Dienstag, 4. Dezember 2012
Stalking – drei Beispiele und ein Ergebnis
Ich nenne zu meinem heutigen Thema einige Beispiele, aus meiner weiteren Bekanntschaft. Man hört ja gerne einfach zu, wenn getratscht wird, und bildet sich dann sein Urteil.

Beispiel 1: der Stalker
Eine junge Frau in der Findungsphase, leidenschaftlich, kreativ, planlos. Es klappt weder mit den Männern noch im Beruf so richtig. Sie ist das Gehetze und die Ratlosigkeit leid. Da gibt es einen Verehrer noch aus ihrer Schulzeit, er lebt noch in der alten Heimat, im Haus der Eltern. Bieder, aber zuverlässig, inzwischen verdient er auch gut. Sie geht auf sein Angebot ein, den Sommer bei ihm, im idyllisch gelegenen Elternhaus, zu verbringen. Am Ende des Sommers sind sie ein Paar. Sie ist alles andere als glücklich über diese Entwicklung, aber auch nicht unglücklich. Sie fühlt sich sicher, auch noch, als es ihm gelingt, einen Job in ihrer Stadt zu ergattern, und bei ihr einzieht. Aber dann ist da der charmante Obsthändler, der ihr auf dem Wochenmarkt immer was schenkt. Als der Freund unterwegs ist, lässt sie sich auf ein Date ein und sofort ist klar, sie hat einen neuen Freund. Endlich einen, der ihr gefällt. Der andere muss ausziehen. Tut er aber nicht – schließlich hat er ja schon einmal durch sture Hartnäckigkeit ein eigentlich unmögliches Ziel erreicht. Es endet damit, dass sie die Polizei holt, um ihn zum Auszug zu zwingen. Danach ist zwei Wochen Ruhe. Dann steht er jeden Abend mit dem Auto vor ihrer Arbeitsstelle. Sie muss sich täglich von ihrem neuen Freund abholen lassen. Einmal, die Autos der Nebenbuhler parken direkt nebeneinander, sagt sie, noch aufgewühlt von der täglichen Konfrontation, nach dem Einsteigen zu ihrem Freund: „Tritt einfach aufs Gas!“ Der tut es. Die Karosserien knallen aufeinander, es gibt ein Gerichtsverfahren, zwei Zeugen (Kolleginnen) bezeugen, was nicht gewesen ist, dass nämlich der Stalker mutwillig den Unfall verursacht hätte. Es wird ein entsprechendes Annäherungsverbot ausgesprochen, der Stalker trollt sich und wird nie wieder gesehen.

Beispiel 2: die Stalkerin
Der befristet Angestellte und die Auszubildende kommen sich im Trubel einer Geschäftsauflösung näher, beiden winkt die Arbeitslosigkeit. Sie werden ein Paar, verlassen gemeinsam die Stadt, finden anderswo ein gutes berufliches Auskommen. Sehr bald ist auch ein Kind da, nicht viel später auch Wohneigentum. Die Probleme beginnen, als langsam Ruhe einkehrt. Er beginnt sich beruflich und sozial zu etablieren, sie spielt immer nur die zweite Geige, sicher auch bedingt durch Babypause und persönliche Ungeschicklichkeit, vor allem da sie es trotz beider Berufstätigkeit nicht schaffen, das konservative Rollenbild „er Leitwolf – sie Weibchen“ zu durchbrechen. Ihre depressiven Schübe bekämpfen sie mit Medikamenten, dann verbessert die Ankunft des zweiten Kindes vorübergehend die weibliche Position und die Balance des Ehelebens. Natürlich wird es danach noch schlimmer. Als sie das dritte Kind ohne sein Wissen abtreibt, gibt er auf und erliegt den Avancen einer Kollegin. Träumt von einer neuen Beziehung und ahnt nicht, dass die gar nicht daran denkt, nur sexuelle Abwechslung sucht. Aber er trennt sich auch nicht von seiner Frau, neben der er weiter herlebt, weil er Angst hat, die geliebten Kinder zu verlieren. So staut sich bei seiner Frau, die nichts Genaues weiß, aber die Zurücksetzung natürlich spürt, nur noch mehr Wut auf, bis sie endlich die Initiative ergreift und auszieht. Endlich ist sie aus der Lethargie heraus. Den aufgestauten Frust investiert sie nun in anwaltliche Aktivitäten. Die Scheidung ist ihr nicht genug, auch nicht der übliche Rosenkrieg um Sorgerecht und Gütertrennung: Sie überzieht ihren Exmann jahrelang mit weiteren Klagen und Forderungen: erfindet den Vorwurf, er schlage die Kinder, berechnet den Gegenwert einst bei ihm verbliebener Harken und Spaten, beauftragt ein Kind, seinen Haustürschlüssel zu entwenden, damit sie heimliche Kontrollgänge durch die alte Wohnung machen kann usw. Das ist ihr neuer Lebensinhalt, ein Ende nicht in Sicht.

