. Was für ein Fehlgriff! Aus dem Buch glotzten mich die ganzen schrecklichen 80er Jahre an: dieses kunstvolle, wortreiche Herumreden um den heißen Brei. Erinnerte mich an Christa Wolf. Diese tiefe Resignation, die ängstlich vermeidet, auch nur irgendetwas zu erzählen, was wirklich ist. Stattdessen seitenlanges Abschweifen in zeittypische essayistische Gefilde (bei Wolf „Feminismus“, bei Duras „Begehren“).
Aber vielleicht tu ich Maguerite Duras auch Unrecht: Während ich mich vor Jahrzehnten fleißig durchkämpfte durch „Kassandra“, hab ich „Der Liebhaber“ nach dreißig Seiten einfach weggelegt.
... und bin damit wahrscheinlich auch ganz ein Kind meiner Zeit, die sich ja ebenso ängstlich an „Fakten“ klammert, wie verlogen sie auch immer sein mögen.
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Samstag, 18. Februar 2017
Wo man die Fenster nicht öffnen kann
damals, 14:09h
Samstagvormittag allein zu Haus, wozu nutz ich die Zeit? Natürlich, indem ich im Bet bleib und schön einen Film von der Festplatte weggucke, der dort schon seit Wochen auf Abruf wartet. Heute "Die Falschspielerin" ("The Lady Eve" ist der schönere Originaltitel), eine berühmte Screwball-Komödie, die ich noch nicht kannte. Und tatsächlich: Sie gefiel mir sehr, da sie mit Witz und Tempo wieder wettmachte, was an Screwball-Komödien eigentlich immer ein bisschen nervt: die Null-Erotik der Hauptdarstellerin, das lächerlich Konstruierte und Holzschnitthafte der Romantik-Szenen, die Sprödigkeit und und das völlige Fehlen einer irgendwie glaubhaften Gefühlsebene ...
Ein Detail aus dem Gag-Feuerwerk fiel mir auf: "Sie wird ihn aus dem Zugfenster werfen!" - "In Zügen kann man die Fenster nicht öffnen". Aha, dachte ich, in den USA war das also schon 1941 so. Ich bin noch in 80ern den Kopf aus dem Zugfenster haltend ans Schwarze Meer gefahren. Die Zeit der Klimaanlagen und versiegelten Zugfenster begann für mich erst 1990. Inzwischen ist mir auch das vertraut.
Und deshalb schreckt mich auch ein öffentliches Klima nicht, das von maschinellen Meinungen und postfaktischem Schwachsinn beeinflusst wird. Dreistes Lügen und Meinungsmache sind mir noch aus DDR-Zeiten bekannt, inszenierten Jubel kennt man auch von Samstagabend-Fernsehshows. Wer den Wind um die Nase spürt, muss das nicht ernst nehmen.
Da lese ich zum Beispiel grade einen sehr schönen Unterhaltungsroman, "Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels" von Stefan Moster, und staunte nicht schlecht, wie gut und stimmig ein Wessi-Autor mit DDR-Tristesse und Stasi-Thematik umgehen kann. An einem winzigen Detail erkannte ich dann, warum dem Autor das gelang: Er erwähnt die Stasi-Hochschule in "Potsdam-Gollen". Tatsächlich heißt der Ort Golm, ich komm ja aus der Gegend. Offenbar hat der Autor also sein Wissen per Hörensagen erworben, nicht im Internet recherchiert. Auf diesem Übertragungsweg scheint das Wissen seine Echtheit zu behalten. "Die Macht kommt aus den Mündern, die kommt aus den Mündungen nicht." dichtete Wolf Biermann einst über Gewehrmündungen, die ihn als alten Kommunisten vielleicht doch etwas zu stark faszinierten. Recht hat er trotzdem.
Und daher müssen Sie auch nicht ernst nehmen, was ich hier ins Internet tippe.
Ein Detail aus dem Gag-Feuerwerk fiel mir auf: "Sie wird ihn aus dem Zugfenster werfen!" - "In Zügen kann man die Fenster nicht öffnen". Aha, dachte ich, in den USA war das also schon 1941 so. Ich bin noch in 80ern den Kopf aus dem Zugfenster haltend ans Schwarze Meer gefahren. Die Zeit der Klimaanlagen und versiegelten Zugfenster begann für mich erst 1990. Inzwischen ist mir auch das vertraut.
Und deshalb schreckt mich auch ein öffentliches Klima nicht, das von maschinellen Meinungen und postfaktischem Schwachsinn beeinflusst wird. Dreistes Lügen und Meinungsmache sind mir noch aus DDR-Zeiten bekannt, inszenierten Jubel kennt man auch von Samstagabend-Fernsehshows. Wer den Wind um die Nase spürt, muss das nicht ernst nehmen.
Da lese ich zum Beispiel grade einen sehr schönen Unterhaltungsroman, "Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels" von Stefan Moster, und staunte nicht schlecht, wie gut und stimmig ein Wessi-Autor mit DDR-Tristesse und Stasi-Thematik umgehen kann. An einem winzigen Detail erkannte ich dann, warum dem Autor das gelang: Er erwähnt die Stasi-Hochschule in "Potsdam-Gollen". Tatsächlich heißt der Ort Golm, ich komm ja aus der Gegend. Offenbar hat der Autor also sein Wissen per Hörensagen erworben, nicht im Internet recherchiert. Auf diesem Übertragungsweg scheint das Wissen seine Echtheit zu behalten. "Die Macht kommt aus den Mündern, die kommt aus den Mündungen nicht." dichtete Wolf Biermann einst über Gewehrmündungen, die ihn als alten Kommunisten vielleicht doch etwas zu stark faszinierten. Recht hat er trotzdem.
