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Mittwoch, 24. August 2011
Die Midlife-Frage
damals, 00:41h
Es gibt Tage, da ist es wie Zur-Ruhe-Kommen. Abends zu Hause ist es still, sogar kuschelig. Die beruflichen Dinge am Tage gelingen, alles andere als außerordentlich, mit Berufung hat das nichts zu tun, sie funktionieren einfach. Die Angst- und Panikanfälle, natürlich bleiben sie nicht aus, aber sie sind schnell erledigt: ein kleines Schluchzen unter der Dusche, sich mal schnell unbemerkt vor den Kopf schlagen – sie kommen einem selber lächerlich vor.
Was bleibt, ist die merkwürdige Leere, die Abwesenheit von Hitze und Leidenschaft, wofür auch immer. Ich habe viele Jahre vertrödelt mit einer nicht enden wollenden Jugend, ich wurde beinahe vierzig, ehe ich begriff, dass ich anfangen sollte, mein Leben zu ordnen. Ich ließ die Träume fahren und machte mich ans Aufräumen. Was bitter nötig war, ersetzte die Lebensaufgabe. Jetzt, wo sich die Dinge zu klären beginnen, das Chaos weicht, ich weiß selbst nicht, warum und womit ich das verdient habe, jetzt wird die Leere sichtbar. Die Lebensmitte ist überschritten, die Aufgaben laufen weiter und lassen wenig Zeit übrig. Das bisschen an Jahren und Stunden, was bleibt, würde gerade für ein spießiges Hobby reichen. Aber dafür bin ich mir dann auch zu schade. Die Frage ist: Was tut man so lange, bis es vorbei ist? Ich meine, dass vielleicht ja die Eltern irgendwann Pflegefälle werden, damit man wieder zu tun hat, das ist ja auch keine Lösung.
... und so paddelt man halt weiter.
Was bleibt, ist die merkwürdige Leere, die Abwesenheit von Hitze und Leidenschaft, wofür auch immer. Ich habe viele Jahre vertrödelt mit einer nicht enden wollenden Jugend, ich wurde beinahe vierzig, ehe ich begriff, dass ich anfangen sollte, mein Leben zu ordnen. Ich ließ die Träume fahren und machte mich ans Aufräumen. Was bitter nötig war, ersetzte die Lebensaufgabe. Jetzt, wo sich die Dinge zu klären beginnen, das Chaos weicht, ich weiß selbst nicht, warum und womit ich das verdient habe, jetzt wird die Leere sichtbar. Die Lebensmitte ist überschritten, die Aufgaben laufen weiter und lassen wenig Zeit übrig. Das bisschen an Jahren und Stunden, was bleibt, würde gerade für ein spießiges Hobby reichen. Aber dafür bin ich mir dann auch zu schade. Die Frage ist: Was tut man so lange, bis es vorbei ist? Ich meine, dass vielleicht ja die Eltern irgendwann Pflegefälle werden, damit man wieder zu tun hat, das ist ja auch keine Lösung.
... und so paddelt man halt weiter.
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Donnerstag, 4. August 2011
Nach fünfzig Jahren ist alles vorbei
damals, 21:06h
Fünfzig Jahre ist der Mauerbau nun her, und da muss das Fernsehen natürlich entsprechend reagieren. Also zum hunderttausendsten Mal die Mauertoten, und da wird nicht nur „An die Grenze“ wieder rausgekramt, über den ich hier schon unter dem Thema „Soldat mit Abitur“ geschrieben habe, sondern es gibt auch ein neues TV-Drama: „Der Mauerschütze“. Das gabs gestern im Ersten und es war so banal, dass es nicht mal ärgerlich war. Da wird das Klischee treu und brav dramatisiert, die Story ist stimmig und rund und total vorhersehbar, die Schauspieler professionell, und was die inhaltliche Problematik betrifft, so sind am Ende alle irgendwie ein bisschen schuld, und wir können um Viertel vor zehn getrost den Fernseher ausschalten und ins Bett gehen.
Eigentlich schön, denn diese Langeweile zeigt, dass das Thema gegessen ist, endlich. Vielleicht können jetzt ja mal die Menschen ins Blickfeld rücken, die gerade in Syrien erschossen werden. Oder die im Mittelmeer ertrinken. Das wäre doch auch mal gut als Thema für den 20.15-Film, oder?
Eigentlich schön, denn diese Langeweile zeigt, dass das Thema gegessen ist, endlich. Vielleicht können jetzt ja mal die Menschen ins Blickfeld rücken, die gerade in Syrien erschossen werden. Oder die im Mittelmeer ertrinken. Das wäre doch auch mal gut als Thema für den 20.15-Film, oder?
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Mittwoch, 3. August 2011
Dietrich Bonhoeffer ist lieber gestorben
damals, 20:47h
Im folgenden Text werde ich leise Kritik an der konspirativen Tätigkeit Dietrich Bonhoeffers in der Anti-Hitler-Verschwörung von Canaris üben. Bitte verstehen Sie das nicht falsch. Ich will damit keineswegs andeuten, dass er persönlich falsch gehandelt hätte – im Gegenteil: Bonhoeffer hat ein Leben von beeindruckender Logik, Konsequenz und Verantwortlichkeit geführt, geradlinig bis in den Tod. Daran kann kein Zweifel sein. Falsch finde ich aber, dass sich das Interesse an Märtyrerfiguren wie ihm so auf ihren Tod fokussiert, weniger auf ihre Ideen. So wie man bei Che Guevara besonders gern das „bolivianische Tagebuch“ liest, sich am letzten Trotz-Kampf ergötzt, als die Idee schon gescheitert war – und dieser Idee so die Leuchtkraft, die konkrete Relevanz für das eigene Leben raubt. Bei Bonhoeffer sind es dann die Gefängnisbriefe und das „Von guten Mächten ...“, die Theologie aus der Todeszelle, als hätte die uns Lebenden mehr zu sagen als die konkrete und lebbare Reform des evangelischen Glaubens, die Bonhoeffer in den dreißiger Jahren entwickelte.
Dazu passt, dass Bonhoeffer so eine Art Heiligenleben geführt hat und auch führen wollte. Er hat selbst erkannt, wie viel Eitelkeit in diesem Wunsch steckt und konnte doch nicht davon lassen. Die Banalität und Lächerlichkeit des normalen Lebens in einer Zweier-Beziehung hat er sich gespart und seine faszinierende Idee von einem erneuerten christlichen Glauben so von den Niederungen des Alltags getrennt. Schade.
Doch jetzt mal im Einzelnen: Dietrich Bonhoeffer wurde als später Sohn in ein kinderreiches, großbürgerlich-intellektuelles, sehr liberales Elternhaus hineingeboren. Damit war einerseits schonmal klar, dass er es zu etwas bringen würde im Leben, anderseits aber auch, dass er sich gegen seine älteren Brüder (und auch anders als seine meisten Schwestern) entwickeln würde: nicht die rationale Welt des Vaters, sondern die Religiosität seiner Mutter, einer Hofpredigerstochter, bestimmte die Zielrichtung. Er studierte Theologie und machte rasant Karriere im Uni-Milieu. Dabei kennzeichneten ihn aber nicht nur sein Ehrgeiz, sondern auch sein Charme und seine Jugend, vor allem aber seine unter Theologen ganz unübliche Liberalität. So hatte er z.B. (noch unüblicher!) eine ihm intellektuell ebenbürtige Freundin, die ebenfalls promovierte Theologin Edith Zinn.
Das einzige Problem war, dass er mit Anfang zwanzig noch zu jung war, um die sichere Professorenstelle an der Berliner Uni schon anzutreten. Man schickte ihn daher ein Jahr nach Amerika, wo er, der erfolgreiche Theologe, erstmals mit wirklich gelebtem Glauben in Kontakt kam: in den Gemeinden der Schwarzen in Harlem. Das krempelte sein Leben um, sein Fokus wechselte von der Wissenschaft zur Praxis des Glaubens, er begann, sich mit Meditation zu beschäftigen, plante eine Reise zu Mahatma Gandhi, entwickelte eine verblüffend einfache, faszinierende Idee, wie evangelischer Glauben wieder echt werden könnte: indem man nämlich die Wiedergeburt Christi als eine Wiedergeburt in der Gemeinde versteht, d.h. die Gemeinde selbst ist Christus. Und das bedeutet wiederum, dass Christ zu sein nichts anderes heißt als erstens gemeinschaftlich und zweitens wie Christus zu leben.
