Sonntag, 12. Oktober 2008
Griechenland, Teil 4
Wir sahen die beiden zwei Tage später wieder, als sie uns in den sieben Kilometer kurvige Küstenstraße entfernten Ort mitnahmen. Wir saßen dort noch eine Weile in einem Café; wie es X. gelang, unbemerkt die Zeche zu bezahlen, ist mir unbegreiflich, dann leistete er noch Übersetzungsdienste beim Ausleihen eines Motorrads für mich. Dabei war das eigentlich gar nicht nötig, das Broken English des Verleihers reichte völlig aus, meine ängstlichen Fragen zu beantworten. Über die Bedienung des Geräts belehrte er mich mit den Worten „You know how to drive.“, über die Tankfüllung informierte er sich mit einem kurzen Blick hinein: halb voll, und so sollte ich ihn auch zurückbringen. Und den gekappten Tacho kommentierte er mit der Bemerkung, die Polizei in Griechenland nähme das nicht so genau.
Hier ist es an der Zeit, etwas über uns zu sagen. Claudia sehnt sich immer in ferne, vorzugsweise warme Länder, ich möchte nirgendwohin, wo ich keinen Bezug zu habe, möglichst persönlicher oder kultureller Art. Und Geld für einen richtigen Urlaub haben wir auch nicht. Was lag also näher, als den Vorschlag unserer netten Nachbarn F. und A. und auf dem Grundstück ihrer Eltern (bzw. Schwiegereltern) zu zelten. Sicher, Zelten, das haben wir beide seit vielen Jahren nicht gemacht und auch keine Sehnsucht danach, da wir eher stille Menschen sind, gern ruhig schlafen und auch dem robusten Charme von Globetrotter-Ausrüstungen wenig abgewinnen können. Aber wir wussten von Eltern aus dem Bekanntenkreis, dass das wohl die einzige kostengünstige Möglichkeit kinderfreundlichen Urlaubs ist.
Nun war das hier ja auch Luxuszelten mit eigenem Klo und Gasherd. Aber trotzdem waren die ersten beiden Nächte hart. Die laute Musik vom Zeltplatz in der Nähe wurde vom Dröhnen vorbeisausender Autos (je später, desto schneller und lauter) übertönt und wenn um vier Uhr morgens Stille im Menschenleben eintrat, blieb das Gekläff der Hunde vom Nachbarn, das Tag und Nacht nicht aussetzte. Aber so ist es wohl in südlichen Ländern, selbst das Grillenzirpen ist hier doppelt so laut wie daheim.