Und daher müssen Sie auch nicht ernst nehmen, was ich hier ins Internet tippe.
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Samstag, 5. November 2016
Altmännerliteratur
damals, 14:07h
„Altershausen" – Das müssen Sie lesen! meinte damals der Zweitgutachter meiner Dr.-Arbeit zum Thema Wilhelm Raabe. Er stand kurz vor der Emeritierung und ich dachte: Den Tipp heb ich mir für später auf, wenn ich selber alt bin. Später las ich irgendwo von Heinrich Detering denselben Tipp und hab mir dann doch schon mit 51 Jahren eine schöne Ausgabe von 1904 davon gekauft (für 5 Euro inkl. Versand!).

Also, so genial fand ich das nun auch wieder nicht, aber es war ein wunderschönes Stück Altmännerliteratur: ein „back tot he roots“, warmherzig leuchtend, ironisch, demütig, kaum sentimental.
Jetzt ein Jahr später les ich „Herkunft“ von Botho Strauß, das mich manchmal an „Altershausen“ erinnert: Es ist ebenso rührend offenherzig wie “Altershausen“, aber nicht fiktional, keine Erzählung, sondern eine genaue autobiographische Offenbarung, leider nicht ganz frei von den bekannten Straußschen Verbohrt- und Exaltiertheiten, doch sehr direkt persönlich echt. Tut einfach gut.
Und als Nächstes kommt dann der „Abschied von den Eltern“ von Peter Weiß, hab ich mir schon bestellt.
... so, das reicht für heute an Namedropping. Und falls der geneigte Leser nach meinem autobiografischen Hintergrund fragt: Ja, die Eltern werden alt, ich hab das am Wochenende wieder erlebt, und vor kurzem, im Sommer bei der großen Deutschland-Wohnmobilrundreise mit Frau und Sohn (einmal Norddeutschland – Schweiz und zurück), nutzte ich die Gelegenheit, dem Großelternhaus, dem Kindheitsort meines Vaters und meiner eigenen Grundschul-Frühjahrs- und Herbstferien, einen kurzen Besuch abzustatten: Die das gekauft haben, haben es sich dort wirklich hübsch gemacht, sieht besser aus als damals, ich konnte-musste mich verabschieden: Dem Haus geht es jetzt besser, nachdem es seine Herkunftsfamilie verlassen hat. Manchmal ist das so.


Also, so genial fand ich das nun auch wieder nicht, aber es war ein wunderschönes Stück Altmännerliteratur: ein „back tot he roots“, warmherzig leuchtend, ironisch, demütig, kaum sentimental.
Jetzt ein Jahr später les ich „Herkunft“ von Botho Strauß, das mich manchmal an „Altershausen“ erinnert: Es ist ebenso rührend offenherzig wie “Altershausen“, aber nicht fiktional, keine Erzählung, sondern eine genaue autobiographische Offenbarung, leider nicht ganz frei von den bekannten Straußschen Verbohrt- und Exaltiertheiten, doch sehr direkt persönlich echt. Tut einfach gut.
Und als Nächstes kommt dann der „Abschied von den Eltern“ von Peter Weiß, hab ich mir schon bestellt.
... so, das reicht für heute an Namedropping. Und falls der geneigte Leser nach meinem autobiografischen Hintergrund fragt: Ja, die Eltern werden alt, ich hab das am Wochenende wieder erlebt, und vor kurzem, im Sommer bei der großen Deutschland-Wohnmobilrundreise mit Frau und Sohn (einmal Norddeutschland – Schweiz und zurück), nutzte ich die Gelegenheit, dem Großelternhaus, dem Kindheitsort meines Vaters und meiner eigenen Grundschul-Frühjahrs- und Herbstferien, einen kurzen Besuch abzustatten: Die das gekauft haben, haben es sich dort wirklich hübsch gemacht, sieht besser aus als damals, ich konnte-musste mich verabschieden: Dem Haus geht es jetzt besser, nachdem es seine Herkunftsfamilie verlassen hat. Manchmal ist das so.

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Donnerstag, 21. Juli 2016
Ist Toni Erdmann ein guter Vater?
damals, 03:14h
Wer den Mann nicht kennt, darf jetzt ruhig weiterklicken – ich jedenfalls habe „Toni Erdmann“ heute Abend gesehen: An einem lauen Sommerabend bin ich nach Ottensen reingeradelt – der Alma-Wartenberg-Platz schwirrte vom Geplauder und Gelächter der Freilichttrinker – und hab mir den Film von Maren Ade im Zeisekino angesehen. Nach den Geniestreichen „Der Wald vor lauter Bäumen“ und „Alle anderen“ waren meine Erwartungen sehr hoch und wurden dann doch ein bisschen enttäuscht, trotz der vielen wunderbar schrägen, klugen, komisch-peinlichen Szenen, die der Film auch enthält.