Leider kam Bonhoeffer das Jahr 1933 dazwischen und zerstörte seine ersten Schritte heraus aus dem goldenen Käfig: Die Jugendstube für Arbeitslose, die er 1932 in Berlin-Charlottenburg gründete, löste die SA auf, einige seiner Bekannten von dort musste er sogar in einer Gartenlaube verstecken, da sie als des Kommunismus verdächtig in Lebensgefahr waren. Den Plan, eine Pfarrstelle im Berliner Osten anzutreten, konnte er sich unter diesen Umständen natürlich abschminken.
Stattdessen tat sich ein neues Tätigkeitsfeld auf: Hitlers Versuche, die evangelischen Kirche gleichzuschalten, führten zur Konstitution der Bekennenden Kirche. Bonhoeffer nutzt die Situation, indem er diese heterogene Protestbewegung sammelt und zu einer Abspaltung von der rettungslos opportunistischen Staatskirche zu bewegen versucht. Er hofft, mit diesen Leuten seine Ideen von einer erneuerten Glaubensgemeinschaft realisieren zu können und übernimmt die Leitung eines Priesterseminars für die Bekenntnisbewegung. Fortan pendelt er zwischen Berlin, wo er an der Uni lehrt und bei den Eltern wohnt, und Finkenwalde bei Stettin, wo er im Seminar seine Praxis- und Gemeinschaftssehnsüchte lebt.
Ende 1935 werden die Seminare der Bekennenden Kirche dann offiziell verboten. Bonhoeffer muss sich aus der Bürgerlichkeit (die für ihn Berlin heißt) lösen. Er verliert den Job an der Uni und trennt sich von seiner Freundin, will nur noch für Finkenwalde leben. Schließlich haben seine Seminaristen auch keine Chance auf ein solches bürgerliches Leben: Sie werden später, wenn überhaupt, nur als schlecht bezahlte „Hilfsprediger“ eine Stelle finden. Aber so wie sie nicht ins bürgerliche Leben hinein finden, so findet Bonhoeffer nicht heraus: Er pendelt weiter zwischen Berlin und Finkenwalde. Nur die Uni ist endgültig verloren – und natürlich Edith Zinn.
Bonhoeffer schafft sich als Ersatz für die geplante offizielle Verbindung (ob nun Verlobung oder schon Hochzeit, darüber schweigen sich die Biografen aus) einen Mini-Männerbund in Finkenwalde, dessen Kern er und sein bester Freund Eberhard Bethge darstellen. Dieser „Bruderrat“ soll mit den wechselnden Seminaristen eine Kontinuität des Lebens im Glauben einüben, ganz nach den zuvor von Bonhoeffer entwickelten Ideen über die christliche Gemeinde.
Natürlich hat dieses Projekt eine gewisse Künstlichkeit, schon allein wegen des völligen Fehlens von Frauen, aber natürlich auch in seiner Isoliertheit von der gesellschaftlichen Realität im Lande. Während in Finkenwalde ein Handvoll junger Männer ein unabhängiges Christentum lebt, dreht die nazifizierte Kirchenleitung in mühevoller Kleinarbeit, aber äußerst erfolgreich ein Leitungsmitglied der Bekennenden Kirche nach dem anderen um und integriert es in die gleichgeschaltete Staatskirche. Gleichzeitig laufen die bekannten Diskriminierungsaktionen gegen die Juden und die immer offene Vorbereitung des Krieges.
Bonhoeffer, der auf keinen Fall in den näher rückenden Krieg ziehen will, gibt auf und plant seine Emigration in die USA, die er vor sich selbst als Studienreise mit diffusem Ziel tarnt. Erst in New York begreift er, dass er bereits emigriert ist, dass er seine Familie in Berlin und seine Zweitfamilie in Finkenwalde auf Jahre nicht wiedersehen wird. Das hält er nicht aus und kehrt um. Es ist der Sommer 1939.
Zurück in Deutschland fährt er erstmal mit seinem Seminar an die Ostsee baden. Dann kommt mit dem Angriff auf Polen der Krieg. Finkenwalde liegt direkt im Kampfgebiet, das Semester kann nicht beginnen. Kurz darauf versiegelt die Gestapo das Haus in Finkenwalde. Die ersten Seminaristen werden eingezogen. Das Projekt ist gestorben.
Aber für den Chef ergibt sich eine neue Perspektive. Sein Schwager, Hans von Dohnanyi, arbeitet für den Geheimdienst der Wehrmacht und wirbt ihn als Agenten, zunächst um ihn vor einer möglichen Einberufung zu retten. Bonhoeffer weiß zu diesem Zeitpunkt schon, dass der Dienst im Geheimen gegen Hitler konspiriert, sein Schwager ist der Kern der Verschwörung. Natürlich tut er bei dieser Aktion mit, so gut er kann. So wie der Bruderrat ein Ersatz für die Ehe war, so ist die Verschwörung der Ersatz für den Bruderrat. Am Ende stehen die Verhaftung im Jahr 1943 und der Tod als Märtyrer.
Also, ich finde, das war einfach nicht Bonhoeffers Sache, diese Verschwörung, das war die Sache seiner Schwager und ihrer Kollegen – die nämlich, anders als der bekennende Pfarrer, in verantwortlichen Stellen des Staates saßen und ihrer Verantwortung weiter nachkamen, als die Politik ihres Staates ins Unverantwortliche abglitt. Natürlich ist es ehrenhaft, was Bonhoeffer getan hat, als er unter Einsatz seines Lebens dieses Projekt unterstützte – nur seiner Idee, der Idee eines gelebten Christseins, lief sie eigentlich zuwider, wie schon, wenn man ganz ehrlich ist, das Projekt seines privaten Finkenwalder Bruderrates.
Dass da irgendwas verkehrt gelaufen ist, das erweist sich meines Erachtens am Beziehungsproblem: Von seiner wirklichen Partnerin trennt er sich aus altmodischen bürgerlichen Rücksichten (die sie nicht einmal geteilt hätte – wie Renate Wind recherchiert hat) à la „Ich kann ihr keine Sicherheit bieten.“ Stattdessen verbindet er sich Jahre später als über 40-Jähriger aufs Konservativste (vorherige Absprache mit der Brautmutter) mit der 18-jährigen Tochter eines Bekannten.
Nein, die Flucht in die spätpubertäre Männergemeinschaft in Finkenwalde kann ebenso wenig eine wirkliche christliche Gemeinschaft ersetzen wie die Flucht ins Politikspiel der erwachsenen Männergesellschaft. Bonhoeffer hätte heiraten sollen, und zwar seine ebenbürtige Partnerin. Ohne die Ambivalenz geschlechtlicher Beziehung (wie auch immer diese organisiert sein mag) ist das doch alles nichts wert.
Dazu passt, dass Bonhoeffer so eine Art Heiligenleben geführt hat und auch führen wollte. Er hat selbst erkannt, wie viel Eitelkeit in diesem Wunsch steckt und konnte doch nicht davon lassen. Die Banalität und Lächerlichkeit des normalen Lebens in einer Zweier-Beziehung hat er sich gespart und seine faszinierende Idee von einem erneuerten christlichen Glauben so von den Niederungen des Alltags getrennt. Schade.
Doch jetzt mal im Einzelnen: Dietrich Bonhoeffer wurde als später Sohn in ein kinderreiches, großbürgerlich-intellektuelles, sehr liberales Elternhaus hineingeboren. Damit war einerseits schonmal klar, dass er es zu etwas bringen würde im Leben, anderseits aber auch, dass er sich gegen seine älteren Brüder (und auch anders als seine meisten Schwestern) entwickeln würde: nicht die rationale Welt des Vaters, sondern die Religiosität seiner Mutter, einer Hofpredigerstochter, bestimmte die Zielrichtung. Er studierte Theologie und machte rasant Karriere im Uni-Milieu. Dabei kennzeichneten ihn aber nicht nur sein Ehrgeiz, sondern auch sein Charme und seine Jugend, vor allem aber seine unter Theologen ganz unübliche Liberalität. So hatte er z.B. (noch unüblicher!) eine ihm intellektuell ebenbürtige Freundin, die ebenfalls promovierte Theologin Edith Zinn.