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Freitag, 10. Oktober 2008
Griechenland, Teil 3
Dann waren wir da, auf dem riesigen Grundstück ihrer Eltern auf der Chalchidiki: ein aufgebockter Wohnwagen, eine wellblechüberdachte, offene Küchenzeile, daneben Palmen in Plastikfässern und darüber Pinien dahinter Olivenbäume und Gemüsefelder. Die Mutter hatte schon reisgefüllte Kürbisblüten vorbereitet, die jetzt in die Pfanne kamen, der Vater erklärte uns, wie die Elektropumpe funktioniert und was wir dann gießen sollten mit Hilfe eines weit verzweigen Gummischlauchsystems, an das auch die großen Tanks für Küche und Klo angeschlossen waren. „Wasser“, sagte er stolz, „darum wurden schon Kriege geführt. Denkt nur an die Golan-Höhen!“
Die Straße vor dem Gartentor war leider stärker, als das F. wohl noch aus ihrer Jugendzeit in Erinnerung hatte, von heulenden Automotoren bestimmt, und die nur fünf Gehminuten entfernte Badebucht, eine türkisblaue Wunderschönheit von karibischer Exotik, wurde – seit zwei Jahren, wie F. berichtete – dominiert von einer Beach-Bar mit Strohsonnenschirmen und lauter Reggae- und Soulmusik. „Die betreibt der Neffe vom Bürgermeister, da kann man nichts machen.“
Dann fuhren sie und ihre Eltern, es war Sonntag Nachmittag, zurück nach Thessaloniki mit den beiden Opels. Wir blieben zurück mit einem Kühlschrank voller Essen und bereiteten uns zur ersten Nachtruhe auf der Chalkidiki. Als es am nächsten Vormittag vor dem Tor hupte, stand da ein alter, schwarzer Mercedes, am Steuer S., der Nachbar, weißes T-Shirt, schwarzer Schnauzer, rote Baseballkappe, und fragte, ob er uns mit in den Ort nehmen sollte. Das war uns zu schnell. Wir verabredeten uns für den Nachmittag bei ihm. Das Nachbargrundstück betrat man durch ein offen stehendes Tor. Auf einem Hügel stand ein einfaches, flach gestrecktes, überwiegend einstöckiges Haus mit einer riesigen Terrasse, und auf der Terrasse stand X., der Besitzer, ein alter Mann mit braungebranntem, nacktem Oberkörper und schulterlangen, zottigen, weißen Haaren, und breitete zum Willkommen die Arme aus.
Wir saßen dann in dem herrlich schattigen Wohnraum, der fast das ganze Haus ausfüllte. X., der schon von unserer Ankunft gehört hatte, fragte, was wir trinken wollen, und S. ging in die nur durch eine halbe Wand abgetrennte Küche und bereitete alles, während X. sich uns in einem Englisch-Niederländisch-Deutsch-Mix widmete. Ab und zu übersetzte X. ein paar Brocken für S., der nur Griechisch konnte und stumm dabei saß. Wir erfuhren, dass X. als Gastarbeiter in Deutschland gearbeitet, aber erst nach seiner Rückkehr in die Heimat reich geworden war, durch Autohandel, dass er viele Länder bereist hat und dass seine Familie – Frau, Kinder, Enkel – in Holland wohnt, wo er auch die Winter verbringt. Und nächste Woche kommen alle in sein griechisches Haus in die Sommerferien. Dafür gab es einen extra Gästetrakt mit zwei Räumen und Bad neben der Terrasse. X. selbst wohnte in zwei winzigen Räumen an der Stirnseite des Hauses, mit Blick auf den Artosberg am anderen Ufer der Bucht. Sein Schlafzimmer so schmucklos wie das von S. im Stockwerk darunter, im Wohnzimmer ein Schreibtisch mit Büchern und Familienfotos. Und im Treppenhaus Fotos vom nackten X. als Sonnenanbeter. Ein Original.

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Montag, 6. Oktober 2008
Griechenland, Teil 2
Am nächsten Morgen ging es wieder per Auto weiter auf die Chalkidiki, zum Wochenendgrundstück ihrer Eltern. Im Auto erzählte F. von griechischer Geschichte. Endlich begriff man mal, wie Griechen sich fühlen. Das klassische Griechenland Winckelmanns spielte dabei weniger eine Rolle, eher Alexander, der Große, (und sein Vater) als Einiger der Griechen – und natürlich Byzanz, das tausendjährige Reich, in dem Griechisch gesprochen wurde.
Das Auto sauste durch die Hitze, und F. erzählte davon, wie neuen Datums das jetzige Griechenland ist: eine Monarchie seit 1916, entstanden im Zuge des Ersten Weltkriegs, und von der allerneuesten Nationenerfindung in der Gegend, nämlich Mazedonien, ein Name, der von Alexander her eigentlich eher zu Griechenland gehört. „Was spricht man eigentlich in Mazedonien?“ versuchte ich mit typisch deutscher Logik (Nation = Sprache) das balkanesische Kuddelmuddel zu ordnen. „Teils albanisch, teils serbokroatisch.“ Also doch ein idiotisch abgesplittertes Überbleibsel des gewesenen Ganzen, das jetzt die Nähe zu Griechenland als Strohhalm ergreift. Ich verstand das griechische Unbehagen, das nicht nur der Religion wegen mit den Serben sympathisiert. Auch weil man als Luftkorridor für die amerikanischen Militärflugzeuge in den Nahen und Mittleren Osten herhalten muss – „Eine der am meisten befahrenen Luftschleusen Europas!“ – auch wegen der amerikanischen Unterstützung der griechischen Militärdiktatur der Siebziger, wegen der F. überhaupt in Deutschland geboren wurde. Ich verstand das, wie ich Peter Handke verstehe, den F. als Zeugen ihre Skepsis aufrief: mit Sympathie und Respekt und einer Art klebrigen Widerwillen.