Beispiel 3: Stalking als phantasierte Bedrohung
Sie ist nicht mehr ganz jung und immer noch mit ihrem Jugendfreund zusammen, ohne dass es jetzt die große Liebe wäre. Nur eine beruhigende Kontinuität. Ohnehin haben sich im Laufe der Jahre verschiedene Arbeitsorte ergeben, so richtig sieht man sich nur am Wochenende. In den gemeinsamen Urlaub geht es im Auto mit dem Wackeldackel auf der Hutablage. „So spießig bin ich gar nicht.“, ist ihr liebster Spruch, auch gegenüber dem neuen Kollegen, einem skurrilen, geistreichen Menschen, mit dem sich ein harmloser Flirt ergibt. Dass dieser, als langjähriger Single beziehungstollpatschig und sexuell ausgehungert, sich natürlich gleich in sie verliebt hat, übersieht sie geflissentlich. Sie wäre ja auch blöd, würde sie die Zuneigung und lang entbehrte Herzenswärme nicht nehmen, solange sie zu nichts verpflichtet ist. Aber dann kommt es, wie es kommen muss: ein Abend in seinem Hause, bei Rotwein, er gesteht ihr alles. Jetzt kann sie die Augen nicht mehr verschließen vor dem Begehren des anderen. Sie kriegt die Panik, plötzlich fällt ihr auf, dass der Flirt gar nicht harmlos war, sie fühlt sich verfolgt und unsittlich umlungert, heult erstmal, dann geht sie zur Chefin, verlangt den Kollegen aus dem gemeinsamen Arbeitsumfeld zu entfernen wegen „Stalking“ und bringt die ganze, überwiegend weibliche Kollegenschaft in Aufruhr. Auch hier endet es mit Anwaltsbriefen.

Fazit:
Ein empörungsgieriges, frauenfreundliches Umfeld der Betroffenen nimmt in Fall 1 und 3 einen männlichen Stalker wahr, im Fall 2 einen ganz normalen Scheidungskrieg. Von der gänzlichen Unschuld der betroffenen Frauen ist man (ja, auch die Männer) in jedem der drei Fälle überzeugt. Wie ich finde, liegen die Sachen meistens etwas komplizierter, da Beziehungstaten ja in der Regel aus Beziehungen entstehen.
Und noch eins: Die einzigen Gewinner sind in jedem Fall die Anwälte.

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Alle drei Geschichten sind mehr als deprimierend (hoffentlich träume ich nicht davon..). Und ja – es sind anscheinend immer die Frauen, die mit miesen Mitteln den Beziehungsfrust bekämpfen. Was mir immer hochkommt bei Trennungen, ist die oftmals erschreckende Kälte gegenüber dem Leid des Verlassenen. Und irgendwie neige ich zu der Ansicht, dass jemand, dem die Gefühle derjenigen Person, von der er oder sie sich getrennt hat, völlig schnurz-piepe-egal sind, dann auch damit rechnen muss, dass der/diejenige durchdreht. Womit ich insbesondere die erste Geschichte meine.

Ich mache mir schon seit längerem Gedanken über die vielen Amokläufe, von denen ja gern in der Presse berichtet wird, die aufgrund einer Trennung passieren. Und immer habe ich den Verdacht, dass da jemand einfach so beim Frühstück sagt: „So, du kannst jetzt gehen, ich brauche dich nicht mehr, verzieh' dich.“ Und dann passiert es mir, dass ich – was aber höchstwahrscheinlich falsch ist – den Amokläufer irgendwie entschuldige.

Ich habe vor längerem durch Dritte von einem merkwürdigen Fall im Kollegenkreis gehört. Jemand hat sich von seiner Freundin getrennt, die dann damit nicht klarkam und ihn danach noch mehrmals aufgesuchte. Derjenige hat dann die Polizei gerufen. Woraufhin die Frau dann später voller Hass ebenfalls zur Polizei ging und eine (natürlich nicht begründete) Stalker-Anzeige machte um sich zu rächen. Vielleicht regt sich so mancher jetzt über diese Frau auf. Ich empfinde allerdings insgeheim Sympathie für die Frau, denn bei dem Mann handelt es sich so ziemlich um das größte Arschloch, das ich kenne. Eine der vielen Frauen, die sich – was mir durch und durch unverständlich ist – in diesen Untyp verliebt hatte, hat sich bis in die Morgenstunden bei mir ausgeweint und gab mir damit Gelegenheit, Einsicht in eine durch und durch ekelhafte Persönlichkeit zu bekommen.

Ich bin jetzt abgeschweift zu einer meiner Geschichten, aber was ich damit ausdrücken will ist, dass man die Hintergründe kennen muss um zu urteilen. Man kann nicht jedes mieses Verhalten entschuldigen. Aber es lohnt sich, ein wenig hinter die Fassade zu gucken und es bleibt die ebenso banale wie grausame Erkenntnis, dass nichts ungerächt bleibt, was man anderen antut.

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ich habe deine texte
nicht gelesen, wollte dir aber kurz mitteilen, dass morgen abend 20.15 uhr auf arte ein fernsehfilm zum thema mobbing gezeigt wird.

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Ich bin dem Tipp übrigens gefolgt und hab den Film aufgenommen, allerdings noch nicht gesehen, nur erfahren, dass er nach Annnette Pehnts gleichnamigen Roman entstand, den ich damals mit "ging so" einschätzte und eigentlich unter dem Titel "Ein Ein Blick aus dem Reihenhausfenster" rezensieren wollte ... nun, dann rezensier ich eben jetzt den Film - demnächst in diesem Theater.

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