Freitag, 22. April 2022
An ihrer Rechtschreibprüfung sollt ihr sie erkennen
Mein IPad (eine Leihgabe der Schulbehörde, drunter machen sie's nicht, was die Geräte betrifft - aber für einen IT-Techniker ist kein Geld da) verbessert mein Adjektiv "weltfernen" ungefragt in "Weltfirmen".

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Montag, 4. April 2022
Frage zum Tage
Hat eigentlich Frank-Walter Steinmeier das Minsker Abkommen ausgehandelt oder hat er es gebrochen?

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Freitag, 11. März 2022
Enttäuscht von Gert Loschütz ...
... nachdem ich im Buchladen flink sein neuestes Buch kaufte - und es sich als ein altes herausstellte: den Roman "Flucht" von 1990, nun neu aufgelegt unter einem neuen Titel, da "Flucht?" inzwischen ganz andere Assoziationen wecke (als die aus der DDR in die BRD) und daher nicht mehr passe, wie der Autor in einer Nachbemerkung schreibt. Richtig. Aber der ganze Roman passt irgendwie nicht mehr. Allein die Tatsache, dass die beschriebene Flucht in den 50er Jahren mit einer normalen Eisenbahnfahrt zu bewältigen war ("Das ist ja lächerlich, das ist keine Flucht!" rief eine eritreische Schülerin sinngemäß, als Klassenkameraden von ihrer Flucht nach Deutschland per Flugzeug berichteten) und ihre eigentliche Härte nur im Ausgestoßensein als Ossi in der westdeutschen Provinz bestand (was übrigens beweist, dass Fremdenhass nichts mit Rassismus zu tun haben muss - er geht auch zwischen Deutschen verschiedener Regionen - und verschiedener sozialer Schichten).

Wie dem auch sei (jetzt hab ich mich schon in der Einleitung verzettelt): Mit Gert Loschütz geht es mir wie mit Wilhelm Raabe. Dessen realistisches Frühwerk interessiert mich nicht - den "Hungerpastor" zu lesen würde vermutlich nur meine Liebe für den Autor von "Stopfkuchen", von "Hastenbeck" und "Altershausen" trüben, und das muss ja nicht sein. Genau so fehlt mir das Interesse für den Alt68er Loschütz, den Herumreisenden und Tausendsassa, ich liebe den Romancier Loschütz, den älter und ruhig gewordenen und klug gebliebenen epischen Erzähler, und der beginnt mit "Flucht" von 1990.

Sicher ist das kein gutes, kein gelungenes Buch (ich ahnte das ganz richtig, als ich es mir nicht besorgte, bevor er es mir nun unterjubelte): schön und farbig, abwechslungsreich erzählt zwar, aber noch viel zu dicht an der biografischen Wirklichkeit, die wie jede Wirklichkeit trivial ist. Dadurch wirkt vieles ein bisschen weinerlich, und die dazugemixten seltsam-mystischen Episoden machen es nicht besser: Sie sind unterhaltsam zu lesen, wirken aber auch ein bisschen aufgesetzt. Das Gute an dem Buch: Es es ist die offenbar notwendige Vorarbeit für die beiden wirklich großen Romane Loschütz'.

In "Dunkle Gesellschaft" baut der Autor den surrealen Strang aus "Flucht" zu einem richtigen Privat-Mythos aus, der ergreifend und mitreißend, da in sich völlig stimmig ist, wobei der gesellschaftlich-politische Aspekt, die reale Existenz von Ungerechtigkeit und gesellschaftlichen Machtverhältnissen, immer auf kluge Weise mitschwingt, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

Umgekehrt in "Ein schönes Paar" (Was für ein schöner Titel! Wie er das Verhängnis, schön zu sein, für das Schöne zu sein, schon ironisch ankündigt!): Hier wird die harte Geschichte eines persönlichen Schicksals, eben der besagten Flucht, unter den Zwängen gesellschaftlicher Umstände erzählt (die weder im Osten noch im Westen sonderlich menschenfreundlich waren) und mit einer liebevoll ersonnenen Geschichte zart mystisch überhöht.

Und damit hats ein Ende. Schon der nächste Roman, "Besichtigung eines Unglücks", ist kein so großer Wurf mehr, nämlich ein bisschen gekünstelt konstruiert, wenn auch die einzelnen Episoden an sich wiederum sprachlich wunderbar, mitfühlend und politisch klug erzählt werden.