Es geht um eine junge deutsche Businessfrau, die in Rumänien auf die perverseste Art den Globalisierungsdiener gibt und dort von ihrem Vater, einem 68er-mäßigen Loser und Witzbold, heimgesucht wird. Verkleidet als ein Horst Schlämmer ähnlicher „Coach“ namens Toni Erdmann mischt er sich in ihre Geschäftsverhandlungen und macht alles lustvoll aggressiv zunichte. Am Ende versöhnen sich natürlich Vater und Tochter.
So banal kann man den Film auffassen, und dass man das kann, ist seine große Schwäche. Natürlich ist Maren Ade klug, viel klüger als diese Story. Sie zeigt genau, was hier abgeht: wie sehr sich Vater und Tochter gleichen: die Clownerien des Vaters sind nicht weniger plump und verlogen als das Businessgebaren der Tochter; wie sehr ein Machtgefüge das Geschehen beherrscht: Die Arroganz der Oberschicht gegenüber der Mittelschicht („Ich lebe in Frankfurt und Paris, es ist schön, in Ländern mit Mittelschicht zu leben – das entspannt.“) wiederholt sich in der Arroganz der Mittelschicht gegenüber der Unterschicht (die Tochter schikaniert die Rumänen, der Vater bringt ihnen nur verständnislose Höflichkeit entgegen) usw.
Und vor allem zeigt sie, dass die Tochter, die hier ihre Identität, ihre Würde viel zu billig an moralisch fragwürdige Firmen verkauft, ja gar nicht anders kann. Ihr Vater, der 68er, ist ein Clown, ein Provokateur, ein ewig Pubertierender. Von ihm hat sie keine Richtschnur fürs Leben bekommen können. Und jetzt, im Lebensherbst, ist er ein Einsamer, ein Verzweifelter, jemand, mit dem man Mitgefühl haben kann und muss, aber erst recht niemand, der einem etwas fürs Leben mitgeben kann.
All diese wichtigen Aspekte deutet die kluge Regisseurin in ihrem Film an. Schade, dass sie sie am Ende einer kitschigen Story opfert.
Nachsatz und Zurücknahme: Wenn Sie meinen Text gelesen haben, haben Sie sicher bemerkt, wie ich mir selbst widerspreche: Natürlich kann der Film gar nicht banal sein, da er ja doch, wie ich betonte, genau und konkret ist. Und eine "kitschige Story" - nun, die muss er ja haben, er will ja eine eine Komödie sein!
Dass ich gestern Abend dennoch leicht gestresst aus dem Kino kam und daher Lust hatte, ein bisschen im Netz abzunörgeln - das hatte vermutlich einen einfacheren Grund: Der Fim ist eine halbe Stunde zu lang. Das nervt. Ich finde, Filme sollten 80 bis 100 Minuten dauern, ein außerordentlich guter Film (wie dieser) darfs auch auf 2 Stunden bringen. 162 Minuten sind zu viel.
Na ja, aber einen Tag später ist diese kleine Pubikumsquälerei vergessen, und ich erinnere nur noch die Fülle wunderbarer Filmmomente (Das einsame Kleidanziehen mit der Gabel! Der Spermawurf aufs Petitfour! Die zarte Szene mit dem Tod des Hundes! usw.) und nachdenkenswerter Aspekte. Gehen Sie ins Kino, wenn Sie noch nicht da waren!
Es geht um eine junge deutsche Businessfrau, die in Rumänien auf die perverseste Art den Globalisierungsdiener gibt und dort von ihrem Vater, einem 68er-mäßigen Loser und Witzbold, heimgesucht wird. Verkleidet als ein Horst Schlämmer ähnlicher „Coach“ namens Toni Erdmann mischt er sich in ihre Geschäftsverhandlungen und macht alles lustvoll aggressiv zunichte. Am Ende versöhnen sich natürlich Vater und Tochter.
So banal kann man den Film auffassen, und dass man das kann, ist seine große Schwäche. Natürlich ist Maren Ade klug, viel klüger als diese Story. Sie zeigt genau, was hier abgeht: wie sehr sich Vater und Tochter gleichen: die Clownerien des Vaters sind nicht weniger plump und verlogen als das Businessgebaren der Tochter; wie sehr ein Machtgefüge das Geschehen beherrscht: Die Arroganz der Oberschicht gegenüber der Mittelschicht („Ich lebe in Frankfurt und Paris, es ist schön, in Ländern mit Mittelschicht zu leben – das entspannt.“) wiederholt sich in der Arroganz der Mittelschicht gegenüber der Unterschicht (die Tochter schikaniert die Rumänen, der Vater bringt ihnen nur verständnislose Höflichkeit entgegen) usw.
Und vor allem zeigt sie, dass die Tochter, die hier ihre Identität, ihre Würde viel zu billig an moralisch fragwürdige Firmen verkauft, ja gar nicht anders kann. Ihr Vater, der 68er, ist ein Clown, ein Provokateur, ein ewig Pubertierender. Von ihm hat sie keine Richtschnur fürs Leben bekommen können. Und jetzt, im Lebensherbst, ist er ein Einsamer, ein Verzweifelter, jemand, mit dem man Mitgefühl haben kann und muss, aber erst recht niemand, der einem etwas fürs Leben mitgeben kann.
