Freitag, 31. März 2023
Zwei Arten Lehrerinnen – eine Augenblicksbeobachtung mit pauschalisierendem Titel
Neulich kam ich auf einer Party mit einer Frau ins Gespräch – hoch gewachsen, Pagenschnitt mit Mittelscheitel, darunter eine lange spitze Nase und zwei helle, kluge Augen. Natürlich Lehrerin, so wie ich, wie sich schnell herausstellte, sie am Gymnasium, ich an der Berufsschule. Aber mit Migrantenunterricht haben wir beide zu tun. Ich schnitt also zwecks Small Talk ein Thema an, das bei Migranten Unterrichtenden grad aktuell ist und auch mich im Moment beschäftigt: warum nämlich ukrainische Geflüchtete in extra Klassen unterrichtet werden, während alle anderen Nationalitäten sich in allgemeinen Migrantenklassen wiederfinden. Aber sie mochte das Thema gar nicht so gern.

„Ja, ich weiß“, sagte sie, „ich hab davon gehört, dass das diskutiert wird, die eventuell gemeinsam zu unterrichten. Aber das muss man doch mal sehen, dass das ganz was anderes ist …“ und nein, sie kam jetzt nicht mit dem Argument von der kulturellen Nähe als Europäer, sie war ja keine rechte Dumpfbacke, sie sprach ganz ehrlich: „… also, die Ukrainer sind doch viel strukturierter, die kommen doch aus Mittelschichtsfamilien, und dann die Mütter, die da hinterher sind, dass die Kinder was lernen – ich meine, viele von denen machen den deutschen Schulabschluss und den ukrainischen online gleichzeitig auch noch, das ist doch enorm – während die anderen, ja, also schon allein mit ihren Aufenthaltsproblemen, das sind doch Lernhindernisse …“ … dass es mit den Unterschichtlern aus der dritten Welt eh zwecklos ist, wagte sie so direkt nicht zu sagen.

Also aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, dass die aufenthaltsrechtlichen Schikanen (um das Ding mal beim Namen zu nennen) wirklich ein erhebliches Lernhindernis darstellen können. Die Leute sind vor Angst wie blockiert und kriegen nichts mehr rein in den Kopf. Allerdings kann ein unter Lebensgefahr an der ukrainischen Front befindlicher Vater ganz ähnliche Blockaden hervorrufen, auch das hab ich erlebt. Bringt nicht halt jeder seine Probleme mit? Oder, wie eine afghanische Schülerin angesichts eines Konflikts mit der Ukrainerklasse sagte (und dieser Konflikt entstand meines Erachtens genau aus dieser Klassentrennung): „Die denkt wohl, ich hab noch keine Leiche gesehen, was weiß die denn ...“

Zum Glück gibt es dann die Lehrerinnen mit dem Herz für die Unterschichtler. Ich denke an eine Kollegin, wie sie mit ihrer großen Kladde ankommt, in die sie die Ergebnisse aus den vielen individuellen Schülergesprächen einträgt, ihr knochiges Gesicht mit der billigen lila Lesebrille. Die paddingtonartige Kunstfellmütze, wenn sie ihre Schützlinge zu den Ämtern begleitet. Sie kennt alle Förderprogramme des Jobcenters mit ihren jährlichen wechselnden Namen und Rahmenbedingungen und den immer gleichen Inhalten. Ihre überschießenden Spekulationen zu den Ursachen der Probleme: „Dass die Schülerin immer so müde ist, so unkonzentriert, das könnte natürlich auch an der Schilddrüse liegen, eine Verwandte von mir hat das, da gibt es ein gutes Medikament, aber sie, sie verweigert sich ja jedem Arztbesuch …“ oder „… in der Diagnose von der KJP (Kinder- und Jugendpsychologin) steht ja was von mittelschwerer Depression – also, auf mich wirkt der Schüler eher autistisch, ich weiß nicht, wie die da drauf kommen …“ Natürlich hasst diese Kollegin Baerbock und die NATO – sie kommt halt aus einem andern Milieu als die erstgenannte Kollegin.

Ach so, und da wir grad beim Sozialen sind: Natürlich ist die erstere Beamtin, die andere keine „echte“ Lehrerin, sondern outgesourcte Billigkraft mit halbjährlich verlängertem Vertrag. Ich vergleiche mal wieder Äpfel mit Birnen. Ist aber beides Obst.

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