Das einzige Problem war, dass er mit Anfang zwanzig noch zu jung war, um die sichere Professorenstelle an der Berliner Uni schon anzutreten. Man schickte ihn daher ein Jahr nach Amerika, wo er, der erfolgreiche Theologe, erstmals mit wirklich gelebtem Glauben in Kontakt kam: in den Gemeinden der Schwarzen in Harlem. Das krempelte sein Leben um, sein Fokus wechselte von der Wissenschaft zur Praxis des Glaubens, er begann, sich mit Meditation zu beschäftigen, plante eine Reise zu Mahatma Gandhi, entwickelte eine verblüffend einfache, faszinierende Idee, wie evangelischer Glauben wieder echt werden könnte: indem man nämlich die Wiedergeburt Christi als eine Wiedergeburt in der Gemeinde versteht, d.h. die Gemeinde selbst ist Christus. Und das bedeutet wiederum, dass Christ zu sein nichts anderes heißt als erstens gemeinschaftlich und zweitens wie Christus zu leben.
Leider kam Bonhoeffer das Jahr 1933 dazwischen und zerstörte seine ersten Schritte heraus aus dem goldenen Käfig: Die Jugendstube für Arbeitslose, die er 1932 in Berlin-Charlottenburg gründete, löste die SA auf, einige seiner Bekannten von dort musste er sogar in einer Gartenlaube verstecken, da sie als des Kommunismus verdächtig in Lebensgefahr waren. Den Plan, eine Pfarrstelle im Berliner Osten anzutreten, konnte er sich unter diesen Umständen natürlich abschminken.
Stattdessen tat sich ein neues Tätigkeitsfeld auf: Hitlers Versuche, die evangelischen Kirche gleichzuschalten, führten zur Konstitution der Bekennenden Kirche. Bonhoeffer nutzt die Situation, indem er diese heterogene Protestbewegung sammelt und zu einer Abspaltung von der rettungslos opportunistischen Staatskirche zu bewegen versucht. Er hofft, mit diesen Leuten seine Ideen von einer erneuerten Glaubensgemeinschaft realisieren zu können und übernimmt die Leitung eines Priesterseminars für die Bekenntnisbewegung. Fortan pendelt er zwischen Berlin, wo er an der Uni lehrt und bei den Eltern wohnt, und Finkenwalde bei Stettin, wo er im Seminar seine Praxis- und Gemeinschaftssehnsüchte lebt.
Ende 1935 werden die Seminare der Bekennenden Kirche dann offiziell verboten. Bonhoeffer muss sich aus der Bürgerlichkeit (die für ihn Berlin heißt) lösen. Er verliert den Job an der Uni und trennt sich von seiner Freundin, will nur noch für Finkenwalde leben. Schließlich haben seine Seminaristen auch keine Chance auf ein solches bürgerliches Leben: Sie werden später, wenn überhaupt, nur als schlecht bezahlte „Hilfsprediger“ eine Stelle finden. Aber so wie sie nicht ins bürgerliche Leben hinein finden, so findet Bonhoeffer nicht heraus: Er pendelt weiter zwischen Berlin und Finkenwalde. Nur die Uni ist endgültig verloren – und natürlich Edith Zinn.
Bonhoeffer schafft sich als Ersatz für die geplante offizielle Verbindung (ob nun Verlobung oder schon Hochzeit, darüber schweigen sich die Biografen aus) einen Mini-Männerbund in Finkenwalde, dessen Kern er und sein bester Freund Eberhard Bethge darstellen. Dieser „Bruderrat“ soll mit den wechselnden Seminaristen eine Kontinuität des Lebens im Glauben einüben, ganz nach den zuvor von Bonhoeffer entwickelten Ideen über die christliche Gemeinde.
Natürlich hat dieses Projekt eine gewisse Künstlichkeit, schon allein wegen des völligen Fehlens von Frauen, aber natürlich auch in seiner Isoliertheit von der gesellschaftlichen Realität im Lande. Während in Finkenwalde ein Handvoll junger Männer ein unabhängiges Christentum lebt, dreht die nazifizierte Kirchenleitung in mühevoller Kleinarbeit, aber äußerst erfolgreich ein Leitungsmitglied der Bekennenden Kirche nach dem anderen um und integriert es in die gleichgeschaltete Staatskirche. Gleichzeitig laufen die bekannten Diskriminierungsaktionen gegen die Juden und die immer offene Vorbereitung des Krieges.
Bonhoeffer, der auf keinen Fall in den näher rückenden Krieg ziehen will, gibt auf und plant seine Emigration in die USA, die er vor sich selbst als Studienreise mit diffusem Ziel tarnt. Erst in New York begreift er, dass er bereits emigriert ist, dass er seine Familie in Berlin und seine Zweitfamilie in Finkenwalde auf Jahre nicht wiedersehen wird. Das hält er nicht aus und kehrt um. Es ist der Sommer 1939.
Zurück in Deutschland fährt er erstmal mit seinem Seminar an die Ostsee baden. Dann kommt mit dem Angriff auf Polen der Krieg. Finkenwalde liegt direkt im Kampfgebiet, das Semester kann nicht beginnen. Kurz darauf versiegelt die Gestapo das Haus in Finkenwalde. Die ersten Seminaristen werden eingezogen. Das Projekt ist gestorben.
Aber für den Chef ergibt sich eine neue Perspektive. Sein Schwager, Hans von Dohnanyi, arbeitet für den Geheimdienst der Wehrmacht und wirbt ihn als Agenten, zunächst um ihn vor einer möglichen Einberufung zu retten. Bonhoeffer weiß zu diesem Zeitpunkt schon, dass der Dienst im Geheimen gegen Hitler konspiriert, sein Schwager ist der Kern der Verschwörung. Natürlich tut er bei dieser Aktion mit, so gut er kann. So wie der Bruderrat ein Ersatz für die Ehe war, so ist die Verschwörung der Ersatz für den Bruderrat. Am Ende stehen die Verhaftung im Jahr 1943 und der Tod als Märtyrer.
Also, ich finde, das war einfach nicht Bonhoeffers Sache, diese Verschwörung, das war die Sache seiner Schwager und ihrer Kollegen – die nämlich, anders als der bekennende Pfarrer, in verantwortlichen Stellen des Staates saßen und ihrer Verantwortung weiter nachkamen, als die Politik ihres Staates ins Unverantwortliche abglitt. Natürlich ist es ehrenhaft, was Bonhoeffer getan hat, als er unter Einsatz seines Lebens dieses Projekt unterstützte – nur seiner Idee, der Idee eines gelebten Christseins, lief sie eigentlich zuwider, wie schon, wenn man ganz ehrlich ist, das Projekt seines privaten Finkenwalder Bruderrates.
Dass da irgendwas verkehrt gelaufen ist, das erweist sich meines Erachtens am Beziehungsproblem: Von seiner wirklichen Partnerin trennt er sich aus altmodischen bürgerlichen Rücksichten (die sie nicht einmal geteilt hätte – wie Renate Wind recherchiert hat) à la „Ich kann ihr keine Sicherheit bieten.“ Stattdessen verbindet er sich Jahre später als über 40-Jähriger aufs Konservativste (vorherige Absprache mit der Brautmutter) mit der 18-jährigen Tochter eines Bekannten.
Nein, die Flucht in die spätpubertäre Männergemeinschaft in Finkenwalde kann ebenso wenig eine wirkliche christliche Gemeinschaft ersetzen wie die Flucht ins Politikspiel der erwachsenen Männergesellschaft. Bonhoeffer hätte heiraten sollen, und zwar seine ebenbürtige Partnerin. Ohne die Ambivalenz geschlechtlicher Beziehung (wie auch immer diese organisiert sein mag) ist das doch alles nichts wert.
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Montag, 11. Juli 2011
Sendepause
damals, 03:08h
Ich wollte mich nur mal wieder melden. In meinem realen Leben passiert grad viel, beruflich jedenfalls, weniger in der Beziehung, da bei meiner Frau auch grad beruflich viel passiert. Hoffen wir, dass wir bald die Erfolge genießen können.