All diese wichtigen Aspekte deutet die kluge Regisseurin in ihrem Film an. Schade, dass sie sie am Ende einer kitschigen Story opfert.
Nachsatz und Zurücknahme: Wenn Sie meinen Text gelesen haben, haben Sie sicher bemerkt, wie ich mir selbst widerspreche: Natürlich kann der Film gar nicht banal sein, da er ja doch, wie ich betonte, genau und konkret ist. Und eine "kitschige Story" - nun, die muss er ja haben, er will ja eine eine Komödie sein!
Dass ich gestern Abend dennoch leicht gestresst aus dem Kino kam und daher Lust hatte, ein bisschen im Netz abzunörgeln - das hatte vermutlich einen einfacheren Grund: Der Fim ist eine halbe Stunde zu lang. Das nervt. Ich finde, Filme sollten 80 bis 100 Minuten dauern, ein außerordentlich guter Film (wie dieser) darfs auch auf 2 Stunden bringen. 162 Minuten sind zu viel.
Na ja, aber einen Tag später ist diese kleine Pubikumsquälerei vergessen, und ich erinnere nur noch die Fülle wunderbarer Filmmomente (Das einsame Kleidanziehen mit der Gabel! Der Spermawurf aufs Petitfour! Die zarte Szene mit dem Tod des Hundes! usw.) und nachdenkenswerter Aspekte. Gehen Sie ins Kino, wenn Sie noch nicht da waren!
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Donnerstag, 7. April 2016
Über die NSU-Filme
damals, 01:41h
In den letzten Tagen liefen drei Fernsehfilme, die den NSU-Krimi zum Thema hatten. Ich hatte mich im Vorfeld gefragt: Gleich drei Filme - ist das nicht ein bisschen viel? Aber das war schon ganz richtig so: Wie sonst soll man dieses monsterhafte Thema (monsterhaft aufgrund des ihm reichlich innewohnenden Bösen, aufgrund der vielen erschreckenden Unklarheiten und seines Reichtums an Abstrusitäten) - wie soll man dieses Thema in 20.15-Uhr-gerechtes Fernsehen überführen? Das ist doch nur möglich, indem man es aufsplittet.
Und so gab es eben verschiedene Arten von Kitsch - für jede Zielgruppe etwas. Zunächst den Kitsch in der Tradition des Milieufilms, bei dem die NSU-Terroristen im Grunde Opfer der Umstände sind. Entsprechend wird Beate Zschäpes Unterschichtenherkunft in den Mittelpunkt gestellt. Da kommen die Linken dann aus dem Westen und sind nur was für Gymnasiasten und brave Bürger - die Rechten kommen dagegen ganz eigenständig aus besagter Unterschicht und ihre Gewalttätigkeit kommt aus der Verzweiflung.
Als Nächstes gab es dann den Migrantenkitsch in 68er-Tradition, der alles ideologisch begründet und den NSU letztendlich als Produkt einer sowieso schon latent rechten deutschen Gesellschaft ansieht. Das ging natürlich nur, wenn man das ossihafte Opfer Michele Kiesewtter weglässt.
Na, und heute endlich den Kitsch der Aufrichtigkeit, der ganz im Gegenteil zum zweiten Teil die rechtsradikalen Tendenzen in den Behörden herunterspielte und stattdessen den Thüringer Verfassungsschutz einfach als arrogant, fahrlässig und dekadent-westdeutsch darstellte und ihm einen aufrechten Polizisten gegenüberstellte mit dem Gesicht von Florian Lukas.
Da hatten sie mich. Das ist der Kitsch, bei dem ich schwach werde, gebannt vor dem Fernseher sitze und alles glaube. War der Film nun wirklich dichter an der Wahrheit oder nur dichter an der Wahrheit, für die ich mich interessiere? Mein Bauch jedenfalls sagte "Stimmt! Ich verstehe." (da war ja sogar der mysteriöse Auto-Tod des Heilbronner Polizeiinformanten glaubhaft, sinn- und effektvoll in die Handlung eingebunden), mehr als bei der etwas spiegel-tv-mäßigen Doku von Stefan Aust, die hinterher kam.
Und so gab es eben verschiedene Arten von Kitsch - für jede Zielgruppe etwas. Zunächst den Kitsch in der Tradition des Milieufilms, bei dem die NSU-Terroristen im Grunde Opfer der Umstände sind. Entsprechend wird Beate Zschäpes Unterschichtenherkunft in den Mittelpunkt gestellt. Da kommen die Linken dann aus dem Westen und sind nur was für Gymnasiasten und brave Bürger - die Rechten kommen dagegen ganz eigenständig aus besagter Unterschicht und ihre Gewalttätigkeit kommt aus der Verzweiflung.
Als Nächstes gab es dann den Migrantenkitsch in 68er-Tradition, der alles ideologisch begründet und den NSU letztendlich als Produkt einer sowieso schon latent rechten deutschen Gesellschaft ansieht. Das ging natürlich nur, wenn man das ossihafte Opfer Michele Kiesewtter weglässt.
Na, und heute endlich den Kitsch der Aufrichtigkeit, der ganz im Gegenteil zum zweiten Teil die rechtsradikalen Tendenzen in den Behörden herunterspielte und stattdessen den Thüringer Verfassungsschutz einfach als arrogant, fahrlässig und dekadent-westdeutsch darstellte und ihm einen aufrechten Polizisten gegenüberstellte mit dem Gesicht von Florian Lukas.