Und nun hat wohl der Verlag gedrängelt angesichts der vorherigen Erfolge oder Loschütz musste was für den Lebensunterhalt tun oder was weiß ich, jedenfalls diese Neuauflage von "Flucht" unter falscher Flagge - literarisch ist sie überflüssig, unpassend.

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Donnerstag, 17. Februar 2022
Zwei Bücher
die ich mir zu Weihnachten gewünscht hatte: Zunächst mal "Die Rache ist mein" von Marie Ndiaye. Den Namen der Autorin hatte ich schon länger auf dem Schirm, und als jetzt die Feuilletons berichteten, dass sie einen richtigen Thriller mit Kriminalfall geschrieben hat, dachte ich, das könnte es doch sein, endlich auch mal Ndiyae zu lesen.

Das Buch war sehr spannend, es war brilliant geschrieben und es störte auch gar nicht, dass der Kriminalfall (es geht um eine Frau, die ihre Kinder tötete, um sich aus ihrer Ehe zu befreien) sich bald nur als ein beinahe nebensächlicher Anlass, in diesem Fall kann man sogar sagen: Trigger, herausstellte, um in die inneren Abgründe der Protagonistin, einer Anwältin, einzutauchen. Ein Buch, das einen fesselt: aufregend, überraschend, geradezu irre. Letzteres war allerdings auch der Punkt, der mich nach anfänglicher Faszination dann allmählich immer weiter auf Distanz gehen ließ: Die ganze Geschichte wird aus der Sicht der Protagonistin erzählt, die ständig lügt, und zwar nicht aus strategischen, sondern aus neurotischen Gründen - auch sich selbst belügt sie in einem fort. Das nervt. Natürlich kennen wir das alle: Verdrängungen, Lebenslügen, innere Abgründe - wer hat das nicht in sich? Aber in dieser Dichte, dieses Ausreden- und Lügengespinst, das war schon schwer auszuhalten.

Vielleicht ist das für kriminalistisch geschulte Leser, die Lügen schneller und mit mehr Spaß auf die Spur kommen, ein Vergnügen - mich hat es gequält. Ich bin solchen Personen zwar auch im echten Leben schon begegnet, mit einer war ich sogar einige Zeit lang befreundet, aber im echten Leben ist es irgendwie einfacher, da kann man sich darauf einstellen, indem man Tatsachenaussagen der betreffenden Person immer erstmal dahingestellt sein lässt und nur von Herz zu Herz kommuniziert. Aber in dem Roman, da musste ich ja jede freche, abstruse Lüge von vorn bis hinten durchlesen, sonst hätte ich den Handlungsfaden verloren, und ich wollte schon wissen, wie es ausgeht. Doch am Ende gabs realistischerweise keine Auflösung und nur so ein halbes Happyend, sodass ich das Buch mit einem blöden Gefühl der Antipathie verließ. Schade um so viel vergeudete Sprachkunst und erzählerische Rafinesse.

Was für ein Labsal war dagegen mein nächstes Wunschbuch, "Sie kam aus Mariupol" von Natascha Wodin! Wodin ist Romanschriftstellerin, das Buch wirkt auch wie ein Roman - es ist aber ein Sachbuch: Wodin forscht darin nach ihren familiären Wurzeln, nach der Biografie ihrer Mutter, von der sie fast nichts wusste. Denn diese Mutter hat sich mit nicht einmal 40 Jahren umgebracht, als Wodin noch ein Kind war, nachdem sie etliche Katastrophen des Jahrhunderts - Bürgerkrieg, Stalinzeit und deutsche Besatzung in der Ukraine, Zwangsarbeit und Nachkriegselend als Displaced Person in Deutschland - erlitten hatte. Wodin schreibt darüber in einer schönen, aber einfachen Sprache, deren Wucht sich aus den Inhalten, aus der Authentizität des Gesagten, speist.

Diese Authentizität geht so weit, dass das Buch je nach den zugrunde liegenden Quellen unterschiedliche stilistische Färbungen annimmt. Da ist zunächst das Hirn der Autorin selbst: ihr Bericht von der Suche, ihre Erinnerungen an die Kindheit, an ihre Mutter. Diese Passagen berühren natürlich am meisten, sie sind am persönlichsten.