Aber das ist ja nicht das vorrangige Thema meines Blogs, da geht es ja um das Geistige. Ich wusste schon, worüber ich als Nächstes schreiben wollte: über Dietrich Bonhoeffer (ja, ich weiß, ich bevorzuge nunmal die jeweils unaktuellsten Themen). Denn ich hatte mal im Zuge meines Referendariats eine Bonhoeffer-Biografie gelesen, die mich schwer beeindruckt hat. Und jetzt begegnete sie mir in einer Grabbelkiste wieder und ich hab sie mir gekauft, wieder gelesen und war wieder begeistert. Nur in einem Punkt nicht: Bonhoeffer und die Frauen. Da schien mir die Autorin, Renate Wind, doch etwas idealisiert zu haben. Und da ich grad nichts zu lesen hatte und noch größere Lektüre für den Urlaub (ab nächste Woche schon!) brauchte, kaufte ich mir gleich noch die beiden üblichen wissenschaftlichen Bonhoeffer-Biografien, nur um gleich nach der ersten Prüfung festzustellen, dass diese in punkto Frauen nicht einmal idealisierten, sondern schlicht gänzlich ignorierten. Und doch hat mich die Sache gepackt (vielleicht vermessen, da ich die die theologischen Feinheiten weder verstehe noch zu schätzen weiß): Ich lese jetzt die drei Biografien parallel und hoffe, dass irgendwas dabei rauskommt.
Vielleicht lasse ich mich ja am Ende taufen. Lieber wär mir allerdings, wenn ich etwas Sinnvolles schreiben würde. Ob das ein Blog-Beitrag wird, das weiß ich allerdings noch nicht.
Jedenfalls muss ich Sie, meine Leser, bitten, noch etwas zu warten. (Auch bei Damenwahl, um nur ein Beispiel zu nennen, hats ja etwas länger gedauert – und dann hat sich das Warten doch gelohnt.) Bei mir ist jedenfalls erstens Leben angesagt, zweitens Urlaub, drittens Lektüre. Aber ich bin sicher, ich komme auf mein Blog zurück.
Aber das ist ja nicht das vorrangige Thema meines Blogs, da geht es ja um das Geistige. Ich wusste schon, worüber ich als Nächstes schreiben wollte: über Dietrich Bonhoeffer (ja, ich weiß, ich bevorzuge nunmal die jeweils unaktuellsten Themen). Denn ich hatte mal im Zuge meines Referendariats eine Bonhoeffer-Biografie gelesen, die mich schwer beeindruckt hat. Und jetzt begegnete sie mir in einer Grabbelkiste wieder und ich hab sie mir gekauft, wieder gelesen und war wieder begeistert. Nur in einem Punkt nicht: Bonhoeffer und die Frauen. Da schien mir die Autorin, Renate Wind, doch etwas idealisiert zu haben. Und da ich grad nichts zu lesen hatte und noch größere Lektüre für den Urlaub (ab nächste Woche schon!) brauchte, kaufte ich mir gleich noch die beiden üblichen wissenschaftlichen Bonhoeffer-Biografien, nur um gleich nach der ersten Prüfung festzustellen, dass diese in punkto Frauen nicht einmal idealisierten, sondern schlicht gänzlich ignorierten. Und doch hat mich die Sache gepackt (vielleicht vermessen, da ich die die theologischen Feinheiten weder verstehe noch zu schätzen weiß): Ich lese jetzt die drei Biografien parallel und hoffe, dass irgendwas dabei rauskommt.
Vielleicht lasse ich mich ja am Ende taufen. Lieber wär mir allerdings, wenn ich etwas Sinnvolles schreiben würde. Ob das ein Blog-Beitrag wird, das weiß ich allerdings noch nicht.
Jedenfalls muss ich Sie, meine Leser, bitten, noch etwas zu warten. (Auch bei Damenwahl, um nur ein Beispiel zu nennen, hats ja etwas länger gedauert – und dann hat sich das Warten doch gelohnt.) Bei mir ist jedenfalls erstens Leben angesagt, zweitens Urlaub, drittens Lektüre. Aber ich bin sicher, ich komme auf mein Blog zurück.
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Sonntag, 19. Juni 2011
Wann ist eine dokumentarische Collage authentisch?
damals, 14:07h
In der Neuen Zürcher Zeitung von gestern (18.6.) erklärt Pepe Danquart seine künstlerische Haltung. Auf die Kritik, sein Joschka-Fischer-Film lasse eine kritische Distanz vermissen, meint er, „das sei keine Biografie, schon gar keine journalistisch aufbereitete, sondern ein Stück Zeitgeschichte, mit einem charismatischen Erzähler.“ Ein interessantes Argumentationsmuster, besonders für einen Linken.
Ein Dokumentarfilm darf also auf kritische Distanz verzichten, ja, er muss es sogar, wenn er zum Kern der Sache, der „Zeitgeschichte“, vordringen will. Wenn der Regisseur des Films seinen eigenen Kopf verwendet, dann ist das „journalistische Aufbereitung“, eine künstliche Zugabe, die den Blick auf das Wesentliche verstellt. Echtheit garantiert der „charismatische Erzähler“, der damals dabei gewesen ist. Dessen Sicht der Dinge darf der Regisseur blind folgen; sie ist akzeptabel, weil sie charismatisch ist – mit anderen Worten: weil sie funktioniert.
Diese Haltung hat aber, so finde ich, zur notwendigen Folge, dass die Wahrheit des Films eine Spielfilm-Wahrheit, eine fiktionale Wahrheit, ist. Das ist an sich nichts Verkehrtes. Nur: Eine subjektive Erzählung als „Zeitgeschichte“ zu verkaufen – das finde ich unehrlich.
Wie aber anders? Dafür habe ich kürzlich im Fernsehen ein großartiges Beispiel gesehen: „Heinz und Fred“, einen Film über ein merkwürdiges Vater-Sohn-Verhältnis auf dem Lande in Thüringen. Auch dieser Film wurde im Fernsehen als Dokumentarfilm annonciert – er begann aber damit, dass die ersten dokumentarischen Bilder mit einem Off-Erzähler unterlegt wurden, der – in tiefsten Thüringisch – eine märchenhafte Einleitung sprach und damit alles Folgende deutlich als Märchen kennzeichnete. Auch später strukturierte dieser Märchen-Erzähler die Geschichte. Der Zuschauer wusste Bescheid, dass die Handlung vom Regisseur ausgedacht, wenn auch aus echtem Dokumentarmaterial montiert worden war. Und daher war ich gar nicht böse, als ich merkte, dass dieser offenbar ganze Lebensbereiche aus dem Familienportrait ausgespart (oder erst an dramaturgisch effektvoller Stelle eingesetzt) hat, dass er Szenen chronologisch umgestellt, dass er aus seinem Material eine Geschichte gebastelt hat, so wie das heutzutage alle – von Guido Knopp bis Heinrich Breloer – so tun in ihren unsäglichen Dokumentarspielen. Nur: Er ist von Anfang an als Interpret präsent, er bietet uns seine Sicht der Dinge an – und das ist ein ehrliches Angebot. Das kann ich annehmen, diese Montage ist echt.
Ein Dokumentarfilm darf also auf kritische Distanz verzichten, ja, er muss es sogar, wenn er zum Kern der Sache, der „Zeitgeschichte“, vordringen will. Wenn der Regisseur des Films seinen eigenen Kopf verwendet, dann ist das „journalistische Aufbereitung“, eine künstliche Zugabe, die den Blick auf das Wesentliche verstellt. Echtheit garantiert der „charismatische Erzähler“, der damals dabei gewesen ist. Dessen Sicht der Dinge darf der Regisseur blind folgen; sie ist akzeptabel, weil sie charismatisch ist – mit anderen Worten: weil sie funktioniert.
Diese Haltung hat aber, so finde ich, zur notwendigen Folge, dass die Wahrheit des Films eine Spielfilm-Wahrheit, eine fiktionale Wahrheit, ist. Das ist an sich nichts Verkehrtes. Nur: Eine subjektive Erzählung als „Zeitgeschichte“ zu verkaufen – das finde ich unehrlich.