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Freitag, 3. Oktober 2008
Griechenland, Teil 1
Wir hatten Robert, unseren vierjährigen Sohn, von seinen Großeltern abgeholt, wo er die erste Ferienwoche verbracht hatte, und fuhren alle zusammen auf der alten Sputnikstrecke nach Schönefeld zum Flughafen. Bezahlen musste niemand, weil die Automaten kaputt waren. Die Frau, die im Auftrag der BVB statistische Daten über Fahrkarten und Reiseziele erfragte, hatte Schwierigkeiten, ihre Formulare zu füllen. Es war ziemlich voll, meine Frau überließ mir den einzigen freien Fensterplatz im Waggon und setzte sich anderswo. „Große Jungs gucken gern aus dem Fenster.“ meinte der Mann, der mir gegenüber saß, und dann wandten wir den Blick nach draußen, auf grasüberwucherte Bahnsteige und eintönige Kiefernwälder. „Auch eine schöne Ecke.“ sagte der Mann.
Der Billigflieger brachte uns mit einer Stunde Verspätung ruhig und sicher über Alpen und Balkan hinweg, Der Imbiss kostete 15,55 €, und im Abenddämmer segelte das Flugzeug über die Bucht von Thessaloniki und setzte auf der kurzen Landebahn auf.
F. holte uns ab, mit einem ziemlich müden Budschi im Arm, dem einjährigen Sohn, den sie mit A., unserem Hamburger Nachbarn, hat. Wir packten unsere Sachen in ihr Auto, eines der Autos ihrer Eltern (beides uralte Opels), und fuhren zu ihr. Auf er Fahrt erzählte sie – „A. muss ja nicht alles wissen.“ – von der Wiederbegegnung mit einem griechischen Exfreund, den sie wohl immer noch spannend, aber immer noch unangenehm fand, und von ihrem Krankenhaus, wie es sie nervt, wie da kreuz und quer gevögelt wird während der Nachtschichten - „Man traut sich ja gar nicht mehr, irgendeine geschlossene Tür aufzumachen.“ – und wie die Frauen mit gefüllten Schminkkoffern zur Schicht erscheinen. In diesen Worten, in F.s Eingesogen- und Abgestoßensein von ihrer Heimatkultur, funkelte mir das fremde Land entgegen, während durchs offene Autofenster die immer noch drückend warme Luft des letzten Abenddämmers hereinströmte, zusammen mit dem bunten Geblinker fremdsprachiger Werbetafeln (das griechische Alphabet war ich natürlich zu faul gewesen, vollständig zu lernen) – mehr sah man nicht von Thessaloniki.

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Nach langer Zeit zurück
In diesem Blog war lange Pause - erstens gab es dieses Jahr endlich mal wieder einen Urlaub, und dann war der Computer kaputt. Genau genommen ist er es immer noch, aber nachdem vier Computerexperten sich ausgetobt haben, kann ich ihn unter Einhaltung gewisser Vorsichtsmaßnahmen immerhin benutzen. Deshalb soll es jetzt endlich mit Texten weitergehen.

Und zwar mit etwas ganz Banalem: Urlaubsbericht. Um die immer fragile innere Beziehung zu meiner Frau zu stärken, hatte ich vorgeschlagen, dass wir im Urlaub parallel Tagebuch führen. Sie fand das gut, und das Ergebnis ist großartig: Während es in der weiblichen Version vornehmlich um die Farbe des Meeres und eine symbolische Reise zu sich selbst geht, beinhaltete der männliche Part die Themen "Nörgeln" und "Sachliche Information". Zusammengebunden und mit ein paar Urlaubsschnappschüssen versehen möcht ich daraus eine kleine Brochüre basteln.
Hier im Blog dürfen natürlich nur meine Texte stehen - vielleicht gefallen sie Euch trotz der wie gesagt einseitigen Sicht.
Apropos einseitig: Was ich da Politisches über Mazedonien schreibe, ist ganz ausdrücklich einseitig. Ich hatte kurz nach dem Urlaub eine hochinteressante, auch nicht ganz sachliche Arbeit über "Die albanische Frage in Mazedonien" zu korrigieren und weiß also schon einiges über das Thema. Ich wollte aber nicht verfälschen und bewusst nur schreiben, was ich vor Ort erfuhr. Nur so ergibt sich ein echtes Bild, finde ich.
Viel Spaß dabei!