Ein großer Teil des Buches fußt auf dem Lebensbericht von Wodins Tante, der älteren Schwester ihrer Mutter, die als alte Frau Erinnerungen an ihre Jugend, insbesondere die Jahre als Gulag-Häftling am berüchtigten Belomor-Kanal, verfasste, Jahre, in denen ihr ihre erzählerische Phantasie mitunter das Leben rettete. Diese Passagen wirken in Wodins Buch ein bisschen opernhaft, und ganz sicher ist das der Mentalität ihrer Tante zu verdanken.

Über die Mutter als Zwangsarbeiterin hat Wodin keinerlei biografische Angaben, sie muss sich auf entsprechende deutsche Forschungsliteratur stützen, entsprechend wird es hier ein bisschen spröde, manchmal moralisierend.

Und damit will ich gar nichts gegen die Quellen sagen, die außerordentlich glaubhaft und aufschlussreich sind. Es sind einfach unterschiedliche Techniken, die passierten monströsen Verbrechen überhaupt erzählbar, aussprechbar zu machen: indem man einen tragischen Lebensroman daraus macht wie die russische Tante - oder indem man sie als trockenen Faktenbericht mit moralischen Dekorationen darbietet wie die deutschen Forscher. Und als dritte Lesart kommt noch das Zeugnis der Autorin selbst dazu: das Leid ihres Lebens mit den riesigen biografischen Leerstellen, auch das eine Folge der Verbrechen.

Diese Vielfalt im Umgang mit dem Geschehenen macht die Größe des Buches aus. Ganz das Gegenstück zum irrwitzig in sich selbst Gefangenen von "Die Rache ist mein": wahrhaftig, differenziert, direkt - eine seltene, wohltuende Mischung.

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Donnerstag, 10. Februar 2022
Gehässige Zwischenfrage
Woher kommt eigentlich die dämliche Mode, in Referaten und Präsentationen "genau" zu sagen, wenn man den Faden verloren oder sich in einem unnötigen Exkurs verrannt hat, also gerade in dem Moment, in dem die Genauigkeit nicht mehr vorhanden ist? (Man kann ja derzeit an der Menge der Genaus geradezu nachzählen, wie unpräzise ein Vortrag ist.)

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Donnerstag, 20. Januar 2022
Gedanken zum Ukraine-Konflikt
Es ist mit Vorsicht zu genießen, was ich hier schreibe, denn ich bin sauer wegen ganz anderer Sachen, und man weiß, wie peinlich das werden kann, wenn man seine Frust dann einfach auf das politsche Feld überträgt bzw. dahin abschiebt.

Andererseits hätte ich ohne meine schlechte Laune nie aufgeschrieben, was mir seit Tagen durch den Kopf geht, wenn ich morgens den Deutschlandfunk höre, nämlich Folgendes:

Ich finde es sehr merkwürdig, um nicht zu sagen übergriffig, wenn aus den Medienzentralen von NATO-Staaten sowie auch der NATO selbst immer wieder lamentiert wird, wie frech es wäre, russischerseits einen Verzicht der Ukraine auf eine NATO-Mitgliedschaft zu fordern, denn die Ukraine sei ein souveräner Staat, der tun und lassen könne, was er will.

Letzteres Argument ist theoretisch richtig, nur: Es ist natürlich die Sache der Ukraine, diese Souveränität auch öffentlich zu bekunden, und wäre die Ukraine so souverän wie in dieser Überlegung angenommen, dann hätte sie auch kein Problem, ihre Position international zu Gehör zu bringen. Dass NATO-Staaten glauben, ihr erst dieses Gehör verschaffen zu müssen, zeigt schon, wie ernst sie es mit ihrer Souveränität nehmen: nämlich nicht sehr.

Würde die NATO die Ukraine als Partner auf Augenhöhe wahrnehmen, dann müsste die Botschaft völlig anders lauten: So sehr wir den Wunsch der Ukraine nach NATO-Mitgliedschaft verstehen können, so wenig können wir diesem entsprechen, da unser Ziel der Erhalt friedlicher Verhältnisse in Europa ist, das wir nicht durch unbedachte Neuaufnahmen gefährden dürfen.

