Donnerstag, 21. Juli 2016
Ist Toni Erdmann ein guter Vater?
Wer den Mann nicht kennt, darf jetzt ruhig weiterklicken – ich jedenfalls habe „Toni Erdmann“ heute Abend gesehen: An einem lauen Sommerabend bin ich nach Ottensen reingeradelt – der Alma-Wartenberg-Platz schwirrte vom Geplauder und Gelächter der Freilichttrinker – und hab mir den Film von Maren Ade im Zeisekino angesehen. Nach den Geniestreichen „Der Wald vor lauter Bäumen“ und „Alle anderen“ waren meine Erwartungen sehr hoch und wurden dann doch ein bisschen enttäuscht, trotz der vielen wunderbar schrägen, klugen, komisch-peinlichen Szenen, die der Film auch enthält.
Es geht um eine junge deutsche Businessfrau, die in Rumänien auf die perverseste Art den Globalisierungsdiener gibt und dort von ihrem Vater, einem 68er-mäßigen Loser und Witzbold, heimgesucht wird. Verkleidet als ein Horst Schlämmer ähnlicher „Coach“ namens Toni Erdmann mischt er sich in ihre Geschäftsverhandlungen und macht alles lustvoll aggressiv zunichte. Am Ende versöhnen sich natürlich Vater und Tochter.
So banal kann man den Film auffassen, und dass man das kann, ist seine große Schwäche. Natürlich ist Maren Ade klug, viel klüger als diese Story. Sie zeigt genau, was hier abgeht: wie sehr sich Vater und Tochter gleichen: die Clownerien des Vaters sind nicht weniger plump und verlogen als das Businessgebaren der Tochter; wie sehr ein Machtgefüge das Geschehen beherrscht: Die Arroganz der Oberschicht gegenüber der Mittelschicht („Ich lebe in Frankfurt und Paris, es ist schön, in Ländern mit Mittelschicht zu leben – das entspannt.“) wiederholt sich in der Arroganz der Mittelschicht gegenüber der Unterschicht (die Tochter schikaniert die Rumänen, der Vater bringt ihnen nur verständnislose Höflichkeit entgegen) usw.
Und vor allem zeigt sie, dass die Tochter, die hier ihre Identität, ihre Würde viel zu billig an moralisch fragwürdige Firmen verkauft, ja gar nicht anders kann. Ihr Vater, der 68er, ist ein Clown, ein Provokateur, ein ewig Pubertierender. Von ihm hat sie keine Richtschnur fürs Leben bekommen können. Und jetzt, im Lebensherbst, ist er ein Einsamer, ein Verzweifelter, jemand, mit dem man Mitgefühl haben kann und muss, aber erst recht niemand, der einem etwas fürs Leben mitgeben kann.
All diese wichtigen Aspekte deutet die kluge Regisseurin in ihrem Film an. Schade, dass sie sie am Ende einer kitschigen Story opfert.

Nachsatz und Zurücknahme: Wenn Sie meinen Text gelesen haben, haben Sie sicher bemerkt, wie ich mir selbst widerspreche: Natürlich kann der Film gar nicht banal sein, da er ja doch, wie ich betonte, genau und konkret ist. Und eine "kitschige Story" - nun, die muss er ja haben, er will ja eine eine Komödie sein!
Dass ich gestern Abend dennoch leicht gestresst aus dem Kino kam und daher Lust hatte, ein bisschen im Netz abzunörgeln - das hatte vermutlich einen einfacheren Grund: Der Fim ist eine halbe Stunde zu lang. Das nervt. Ich finde, Filme sollten 80 bis 100 Minuten dauern, ein außerordentlich guter Film (wie dieser) darfs auch auf 2 Stunden bringen. 162 Minuten sind zu viel.
Na ja, aber einen Tag später ist diese kleine Pubikumsquälerei vergessen, und ich erinnere nur noch die Fülle wunderbarer Filmmomente (Das einsame Kleidanziehen mit der Gabel! Der Spermawurf aufs Petitfour! Die zarte Szene mit dem Tod des Hundes! usw.) und nachdenkenswerter Aspekte. Gehen Sie ins Kino, wenn Sie noch nicht da waren!

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Auf den eigentlichen Knackpunkt hat mich jetzt froschfilm aufmerksam gemacht: Der Film will eine Komödie sein, wozu ihm aber die Ausgelassenheit fehlt. Weshalb meine Erinnerung an den Film auch jetzt im größeren zeitlichen Abstand noch leicht gequält bleibt, während ich an "Alle anderen" und ""Der Wald vor lauter Bäumen" nach wie vor mit leuchtenden Augen zurückdenke.

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