Wie aber anders? Dafür habe ich kürzlich im Fernsehen ein großartiges Beispiel gesehen: „Heinz und Fred“, einen Film über ein merkwürdiges Vater-Sohn-Verhältnis auf dem Lande in Thüringen. Auch dieser Film wurde im Fernsehen als Dokumentarfilm annonciert – er begann aber damit, dass die ersten dokumentarischen Bilder mit einem Off-Erzähler unterlegt wurden, der – in tiefsten Thüringisch – eine märchenhafte Einleitung sprach und damit alles Folgende deutlich als Märchen kennzeichnete. Auch später strukturierte dieser Märchen-Erzähler die Geschichte. Der Zuschauer wusste Bescheid, dass die Handlung vom Regisseur ausgedacht, wenn auch aus echtem Dokumentarmaterial montiert worden war. Und daher war ich gar nicht böse, als ich merkte, dass dieser offenbar ganze Lebensbereiche aus dem Familienportrait ausgespart (oder erst an dramaturgisch effektvoller Stelle eingesetzt) hat, dass er Szenen chronologisch umgestellt, dass er aus seinem Material eine Geschichte gebastelt hat, so wie das heutzutage alle – von Guido Knopp bis Heinrich Breloer – so tun in ihren unsäglichen Dokumentarspielen. Nur: Er ist von Anfang an als Interpret präsent, er bietet uns seine Sicht der Dinge an – und das ist ein ehrliches Angebot. Das kann ich annehmen, diese Montage ist echt.
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Dienstag, 7. Juni 2011
Stasi - das sind immer die anderen
damals, 01:54h
In meiner alten Heimat Brandenburg wird mal wieder über die Stasi diskutiert. Jetzt hat man also herausgefunden, dass eine Richterin – Irina Weiße – einst als IM für die Stasi berichtete, als sie noch als Leistungssportlerin dem Sportclub Dynamo angehörte. Welche Überraschung! (Anmerkung für Westbürger: Dynamo gehörte direkt der Stasi). Komisch, dass das niemandem aufgefallen ist, solange die CDU noch den Justizminister stellte.
Ja, dieses Versäumnis sieht die CDU auch ein und widmet sich nun, wo sie die Regierungsbeteiligung verloren hat, verstärkt der Suche nach Stasi-Seilschaften, jedenfalls im Lager des politischen Gegners. Dabei klingt die Vita ihrer eigenen Fraktionschefin auch nicht ganz unverdächtig: Sie begann ihre Karriere als Geschäftsführerin einer GmbH, die in den neunziger Jahren in Golm gegründet wurde, einem Familienunternehmen, wie sie selbst sagt. Nun sind sicherlich nicht alle Golmer GmbHs, die damals gegründet wurden, direkte Nachfolgeunternehmen der dortigen Stasihochschule, die ihre Mitarbeiter 1990 in die Selbstständigkeit entlassen musste. Aber doch immerhin die meisten. Eine Überprüfung wäre es wert. Oder, liebe CDU von Brandenburg?
...
P.S. am nächsten Morgen: Ich hoffe, liebe Leser, dass Sie beim Lesen meines Textes aufgestöhnt haben: Oh, nein, jetzt fängt der damals auch noch an mit Denunziationen - diese Ossis sind doch alle gleich! Denn so ist es - und trotzdem schaffe ich es nicht, den Text einfach wieder zu löschen. Gift erzeugt Gift. Diese künstlich empörte Stasi-Jägerei macht mich einfach wütend und unsachlich, eben weil sie nichts mit Aufklärung zu tun hat und nur die andere Seite eines großen Verschweigens darstellt. Mir geht es auch gar nicht um irgendeine Fraktionschefin, mich nervt das ganze politische Klima in diesem Ossiland, in dem sich niemand ehrlich zu erinnern scheint, sofern er nur irgendein politisches Amt erlangt hat.
Ja, dieses Versäumnis sieht die CDU auch ein und widmet sich nun, wo sie die Regierungsbeteiligung verloren hat, verstärkt der Suche nach Stasi-Seilschaften, jedenfalls im Lager des politischen Gegners. Dabei klingt die Vita ihrer eigenen Fraktionschefin auch nicht ganz unverdächtig: Sie begann ihre Karriere als Geschäftsführerin einer GmbH, die in den neunziger Jahren in Golm gegründet wurde, einem Familienunternehmen, wie sie selbst sagt. Nun sind sicherlich nicht alle Golmer GmbHs, die damals gegründet wurden, direkte Nachfolgeunternehmen der dortigen Stasihochschule, die ihre Mitarbeiter 1990 in die Selbstständigkeit entlassen musste. Aber doch immerhin die meisten. Eine Überprüfung wäre es wert. Oder, liebe CDU von Brandenburg?
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P.S. am nächsten Morgen: Ich hoffe, liebe Leser, dass Sie beim Lesen meines Textes aufgestöhnt haben: Oh, nein, jetzt fängt der damals auch noch an mit Denunziationen - diese Ossis sind doch alle gleich! Denn so ist es - und trotzdem schaffe ich es nicht, den Text einfach wieder zu löschen. Gift erzeugt Gift. Diese künstlich empörte Stasi-Jägerei macht mich einfach wütend und unsachlich, eben weil sie nichts mit Aufklärung zu tun hat und nur die andere Seite eines großen Verschweigens darstellt. Mir geht es auch gar nicht um irgendeine Fraktionschefin, mich nervt das ganze politische Klima in diesem Ossiland, in dem sich niemand ehrlich zu erinnern scheint, sofern er nur irgendein politisches Amt erlangt hat.
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Donnerstag, 2. Juni 2011
Im Falladahaus, 4. und letzter Teil
damals, 21:19h
Der Tag war ziemlich anstrengend gewesen, endlose Diskussionen mit der Zwölften, die ihre Klausuren für viel intelligenter hielten als sie waren (ich meine, wenn ich sie im Unterricht zum Diskutieren ermutige, heißt das nicht, dass bei der Klausur die bloße Laberei ausreicht, um sieben Punkte zu bekommen), und am Nachmittag das gleiche Spiel mit den Kollegen: Welches Schulbuch für die neuen achten Klassen angeschafft werden soll, schien für einige eine Frage der ganz persönlichen Ehre zu sein. Ich äußerte mich nicht, auch als man nachfragte. Es war fast erleichternd, beide Seiten zu enttäuschen. Tendenziell hatte ich natürlich Präferenzen, aber ich sah es ja, wie sie mich anstarrten, wohin ich mich nun ordne; ich hatte keine Lust, bekennender Konservativer zu werden. Damit ich dann von Herrn Müller zum legendären Zigarrenabend eingeladen würde, na ich danke!
Mir blieb danach grade noch eine Stunde am Fluss, eine Stunde mich auszulüften, mit nichts als Krähen in meiner Nähe. Wenn man von dem Entenpärchen absah, das am andern Ufer einen Ehestreit ausfocht. Auf dem Rückweg aß ich eine Bratwurst an der kleinen Imbissbude am Markt, dann ging ich hoch in die Wohnung und zog mich um. Gerade war ich fertig – ich hatte den Schlüssel schon in der Hand und wollte nach der Wohnungstür greifen – da hörte ich, wie Jordans gegenüber ihre Wohnung abschlossen und hinuntergingen. Ich drehte noch einmal um und wartete fünf Minuten ab, am Fenster stehend, und sah in den Hof hinunter, der schon ganz im Schatten lag. Dann kam ich nach.
Wie nachher alles gekommen ist, weiß ich auch nicht mehr so genau. Jedenfalls hatte Minski plötzlich eine Flasche Korn zur Hand und erklärte: „Nichts gegen Österreich, aber von diesem Tomaschekschen Likör hab ich jetzt genug.“ Herr Jordan, dem die Gesänge seiner Frau mit den beiden Untermietern schon lange auf die Nerven gingen, stimmte lauthals zu. Wir drei stießen an, versanken noch mehr in unseren Sofakissen und begannen einen Privatdisput ganz ohne Rücksicht auf die beiden Schwulen, die mit Frau Jordan am Flügel Varianten von „Ihr Kinderlein, kommet“ durchprobierten. Für uns war Ende November entschieden noch kein Advent, und auch Herr Jordan kam aus sich heraus. Dass er Wolfgang heiße, erklärte er mir atemlos, und dann wollte er, dass wir Brüderschaft trinken. Warum er mich plötzlich anschrie, weiß ich nicht. Hatten ihn meine gelegentlichen Seitenblicke auf seine Frau gereizt, die ja nichts weiter waren als eine freundliche Antwort auf deren offensichtlichen Kontrollblicke nach uns Männern, oder war es eher die fröhliche Vertrautheit, mit der ich Herrn Minski weiterhin „Herr Minski“ nannte, so dass er einfach merken musste, dass ich ihn dagegen nun gerade nicht ins Herz schließen konnte, Brüderschaft hin oder her?