Und noch heuchlerischer finde ich den Ruf nach "Defensivwaffen". Da frage ich als pazifistisch gesinnter Mensch schon, was das überhaupt sein soll. Wie "defensiv" soll das denn sein, wenn man Menschen tötet oder auch nur Häuser zerstört, um rein defensiv zu verhindern, dass der andere ebendies tut: Menschen töten, Häuser zerstören? (Da muss man sich schon sehr weit im geostrategischen Machtdenken verfangen haben, um ernsthaft auf solche Formulierungen zu kommen.)

Rein zufällig habe ich mich gestern durchs Fernsehprogramm gezappt und blieb - da es sonst nichts gab - an einer dieser Dokus über die Nazizeit hängen: Grundtenor war, dass der wirtschaftliche Aufschwung der 30er Jahre vor allem der Rüstungspolitik der Nazis geschuldet war - und mit dem 2. Weltkrieg kam dann bald die bittere Rechnung. Nun, da hat Deutschland wohl dazugelernt: Mindestens seit den 2000ern verdankt es seinen Wohlstand zunehmend der Rüstungsproduktion, nur ist es klug genug, die Kriege irgendwo weit weg, in Libyen, Afghanistan, Jemen etc., stattfinden zu lassen, sodass die eigenen Bürger von den Folgen verschont bleiben. Ist es jetzt schon so weit, dass wir auch in die unmittelbare Nachbarschaft unsere "Defensivwaffen" liefern müssen, nur um unseren Wohlstand zu sichern?

So, und als letztes, subjektivstes Lamento: Ich hab den Jens Stoltenberg, der mir vorher weiter kein Begriff war, vor zwei Wochen auf poenix reden hören - und war entsetzt: Das war billigste Kalte-Kriegs-Propaganda, was er da von sich gab, im Gestus und der Wortwhl nicht anders, als was die Warschauer-Pakt-Generäle in den 80ern hetzten!

Liebe Mitleser, glauben Sie den Rüstungslobbyisten und Geostrategen kein Wort - egal, ob sie aus Berlin, London, Washington oder Moskau hetzen!

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Freitag, 14. Januar 2022
Kleiner Lesetipp
Ich habe dieser Tage einen Text gelesen, der mich bewegte, weil er im persönlichen Beispiel ein kluges Urteil über eine ganze historische Bewegung darbrachte, nämlich über die 1968er. Jetzt versteh ich besser, warum ich denen gegenüber so ambivalent reagiere, wenn sie (oder ihre Äußerungen, ihre Werke) mir begegnen. Einerseits bin ich fasziniert von ihrer anarchischen Frische, ihrem quicklebendigen Widerspruchsgeist, wie es ihn heute gar nicht mehr gibt (bzw. nur noch als Farce auf der rechten Seite und als Komödie auf der linken) und ich bin dankbar für das, was sie damit bewirkt haben - andererseits stößt mich ihre Grobheit ab, auch ihre Romantisierung ostdeutscher, osteuropäischer Ausbeutungssysteme, vor allem aber ihre feindliche Haltung gegenüber Geist und Intellekt.

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Kleine Anekdote aus der Corona-Welt
Einer meiner Schüler lebt beengt mit Eltern und Geschwistern in einer Flüchtlingsunterkunft. Vater und Bruder sind PCR-positiv, die Mutter zeigt Symptome. Aussage des Gesundheitsamts: Der Junge soll weiter zur Schule gehen, er könne sich ja dort schnelltesten. Und ich Braver akzeptier auch noch die Regel, steck dem Schüler nur schnell ein paar Tests zu, damit er sich wenigstens schon vor dem Schulbesuch testet. Gott sei Dank waren Omikron und der Test so gnädig, Alarm zu schlagen, sodass er zu Hause bleiben durfte. Ich bin erleichtert.

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Die Spaltung der Gesellschaft ...
... jedenfalls die am unteren Rand (die Spaltung am oberen Rand ist sicher noch tiefgreifender und relevanter, aber da kenn ich mich nicht so aus), die manifestiert sich zum Beispiel in den Bierpreisen: Plötzlich kamen da die sogenannten Craft-Biere auf den Markt, zu irrwitzigen Preisen, vermutlich eher Lifestyle-Produkte, die mehr vorgezeigt als konsumiert werden, und in der Folge zogen auch die Preise der Markenbiere an - kosteten sie früher 90 Cent oder einen Euro den halben Liter, sind es jetzt 1,20 oder 1,30. Gleichzeitig aber, und das ist das Interessante, blieben die Preise der Billigbiere stabil oder sanken sogar: Du kriegst sie für 30 Cent hinterhergeschmissen. Einerseits also die Säufer mit dem Säufer-Status, von denen man sich tunlichst fernhält - auf der anderen Seite die Leute, die gern dafür bezahlen, dass sie sich von dem Proll-Status abgrenzen, mit dem sie kokettieren..