Da hatten sie mich. Das ist der Kitsch, bei dem ich schwach werde, gebannt vor dem Fernseher sitze und alles glaube. War der Film nun wirklich dichter an der Wahrheit oder nur dichter an der Wahrheit, für die ich mich interessiere? Mein Bauch jedenfalls sagte "Stimmt! Ich verstehe." (da war ja sogar der mysteriöse Auto-Tod des Heilbronner Polizeiinformanten glaubhaft, sinn- und effektvoll in die Handlung eingebunden), mehr als bei der etwas spiegel-tv-mäßigen Doku von Stefan Aust, die hinterher kam.
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Sonntag, 28. Februar 2016
Die Tristesse von "Auerhaus"
damals, 20:12h
Ein Tag allein zu Hause, Auftrag: neues Regal in die Kammer dübeln. Habe Stunden dafür gebraucht und fühlte mich hilflos. (Hätt ich den Humor von nnier, dann hätte ich Ihnen hier einen schönen Fotobericht diverser Katastrophen posten können.) Ansonsten rumgehangen und „Auerhaus“ zuende gelesen. Macht einen noch trübsinniger. Ich wollte erst einen Verriss schreiben à la „fehlende soziale Dimension“, war dann aber doch eher traurig. Das passt schon, was da beschrieben ist, das ist ganz stimmig. „Sehr westdeutsch“, meinte mark793 ganz richtig: diese Leere unter brüchigem Firnis von Rest-Linkssein (man ist gegen die Bundeswehr und die Polizei, klaut im Supermarkt, aber möglichst nicht im Buchladen).
Das Buch beschreibt eine WG von ein paar Jugendlichen in den 80ern in der westdeutschen Provinz und kreist um die zentrale Erkenntnis: Wer in dieser Zeit, in dieser Generation relativ noch am meisten durchblickte, das waren die Verrückte und vor allem der Selbstmordkandidat. Die am Ende aus der Geschichte ausscheiden, durch Gefängnisaufenthalt bzw. Tod. Nur die ganz Ahnungslosen schaffen es, sich in ein normales Leben hinüberzuretten. Gut beobachtet.
Mich erinnerte das an meine Studienzeit in Bremen Anfang der 90er. Ich hatte dort einen Freund, der eigentlich nie so richtig mein Freund wurde, weil wir uns nie nahe kamen, obwohl wir ständig zusammen rumhingen. Eines Tages kam ich wie oft in seine WG und fragte: „Wo ist denn I?“. Entgeistert sah mich X. an: „Ich dachte, du bist sein bester Freund. I. ist in der Psychiatrie. Komisch, dass du das nicht weißt.“ Später kam er wieder raus und wir lebten weiter so unpersönlich mit- und nebeneinander her. Bis ich von Bremen wegging und der Kontakt abbrach. Es war eine tote, eine leere Zeit. Ein Auerhaus hätte das vielleicht gelindert. Grundsätzlich anders wär es nicht gewesen, wie ich jetzt in diesem Buch nachlesen konnte. Schade.
Irgendwie ist unsere Zeit jetzt schöner. Trotz rechtem Zeitgeist und drohender Katastrophen rings um das Wohlstandsland Deutschland. Oder vielleicht sogar deshalb. Vielleicht brauchen die Menschen ein bisschen Stress, um zu sich zu kommen.
Das Buch beschreibt eine WG von ein paar Jugendlichen in den 80ern in der westdeutschen Provinz und kreist um die zentrale Erkenntnis: Wer in dieser Zeit, in dieser Generation relativ noch am meisten durchblickte, das waren die Verrückte und vor allem der Selbstmordkandidat. Die am Ende aus der Geschichte ausscheiden, durch Gefängnisaufenthalt bzw. Tod. Nur die ganz Ahnungslosen schaffen es, sich in ein normales Leben hinüberzuretten. Gut beobachtet.
Mich erinnerte das an meine Studienzeit in Bremen Anfang der 90er. Ich hatte dort einen Freund, der eigentlich nie so richtig mein Freund wurde, weil wir uns nie nahe kamen, obwohl wir ständig zusammen rumhingen. Eines Tages kam ich wie oft in seine WG und fragte: „Wo ist denn I?“. Entgeistert sah mich X. an: „Ich dachte, du bist sein bester Freund. I. ist in der Psychiatrie. Komisch, dass du das nicht weißt.“ Später kam er wieder raus und wir lebten weiter so unpersönlich mit- und nebeneinander her. Bis ich von Bremen wegging und der Kontakt abbrach. Es war eine tote, eine leere Zeit. Ein Auerhaus hätte das vielleicht gelindert. Grundsätzlich anders wär es nicht gewesen, wie ich jetzt in diesem Buch nachlesen konnte. Schade.
Irgendwie ist unsere Zeit jetzt schöner. Trotz rechtem Zeitgeist und drohender Katastrophen rings um das Wohlstandsland Deutschland. Oder vielleicht sogar deshalb. Vielleicht brauchen die Menschen ein bisschen Stress, um zu sich zu kommen.
