Dienstag, 22. Oktober 2013
Dunkle Jahre, Teil 1
damals, 01:40h
Die Mauer war gefallen, es hatte keinen Sinn mehr, in G. zu bleiben. Im Januar verkündete unser Lieblings-Professor, dass er vorzeitig in den Ruhestand gehen und zum Monatsende zu seiner Tochter nach Westdeutschland umziehen werde. Viele meiner Kommilitonen bereiteten den Studienortwechsel nach Berlin vor. Hans, der Physik studierte, bewarb sich in die USA. Ich beschloss, meiner Freundin zu folgen, die vor wenigen Wochen nach Hamburg gezogen war.
Ich gab ein kleines Abschiedsfest in unserer WG. In dem großen Zimmer mit dem Jugendstilofen rückten wir zusammen, was an Tischen vorhanden war, und legten weiße Laken darüber aus. Stühle mussten wir uns aus dem Seminar borgen. Es war Freitagabend und es lief eine Gastvorlesung zur Kunst der Antike, deren Zuhörer überwiegend auch bei uns eingeladen waren. Wir baten sie, sich jeder ihren Stuhl zu greifen und gleich mitzukommen. Und so wanderte eine kleine Stuhlkarawane durch den verwilderten Garten des Instituts zu der im Gebüsch versteckten Pforte im hinteren Zaun, die seit je her unbenutzt und unverschlossen war und sich genau gegenüber von unserem Haus befand.
Die Party selbst wollte nicht so richtig gelingen. Es waren alle da, aber es kam keine rechte Stimmung auf. Hanna, die mich damals im 1. Semester nicht erhört hatte, so jedenfalls hatte ich das in Erinnerung, war traurig. Ich legte meinen Schwung in das Verschenken meiner wenigen Möbel. Nur das Radio wurde ich nicht los, mein geliebtes Röhrenradio, das ich seit der sechsten Klasse besaß und das schon diversen Kassetten- und Tonbandgeräten als Verstärker gedient hatte. Die Vorlesungsmitschriften warf ich weg.
Zwei Tage später fuhr mich Harald, der einen Trabant-Kombi besaß, nach Hamburg. Dort ging alles schief. Meine Freundin hatte kein Interesse daran, die Beziehung mit mir fortzuführen, nur hatte sie sich das bisher nicht eingestanden. Jetzt zog sie den Schlussstrich. Und auch mein Baföggesuch wurde abgelehnt, da ich schon in der DDR studiert hatte. Ich fand eine kleine, dunkle und feuchte Wohnung nahe bei der St.-Pauli-Kirche – „Im Osten hätte man sie nicht besetzt.“, meinten G.er Freunde, die mich besuchten – und lebte von Wohngeld und ein paar Studentenjobs.
Eines Morgens auf dem Weg zur Uni fuhr eine Kolonne von Mannschaftswagen der Polizei an mir vorbei. Das weckte mein Interesse. Ich verzichtete auf meine Vorlesung und fuhr ihnen nach. Bei dem Spektakel, das ich erlebte, handelte es sich um die Räumung eines besetzten Hauses, eines Hauses, das nicht den Eindruck machte, als sei es dauerhaft bewohnt. Aber Menschen schienen doch drin zu sein in der verbarrikadierten und mit Spruchbändern behängten Ruine. Jedenfalls erscholl eine Lautsprecherwarnung, bevor die Wasserwerfer in die Fenster zu spritzen begannen. Dann machten sich Polizisten an das Wegräumen der barrikadenähnlichen Hindernisse. Ich glaube, am Ende wurden die Bewohner aus dem Haus getragen.
Was mich beeindruckte, war die Routine der Polizisten. Ich hatte wenige Wochen zuvor eine andere Staatsmacht erlebt, eine verzweifelte, wütende, eine Staatsmacht im Todeskampf. Hier ging alles seinen Gang. Ich fuhr weiter zur Uni. Die Bibliothek war in dieser Zeit mein eigentliches Zuhause.
Im Herbst – ich hatte gerade fünf Wochen bei der Post gejobbt, um die Winterkohlen für meinen Dauerbrandofen zu finanzieren – wurde mein Bafögantrag doch noch genehmigt. Der Tipp eines konservativen Geschichtsprofessors mit dem schönen Namen von der Nahmer hatte mir dazu verholfen. Plötzlich war ich reich.
