Montag, 22. Juni 2009
Halt auf freier Strecke, Teil 9
Kaum zu glauben, dachte Ada, wie schwer es fällt, eine Wohnung zu verlassen, in der man sich so unwohl fühlt. Zwei Tage die Uni geschwänzt, nicht Einkaufen gewesen, keine Freunde eingelassen. Abweisende Sprüche in der Wohnungstür und vor der Mutter am Telefon die Coole gespielt. Diesmal saß der Schmerz tief. Aber es war nicht mehr derselbe Schmerz wie am Anfang. Nicht mehr die Wut über seine frechen Worte, mit der er ihr, Adas, Wohnzimmer für immer entweiht hatte. Es war die Wut, dass er sie mit diesem Schlamassel allein ließ. Warum kam er nicht zurück und kämpfte um sie? Oder entschuldigte sich wenigstens? Es war so entwürdigend zu warten. Vielleicht hatte er sie schon verlassen. Obwohl sie das eigentlich für unmöglich hielt. Jedenfalls konnte sie nicht Tag um Tag auf ihrem Sofa sitzen bleiben. Sie musste raus. Und zwar sofort.
Heute würde sie es schaffen. Sie würde das Haus verlassen. Eine halbe Treppe war sie schon hinabgestiegen, als es klingelte. ‚Es ruft mich zurück!’ dachte sie. ‚Ich muss zurück, ich muss den Türöffner betätigen.’ Aber dann beruhigte sie sich: ‚Gar nichts musst du. Du musst zum Seminar gehen. Wer immer bei dir geklingelt hat, er wird unten vor der Tür stehen. Und du wirst ihn eiskalt abfertigen. Selbst wenn es Johannes ist.’ Sie ging durch den Hausflur. An dessen Ende, durch das Glasfenster der Haustür, sah sie zwei Personen stehen, unbekannte, jugendliche Menschen. Auf einmal erkannte sie in einer von den beiden Johannes’ Schwester. Ada erstarrte. Es war vorbei, sie hatte es geahnt. Alles Blut wich ihr aus den Gliedern, wie in Trance machte sie einen Schritt nach vorn und öffnete die Tür. Und jetzt endlich, unbemerkt von allen Anwesenden, erschienen die ersten Tränen in ihren Augenwinkeln.

ENDE

... comment

 
Schön geschrieben!

... link  


... comment
<