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Freitag, 4. Dezember 2015
Nochmal: Falscher Glanz oder ehrliches Mittelmaß – diesmal am Beispiel von Klaus Modick
damals, 17:50h
Auf Klaus Modick wurde ich aufmerksam durch einen schönen Essay in der Neuen Zürcher Zeitung, in dem er beschrieb, wie er Unterhaltungsschriftsteller wurde: indem er nämlich eher durch Zufall hinter das Erfolgsrezept kam und - einmal erfolgreich – lieber damit sein Brot verdienen wollte als sich brotlos um große Kunst zu bemühen, von der noch ziemlich unklar war, ob sie ihm je gelingen würde. Mir war das sehr einleuchtend, zumal mich dabei einige persönliche Parallelen anrührten: Wie Modick, nur 15 Jahre später, habe ich eine literaturwissenschaftliche Dissertation verfasst und dabei wesentlich mehr Spaß am Schreiben als an wissenschaftlicher Theorie gehabt, und Modicks Doktorvater Mandelkow bin ich in meinen beiden ersten Semestern auch noch begegnet: Er war es, der überhaupt erst mein Interesse an der wissenschaftlichen Seite der Literaturbetrachtung weckte, die dann einige Jahre mein berufliches Leben dominierte.
Ich las dann noch mehr von diesem Autor, viel Freude hatte ich auch an „Bestseller“, einer kolportagemäßig geschriebenen, aber hochkomischen Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, in der er seinen Frust darüber ablässt, dass er, der beim „U“-Literatur-Schreiben immerhin noch Maß hält und es nicht übertreibt, ins Hintertreffen gerät gegenüber denen, die die Gruseligkeiten der jüngeren Vergangenheit recht skrupellos zu Lesefutter verarbeiten und das den Lesern dann auch noch als „e“ wie ernsthaft verkaufen, wie Hans Magnus Enzensberger z. B. mit seiner Anonyma oder dieser Frauen-Flüchtlings-Roman (den ich jetzt nicht namentlich erwähnen möchte, weil ich ihn nicht gelesen habe und nicht ganz ausschließen kann, dass er vielleicht doch nicht so schlecht ist). Auch viele von Modicks Büchern arbeiten nach dieser Methode: der Stoff die jüngere Vergangenheit, die Story eingängig, ein bisschen Bildung, ein bisschen Kolportage, ein bisschen Politik. Aber bei ihm ist es elegant („Sunset“), manchmal sogar richtig bewegend („Die Schatten der Ideen“) - und immer richtig klug.
Er weiß eben, wie’s funktioniert. Und dann wird man wahrscheinlich eben doch irgendwann schwach und sagt sich: Mit ein bisschen weniger Aufwand geht’s doch auch: Da nahm er die schöne Grundidee von „Sunset“: das gegensätzliche Künstlerpaar. Aus Feuchtwanger/Brecht wurden Vogeler/Rilke. Er machte es auch etwas eindeutiger, also platter (Rilke-Bashing kommt immer gut); am Ende noch genügend Worpswede-Folklore drangemischt: fertig. Und siehe da: Das Publikum liebt es. Mehr als seine besseren Bücher. Und da man bei Erfolg nie aufhören darf, sondern noch einen draufsetzen muss, kommt jetzt „Bestseller“ als Taschenbuch neu raus und tut so, als wäre es das nagelneue Werk „Vom Autor des Bestsellers „Konzert ohne Dichter“, wie das Cover verkündet (nirgends ein Hinweis auf die Erstveröffentlichung). Das funktioniert garantiert.
Sogar bei mir, der „Bestseller“ damals als Bibliotheksexemplar, also auf Staatskosten, las, und als ich es jetzt in der Buchhandlung liegen sah, kamen schöne Erinnerungen hoch – und ich habs mir jetzt doch gekauft und les es nochmal, mit Genuss.
Dabei ist es ein schwacher Trost, dass ich vor einigen Monaten auf dem Grabbeltisch mit den aussortierten Titeln der Bücherhallen nicht den dicken Roman von der „Mittagsfrau“ kaufte für einen Euro, sondern Modicks schmales Bändchen „Moos“, das sich dann zwar nicht als das große Kunstwerk darstellte, als das er es selbst in seinem Essay angepriesen hatte, aber doch als ein qualitätvolles, kluges, sympathisches Buch, kein Geniestreich, sondern solides, ehrliches Mittelmaß. Warum liest man nicht mehr davon?
Ich las dann noch mehr von diesem Autor, viel Freude hatte ich auch an „Bestseller“, einer kolportagemäßig geschriebenen, aber hochkomischen Abrechnung mit dem Literaturbetrieb, in der er seinen Frust darüber ablässt, dass er, der beim „U“-Literatur-Schreiben immerhin noch Maß hält und es nicht übertreibt, ins Hintertreffen gerät gegenüber denen, die die Gruseligkeiten der jüngeren Vergangenheit recht skrupellos zu Lesefutter verarbeiten und das den Lesern dann auch noch als „e“ wie ernsthaft verkaufen, wie Hans Magnus Enzensberger z. B. mit seiner Anonyma oder dieser Frauen-Flüchtlings-Roman (den ich jetzt nicht namentlich erwähnen möchte, weil ich ihn nicht gelesen habe und nicht ganz ausschließen kann, dass er vielleicht doch nicht so schlecht ist). Auch viele von Modicks Büchern arbeiten nach dieser Methode: der Stoff die jüngere Vergangenheit, die Story eingängig, ein bisschen Bildung, ein bisschen Kolportage, ein bisschen Politik. Aber bei ihm ist es elegant („Sunset“), manchmal sogar richtig bewegend („Die Schatten der Ideen“) - und immer richtig klug.