Mir war das peinlich, wie er sich in mich verbiss; er schlug mich gar nicht, es war mehr wie ein wütendes Krallen an meinen Sachen, d. h. ein paar Sekunden nur, dann sprang seine Frau hinzu. Er stieß sie weg, und „Sven!“ schrie er Minski an „Sven, gib mir die Flasche! Die können mich alle mal ...“ Er setzte an und nahm ein paar große Schlucke von dem Schnaps zu sich, nicht ohne dabei wilde und stolze Blicke zu verschießen. Danach war es vorbei mit ihm, seine Frau musste ihn mit Minskis Hilfe nach oben bringen - „Lassen Sie mal, Herr P.!“ sagte Frau Jordan, als ich helfen wollte, und hatte sicher Recht, es handelte sich um eine Privatangelegenheit. Tomaschek und Winkler standen betreten neben dem Flügel.
Danach haben wir noch zu dritt bei Minski gesessen. Ich war zum ersten Mal in seiner Wohnung, ich erinnere mich an die tief hängende Lampe über seinem Küchentisch und die drei Gläser darunter. An hektische Armbewegungen mit einer Zigarette. Minski kicherte nur. Mich irritierte, wie vertraut Frau Jordan mit den Gegebenheiten schien, aber gleichzeitig machte es mich auch froh. Endlich schien die Dreiergruppe harmonisch. Jedenfalls winkte uns der Hausmeister noch nach, als wir gegen Morgen zu zweit nach oben wankten. Auch Frau Jordan war weich gestimmt, ich weiß noch, dass sie offenbar nichts dagegen hatte, als ich sie zu mir herein bat; auch an den weinroten Body kann ich mich erinnern, mit dem sie dann mit dem Rücken zu mir auf dem Bett lag. Und an ihre seltsam starre Haltung, als meine Hand sich zaghaft über ihren Bauch bewegte und auf ihrer Brust festwuchs. Lange lag sie dort, auf diesem wunderbar runden Stück Fleisch, und wie heute fühl ich es noch, wie sie mich plötzlich ansah und wie sie langsam zu mir hinüberkroch.
Als ich mit fürchterlichen Kopfschmerzen aufwachte, war sie fort, und es war Zeit, zur Schule zu gehen. Gott sei Dank war es Samstag, und ich hatte nur die luschige Zwölfte zu dirigieren, deren Mehrheit die Freitagnächte tanzend im „Metropol“ zu verbringen pflegte und mit denen ich samstags ohnehin immer nur ein paar simple Quellentexte durchlutschte.
Greifswald habe ich nicht verlassen, auch das Falladahaus nicht. Natürlich kommt es zu verlegenen Gesten, wenn ich Herrn Jordan begegne, und auch zu den Hausmusikabenden wurde ich bisher nicht wieder eingeladen. Aber was heißt das? Klar, wenn diese Geschichte von Theodor Storm wäre, würde der Erzähler jetzt vermelden, dass ich nie geheiratet hätte und mein Lebtag ein kauziges Original dieser norddeutschen Kleinstadt geblieben wäre. Aber es ist ja nicht so. Noch bin ich jung, und wer weiß, was passiert.
Mir blieb danach grade noch eine Stunde am Fluss, eine Stunde mich auszulüften, mit nichts als Krähen in meiner Nähe. Wenn man von dem Entenpärchen absah, das am andern Ufer einen Ehestreit ausfocht. Auf dem Rückweg aß ich eine Bratwurst an der kleinen Imbissbude am Markt, dann ging ich hoch in die Wohnung und zog mich um. Gerade war ich fertig – ich hatte den Schlüssel schon in der Hand und wollte nach der Wohnungstür greifen – da hörte ich, wie Jordans gegenüber ihre Wohnung abschlossen und hinuntergingen. Ich drehte noch einmal um und wartete fünf Minuten ab, am Fenster stehend, und sah in den Hof hinunter, der schon ganz im Schatten lag. Dann kam ich nach.
Wie nachher alles gekommen ist, weiß ich auch nicht mehr so genau. Jedenfalls hatte Minski plötzlich eine Flasche Korn zur Hand und erklärte: „Nichts gegen Österreich, aber von diesem Tomaschekschen Likör hab ich jetzt genug.“ Herr Jordan, dem die Gesänge seiner Frau mit den beiden Untermietern schon lange auf die Nerven gingen, stimmte lauthals zu. Wir drei stießen an, versanken noch mehr in unseren Sofakissen und begannen einen Privatdisput ganz ohne Rücksicht auf die beiden Schwulen, die mit Frau Jordan am Flügel Varianten von „Ihr Kinderlein, kommet“ durchprobierten. Für uns war Ende November entschieden noch kein Advent, und auch Herr Jordan kam aus sich heraus. Dass er Wolfgang heiße, erklärte er mir atemlos, und dann wollte er, dass wir Brüderschaft trinken. Warum er mich plötzlich anschrie, weiß ich nicht. Hatten ihn meine gelegentlichen Seitenblicke auf seine Frau gereizt, die ja nichts weiter waren als eine freundliche Antwort auf deren offensichtlichen Kontrollblicke nach uns Männern, oder war es eher die fröhliche Vertrautheit, mit der ich Herrn Minski weiterhin „Herr Minski“ nannte, so dass er einfach merken musste, dass ich ihn dagegen nun gerade nicht ins Herz schließen konnte, Brüderschaft hin oder her?
Mir war das peinlich, wie er sich in mich verbiss; er schlug mich gar nicht, es war mehr wie ein wütendes Krallen an meinen Sachen, d. h. ein paar Sekunden nur, dann sprang seine Frau hinzu. Er stieß sie weg, und „Sven!“ schrie er Minski an „Sven, gib mir die Flasche! Die können mich alle mal ...“ Er setzte an und nahm ein paar große Schlucke von dem Schnaps zu sich, nicht ohne dabei wilde und stolze Blicke zu verschießen. Danach war es vorbei mit ihm, seine Frau musste ihn mit Minskis Hilfe nach oben bringen - „Lassen Sie mal, Herr P.!“ sagte Frau Jordan, als ich helfen wollte, und hatte sicher Recht, es handelte sich um eine Privatangelegenheit. Tomaschek und Winkler standen betreten neben dem Flügel.
Danach haben wir noch zu dritt bei Minski gesessen. Ich war zum ersten Mal in seiner Wohnung, ich erinnere mich an die tief hängende Lampe über seinem Küchentisch und die drei Gläser darunter. An hektische Armbewegungen mit einer Zigarette. Minski kicherte nur. Mich irritierte, wie vertraut Frau Jordan mit den Gegebenheiten schien, aber gleichzeitig machte es mich auch froh. Endlich schien die Dreiergruppe harmonisch. Jedenfalls winkte uns der Hausmeister noch nach, als wir gegen Morgen zu zweit nach oben wankten. Auch Frau Jordan war weich gestimmt, ich weiß noch, dass sie offenbar nichts dagegen hatte, als ich sie zu mir herein bat; auch an den weinroten Body kann ich mich erinnern, mit dem sie dann mit dem Rücken zu mir auf dem Bett lag. Und an ihre seltsam starre Haltung, als meine Hand sich zaghaft über ihren Bauch bewegte und auf ihrer Brust festwuchs. Lange lag sie dort, auf diesem wunderbar runden Stück Fleisch, und wie heute fühl ich es noch, wie sie mich plötzlich ansah und wie sie langsam zu mir hinüberkroch.
Als ich mit fürchterlichen Kopfschmerzen aufwachte, war sie fort, und es war Zeit, zur Schule zu gehen. Gott sei Dank war es Samstag, und ich hatte nur die luschige Zwölfte zu dirigieren, deren Mehrheit die Freitagnächte tanzend im „Metropol“ zu verbringen pflegte und mit denen ich samstags ohnehin immer nur ein paar simple Quellentexte durchlutschte.
Greifswald habe ich nicht verlassen, auch das Falladahaus nicht. Natürlich kommt es zu verlegenen Gesten, wenn ich Herrn Jordan begegne, und auch zu den Hausmusikabenden wurde ich bisher nicht wieder eingeladen. Aber was heißt das? Klar, wenn diese Geschichte von Theodor Storm wäre, würde der Erzähler jetzt vermelden, dass ich nie geheiratet hätte und mein Lebtag ein kauziges Original dieser norddeutschen Kleinstadt geblieben wäre. Aber es ist ja nicht so. Noch bin ich jung, und wer weiß, was passiert.