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Freitag, 25. Juli 2008
Shani Katayun: Augen in Teheran
Was wirklich schön ist an meiner Arbeit (Deutsch-Unterricht für Ausländer), ist, dass man so viel von der Welt erfährt, ohne seinen engsten Umkreis verlassen zu müssen: Vor ein paar Wochen sagte mir eine iranische Kollegin zwischen Tür und Angel: "ich habe einen Roman geschrieben." Ich war ganz baff, und schon aus Kollegen-Solidarität kaufte ich ihn. Dann las ich ihn - und er war eine echte Entdeckung. Hier meine Rezension -für alle, die jenseits des professionellen Mainstreams spannendes Lesefutter suchen:

Dieser Roman hat eher die Qualitäten eines Berichts: in künstlerischer Hinsicht bescheiden, dafür aber gut und flüssig geschrieben – und faszinierend durch seine Lebensechtheit. Wer mehr über den Iran wissen will, als aus den Politikteilen unserer Tageszeitungen ersichtlich ist, sollte zu diesem Buch greifen. Man erlebt eine Diktatur, in der politische Unfreiheit Hand in Hand mit westlichem Lebensstil und stockkonservativen Familientradition geht. (Eine „Emanzipation der Miniröcke“ nennt das die Autorin: Miniröcke sind üblich, Zwangsverheiratungen auch.) Außerdem gibt es eine echte Befreiungsbewegung (die islamistische), die autoritär und reaktionär ist; einen Freiheitshelden (kommunistisch), der seine Freundin benutzt und bevormundet; einen deutschen Journalisten (liberal und weltoffen), der insgeheim nur das Geld liebt ... und zwischen all dem drei Schwestern, die immer wieder betrogen werden: im Namen der islamischen Tradition, im Namen des Kommunismus, im Namen der westlichen Freiheit – kurz: im Namen der Männer. Traurig.

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Freitag, 18. Juli 2008
Achtung, Wiederholung: "Das Leben der Anderen"
Aus gegebenem Anlass (Lady Woodstock hat nachgefragt) äußere ich mich nochmal zum "Leben der Anderen" (hier mein erster Text dazu: http://damals.blogger.de/stories/751508/.)

Als der Film rauskam und dank massiven Werbeeinsatzes und prominenter Besetzung gleich überall im Gespräch war, wurde Donnersmarck in einer Talk Show von dem Schauspieler Henry Hübchen massiv angegriffen. In diesem Zusammenhang schrieb ich einen Kommentar in dem Blog von Herrn Donnersmarck, aus dem ich hier zitiere:

Viele Menschen, auch aus meinem Bekanntenkreis, haben „Das Leben der anderen“ mit Rührung und Begeisterung gesehen – während mich der Film genervt hat, aggressiv gemacht hat.
Zwar ist Ihre Analyse der späten DDR meines Erachtens rein sachlich völlig richtig. Insofern kann ich mich als geborener DDR-Bürger in die Reihe der von Ihnen aufgerufenen Zeitzeugen einordnen. Dass Ihnen hier und da kleine historischen Fehler unterlaufen sind, wie das Feuilleton an diversen Stellen anmerkte, finde ich gar nicht so schlimm. Gut fand ich, wie genau in Ihrem Film die miefig-spießige Atmosphäre in der DDR der 80er Jahre getroffen und reproduziert wird. Nur: Wieso diese klischeehafte und eindimensionale Charakterzeichnung aller Figuren mit Ausnahme der Hauptfigur? „Da hätte ich mir auch nen >Tatort< ansehen können.“ meinte ein (westdeutscher) Bekannter nach dem Kinobesuch achselzuckend.
Und er hatte Recht: der aufrechte Intellektuelle in der unvermeidlichen Lederjacke, die geniale, aber verführbare Künstlerin (die als femme fatale natürlich am Ende unter die Räder kommen muss), der gefräßige und brutale Minister, ... das war schon schwer erträglich.
Natürlich ist solche Vereinfachung künstlerisch erlaubt, z. B. eben im „Tatort“: um eine im Kern richtige Gesellschaftsanalyse für den Sonntagabend tauglich zu machen, auf dass sie jedermann nach dem Abendbrot noch leichthin konsumieren kann. Oder weil es dem Regisseur gar nicht auf die Figuren ankommt, sondern auf irgendetwas anderes. Ich fragte mich, was Ihnen so wichtig war, dass Sie dafür einen Großteil des filmischen Geschehens zur „rührseligen Politschmonzette“ vereinfacht haben, wie Henry Hübchen richtig anmerkte.
Ging es Ihnen um das Ins-Bild-Setzen einer masochistischen Ohnmachtsfantasie? Um Mitgefühl für einen Spitzel, der menschliche Gefühle entwickelt (was normal und verständlich ist), sie aber nicht haben darf, der auch mal Schicksal spielen will wie seine mächtigen Chefs und dann die Folgen zu spüren bekommt – und nicht, nicht mal im Ansatz, begreift, dass das ganze Spiel mies ist, egal für wen man Partei ergreift? Er ist übrigens großartig geschildert, wie er mit seinem Wägelchen geduckt durch die Straßen läuft und Werbezeitungen verteilt und sich vermutlich ziemlich selbst bemitleidet. Genau so laufen sie noch heute rum in den neuen Bundesländern, diese miesen kleinen Würstchen, die uns regiert haben! Und glauben, sie wären die eigentlichen Opfer.
Oder wollten Sie einfach einen hollywoodtauglichen Film mit möglichst deutschem Sujet herstellen? Wofür ja die unangenehm kommerzielle und sicher sehr teure Werbekampagne für den Film spricht. (Wer hat die eigentlich bezahlt?)
Da muss man doch mit Hübchen daran erinnern, dass die Welt nicht so eindimensional ist, wie diese Stasi-Typen (und auch dieser Film) sie sehen. Wir waren Menschen und wir konnten (natürlich zu selten, natürlich nur manchmal) lachen über das Lächerliche und verachten, was verachtenswert ist. Die Machtbesessenheit dieses Systems und seiner Erfüllungsgehilfen, natürlich gab es die, aber ist sie das wirklich Erinnernswerte an der DDR?
Ich finde, bei der Übersetzung von DDR in Hollywood ist ein entscheidender Fehler unterlaufen: Die Logik, mit der in der DDR Angst erzeugt wurde, wurde exakt nachgebaut und überliefert – die Angst (und auch der Mut) derer, die diese Logik zu erdulden hatten, ist unter lauter Kitsch verschwunden.
Es mag sein, dass ich jetzt zu viel hineingesehen habe in Ihren Film, der ja nur ein Unterhaltungsfilm sein will. Aber immerhin, es ist ein Kinofilm, ein gefeierter, und der Bundestag ist auch schon da gewesen. Ach, hätten Sie doch lieber mit Fernsehen angefangen! (Irgendein Feuilleton berichtete, Sie hätten der Versuchung Fernsehregie widerstanden, um auf die Chance zum großen Kinofilm zu warten.) Hätten Sie das Ganze tatsächlich als „Tatort“ realisiert – es wäre sicher einer der besseren geworden. Und Sie hätten danach den Kopf und das Herz frei gehabt, um einen wirklichen, ein großen Kinofilm zu drehen.