Er weiß eben, wie’s funktioniert. Und dann wird man wahrscheinlich eben doch irgendwann schwach und sagt sich: Mit ein bisschen weniger Aufwand geht’s doch auch: Da nahm er die schöne Grundidee von „Sunset“: das gegensätzliche Künstlerpaar. Aus Feuchtwanger/Brecht wurden Vogeler/Rilke. Er machte es auch etwas eindeutiger, also platter (Rilke-Bashing kommt immer gut); am Ende noch genügend Worpswede-Folklore drangemischt: fertig. Und siehe da: Das Publikum liebt es. Mehr als seine besseren Bücher. Und da man bei Erfolg nie aufhören darf, sondern noch einen draufsetzen muss, kommt jetzt „Bestseller“ als Taschenbuch neu raus und tut so, als wäre es das nagelneue Werk „Vom Autor des Bestsellers „Konzert ohne Dichter“, wie das Cover verkündet (nirgends ein Hinweis auf die Erstveröffentlichung). Das funktioniert garantiert.
Sogar bei mir, der „Bestseller“ damals als Bibliotheksexemplar, also auf Staatskosten, las, und als ich es jetzt in der Buchhandlung liegen sah, kamen schöne Erinnerungen hoch – und ich habs mir jetzt doch gekauft und les es nochmal, mit Genuss.
Dabei ist es ein schwacher Trost, dass ich vor einigen Monaten auf dem Grabbeltisch mit den aussortierten Titeln der Bücherhallen nicht den dicken Roman von der „Mittagsfrau“ kaufte für einen Euro, sondern Modicks schmales Bändchen „Moos“, das sich dann zwar nicht als das große Kunstwerk darstellte, als das er es selbst in seinem Essay angepriesen hatte, aber doch als ein qualitätvolles, kluges, sympathisches Buch, kein Geniestreich, sondern solides, ehrliches Mittelmaß. Warum liest man nicht mehr davon?
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Samstag, 3. Oktober 2015
Je eine Buchempfehlung zum Jahrestag der deutschen Einheit
damals, 16:09h
Vor ein paar Tagen im Deutschlandfunk gab es eine Reportage über ein Schulprojekt irgendwo in Hessen, bei denen die Schüler den DDR-Alltag mit Fahnenappell usw. nachspielen konnten, denn – so die ossigeborene Lehrerin – man müsse schon in die Vergangenheit eintauchen, um den Ost-West-Gegensatz zu erleben, heutzutage gebe es da ja keine nennenswerten Unterschiede mehr. Vermutlich hatte sie dabei Supermarktregale und Werbeflächen im Auge, die sich tatsächlich in ganz Deutschland (und darüber hinaus) so ziemlich gleichen – und nicht etwa Vermögensverhältnisse. Schließlich hat man als DDR-Bürger ja gelernt, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse jenseits des öffentlich gepflegten Diskurses unter keinen Umständen thematisiert werden dürfen.
Na ja, aber mal Lästerei beiseite (es ist doch eigentlich normal, dass politische Aufklärung in der Schule zu allerletzt ankommt): Das Schöne an der vergangenen Zeit seit 1989 ist doch, dass sich die Wogen der Aufregung glätten und man beginnen kann, normal über die Dinge zu reden. Jens Wonneberger hat mit seinem aktuellen Roman „Sture Hunde“ etwas geschafft, das er noch 1999 mit seinem als Wenderoman gedachten „Wiesinger“ verfehlte: die Lebensverhältnisse in der ostdeutschen Provinz darzustellen und dabei die historisch-politische Situation weder zu verschweigen noch zu romantisieren – sie ist einfach dabei, wie ja die Vergangenheit bei uns allen Teil der Gegenwart ist. In „Sture Hunde“ geht es um einen Mann, der aus dem Dorf in Stadt gegangen ist, ohne sich dort je zu verwurzeln, und der nun zurück in sein Dorf, seine Heimat kommt, wo jeder Grashalm mit Bedeutung aufgeladen ist und warme Gefühle auslöst, ganz zu schweigen von den alten Kumpels oder gar der Nachbarin und Jugendfreundin. Und der am Ende wieder von dort weggeht, obwohl er nirgendwo anders heimisch sein kann. Sehr treffend. Besonders gut: die subtile Schilderung der Art, wie politische Vergangenheit Teil der Persönlichkeiten wird – der Enkel des LPG-Gründers hat eine andere Ausstrahlung als der Sohn des Gastwirts, der alte Landbesitzer bewegt sich anders als der Bürgermeister oder der Treckerfahrer – und das, obwohl sie in erster Linie individuelle Charaktere haben, ihr gesellschaftlicher Habitus nur ein kleiner Teil der jeweiligen Persönlichkeit ist.