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Mittwoch, 1. Juni 2011
Im Falladahaus, Teil 3
damals, 19:01h
Zwei Tage später – ich war wieder mit dem Müll unterwegs – blieb ich im Flur stehen. Irgendetwas war anders. Aber natürlich: das Abendlicht. Das eine Flurfenster ging nach Westen, und es war ja die Stunde vor dem Sonnenuntergang. Ich setzte den Mülleimer ab und ging zum Fenster. Die Sonne war schon fast hinter den Dächern verschwunden, die Himmelsfarbe wechselte von flirrendem Blau allmählich zu Rot. Ich lehnte mich ins Fenster und sah nach draußen. Da hörte ich Frau Jordan die Treppe hochkommen. Erst wollte ich zu meinem Mülleimer eilen, aber dann blieb ich im Fenster lehnen. Es war schon gut so. Ich drehte mich auch nicht um, als ich hörte, dass sie hinter mir stehen blieb. „Guten Abend, Herr P.!“ sagte sie, und ich spürte, dass sie es nicht dabei bewenden lassen wollte. Da drehte ich mich doch zu ihr, versuchte einige Floskeln über den Mülleimer und die Hausordnung, aber das schien sie nicht zu interessieren. Frau Jordan wollte mir von dem Hausmusikabend am letzten Dienstag erzählen. Ich sah in ihr Gesicht, während sie redete, es schien beinahe orange im Schein der Abendsonne. Es schien mir auch, dass sie mich im Gegenlicht nicht richtig erkennen konnte, jedenfalls kniff sie ihre Augen zusammen und sah suchend umher. „Frau Jordan“, sagte ich, „das ist sehr nett von Ihnen, dass Sie mir davon erzählen, Herr Tomaschek hat auch mir auch schon angeboten, einmal dabei zu sein. Aber bitte seien Sie nicht böse, ich bin doch so unmusikalisch.“. Da machte sie einen Schritt nach vorn und legte mir die Hand auf den Unterarm. „Sie müssen doch gar nicht singen, wenn Sie nicht wollen, Herr P.! Aber es ist so unheimlich, wie Sie immer so stumm an uns vorhuschen. Wir machen uns einfach Sorgen.“ Was sollte ich dazu sagen? Nun half es ja nichts mehr – ich musste beim nächsten Mal auch erscheinen.
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Dienstag, 31. Mai 2011
Im Falladahaus, Teil 2
damals, 22:33h
So begann mein Leben als Angestellter des staatlichen Bildungswesens. Jeden Morgen um 10 vor Acht dieses Treppenhaus hinunter hasten, vorbei an der Blumenbank von Tomaschek und Winkler, vorbei an dem blinzelnden Herrn Minski, der immer mit einer Kehrschaufel oder einem Besen Spalier stand am Hoftor oder in der halbgeöffneten Tür seiner Erdgeschosswohnung. Schnell über die Straße, dann waren es nur noch hundert Meter bis zur Goethestraße, wo sich der Berufsverkehr drängte und mit laut vorbeidonnernden LKWs das gegenüberliegende Schultor verdeckte. Mittags denselben Weg zurück – jetzt war Minski nie zu sehen, ja und dann die endlosen Nachmittage, die Blicke von den Klausuren auf nach den Wolken im Fenster, die kurzen Begegnungen mit Frau Jordan, wenn ich den Mülleimer rausbrachte und sie plötzlich mit Einkaufstüten bepackt hinter einem der Schränke hervorkam, die einsamen Spaziergänge am Fluss – das war der einzige Ort, wo man keinem Schüler begegnete -, auf dem Rückweg der Einkauf bei Rewe, wo dienstags und donnerstags die hübsche Verkäuferin an der Schnellkasse saß, und alle drei Wochen Herr Tomaschek auf dem Treppenabsatz, das Vokabelheftchen für die Treppenhausreinigung in der Hand: „Sie sind dran, Herr P.! Denken Sie doch bitte diesmal auch an die Fensterbänke!“
Einmal aber sah ich Herrn Tomaschek ohne sein Heftchen am Treppenabsatz stehen, als ich aus der Stadt kam. „Ach, Herr P.“, sagte er, „Haben sie einen Moment Zeit. Darf ich Sie kurz herein bitten?“ Ehe ich mich versah, stand ich im Wohnzimmer von Tomaschek und Winkler, und die beiden Männer drängten mich mit verlegenen Gesten auf eine Couchgarnitur, die von Kissen und bunten Wolldecken überwuchert war. Die Nachmittagssonne schien mir direkt ins Gesicht. Winkler, ein langer, dünner Mensch mit einem kleinen, schon ergrauten Schnurrbärtchen, öffnete die Glastüren eines Schrankes und holte Likörgläser hervor. Dann saßen wir alle, und die beiden redeten auf mich ein: Auf die gute Nachbarschaft und ich solle nicht böse sein, wenn anlässlich der Treppenhausreinigung mal ein scharfes Wort gefallen sei, das meine doch niemand so. Und manchmal finde Hausmusik bei ihnen statt – Herr Winkler spiele Geige, Frau Jordan Klavier und die anderen sängen, manchmal sogar Herr Minski (das möchte ich hören, dachte ich, und unterdrückte das Grinsen). Ob ich nicht auch kommen möchte. Ob ich Musik liebe. Ob ich Frau Jordan nie durch die Wand gehört hätte, wenn sie nachmittags übt. „Doch, natürlich. Jeden Tag. Sie spielt sehr schön.“ Dieser Satz war offenbar ein Fehler: Die beiden Männer wurden gemütlich. Tomaschek lehnte sich zurück und begann von einem Bach-Konzert im Dom zu berichten. Winkler zupfte an seiner Fliege. Ich sagte nichts. Plötzlich war ich ein Gefangener, saß fest in einer tiefen Couch und hatte ein geschliffenes Likörglas in der Hand, gefüllt mit einer Flüssigkeit, die doch recht verdächtig roch. Jetzt hieß es, sich geschickt zu verhalten. Einen unauffälligen Abgang zu finden. Ich erklärte mit gespieltem Bedauern, dass ich kein Instrument spiele. Dass ich auch bei den Bach-Tagen im Dom nicht gewesen sei. Dass ich nicht singen könne. Die irritierten Gesichter der beiden signalisierten, dass ich auf dem richtigen Weg war. Es gelang mir, zu einer Entschuldigung anzusetzen, die den Weg zu Tür freimachte. Eine Minute später war ich wieder im Treppenhaus. Ging hoch ins Dachgeschoss und verschwand hinter den Schränken im Dunkel; ich machte kein Licht an, ich fand das Schlüsselloch auch so.
An meinem Arbeitstisch am Fenster ließ ich erst mal den Computer hochfahren. Er piepste, und ich setzte mich an meine Unterrichtsvorbereitungen. Das war gut, wieder so im Vertrauten zu sein. Welche Quellen eignen sich für meinen zwölfer Grundkurs, wo muss ich vorsichtig sein. Ich war schnell bei den richtigen Ideen, hatte aber keine Lust, sie genauer durchzudenken, wie es ein Anfänger ja wohl muss. Vielleicht hätte ich nicht so abweisend gegen Tomaschek und Winkler sein sollen, immerhin war ich neu in diesem Haus und wusste nichts über die Gepflogenheiten zwischen den Mietern. Na ja. Auf einmal war es schon ganz dunkel, ich hatte gar nicht gemerkt, wie lang ich in den leeren Himmel gestarrt hatte. Ich weiß nicht, was plötzlich los war, die Gören gingen mir so was von auf den Nerv, wieso sollte ich denen noch mundgerechte Quellen vorlegen. Ich ging zum Kühlschrank und machte mir ein Bier auf.