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Donnerstag, 2. Dezember 2021
Derzeit mein Lieblingsblog:
https://maz.blogger.de/stories/2832650/
Kann man es besser sagen?

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Mittwoch, 1. Dezember 2021
Das "rote Altona" der 1920er Jahre und die "Neue Mitte Altona" der 2020er
Ja, ich weiß, es sind furchtbare Schnappschüsse, die ich mache, aber selbst auf diesen liegen die Tatsachen offen zutage: Links sehen Sie Wohnungsbau von vor 100 Jahren, aus der Zeit also, als der Irrsinn zwar schon voll im Gange war, der durch Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, durch Raubbau an Ressourcen aller Art die Welt zerstört, als man aber noch glaubte, diese Entwicklung ließe sich durch Vernunft, durch Gemeinwohlorientierung, Rechtsstaatlichkeit, Sozialismus und was dergleichen mehr ist, zumindest für die Menschen irgendwie in geordneten Bahnen halten.



Ich erinnere mich an die Aussage einer Architektin aus diesen 1920er Jahren, die meinte, es sei völlig egal, wie schön oder hässlich ein Haus sei - es komme darauf an, dass der Straßenraum angenehm und angemessen sei. So sieht das dann auch aus: die Häuser einfach viereckig, die Wohnungen massenhaft übereinander gestapelt. Die Straße aber hat gute Proportionen, auch für Bäume ist Platz, und sogar die damals so nicht eingeplanten Autos passen noch mit rein. Schön ist das grade nicht, aber es lässt sich drin leben.

Heute, hundert Jahre später, führt man dieses Bauprinzip im Grunde ähnlich weiter, nur hat man erkannt, dass der Verzicht auf Vernunft die Sache wesentlich effizienter macht: Man stapelt noch ein bisschen höher, macht die Straße deutlich enger (wenn 2 Autos aneinander vorbeipassen, reicht das völlig aus), die Fassaden ein bisschen durcheinanderer, dann quetscht man noch einen Baum mit rein, vermutlich wegen irgendwelcher aus den vorigen 20er Jahren überkommenen Auflagen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was in 30 Jahren aus diesem armen Geschöpf werden soll in dieser Enge ...

Dazu passt, dass diese Häuser nicht wie die links durch städtischen Wohnungsbau entstanden sind - sie stehen zwar auf ehemals städtischem Grund, den die Stadt einst der Bahn schenkte, doch die hat ihn jetzt an Privatinvestoren verscherbelt, die natürlich den maximalen Gewinn aus ihm ziehen wollen, das ist halt ihr Job ... ach, ich fühl grad nicht wohl in dieser Welt.

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Sonntag, 7. November 2021
... außerdem ...
... und während ich das schreibe über den Büchermarkt, und zwar im überfüllten ICE, bleibt der Zug merkwürdig lange in Stendal stehen. Auf einmal Gepolter im Waggon vorne, das gleich wieder verstummt. Ich schaue auf und sehe da zwei Polizisten stehen. Kurz darauf begleiten die beiden einen jungen Schwarzen aus dem Zug, dann geht es weiter, die Durchsage berichtet von einem verlängertem Aufenthalt wegen "Personalienaufnahme durch die Bundespolizei". Als ich später kontrolliert werde, frage ich den Schaffner, was denn los war mit der Polizei. "Hatte der keine Fahrkarte?" - "Doch, das heißt, er wollte sie nicht zeigen, weil er keinen Sitzplatz hatte und meinte, er hat da einen Anspruch drauf. Als die Polizei kam, hat er sie doch gezeigt."

Finde ich zumindest merkwürdig. Ich meine, das bescheuerte Verhalten des Fahrgasts, diesen selbstverletzenden Trotz bei Konflikten aus Regelunkenntnis, sowas kenne ich sehr gut von meinen Schülern. Aber andererseits frage ich mich, warum der Fahrgast den Zug verlassen muss, wenn doch die Sache geklärt war. Und das auch noch (und nun kommen meine rassistischen Vorurteile) im tiefsten Sachsen-Anhalt.