„Sture Hunde“ ist übrigens im Jahr 2012 erschienen, im selben Jahr wie das westdeutsche Dorf-Buch, das ich ebenfalls in den letzten Wochen gelesen habe: „Brandhagen“ von Hinrich von Haaren. Auch dieses Buch ist sprachlich so qualitätvoll, dass es wohl nie auf irgendeine Bestsellerliste kommen wird. Auch hier wird der Mikrokosmos eines Dorfes treffend und genau beschrieben bis in die Einzelheiten kleinster Gewohnheiten, verschwiegenster Geheimnisse. Aber der Fokus ist ganz anders, westdeutsch eben: Es geht um Familienstrukturen und Geschlechterverhältnisse. Politisches, gar Historisches spielt gar keine Rolle, was natürlich die Verwerfungen der Sexualität inklusive der Konsequenzen im dörflichen Zusammenleben noch einmal größer und bedrohlicher werden lässt. Entsprechend ist es in diesem Buch gar keine Frage (wie in „Sture Hunde“), sondern eine Selbstverständlichkeit, dass man das Dorf verlässt: Der Autor von „Brandhagen“ lebt jetzt in London, das man als Metropole des europäischen Finanzkapitals kennt – der Autor von „Sture Hunde“ wohnt dagegen in Dresden, das im Moment eher mit Pegida assoziiert wird.
Na ja, aber mal Lästerei beiseite (es ist doch eigentlich normal, dass politische Aufklärung in der Schule zu allerletzt ankommt): Das Schöne an der vergangenen Zeit seit 1989 ist doch, dass sich die Wogen der Aufregung glätten und man beginnen kann, normal über die Dinge zu reden. Jens Wonneberger hat mit seinem aktuellen Roman „Sture Hunde“ etwas geschafft, das er noch 1999 mit seinem als Wenderoman gedachten „Wiesinger“ verfehlte: die Lebensverhältnisse in der ostdeutschen Provinz darzustellen und dabei die historisch-politische Situation weder zu verschweigen noch zu romantisieren – sie ist einfach dabei, wie ja die Vergangenheit bei uns allen Teil der Gegenwart ist. In „Sture Hunde“ geht es um einen Mann, der aus dem Dorf in Stadt gegangen ist, ohne sich dort je zu verwurzeln, und der nun zurück in sein Dorf, seine Heimat kommt, wo jeder Grashalm mit Bedeutung aufgeladen ist und warme Gefühle auslöst, ganz zu schweigen von den alten Kumpels oder gar der Nachbarin und Jugendfreundin. Und der am Ende wieder von dort weggeht, obwohl er nirgendwo anders heimisch sein kann. Sehr treffend. Besonders gut: die subtile Schilderung der Art, wie politische Vergangenheit Teil der Persönlichkeiten wird – der Enkel des LPG-Gründers hat eine andere Ausstrahlung als der Sohn des Gastwirts, der alte Landbesitzer bewegt sich anders als der Bürgermeister oder der Treckerfahrer – und das, obwohl sie in erster Linie individuelle Charaktere haben, ihr gesellschaftlicher Habitus nur ein kleiner Teil der jeweiligen Persönlichkeit ist.
„Sture Hunde“ ist übrigens im Jahr 2012 erschienen, im selben Jahr wie das westdeutsche Dorf-Buch, das ich ebenfalls in den letzten Wochen gelesen habe: „Brandhagen“ von Hinrich von Haaren. Auch dieses Buch ist sprachlich so qualitätvoll, dass es wohl nie auf irgendeine Bestsellerliste kommen wird. Auch hier wird der Mikrokosmos eines Dorfes treffend und genau beschrieben bis in die Einzelheiten kleinster Gewohnheiten, verschwiegenster Geheimnisse. Aber der Fokus ist ganz anders, westdeutsch eben: Es geht um Familienstrukturen und Geschlechterverhältnisse. Politisches, gar Historisches spielt gar keine Rolle, was natürlich die Verwerfungen der Sexualität inklusive der Konsequenzen im dörflichen Zusammenleben noch einmal größer und bedrohlicher werden lässt. Entsprechend ist es in diesem Buch gar keine Frage (wie in „Sture Hunde“), sondern eine Selbstverständlichkeit, dass man das Dorf verlässt: Der Autor von „Brandhagen“ lebt jetzt in London, das man als Metropole des europäischen Finanzkapitals kennt – der Autor von „Sture Hunde“ wohnt dagegen in Dresden, das im Moment eher mit Pegida assoziiert wird.
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Mittwoch, 19. August 2015
graphic novels
damals, 16:01h
In diesem Urlaub habe ich nun zum dritten Mal so etwas gelesen, was man als "graphic novel" bezeichnet. Und wenn man aufgrund dieser hauchdünnen Datenlage schon ein Urteil abgeben könnte, dann wäre es dieses:
Es ist wie Hiphop. Der kühle Kopf muss anerkennen, dass hier Qualitätvolles entsteht. Aber ich mags nicht. Ist mir zu machohaft.
P.S. Die Bücher waren:
- "Nietzsche" von Michel Onfray und Maximilien Le Roy
- "Alois Nebel" von Jaroslav Rudiš / Jaromír 99
- "Die Sache mit Sorge" von Isabel Kreitz
Es ist wie Hiphop. Der kühle Kopf muss anerkennen, dass hier Qualitätvolles entsteht. Aber ich mags nicht. Ist mir zu machohaft.
P.S. Die Bücher waren:
- "Nietzsche" von Michel Onfray und Maximilien Le Roy
- "Alois Nebel" von Jaroslav Rudiš / Jaromír 99
- "Die Sache mit Sorge" von Isabel Kreitz
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