Na ja, um mal zu zeigen, wie dieses Sujet "in echt" statt in Oscar-Manier geschildert werden kann, zitiere ich den zu Unrecht vergessenen Bernd Jentzsch:

Stoßgebet

Wenn einer wegwill und noch kein Greis ist, weder Dienstreisender noch Sportler, kein Kundschafter der heiligen Sache, dem stehe bei der Allmächtige der Vogelfreien, der achte auf seine geächtete Hand, die das unterschrieb, ich will hier raus, der hat sein Urteil gefällt, der darf nicht mehr sein in Lohn und Brot, ein Querulant unter Tausenden zu Abertausenden, in die Korrektionsanstalt mit dem, nach Waldheim, Bautzen, Hoheneck, nach Cottbus in die Dunkelzelle, singen lernen, verpfeifen, verraten und verkauft, der Verkauf der Landeskinder nach Hessen, Kopf um Kopf, der ist verlassen von allen guten Geistern und
stolpert vor die Kameras, die ersten Schüsse im Jenseits Schnappschüsse, Allmächtiger, mit aller Macht, dem stehe bei.

1978

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Mittwoch, 9. Juli 2008
Heute Abend halb sechs
Heute hatte ich Schlussdienst und musste zu Feierabend beim anderen Haus vorbeiradeln und nachgucken, ob alles zu ist. Normalerweise kann ich ja einfach Herrn T. anrufen, der sowieso da sitzt (fast als einziger, da die Mietung Ende Juli endet). Aber heute war ich so spät dran, dass T. natürlich schon Feierabend gemacht hatte und niemand mehr ans Telefon ging. Also peste ich schnell noch persönlich durch die überwiegend leerstehenden Räume, fand auch noch ein offenes Fenster, und der Kopierer war auch noch an.
Dennoch merkwürdige Stimmung in den Räumen, wenn man so der letzte ist. Ich beeilte mich, wieder runterzukommen zum Ausgang und zu meinem Fahrrad. Da ist im Erdgeschoss ein Kindergarten und durch die Glastür sah ich, dass noch zwei bis drei Dreijährige übermüdet um die telefonierende Erzieherin herumpurzelten. Halb sechs! Das tat mir weh!. Ich frage mich, welcher Job es rechtfertigt, die Kinder so lange wegzugeben. Ein gut bezahlter kann es wohl kaum sein.

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Donnerstag, 3. Juli 2008
Aufarbeitung mentaler Defizite
Als ich Kind war, wohnte ich in Potsdam und der Heilige See lag keine 200m zu unserm Zuhause entfernt. Natürlich gingen wir im Sommer baden.
Wir wohnten auf der Parkseite des Sees und hatten die Wahl: entweder verbotenerweise einfach innerhalb des Parks ins Wasser zu gehen – dann aber Vorsicht vor der „Parkeule“ und die Sachen möglichst im Gebüsch versteckt – oder die Benutzung der öffentlichen Badestelle am Parkausgang, wo es kein Gras gab, stattdessen pubertierende Jugendliche, vor denen man natürlich Angst hatte.
Die jährlich zu absolvierende Mutprobe bestand darin, einmal über den See zu schwimmen. Weg von den Jugendlichen, über den weiten, tiefen See. Am andern Ufer gab es Wassergrundstücke mit Bootsstegen, auf denen man sich vor dem Rückweg stolz und frierend ausruhen konnte. Mutprobe übrigens nicht nur wegen der Entfernung, sondern auch weil der See stank. Wasserschlucken machte keinen Spaß.
Später kam ich dann selber in die Pubertät, was bis Mitte Zwanzig andauerte und meinen Aktionsradius erweiterte: Ich habe dann in vielen branden- und mecklenburgischen Seen gebadet, und überall traf ich wieder auf dieselben zwei Probleme: die Jugendlichen lärmten und die Seen stanken.
Dann kam das Jahr 1989 und ich wurde erwachsen. Ich ging nach Westdeutschland – Günter Jauch und seinesgleichen kauften sich Villen am Heiligen See.
Jetzt wohne ich in Hamburg, im biederen Bahrenfeld, und radle jeden Morgen an der einen Seite in die reichen Viertel an der Alster rein und an der anderen Seite wieder raus. Nachmittags den gleichen Weg wieder zurück, und wenn ich Zeit und Muße hab, nehm den Weg an der schönen Aussicht - nein, natürlich französisch, wie mans für vornehm hielt, als die Straße bebaut wurde: an der Bellevue entlang, der zwei Minuten länger dauert.
Und da passierte es, gestern, als ich an den Joggern und Seglern vorbeifuhr: Der vertraute Geruch zog mir wieder in die Nase – die Alster stank, nicht anders als eben ein x-beliebiger Binnensee in der deutschen Provinz stinkt.
Und zu Hause – Kinderlärm: Mein Sohn war mit den „großen Jungs“ unten im Vorgarten der Nachbarn unterwegs. Nun sind die zwischen vier und zehn und pubertieren noch lange nicht. Aber unsere Nachbarn – sie Hippie und er Albaner – verwandeln jetzt schon ihren Vorgarten in ein lautes Paradies: mit Plantschbecken, Grill und Kicker, ungeachtet der Straßenkreuzung, von der aus ihnen das ganze Viertel zuguckt. Und die Haustür ist seit Wochen tagsüber nicht mehr abgeschlossen. Dass manchmal Fahrräder geklaut werden, nun, damit muss man leben.
Also, wenn das so ist, wenn die Alster stinkt und Bahrenfeld lebt, dann soll mein Kleiner in die Pubertät kommen und die Nachbarjungen auch: Ich freu mich drauf.