Einmal aber sah ich Herrn Tomaschek ohne sein Heftchen am Treppenabsatz stehen, als ich aus der Stadt kam. „Ach, Herr P.“, sagte er, „Haben sie einen Moment Zeit. Darf ich Sie kurz herein bitten?“ Ehe ich mich versah, stand ich im Wohnzimmer von Tomaschek und Winkler, und die beiden Männer drängten mich mit verlegenen Gesten auf eine Couchgarnitur, die von Kissen und bunten Wolldecken überwuchert war. Die Nachmittagssonne schien mir direkt ins Gesicht. Winkler, ein langer, dünner Mensch mit einem kleinen, schon ergrauten Schnurrbärtchen, öffnete die Glastüren eines Schrankes und holte Likörgläser hervor. Dann saßen wir alle, und die beiden redeten auf mich ein: Auf die gute Nachbarschaft und ich solle nicht böse sein, wenn anlässlich der Treppenhausreinigung mal ein scharfes Wort gefallen sei, das meine doch niemand so. Und manchmal finde Hausmusik bei ihnen statt – Herr Winkler spiele Geige, Frau Jordan Klavier und die anderen sängen, manchmal sogar Herr Minski (das möchte ich hören, dachte ich, und unterdrückte das Grinsen). Ob ich nicht auch kommen möchte. Ob ich Musik liebe. Ob ich Frau Jordan nie durch die Wand gehört hätte, wenn sie nachmittags übt. „Doch, natürlich. Jeden Tag. Sie spielt sehr schön.“ Dieser Satz war offenbar ein Fehler: Die beiden Männer wurden gemütlich. Tomaschek lehnte sich zurück und begann von einem Bach-Konzert im Dom zu berichten. Winkler zupfte an seiner Fliege. Ich sagte nichts. Plötzlich war ich ein Gefangener, saß fest in einer tiefen Couch und hatte ein geschliffenes Likörglas in der Hand, gefüllt mit einer Flüssigkeit, die doch recht verdächtig roch. Jetzt hieß es, sich geschickt zu verhalten. Einen unauffälligen Abgang zu finden. Ich erklärte mit gespieltem Bedauern, dass ich kein Instrument spiele. Dass ich auch bei den Bach-Tagen im Dom nicht gewesen sei. Dass ich nicht singen könne. Die irritierten Gesichter der beiden signalisierten, dass ich auf dem richtigen Weg war. Es gelang mir, zu einer Entschuldigung anzusetzen, die den Weg zu Tür freimachte. Eine Minute später war ich wieder im Treppenhaus. Ging hoch ins Dachgeschoss und verschwand hinter den Schränken im Dunkel; ich machte kein Licht an, ich fand das Schlüsselloch auch so.
An meinem Arbeitstisch am Fenster ließ ich erst mal den Computer hochfahren. Er piepste, und ich setzte mich an meine Unterrichtsvorbereitungen. Das war gut, wieder so im Vertrauten zu sein. Welche Quellen eignen sich für meinen zwölfer Grundkurs, wo muss ich vorsichtig sein. Ich war schnell bei den richtigen Ideen, hatte aber keine Lust, sie genauer durchzudenken, wie es ein Anfänger ja wohl muss. Vielleicht hätte ich nicht so abweisend gegen Tomaschek und Winkler sein sollen, immerhin war ich neu in diesem Haus und wusste nichts über die Gepflogenheiten zwischen den Mietern. Na ja. Auf einmal war es schon ganz dunkel, ich hatte gar nicht gemerkt, wie lang ich in den leeren Himmel gestarrt hatte. Ich weiß nicht, was plötzlich los war, die Gören gingen mir so was von auf den Nerv, wieso sollte ich denen noch mundgerechte Quellen vorlegen. Ich ging zum Kühlschrank und machte mir ein Bier auf.
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Montag, 30. Mai 2011
Im Falladahaus, Teil 1
damals, 23:59h
Jetzt hatte das Warten ein Ende, und zwar ganz schnell: Vor zehn Tagen der Anruf von der Bezirksregierung, letzte Woche das Telefonat mit dem Schuldirektor. Ich war sofort einverstanden gewesen: nach so vielen Jahren eine feste Stelle! Greifswald kannte ich eigentlich nicht, einmal vor Jahren war ich im Urlaub da gewesen. Und ich mochte die Ostsee. Warum nicht dorthin ziehen. Ich telefonierte mit einem Wohnungsmakler, machte mit dem Schuldirektor einen Termin aus, und dann fuhr ich hin. Am Vormittag wollte mir der Direktor meinen neuen Arbeitsort zeigen: den Kartenraum, das Lehrerzimmer, die Computer mit Internetanschluss. Die hohe, absurd hässliche Fassade aus rotem Backstein stehe unter Denkmalschutz, erklärte er mir stolz, als wir über den baumlosen Schulhof zur Turnhalle rüberliefen. Auch die war aus rotem Backstein, darüber ein Dach mit blaugrauer Teerpappe, das in der Sonne glitzerte.
Ich aß in einem Café am Markt, um 14 Uhr war mein nächster Termin. Ein Herr Minski werde mich erwarten, hatte der Makler gesagt, von ihm könne ich sofort die Schlüssel empfangen, sollte mir die Wohnung zusagen. Es war ein hell verputztes Eckhaus aus dem 19. Jahrhundert, mit mächtigen Stuckornamenten, das sich reicher gab, als es war. Eine schwarze Steintafel zwischen zwei Fenstern des Hochparterres meldete stolz, dies sei das Geburtshaus des Dichters Rudolf Dietzen, auch genannt Hans Fallada. ‚Der Trinker’, schoss es mir durch den Kopf, ‚Wer einmal aus dem Blechnapf frisst’ – na, dann mal vorwärts.’ Der Hauseingang befand sich an der Seite, bei der Hofeinfahrt, ein hölzerner Vorbau, fast eine Art Veranda mit einer kleinen Freitreppe. Da stand Herr Minski und winkte mir schon von weitem zu. Dann eilte er auf mich zu und gab mir die Hand. „Herr P.?“ Sein linkes Auge zwinkerte nervös.
„Sie werden sehen“, sagte er, als wir die Treppe raufstiegen, vorbei an uralten, gerahmten Farbfotos von Rhein und Mosel und einer offensichtlich penibel gepflegten Blumenbank, „ ..... hier sind alle ein bisschen schrullig. Sie werden gar nicht auffallen. Tomaschek und Winkler im ersten Stock – die tun bloß so ordentlich; na, und ganz oben wohnen nach vorne raus die Jordans – er ist ja selten da, und sie – auch meistens irgendwie abwesend.“ Er kicherte. „Die andere Wohnung ist die, die frei ist.“ Wir waren inzwischen im Dachgeschoss angelangt, Ein dunkler Flur mit zwei winzigen Fenstern an den Giebelseiten und drei oder vier riesigen Schränken. Ich sah mich noch verwundert um, da war Herr Minski schon vorausgehuscht und öffnete im Hintergrund eine Tür. „Ihre Wohnung ist ein wenig verwinkelt. Ich hoffe, sie gefällt Ihnen trotzdem.“
Ich aß in einem Café am Markt, um 14 Uhr war mein nächster Termin. Ein Herr Minski werde mich erwarten, hatte der Makler gesagt, von ihm könne ich sofort die Schlüssel empfangen, sollte mir die Wohnung zusagen. Es war ein hell verputztes Eckhaus aus dem 19. Jahrhundert, mit mächtigen Stuckornamenten, das sich reicher gab, als es war. Eine schwarze Steintafel zwischen zwei Fenstern des Hochparterres meldete stolz, dies sei das Geburtshaus des Dichters Rudolf Dietzen, auch genannt Hans Fallada. ‚Der Trinker’, schoss es mir durch den Kopf, ‚Wer einmal aus dem Blechnapf frisst’ – na, dann mal vorwärts.’ Der Hauseingang befand sich an der Seite, bei der Hofeinfahrt, ein hölzerner Vorbau, fast eine Art Veranda mit einer kleinen Freitreppe. Da stand Herr Minski und winkte mir schon von weitem zu. Dann eilte er auf mich zu und gab mir die Hand. „Herr P.?“ Sein linkes Auge zwinkerte nervös.
„Sie werden sehen“, sagte er, als wir die Treppe raufstiegen, vorbei an uralten, gerahmten Farbfotos von Rhein und Mosel und einer offensichtlich penibel gepflegten Blumenbank, „ ..... hier sind alle ein bisschen schrullig. Sie werden gar nicht auffallen. Tomaschek und Winkler im ersten Stock – die tun bloß so ordentlich; na, und ganz oben wohnen nach vorne raus die Jordans – er ist ja selten da, und sie – auch meistens irgendwie abwesend.“ Er kicherte. „Die andere Wohnung ist die, die frei ist.“ Wir waren inzwischen im Dachgeschoss angelangt, Ein dunkler Flur mit zwei winzigen Fenstern an den Giebelseiten und drei oder vier riesigen Schränken. Ich sah mich noch verwundert um, da war Herr Minski schon vorausgehuscht und öffnete im Hintergrund eine Tür. „Ihre Wohnung ist ein wenig verwinkelt. Ich hoffe, sie gefällt Ihnen trotzdem.“
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