Hinter mir lag ein Sommer voller Nietzsche-, E.T.A.-Hoffmann- und Foucault-Lektüre, einer Unmenge neuer Bekanntschaften, der Unterschrift unter den ersten Mietvertag meines Lebens – und jetzt konnte ich mir auch noch einen Videorekorder leisten. Ich hatte es geschafft, ich hatte die Wende gekonnt überstanden. Jetzt konnte wieder ein normales Leben beginnen. Meine Wahl fiel – eher zufällig – auf Bremen. Dorthin zog ich im Frühjahr 1991.
Ich gab ein kleines Abschiedsfest in unserer WG. In dem großen Zimmer mit dem Jugendstilofen rückten wir zusammen, was an Tischen vorhanden war, und legten weiße Laken darüber aus. Stühle mussten wir uns aus dem Seminar borgen. Es war Freitagabend und es lief eine Gastvorlesung zur Kunst der Antike, deren Zuhörer überwiegend auch bei uns eingeladen waren. Wir baten sie, sich jeder ihren Stuhl zu greifen und gleich mitzukommen. Und so wanderte eine kleine Stuhlkarawane durch den verwilderten Garten des Instituts zu der im Gebüsch versteckten Pforte im hinteren Zaun, die seit je her unbenutzt und unverschlossen war und sich genau gegenüber von unserem Haus befand.
Die Party selbst wollte nicht so richtig gelingen. Es waren alle da, aber es kam keine rechte Stimmung auf. Hanna, die mich damals im 1. Semester nicht erhört hatte, so jedenfalls hatte ich das in Erinnerung, war traurig. Ich legte meinen Schwung in das Verschenken meiner wenigen Möbel. Nur das Radio wurde ich nicht los, mein geliebtes Röhrenradio, das ich seit der sechsten Klasse besaß und das schon diversen Kassetten- und Tonbandgeräten als Verstärker gedient hatte. Die Vorlesungsmitschriften warf ich weg.
Zwei Tage später fuhr mich Harald, der einen Trabant-Kombi besaß, nach Hamburg. Dort ging alles schief. Meine Freundin hatte kein Interesse daran, die Beziehung mit mir fortzuführen, nur hatte sie sich das bisher nicht eingestanden. Jetzt zog sie den Schlussstrich. Und auch mein Baföggesuch wurde abgelehnt, da ich schon in der DDR studiert hatte. Ich fand eine kleine, dunkle und feuchte Wohnung nahe bei der St.-Pauli-Kirche – „Im Osten hätte man sie nicht besetzt.“, meinten G.er Freunde, die mich besuchten – und lebte von Wohngeld und ein paar Studentenjobs.
Eines Morgens auf dem Weg zur Uni fuhr eine Kolonne von Mannschaftswagen der Polizei an mir vorbei. Das weckte mein Interesse. Ich verzichtete auf meine Vorlesung und fuhr ihnen nach. Bei dem Spektakel, das ich erlebte, handelte es sich um die Räumung eines besetzten Hauses, eines Hauses, das nicht den Eindruck machte, als sei es dauerhaft bewohnt. Aber Menschen schienen doch drin zu sein in der verbarrikadierten und mit Spruchbändern behängten Ruine. Jedenfalls erscholl eine Lautsprecherwarnung, bevor die Wasserwerfer in die Fenster zu spritzen begannen. Dann machten sich Polizisten an das Wegräumen der barrikadenähnlichen Hindernisse. Ich glaube, am Ende wurden die Bewohner aus dem Haus getragen.
Was mich beeindruckte, war die Routine der Polizisten. Ich hatte wenige Wochen zuvor eine andere Staatsmacht erlebt, eine verzweifelte, wütende, eine Staatsmacht im Todeskampf. Hier ging alles seinen Gang. Ich fuhr weiter zur Uni. Die Bibliothek war in dieser Zeit mein eigentliches Zuhause.
Im Herbst – ich hatte gerade fünf Wochen bei der Post gejobbt, um die Winterkohlen für meinen Dauerbrandofen zu finanzieren – wurde mein Bafögantrag doch noch genehmigt. Der Tipp eines konservativen Geschichtsprofessors mit dem schönen Namen von der Nahmer hatte mir dazu verholfen. Plötzlich war ich reich.
Hinter mir lag ein Sommer voller Nietzsche-, E.T.A.-Hoffmann- und Foucault-Lektüre, einer Unmenge neuer Bekanntschaften, der Unterschrift unter den ersten Mietvertag meines Lebens – und jetzt konnte ich mir auch noch einen Videorekorder leisten. Ich hatte es geschafft, ich hatte die Wende gekonnt überstanden. Jetzt konnte wieder ein normales Leben beginnen. Meine Wahl fiel – eher zufällig – auf Bremen. Dorthin zog ich im Frühjahr 1991.
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