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Nichts Neues am Büchermarkt
Es ist die tote Zeit nach dem Sonntagsfrühstück. Auf dem Fernsehbildschirm sieht man eine Kaffeemaschine und wie Kaffee in so eine Gastronomietasse rinnt. Am unteren Bildrand der Buttom "lesenswert". Damit ist mein Interesse geweckt: Ich will wissen, um welches Buch es geht.

Bald ist klar: "Glitterschnitter" von Sven Regener. Ich mag Sven Regener, hab alle seine "Herr-Lehmann"-Romane gelesen. Zwei fand ich richtig gut (bezeichnenderweise die beiden, die nicht in Kreuzberg spielen: "Neue Vahr Süd" und "Magical Mystery"), die anderen mehr oder weniger amüsant. Nur in "Glitterschnitter" bin ich kürzlich nach der Hälfte steckengeblieben und hatte keine Lust mehr weiterzulesen. Es war weniger das zunehmend Konservative, das mir schon in "Wiener Straße" nicht so recht gefiel, sondern dass ich die immergleichen Witze einfach auch mal satt hatte und außer diesen Witzen fand in "Glitterschnitter" leider rein gar nichts statt.

Denis Scheck, der Moderator von "lesenswert", dagegen outete sich als begeisterter Leser. Er traf den Autor an einem Biergartentisch in Berlin. Regener nahm große Schlucke aus seinem Weißbierglas und machte auch sonst kein Hehl aus seiner Verwurzelung in den 80er Jahren. Er schnatterte munter drauflos, amüsant und eloquent, und streute ab und zu einen klugen Gedanken ein. Scheck hatte dem nichts hinzuzufügen. Er saß in dem gewohnten, für die Situation viel zu eleganten Anzug dabei und nippte an seinem Pils. Sein Resümee: Das Buch sei "ein Fest". Offenbar leicht zufriedenzustellen, der Mann.

Dann folgte ein (in den Feuilletons viel diskutiertes) Ritual: Scheck verreißt ein einst sehr beliebtes Buch plakativ und in wenigen Worten. Diesmal traf es den "Tod eines Märchenprinzen" von Svende Merian, einen wohl etwas in die Jahre gekommenen sogenannten Frauenroman, in dem sich eine Frau einfach autobiografisch ihre Geschichte von der Seele schreibt.

Das verwunderte mich, denn gleich darauf folgte ein großes Lob für einen ebensolchen, nur halt aktuellen Frauenroman, das neue Buch von Julia Franck, "Welten auseinander". Scheck traf die Autorin in einem nostalgisch eingerichteten Café, zu dem sein Anzug dann schon besser passte. Franck trug ihr Mädchengesicht (in dem ich das ihrer Großmutter wiedererkannte) und erzählte aus ihrem Leben. Ich fand daran vor allem eins interessant: wie eindringlich sie ihr Fremdheitsgefühl (als Ossi und Ökö-Tochter) darstellte, das sie bewog, sich immer anzupassen, ganz hinter dieser Anpassung zu verschwinden. Und dieses Angepasste, ganz in der Norm Verschwindende, das zeichnet ja auch ihre Bücher aus. Scheck genoss das Gespräch sichtlich, groß in den Dialog ging ist er aber auch hier nicht, er hörte einfach zu, die einzige tiefergehende Frage (warum sie denn als Ausgereiste so problemlos zwischen Ost und West hatte pendeln können in den 80er Jahren) beantwortete sie nicht, er hakte nicht nach, sondern beendete das Gespräch mit einem Blick auf die Armbanduhr und einem väterlich-jovialen "Na".

Und ich hoffe, dass ich jetzt nicht so herablassend gegenüber Scheck agiert habe wie er gegenüber Franck. Das ist nunmal sein Job, er muss sich an dem orientieren, was auf dem Buchmarkt los ist, dann soll es auch noch irgendwie interessant und unterhaltsam sein, mit genug Feier und plakativem Verriss. Das ist auch nicht einfach, da noch eine interessante Sendung hinzubekommen, wenn rein gar nichts los ist auf dem Bestsellermarkt.

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