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Freitag, 27. Juni 2008
Schon wieder Politik ...
Heute ist mein Zu-Hause-sitz-und-Korrigier-Tag und ich lese Arbeiten über den "Verbrecher aus verlorner Ehre" (Schiller) und die "Verlorene Ehre der Katharina Blum" (Böll).
Da erfährt man einiges darüber, wie junge Menschen so denken.

Zunächst: "Pflichten des Staatsbürgers" anhand Schiller:
Christian ist ein Mörder, der sich seiner Hinrichtung und somit der Gesellschaft entzieht.

Und dann: "Zusammenhang von Aussehen und politischer Meinung" anhand Böll:
Katharina Blum ist nicht dick, aber eher konservativ.


Wahrscheinlich ist Katharina Blums auch mein Dilemma, da ich aufgrund genetischer Veranlagung und stressiger Lebensumstände im gesetzten Alter immer noch dünn bin, im Herzen aber konservativ empfinde. Ich würde glatt als Künstler/ Linker/ Szenetyp durchgehen, würde ich nicht die "Neue Zürcher Zeitung" lesen und lieben.

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Mittwoch, 28. Mai 2008
Heute mal Politik:
Eben gucke ich Tagesschau - und als erste Meldung kommt, dass nun der endgültige Beweis gefunden sei für Gysis Stasi-Tätigkeit als IM. Für wie blöd müssen die den Fernsehzuschauer denn halten?!
Erstens versteht sich von selbst, dass der prominenteste Oppositionellen-Anwalt der DDR ständig beruflich mit der Stasi zu gehabt hat. Ob bzw. inwieweit er sich dabei moralisch korrekt verhalten hat, lässt sich anhand der simplen Frage "IM -ja oder nein?" ganz sicher nicht beantworten.
Zweitens sind seit Lothar de Maiziere schon reihenweise Prominente ausgerechnet dann als IM enttarnt worden, wenn sie dem politischen Gegener zu sehr in die Quere gekommen sind - bzw. wie de M. ihre Schuldigkeit getan hatten.
Drittens frage ich mich, wieso das die erste Meldung ist? Ist denn in Deutschland sonst nichts passiert - geschweige denn in der Welt?
Ich glaube eher, der deutsche Politikbetrieb dreht sich mal wieder umgeheuer um sich selber und sein Berliner Zentrum ... Köhler oder Schwan? Ich find sie eigentlich beide ganz nett. Die Linke betrügerisch? Natürlich -mindestens ebenso wie die anderen Parteien ... Sind das nicht alles ziemlich unerhebliche Fragen, wenn man sich dafür interessiert, was in Deutschland so passiert?

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